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#MacroScopePharma 04/23

Der Economic Policy Brief des vfa



Frühjahrsprognose: Wirtschaft startet stark ins Jahr – Pharma unter Druck


Die deutsche Wirtschaft dürfte dieses Jahr um 0,7 Prozent wachsen – trotz der heftigen Verwerfungen auf den Weltmärkten und den Sorgen um Energielieferungen. Eine weitere gute Nachricht: Der Höhepunkt der Teuerungswelle scheint überschritten zu sein. Überraschend kräftige Impulse kommen aus den Teilen der Industrie, deren Lieferketten wieder reibungsloser funktionieren. In der Pharmaindustrie stehen dagegen die Zeichen auf Rationalisierung: Die Produktion großer Impfstoffmengen geht deutlich zurück. Die Politik hat drastische Einschnitte in der Arzneimittelvergütung beschlossen. Gleichzeitig sind die Vorleistungskosten exorbitant gestiegen. Dies lastet schwer auf den Investitionsbudgets und zwingt Unternehmen dazu, Beschäftigte frei zu setzen.

Eine junge Frau mit Brille trägt sterile Kleidung und bedient ein Tablet in einer Laborumgebung.

Weltkonjunktur erholt sich – Inflationsdruck lässt nach

Deutscher Konjunkturmotor springt an

Im Schlussquartal des Jahres 2022 hat die deutsche Wirtschaftsleistung um 0,4 Prozent nachgegeben – damit stand Deutschland an der Schwelle zu einer Rezession. Die Gründe dafür lagen gleichermaßen in Produktions-, Export- und Konsumrückgängen wegen der Energiekrise.

Die Produktion hat aufgrund der rückläufigen Energiepreise und der Entspannung bei den Zulieferungen wieder angezogen. Bei den Verbraucherpreisen ist dies bislang jedoch nur zum Teil angekommen – die Inflation wird noch geraume Zeit auf erhöhtem Niveau bleiben. Der private Verbrauch dürfte jedoch nur noch geringfügig davon gebremst worden sein und im weiteren Jahresverlauf Fahrt aufnehmen (Abbildung 1).

Die Exporte dürften indes im ersten Vierteljahr kräftig gestiegen sein: Real lagen die Ausfuhren im Januar und Februar zusammengenommen annähernd zwei Prozent höher als im Quartal zuvor, wenngleich sich für März ein Rückgang abzeichnet. In Drittstaaten wurde nämlich nominal weniger verschickt als noch im Vormonat.(2) Und auch die Investitionen dürften im Auftaktquartal zugelegt haben (Tabelle 1). Unter die Räder kommen angesichts drastisch gestiegener Finanzierungskosten allerdings die Bauinvestitionen, die im weiteren Verlauf den Abwärtstrend vom Vorjahr fortsetzten.

Tabelle 1: Verlaufsraten und Wachstumsbeiträge ausgewählter Aggregate zu Bruttowertschöpfung und Bruttoinlandsprodukt

Preis, kalender- und saisonbereinigte Änderungsraten gegenüber Vorquartal in Prozent (1), bzw. Wachstumsbeiträge in Prozentpunkten (2)

Aggregate / Zeiträume2023 Q12023 Q22023 Q32023 Q42024 Q12024 Q22024 Q32023 Q4
Industrie 1)2.40.90.40.30.20.20.20.2
Energiewirtschaft 1)1.71.41.00.10.00.00.00.0
Bauwirtschaft 1)6.5-2.7-1.5-0.5-0.3-0.3-0.2-0.2
Handel/Verkehr/Gastgewerbe 1)-1.50.20.60.60.60.50.50.4
Produzierendes Gewerbe 2)0.90.10.00.00.00.00.00.0
Dienstleistungsbranchen 2)-0.20.10.30.30.30.20.20.2
Bruttowertschöpfung0.60.20.30.30.30.20.20.2
Bruttoinlandsprodukt0.60.20.30.30.30.20.20.2
Konsum 2)-0.20.00.20.30.30.30.30.3
Investitionen 2)0.40.00.00.00.10.10.10.1
Außenhandel 2)0.50.20.10.0-0.1-0.2-0.2-0.2
Privater Verbrauch 1)-0.10.20.30.50.50.50.40.4
Ausrüstungsinvestitionen 1)1.80.81.01.10.90.80.70.5
Exporte 1)1.50.10.60.60.60.60.60.6
Importe 1)0.6-0.30.40.71.01.01.01.0

Quelle: vfa, Macrobond, Statistisches Bundesamt

Insgesamt ist das reale Bruttoinlandsprodukt im ersten Quartal wohl um kräftige 0,6 Prozent gestiegen – deutlicher als sich dies bis vor Kurzem noch abgezeichnete. Vor allem deshalb ergibt sich für dieses Jahr ein Plus von 0,7 Prozent bei der Wirtschaftsleistung (Tabelle 2).

