EU-HTA: Verordnung für europäische Nutzenbewertung von Medikamenten parallel zur Zulassung
Mit der neuen EU-HTA-Verordnung wird die Nutzenbewertung von neuen Therapien erstmals auf europäischer Ebene geregelt. Diese wird parallel zur europäischen Zulassung durchgeführt. Ziele sind der schnellere Zugang zu neuen Therapien, die Verringerung von Doppelarbeit und die Harmonisierung der klinischen Bewertung. Die Zusammenarbeit auf EU-Ebene kann Europa als Pharmastandort stärken. Es kommt nun darauf an, EU-HTA (engl. Health Technology Assessments) als vorhersehbaren, praktikablen und koordinierten Rahmen auszugestalten, um den größtmöglichen gemeinsamen Nutzen zu schaffen und den schnellen Zugang zu neuen Therapien in Deutschland zu erhalten.
Die neue EU-HTA-Bewertung findet parallel zur Zulassung von neuen Medikamenten bzw. Medizinprodukten statt und kann den Pharmastandort Europa stärken.
Schnellerer Zugang zu neuen Therapien: Synergien schaffen – Chancen nutzen
Der Weg ist frei für die Nutzenbewertung von neuen Therapien auf EU-Ebene (EU-HTA). Im Juni 2021 wurde im Gesetzgebungsprozess zur EU-HTA-Verordnung ein Kompromiss erreicht, der im Januar 2022 in Kraft treten wird. Die EU-Kommission hatte sich den schnelleren Zugang zu neuen Therapien, die Verringerung von Doppelarbeit und die Harmonisierung der klinischen Bewertung zum Ziel gesetzt. Der jetzt vorliegende Kompromiss sieht insbesondere die Flexibilität bei der Verbindlichkeit der europäischen Nutzenbewertung für die Mitgliedsstaaten vor.
vfa-Positionspapier
"Europäische Nutzenbewertung: Synergien schaffen – Chancen nutzen"
als PDF-Download
Die neue Verordnung schafft den rechtlichen und organisatorischen Rahmen für die Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten bei gemeinsamen klinischen Bewertungen neuer Arzneimittel sowie der dazugehörigen wissenschaftlichen Beratungen. Die Rahmenvorgaben sind nun zu konkretisieren. In den kommenden drei Jahren werden die Prozesse, Methoden und Anforderungen des EU-HTA durch die Mitgliedsstaaten ausgestaltet. Danach sollen zunächst die neu zugelassenen onkologischen Medikamente bzw. Arzneimittel für neuartige Therapien (ATMP, engl. Advanced Therapy Medical Products) bewertet werden, um das Verfahren anschließend schrittweise auf weitere Medikamentengruppen auszuweiten.
Mitgliedstaaten sind gefordert EU-Harmonisierung auszugestalten
Die klinische Bewertung der Studien wird also künftig auf europäischer Ebene erfolgen. Die Beurteilung des Zusatznutzens und die Preisgestaltung verbleiben aber in der nationalen Zuständigkeit Deutschlands. Konkret sieht die Verordnung jetzt vor, dass die EU-HTA-Bewertungen von den Mitgliedsstaaten bei ihren Entscheidungen über den klinischen Mehrwert bzw. über Preis und Erstattung gebührend, jedoch nicht rechtsverbindlich berücksichtigt werden sollen. Ein verbindlicher Mechanismus regelt nur die einmalige Einreichung klinischer Daten auf der EU-Ebene, die auf nationaler Ebene nicht erneut angefragt und eingereicht werden dürfen. Mitgliedsstaaten dürfen aber ergänzende klinische Bewertungen durchführen und hierfür zusätzliche Informationen anfordern.
Gemeinsame Empfehlungen
"Leem & vfa joint recommendations for an efficient European Health Technology Assessment"
als PDF-Download
Die Zusammenarbeit auf EU-Ebene kann Europa als Pharmastandort und die globale Wettbewerbsfähigkeit des Sektors stärken. Der vfa und sein europäischer Dachverband EFPIA (engl. European Federation of Pharmaceutical Industries and Associations) haben sich deshalb mit Forderungen nach Harmonisierung und verbindlicher Nutzung der klinischen Bewertungen stets für ein effizientes EU-HTA eingesetzt. Der Kompromisstext räumt den Mitgliedsstaaten jedoch weitreichende Spielräume für nationale Nachbewertungen ein, die den Zielen nach Harmonisierung Grenzen setzen. Nun liegt es bei den Mitgliedsstaaten, im Rahmen ihrer Zusammenarbeit und insbesondere bei der Ausgestaltung der Prozesse und Methoden zu entscheiden, wo diese Grenzen liegen. Die Mitgliedsstaaten sollten jetzt die Chance nutzen als Europa weiter zusammenzuwachsen und so Synergien zu schaffen. Deutschland sollte dabei darauf hinwirken, Divergenzen bei der klinischen Bewertung innovativer Therapien in Europa abzubauen, ohne dass die nationale Souveränität in Erstattungsfragen und der schnelle Zugang zu innovativen Therapien in Frage gestellt wird.
