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#MacroScopePharma 03/25

Der Economic Policy Brief des vfa



US-Zölle: Europas Exportüberschuss sorgt für Konflikte


Die USA setzen die Handelspolitik aus der ersten Amtszeit von Präsident Donald
Trump fort. Zölle sollen die eigene Industrie vor vermeintlichen Handelsdiskriminierungen schützen. Europas Handelsüberschuss mit den USA ist Trump dabei ein besonderer Dorn im Auge. Er blickt vor allem auf Automobile, den Maschinenbau und die Pharmaindustrie. Bereits in Kraft getreten sind US-Zölle auf Aluminium und Stahl. Häufig übersehen: Die USA haben im Bereich der Dienstleistungen selbst erhebliche Handelsüberschüsse mit Europa. Zudem führt ihr großer Hunger nach ausländischem Kapital zu einem Defizit in der Leistungsbilanz.

Die USA sind attraktiver Innovations- und Produktionsstandort

Die USA ziehen seit Jahrzehnten mehr Kapital ins Land als im Ausland angelegt wird. Zentrale Gründe hierfür: Die USA bieten den weltweit größten gemeinsamen Markt für Waren und Dienstleistungen, stellen die wichtigste Reservewährung der Welt und haben einen großen sowie liquiden Finanzmarkt. Das macht das Land attraktiv für ausländische Anleger:innen und Direktinvestitionen von Unternehmen.(3) Dies sind wichtige Ursachen dafür, dass Jahr für Jahr in enormem Umfang Kapital in die USA importiert wird. Wären andere Märkte auf der Welt ähnlich attraktiv, wäre die Kapitalbilanz der USA ausgeglichener (vgl. Tabelle oben). So aber profitieren die USA vom großen Kapitalangebot und den damit günstigen Finanzierungsbedingungen für Unternehmen sowie den Staat.

Die US-Leistungsbilanzdefizit wird immer größer

Die US-Leistungsbilanz ist seit Mitte der 1980-er Jahre defizitär (Abbildung oben). Ausschlaggebend ist eine große Differenz in der Handelsbilanz: Die Wareneinfuhren übersteigen die -ausfuhren deutlich (vgl. die blaue Fläche, vgl. auch Tabelle oben, Zeile „Waren“, für das Defizit im Jahr 2023). Dagegen übersteigen die Einnahmen aus international nachgefragten Dienstleistungen, etwa im US-Finanz- oder IT-Sektor, die US-Ausgaben für solche Tätigkeiten traditionell deutlich (vgl. die dunkelblaue Fläche bzw. Zeile „Dienstleistungen“).

Auch die Einkommen aus Vermögen im Ausland übersteigen seit jeher die Zahlungen auf Verbindlichkeiten (die Primäreinkommen, vgl. die hellblaue Fläche), obwohl die USA seit einem Vierteljahrhundert ein globaler Nettoschuldner sind. Dies unterstreicht, dass die US-Firmen und Haushalte von der großen Anziehungskraft als Investitionsstandort in Form niedriger Kapitalkosten profitieren. Der letzte, üblicherweise defizitäre Posten (Sekundäreinkommen, grüne Fläche) umfasst mit Versicherungsleistungen wie Renten und Zahlungen im Rahmen internationaler Zusammenarbeit einen wenig schwankenden Kern. Mit einem (vergleichsweise stabilen) halben Prozent spielen die Sekundäreinkommen für vorliegende Analyse allerdings keine Rolle.

Auffällig ist, dass sich der Leistungsbilanzsaldo nach einem Abwärtstrend von fast 20 Jahren während der Finanzkrise 2009/10 erholte. Vom Tief um sechs Prozent im Jahr 2006 schmolz das Defizit rasch auf Werte etwas über zwei Prozent ab, wo es sich für ein Jahrzehnt stabilisierte. In den vergangenen Jahren ist das Defizit aber wieder deutlich gestiegen. Zuletzt lag der Leistungsbilanzsaldo bei −4,2 Prozent.

Auf den ersten Blick leistet die EU einschließlich des Vereinigten Königreichs den geringsten Beitrag zum Defizit der USA (Abbildung unten): Seit den 2000-er Jahren schwankt der Saldo mit der EU um null, zwischenzeitlich war der Saldo gar im Plus (Abbildung oben, vgl. die blaue Fläche). Ausschlaggebend ist vor allem China mit zuletzt gut 28 Prozent (dunkelblaue Fläche) und der übrige asiatisch-pazifische Raum mit einem Anteil von rund 38 Prozent am Defizit. Auf die EU gingen zuletzt rund 17 Prozent des Defizits zurück.

Aufschlussreich ist ein Blick auf die Verschlechterung des Leistungsbilanzdefizits in den vergangenen Jahren: Der Sprung von zwei auf vier Prozent (vgl. die oberen Balken) vollzog sich ohne Änderung im Handelsbilanzsaldo (vorher wie nachher: −4,2 Prozent). Die übrigen Komponenten, allen voran der Primäreinkommenssaldo, haben sich verschlechtert.(4) Im Gegensatz dazu hat sich gegenüber China lediglich der Saldo der Handelsbilanz verbessert, während sich der Saldo gegenüber anderen asiatischen Ländern verschlechterte. Dies spiegelt die Umlenkungseffekte aufgrund der Zölle gegen China hin zu kostspieligeren, dafür zollfreien Ländern in Asien wider. In Summe hatte dies in geringem Umfang negative Effekte auf die Leistungsbilanz.