Tabelle 2: Eckdaten der Prognose für Deutschland

Änderung gegenüber Vorjahr in Prozent; Erwerbstätige: Änderung in Tausend
Arbeitslosenquote: Arbeitslose in Prozent der zivilen Erwerbspersonen.

Eckdaten / Zeiträume2021202220232024
Inflation3.16.96.02.4
Bruttoinlandsprodukt2.61.80.71.0
- Konsum (öffentlich + privat)1.43.4-0.31,7
- Investitionen1.20.4-0.90.9
-Exporte9.72.91.92.0
Erwerbstätige+65+590+330+64
- Dienstleistungsbranchen+148+554+278+54
- Industrie-67+42+52+12
Arbeitslosenquote5.75.35.45.3
Industrieproduktion (kalenderbereinigt)4.7-0.33.51.1
- darunter: Pharmaindustrie5.65.3-1.72.0

Quelle: Statistisches Bundesamt, Bundesagentur für Arbeit, vfa.
Inflation, Bruttoinlandsprodukt/Konsum/(Anlage-)Investitionen/Exporte, Industrieproduktion:
Änderung gegen Vorjahr (%); Erwerbstätige: Änderung gegen Vorjahr (1.000 Personen); Arbeitslosenquote: Anteil Arbeitsloser (gemäß Bunesagentur) an zivilen Erwerbspersonen (%)


Energieintensive Branchen unter Druck – übrige Industrie zieht an

Dreh- und Angelpunkt für den guten Jahresauftakt ist die Industrie, bei der sich allerdings ein zweigeteiltes Bild zeigt (Abbildung 2). Branchen, die vorrangig von den Störungen in den internationalen Handelsverflechtungen betroffen waren, können nun, da die fehlenden Vorleistungen wieder verfügbar sind, ihre recht üppigen Auftragspolster abarbeiten.

Allen voran die Automobilindustrie ist ein Profiteur dieser Entwicklung. Seit wichtige Bauteile wieder verfügbar sind, erholt sich die Branche. Für zusätzliche Nachfrage hatte im vergangenen Jahr die Förderprämie für Elektroautos gesorgt. Die Produktion schoss zuletzt kräftig in die Höhe - Prognosemodelle signalisieren weitere kräftige Zuwächse für das erste aber auch das zweite Quartal des laufenden Jahres (Abbildung 3).

Ebenfalls mit kräftigen Zuwächsen ist in der Nahrungsmittelindustrie zu rechnen. Die vor allem durch den Krieg in der Ukraine verursachten Lieferschwierigkeiten und damit einhergehend die starken Teuerungsschübe sind zuletzt abgeflaut. Mittlerweile blicken die Hersteller zuversichtlicher auf die kommenden Monate, rechnen mit einer Entspannung bei den Preisen (Abbildung 3, rechts) und haben jüngst die Produktion deutlich ausgeweitet.

Die energieintensiven Branchen indes schauen verhaltener in die Zukunft. Angesichts der starken Kostenschübe wurden im vergangenen Jahr teils ganze Fertigungslinien stillgelegt. Die Produktion wurde drastisch zurückgefahren. Mit den mittlerweile gesunkenen Preisen für Energie hat allenfalls eine leichte Erholung eingesetzt. Unter dem Strich dürfte nach dem Produktionsminus von knapp sieben Prozent im Jahr 2022 in diesem Jahr ein neuerlicher Rückgang von gut vier Prozent zu Buche stehen.

Dies liegt auch daran, dass sich die Energiepreise zwar von ihren Höchstständen entfernten, aber durch den wohl dauerhaften Wegfall russischer Lieferungen auf absehbare Zeit deutlich teurer bleiben dürften als früher. Daher zeichnet sich derzeit keine Rückkehr der Produktion auf das Vorkrisenniveau ab.

