Eine Bilanz des AMNOG: Ein Jahrzehnt der Innovationen
Mit dem AMNOG wurde vor zehn Jahren die letzte Lücke in der Preisregulierung von Arzneimitteln geschlossen. Eine Bilanz zeigt: Sechs von zehn Nutzenbewertungsverfahren ergeben einen Zusatznutzen, Innovationen stehen Patienten früh zur Verfügung.
Pressemeldungen des Gemeinsamen Bundesausschusses sind im Regelfall nüchtern-spröde. In einer Mitteilung am 18. Februar schwingen auch Euphorie und Enthusiasmus mit: „Die von uns geprüfte Kombinationstherapie mit Ivacaftor kann bei den Patienten sehr gute Ergebnisse erzielen... Hoch relevant für die Patienten... ist auch, dass wir in vielen patientenberichteten Endpunkten und in allen messbaren Aspekten der Lebensqualität Vorteile gesehen haben. Beispielsweise beim körperlichen Wohlbefinden, der Vitalität und der Gefühlslage“, betonte der G-BA-Vorsitzende Professor Josef Hecken zum Beschluss über den erheblichen Zusatznutzen einer neuen Kombinationstherapie zur Behandlung der Mukoviszidose bei Kindern ab zwölf Jahren. Note 1 auch für die Evidenz: Trotz Orphan-Drug-Privilegs, aufgrund dessen der Zusatznutzen allein durch die Zulassung anerkannt wird, hatte der Hersteller gleich ein vollständiges Dossier vorgelegt, sodass „eine tiefergehende Bewertung“ möglich gewesen sei, so Hecken.
Durchbruch bei Hepatitis C
Therapeutische Durchbrüche solcher Art sind selten, aber es hat sie in den letzten zehn Jahren gegeben. Ein Beispiel für eine nicht seltene Krankheit ist der Durchbruch bei Hepatitis C (2014), die heilbar geworden ist. Spätfolgen wie Leberzirrhose und möglicherweise eine Lebertransplantation können vermieden werden. Die bis dahin zur Verfügung stehenden Therapien waren von schweren Nebenwirkungen begleitet.
Rund 30 Prozent der bewerteten neuen Wirkstoffe waren für die Indikation Krebs bestimmt, das Therapiegebiet mit den weitaus meisten Innovationen. Und auch diejenige Indikation, in der von den neuen Wirkstoffen laut DAK-AMNOG-Report 2020 mehr als zwei Drittel (69 Prozent der Verfahren) einen Zusatznutzen zuerkannt bekamen. Eine Ursache dafür ist auch, dass bei Krebs – sehr häufig bei Therapien im späten Stadium der Krankheit – wesentliche therapeutische Ziele schnell erreicht werden können: meistens das Gesamtüberleben. Tatsache ist: Durch Innovationen auf der Basis molekulargenetischer Erkenntnisse hat sich ein völlig neues Verständnis von Krebskrankheiten gebildet, das, von molekularbiologischer Diagnostik begleitet, hoch wirksame Präzisionsmedizin ermöglicht und vor allem für Patienten mit bestimmten Lungenkarzinomen, Prostata-Ca und Leukämie teils erhebliche Fortschritte gebracht hat.
Seit 2011 haben wir einen Innovationsschub gesehen: Hepatitis C ist heilbar, Krebs immer besser behandelbar. Ohne großen Kostenschub.»
60 Prozent aller bewerteten neuen Wirkstoffe bekamen bis Stand 9. November 2020 laut vfa-AMNOG-Verfahrensdatenbank einen Zusatznutzen zugesprochen. Bei fast 24 Prozent aller Wirkstoffe bewertete der Bundesausschuss den Zusatznutzen als beträchtlich, die zweitbeste Kategorie. Bei knapp 18 Prozent fiel der Zusatznutzen gering aus. Bei einem knappen Fünftel ließ sich der Zusatznutzen aufgrund der Studienlage nicht quantifizieren.
Für weniger als 40 Prozent der neuen Wirkstoffe wurde kein Zusatznutzen gesehen. Der Anteil ist über die Jahre hinweg in etwa konstant geblieben. Aber eines hat sich dennoch verändert: der Benchmark, die zweckmäßige Vergleichstherapie (ZVT). Als die ersten Bewertungsverfahren 2011 starteten, waren die typischen ZVT sehr häufig generische Wirkstoffe, teils schon Jahrzehnte alt und meist nicht nach den Standards der evidenzbasierten Medizin untersucht. Die Hersteller standen bei dem Start in die frühe Nutzenbewertung vor zwei Problemen: ob sie mit den vorhandenen Studien für ihre neuen Wirkstoffe einen Zusatznutzen nachweisen konnten, und – im schlechtesten Fall bei Nichtanerkennung eines Zusatznutzens – den Preis für ihren innovativen Wirkstoff auf Generika-Niveau absenken zu müssen. Diese Konstellation hat in einigen Fällen zu Opt-out-Entscheidungen geführt.
Die Situation hat sich geändert. Immer häufiger wird als ZVT ein Wirkstoff herangezogen, der seinerseits bereits eine Nutzenbewertung durchlaufen und sich als neuer, evidenzbasierter Therapiestandard etabliert hat. Die Latte für neue Wirkstoffe wird damit automatisch höher gelegt; sie zu überspringen, erfordert stets neue Anstrengungen. In jedem Fall steigt damit – auch ohne oder nur bei geringem Zusatznutzen – die Zahl der modernen Therapieoptionen.
Verbessert hat sich die Kooperation zwischen dem Bundesausschuss und den Zulassungsbehörden. Das ist wichtig, um Unternehmen konsistente Beratungen zur Gestaltung von Zulassungs- und HTA-relevanten Studien zu geben, insbesondere zur zweckmäßigen Vergleichstherapie. Die Beteiligten befinden sich dabei allerdings auch in einem schwer lösbaren Dilemma: Der Wunsch nach Planungssicherheit für Studien und die Anerkennung deren Ergebnisse stehen im Konflikt mit sich dynamisch entwickelnden neuen Erkenntnissen, die die ursprüngliche Planung obsolet machen können. So kann der Innovationswettbewerb dazu führen, dass eine von Zulassungs- und HTA-Institutionen angeratene Vergleichstherapie nicht mehr aktuell ist und zugunsten einer neueren verworfen wird.
Neue Herausforderungen
Die Nutzenbewertung, die sich alles in allem als bewährtes Verfahren etabliert hat, steht allerdings auch vor neuen Herausforderungen. Beispiele:
- die stärkere Einbeziehung von Lebensqualität und die Anerkennung von Methoden zu ihrer Messung;
- der Trend zu beschleunigten Zulassungen mit relativ niedriger Evidenz bei hohem medizinischen Bedarf;
- die bessere Nutzung von Real World Data, auch durch die Digitalisierung,
- sehr hochpreisige Einmal-Therapien mit Aussicht auf Heilung und
- und das Ziel eines europaweit harmonisierten HTA-Verfahrens.
Dieser Text entstand in Zusammenarbeit des vfa mit der ÄrzteZeitung.