Wie funktionieren „Adaptive Pathways“?
Unter dem Stichwort „Adaptive Pathways“ arbeiten die EMA und die nationalen Arzneibehörden an einem System der flexibleren und schnelleren Zulassung für Spezialfälle.
Noch immer sind viele schwere und seltene Krankheiten nicht behandelbar. Bisherige Zulassungsverfahren sind langwierig und viele Entwicklungsprogramme in großen Populationen sind gescheitert, auch weil Studienpopulationen falsch gewählt worden sind.
Allerdings haben Zulassungsbehörden die Erfahrung gemacht, dass manche dieser Wirkstoffe ganz bestimmten Subpopulationen helfen, obwohl sie für die breite Anwendung nicht geeignet sind. Können diese Patienten anhand von Markern identifiziert werden, dann könnte die Wirksamkeit eines Medikaments in einer Studie nachgewiesen werden. Aufgrund dieser Erfahrung haben die EU-Kommission und die europäischen Zulassungsbehörden für bestimmte innovative Arzneimittel flexiblere Wege zur Zulassung implementiert und die Möglichkeiten der beschleunigten und der konditionalen Zulassung ergänzt.
Optimierung von Entwicklungsplänen
So existiert seit 2016 das Programm PRIME der EMA, mit dem die Entwicklung von Arzneimitteln gegen schwere Erkrankungen verbessert werden soll, bei denen bislang keine ausreichenden Therapiemöglichkeiten bestehen. Kennzeichen dieses Programms sind die frühzeitige Unterstützung der EMA durch wissenschaftliche Beratungsverfahren sowie verminderte Gebührensätze. Das Ziel ist eine frühe Optimierung von Entwicklungsplänen.
Die Idee bei Adaptive Pathways ist, dass man ein Medikament in Zulassungsstudien nicht direkt mit einer großen Patientenpopulation testet, sondern bei den Patienten beginnt, die am ehesten von der neuen Therapie profitieren könnten.
Der Hintergrund ist, so der Präsident des Bundesinstituts für Arzneimittel (BfArM), Professor Karl Broich, dass Innovationen heute oft in akademischen Zentren oder kleineren und mittleren Start-up-Unternehmen entstehen. Diese hätten oft sehr gute Konzepte, seien aber unerfahren in den regulatorischen Entscheidungswegen und träfen daher nicht selten falsche Entscheidungen. Die PRIME-Initiative soll solche Fehler reduzieren, in dem die Forscher sehr früh mit Experten der Zulassungsbehörden zusammenarbeiten. Broich nennt drei Prinzipien der adaptiven Zulassung:
- Die iterative Entwicklung: Das bedeutet entweder eine schrittweise Zulassung, beginnend mit einer begrenzten Patientenpopulation, die schrittweise ausgeweitet werden kann, oder die Bestätigung eines positiven Nutzen-Risiko-Verhältnisses nach einer bedingten Zulassung, die auf frühen Daten mit Surrogat-Markern basiert, die als Prädiktoren für klinische Outcomes untersucht wurden.
- Das Sammeln von Evidenz über Versorgungsdaten, um Daten aus randomisierten klinischen Studien zu ergänzen.
- Die frühe Einbindung von Patienten und Bewertungsgremien wie dem Gemeinsamen Bundesausschuss.
Beschleunigte Zulassung:
Kritiker sprechen in diesem Zusammenhang aufgrund der limitierten Datenbasis von einer Absenkung der Zulassungsstandards, von unzulässigen Erleichterungen für die Industrie und von einer Verschiebung von Risiken auf Patienten und Ärzte. Broich hält dies für nicht zutreffend. Vielmehr sei die Evidenz für die Wirksamkeit einer neuen Therapie in einer besser definierten Patientengruppe „sogar in der Regel höher“.
Wir kommen jetzt zu einer Medizin der Ursachen:
Für die breitere Anwendung eines Arzneimittels nach initial enger Zulassung müssten dann aber weitere umfangreiche Wirksamkeits- und Sicherheitsdaten generiert werden. Derzeit sammeln die Zulassungsbehörden Erfahrungen, wie viel zusätzliche Evidenz aus klassischen randomisierten Studien kommen muss und inwieweit auch Real-World-Data berücksichtigt werden können.
Adaptive Pathways bleiben Ausnahme
Eines stellt Broich klar: Adaptive Pathways werden sich nicht zu einem Regelverfahren entwickeln, sondern auf bestimmte und gut definierte Fälle beschränkt sein. Die EMA gehe dabei durchaus kritisch vor und habe die Mehrzahl der Anträge auf das Adaptive-Pathways-Verfahren abgelehnt. Derzeit sind es gerade einmal zwölf Arzneimittelkandidaten, die in das Programm aufgenommen worden sind. Ein Zulassungsantrag ist jedoch erst frühestens 2020 zu erwarten.
Für unbedingt erforderlich hält Broich die frühe Einbindung der HTA-Institutionen wie den Gemeinsamen Bundesausschuss. Denn entsprechend den bedingten Zulassungsentscheidungen mit Auflagen werde es auch befristete Entscheidungen in der Nutzenbewertung geben. Das Ziel sei, Entwicklungsprogramme für Arzneien zu optimieren und Patienten schneller Zugang zu Innovationen zu verschaffen.
Wir als Regulatoren sind die Letzten, die ein Interesse am Absenken von Zulassungsstandards haben.»