Insgesamt werden die noch recht großen Auftragspolster in der Industrie in diesem Jahr abgearbeitet. Im weiteren Prognoseverlauf schwenkt das verarbeitende Gewerbe dann voraussichtlich auf ein moderates Wachstumstempo ein. Immer mehr dämpfen wird dabei der Fachkräftemangel: Die ersten Kohorten der Babyboomer erreichen nun das Renteneintrittsalter und verlassen in immer größerer Zahl den Arbeitsmarkt. Alles in allem dürfte das verarbeitende Gewerbe dank des starken Jahresauftakts 2023 ein Plus von knapp drei Prozent bei der Wertschöpfung erzielen. Dies, obwohl eine vergleichsweise hohe Zahl an Feiertagen, die auf Werktage fallen, das Wachstum um einen halben Prozentpunkt bremsen.

Beschäftigungsaufbau verlangsamt sich allmählich

Der Beschäftigungsaufbau setzt sich fort. Kräftige Zuwächse wird es allerdings nur noch in der ersten Jahreshälfte 2023 geben. Im Folgenden schwächt sich der Anstieg spürbar ab, denn im Zuge des demografischen Wandels sinkt die Zahl der Erwerbspersonen. Nach den jüngst hohen Zuwächsen ergibt sich für dieses Jahr ein Plus von 330.000 Erwerbstätigen, im kommenden dürfte es mit gut 60.000 zusätzlichen Arbeitnehmer:innen bereits deutlich verhaltener ausfallen.

Getragen wird der Aufbau von der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung – diese legt schon seit geraumer Zeit überdurchschnittlich zu (Abbildung 4, links) und hat auch in der Coronakrise relativ wenig gelitten. Die Zahl der Minijobber:innen dürfte nach den Verwerfungen der Corona-Krise im Trend weiter rückläufig bleiben. Dies gilt auch für die Zahl der Selbstständigen – viele abhängigen Beschäftigungsverhältnisse scheinen auch angesichts anziehender Löhne und zunehmend verbesserter Arbeitsbedingungen attraktiver zu sein als eine (häufig Solo-)Selbstständigkeit.

Allerdings verliert nun auch der Aufbau sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung an Fahrt. Dies dürfte auch an der demografisch bedingt sinkenden Erwerbspersonenzahl liegen. Ein Blick auf die Aufgliederung nach Wirtschaftszweigen zeigt aber auch, dass einige begünstigende Effekte auslaufen: Zum Aufbau in den vergangenen zwei Jahren hatte die Erholung in den von den Corona-Lockdowns betroffenen Branchen beigetragen – er war also lediglich eine Gegenbewegung zu den zu Pandemiebeginn vorgenommenen Entlassungen. Zudem flacht der Aufbau im öffentlichen Bereich (inklusive Erziehung/Gesundheit) ab, der teils auch Stellen im Rahmen der Pandemiebewältigung umfasst hatte. Hinzu kommt, dass die öffentliche Hand finanziell künftig erheblich stärker eingeschränkt sein wird, als dies in der Vergangenheit der Fall war.

Dagegen kommen mittlerweile wieder stärkere Impulse aus der Industrie. Auch im Februar war der Aufbau dort vergleichsweise hoch: Von dem Zuwachs von insgesamt 34.000 Stellen gingen mit 15.800 nahezu die Hälfte aller neuen Jobs auf das Konto des verarbeitenden Gewerbes. Hier war es insbesondere die Automobilindustrie, die dazu beigetragen hat (plus 6.000). Dies unterstreicht auch, dass die Erholung dort noch nicht abgeschlossen ist.

Pharma: Impfstoffnachfrage ebbt ab, Politik bremst

Sonderfaktoren haben die Entwicklung der pharmazeutischen Industrie in den vergangenen Jahren geprägt: In den Jahren 2021 und 2022 hatte die Impfstoffproduktion der Pharmaindustrie einen deutlichen Schub gegeben. Die reale Produktion stieg im Jahr 2022 um über fünf Prozent, die nominalen Ausfuhren von Pharmazeutika gar um 18 Prozent.

Mittlerweile lässt die Impfstoffnachfrage spürbar nach. Entsprechend haben sich die Inlandsumsätze zuletzt wieder auf das Niveau des Zeit-punkts vor der Corona-Krise eingependelt. Dieses liegt im Vergleich zum Vorjahr mehr als ein Fünf-tel niedriger. Hinzu kommen die Einschnitte des GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes. Dort summieren sich die zusätzlichen Belastungen für die Industrie allein für dieses Jahr auf rund 1,5 Milliarden Euro. Hinzu kommt das verlängerte Preismoratorium mit 1,8 Mrd. Euro.

Auch die Auslandsumsätze haben zuletzt nachgegeben und dürften sich allmählich dem positiven Vorkrisentrend annähern. Alles in allem geben die Umsätze in realer Rechnung voraussichtlich um rund fünf Prozent nach, die Produktion – aufgrund einer etwas günstigeren Ausgangslage und dem hohen Exportanteil – mit einem Rückgang von 1,7 Prozent aber nicht ganz so stark.