EU-HTA vorhersehbar, praktikabel und koordiniert umsetzen
Nur die gut abgestimmte Ausgestaltung von EU-HTA kann den größtmöglichen gemeinsamen Nutzen schaffen und dabei den schnellen Zugang zu neuen Therapien in Deutschland erhalten. Deshalb sollten die Mitgliedsstaaten nun die Weichen für einen klaren, praktikablen und planbaren Bewertungsrahmen stellen und die Schaffung von Synergieeffekten konsequent im Blick behalten. Um dies zu erreichen, sollten insbesondere die folgenden Punkte für eine Implementierung auf europäischer und nationaler Ebene in Deutschland berücksichtigt werden.
Europäische Prozesse integrieren
Zeitliche Vorgaben der EU-Prozesse sollten präzise festgelegt und planbar in die Zeitabläufe des AMNOG-Verfahrens (Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz) integriert werden. Das AMNOG-Stellungnahme-Verfahren mit Anhörung sollte auf Grundlage der eingereichten Daten durchgeführt werden. Nationale Nachforderungen müssen für Hersteller vorhersehbar und innerhalb angemessener zeitlicher Vorgaben realisierbar sein. Die Anpassung nationaler Verfahrensgrundlagen sollte frühzeitig unter Einbindung der Industrie umgesetzt werden, um Rechts- und Planungssicherheit zu schaffen.
Europäische Methoden abstimmen
Publikation
Eine wissenschaftliche Ausarbeitung, die unter Beteiligung des vfa erstellt wurde, macht konkrete Empfehlungen zu methodischen Einzelaspekten, die bei einer Implementierung berücksichtigt werden sollten, um die Kompatibilität europäischer Bewertungen mit dem nationalen HTA-Ansatz zu verbessern:
„Towards compatibility of EUnetHTA JCA methodology and German HTA“ als PDF-Download
Methodische Leitlinien sollten so gestaltet sein, dass die resultierenden klinischen Bewertungen durch Mitgliedsstaaten genutzt werden können und möglichst wenig Nachbewertungen erfordern. Hierfür sollte auf Grundlage von EUnetHTA-Erfahrungen ein einheitliches europäisches „Best-Practice“-Modell entwickelt werden, welches den Konsens bei der Bewertung erleichtern kann. Die Methoden sollten so weit wie möglich harmonisiert werden und keine Ansammlung von nationalen Ansätzen darstellen. Methoden sollten unter Beteiligung der Industrie entwickelt werden. Bei der Festlegung sollten die Besonderheiten von Orphan Drugs, pädiatrischen Therapien, ATMP, Impfstoffen sowie chronischen Erkrankungen angemessen berücksichtigt werden.
Rechte des Herstellers gewährleisten
Die Verfahrens- und Beteiligungsrechte der Hersteller im Rahmen des EU-HTA-Verfahrens müssen sichergestellt werden, sodass die Mitwirkung der Hersteller an den Prozessen in geeigneter Weise und mit ausreichender zeitlicher Dauer ermöglicht wird. Dazu gehören generelle Regelungen, die z. B. die Prozesse zur Festlegung der Fragestellung, zur Übermittlung der Daten, zur Festlegung der Vertraulichkeit bei Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen, zur Einbeziehung von Stellungnahmen und zur Überprüfung der Berichte, betreffen. Zur zielgerechten Ausgestaltung der Rechte der Hersteller im Verfahren sollte die Industrie beteiligt werden. Der Rahmen sollte so ausgestaltet werden, dass diese klar erkennbar und sicher anwendbar sind.
Wissenschaftliche Beratungen stärken
Gemeinsame wissenschaftliche Beratungen müssen klare, verlässliche und zeitgerechte Anleitungen zur geforderten klinischen Evidenz liefern. Die Anforderungen der Mitgliedsstaaten sollten mit Blick auf Synergieeffekte bestmöglich abgestimmt werden. Zusätzlich sollten sie im Rahmen paralleler wissenschaftlicher Beratungen mit der EMA abgestimmt werden, um klinische Studien mit größtmöglichem gemeinsamem Nutzen für die Zulassung und die europäische HTA-Bewertung zu gewährleisten. Deshalb muss das Angebot für gemeinsame wissenschaftliche Beratungen auch die Nachfrage decken können und mit ausreichenden Kapazitäten ausgestattet werden. Eine Priorisierung bei höherer Nachfrage sollte unter allen Umständen vermieden werden. Denn eine Priorisierung erhöht das Risiko unpassender klinischer Evidenz für EU-HTA und könnte den schnellen Zugang zu neuen Medikamenten gefährden.