Da die Ausfuhren stärker vom Impfstoffhandel profitierten, fällt die Korrektur entsprechend deutlicher aus: Unterstellt wird, dass die Ausfuh-ren von Impfstoffen im Laufe des Jahres nachge-ben und damit die Exporte jahresdurchschnittlich geringer ausfallen als in den Corona-Jahren: rund 115 Milliarden Euro und damit fünf Prozent weni-ger im Jahr 2022, ein Minus von neun Prozent in realer Rechnung. Die Rückgänge bei den Exporten stellen primär eine Normalisierung nach den Pandemiejahren dar.

Allerdings haben sich die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen in jüngster Zeit deutlich verschlechtert. Allen voran die Einschnitte des GKV-Finanzstabilisierungsgesetz und die Energiekrise hinterlassen bleibende Spuren: Auch wenn die Pharmaindustrie nicht zu den energieintensiven Branchen gehört, sind die Vorleistungskosten etwa zweistellig in die Höhe geschossen. Wichtige Zuliefererbranchen haben ihre gestiegenen Energiekosten weitergegeben – etwa die chemische Industrie mit Preisanhebungen von rund einem Viertel. Da die Pharmaunternehmen durch die gesetzlichen Regelungen ihre Preise nicht anpassen können, sind die Margen massiv belastet. Erschwerend kommt hinzu, dass die Erträge durch die Neuregelungen des Finanzstabilisierungsgesetzes zusätzlich gedrückt werden. Dies zwingt die Unternehmen zu Rationalisierungsmaßnahmen.

Sichtbar wird dies bereits in den Beschäftigungserwartungen. Die Befragungen im Rahmen des ifo-Konjunkturtests haben ergeben: Die Zahl der Unternehmen, die Beschäftigung abbauen wollen, ist zuletzt deutlich gestiegen (vgl. MacroScope Facts). Zum Jahreswechsel lag der Wert mit einem Drittel der befragten Unter-nehmen sogar auf einem historischen Höchststand. Dies deckt sich mit Einschätzungen aus eigenen Befragungen unter den Mitgliedsunter-nehmen, wonach rund die Hälfte Personalabbaupläne entwickelt hat oder derzeit Rationalisierungspläne erarbeitet.

Gleichwohl gibt es auch einige Unternehmen in der Branche, die Beschäftigung aufbauen. Unter dem Strich dürfte der langjährige Beschäftigungsaufbau in diesem Jahr deutlich an Schwung verlieren.

Ebenfalls beschnitten sind die Finanzierungsspielräume für wichtige Zukunftsinvestitionen. Hier signalisieren Unternehmensbefragungen dementsprechend bereits spürbar eingetrübte Investitionspläne.(3) Nominal dürften die Investitionen bereits im vergangenen Jahr fünf Prozent geringer ausgefallen sein. Für das laufende Jahr zeichnet sich ein weiterer Rückgang ab, voraussichtlich um gut drei Prozent.

Insgesamt dürften die beschriebenen Entwicklungen einen klaren Dämpfer für den eigentlich im Aufbruch befindlichen Pharmastandort Deutschland bedeuten. Die Politik sollte hier schnellstmöglich Signale senden, dass sie künftig auf die Schlüsselindustrie Pharma setzen wird, damit Investitionen und Innovationen in Deutschland wieder vorangetrieben werden.

Fußnoten:

(1) Vgl. Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose (2023): „Ge-meinschaftsdiagnose #1-2023: Inflation im Kern hoch- Angebotskräfte jetzt stärken (online verfügbar).

(2) In Euro gerechnet gab es einen Rücksetzer von 4,4 Prozent, wobei ein Teil auch auf weiter rückläufige Ausfuhrpreise zurückzuführen ist. Weitere Zahlen liegen noch nicht vor; vgl. die Pressemitteilung des Statistischen Bundesamtes Nr. 157 (online verfügbar).

(3) Vgl. DIHK (2023), Gesundheitsreport Frühjahr 2023, online verfügbar.

Autor:

Dr. Claus Michelsen
Geschäftsführer Wirtschaftspolitik
Dr. Claus Michelsen

Telefon 030 20604-120

c.michelsen@vfa.de

Pressekontakt:

Henrik Jeimke-Karge
Pressesprecher Wirtschaftspolitik
Henrik Jeimke-Karge

Telefon 030 20604-205

h.jeimke-karge@vfa.de