Anders verhielt es sich gegenüber der EU einschließlich des Vereinigten Königreichs und den übrigen Ländern. Etwas verschlechtert haben sich die Dienstleistungen (vgl. den pro Ländergruppe jeweils 3. Balken) und im Falle der Nicht-EU-Länder auch die Sekundäreinkommen (die jeweils 5. Balken). Maßgeblich indes war, dass die traditionell positiven Salden der Primäreinkommen auf null gefallen sind – im Falle der EU sogar darunter (die jeweils 4. Balken).

Das Renditeprivileg der USA schwindet

Die beträchtliche Verschlechterung des Primärsaldos um fast anderthalb Prozent und vor allem die Tatsache, dass er erstmalig negativ ist, erstaunt. Denn lange herrschte Einigkeit: Die USA genießen als sicherer Investitionsstandort und vor allem als Reserveland ein außerordentliches Privileg. Obwohl die Schuldenstände seit den frühen 2000-er-Jahren die Auslandsvermögen übersteigen, erzielten sie mehr Einkommen auf ihre Vermögen, als es umgekehrt das Ausland gegenüber den USA vermochte. Dieses „exorbitant privilege“ hat zahlreiche Ursachen. Dazu gehören steuerliche Aspekte, die Komposition von Vermögen und Schulden sowie eine „safe haven“ Prämie, einem Renditeabschlag für Direktinvestitionen in den USA und US-Staatsanleihen, der wegen der Marktgröße, Liquidität und der Funktion des Dollars als globale Reservewährung gewährt wird. Daher ist es bemerkenswert, dass der Primärsaldo von einem stabilen Korridor zwischen einem halben und einem Prozent innerhalb kürzester Zeit erodierte.

Der Rückgang geht in etwa gleichen Teilen auf die EU und das Vereinigte Königreich sowie die übrigen Länder ohne China (Übrige) zurück (Tabelle oben). China hatte kaum einen Anteil daran. Dort schlagen lediglich um 0,1 Prozent geringere Portfolio-Zahlungen, also Erträge aus kleinen Unternehmensbeteiligungen, zu Buche. Zuvorderst sind insbesondere aus dem Euroraum und teils der übrigen EU die Einnahmen aus Direktinvestitionen gesunken (Abbildungen zu Primäreinkommen unten). Zudem belasten die zinsbedingt gestiegenen Ausgaben im Bereich sonstige Investitionen, was selbst trotz ebenfalls gestiegener Zinseinnahmen aus der übrigen Welt nicht kompensiert werden konnte. In ähnlicher Größenordnung schlagen auch gesunkene Einnahmen im Bereich Portfolioanlagen (EU und Vereinigtes Königreich) bzw. gestiegene Ausgaben (an die übrigen Länder) zu Buche.

Primäreinkommen: Einnahmen auf ausländische Vermögenstitel und Ausgaben für von Ausländern gehaltene heimische Vermögenstitel, in Prozent des nominalen Bruttoinlandsprodukt; Balken: Saldo (Einnahmen – Ausgaben).

Oben links: Gesamt, oben rechts: Direktinvestitionen, unten links: Portfolioinvestitionen, unten rechts: Sonstige (insb. zinstragende) Investitionen. Vernachlässigt werden die Salden grenzüberschreitender Arbeitseinkommen (im Mittel der 2010er-Jahre: − 0.05 Prozent) und Einkommen auf Währungsreserven (im Mittel 0,0 Prozent).

Lesebeispiel: Die Gesamteinnahmen lagen im Mittel der Jahre 2010 − 19 um 1,2 Prozentpunkte höher als die -ausgaben (die dunkelblaue Linie ist gegenüber der blauen im Mittel um diesen Wert fast parallel nach oben verschoben). Dies lag vor allem an den Einnahmen aus Direktinvestitionen, die die Ausgaben im Mittel um 1,7 Prozent überstiegen, während es bei den Portfolioinvestitionen umgekehrt war: dort lagen die Einnahmen gut 0,5 Prozent niedriger als die Ausgaben; bei den sonstigen Investitionen gab es keinen nennenswerten Unterschied zwischen Einnahmen und Ausgaben.

Mittlerweile übersteigen die Ausgaben die Einnahmen leicht (− 0,2), im Vergleich zum Mittel 2010 – 19 (1,2 Prozent, s. oben) entspricht dies einer Änderung um − 1,5 Prozentpunkte (vgl. die Summe in Tabelle 2). Vor allem bei den Direktinvestitonen haben sich die Ausgaben den Einnahmen angenähert (daher kommen gut − 0,9 Prozentpunkte der Gesamtänderung). Die Portfolioinvestitionen weitet sich der Abstand (− 0,3 Prozentpunkte) und bei den sonstigen Investitionen sind die Ausgaben noch rasanter gestiegen als die Einnahmen, der Abstand fällt nun per Saldo mit gut − 0,3 Prozentpunkte ins Gewicht.

EU-Handel mit Pharma ist besonders exponiert

Entscheidend für die Leistungsbilanz ist der Warenhandel. Im Jahr 2024 verbuchten die USA ein Handelsbilanzdefizit von annähernd 1,2 Billion US-Dollar, was den Leistungsbilanzsaldo deutlich übertroffen haben dürfte. Von 59 detailliert erfassten Warengruppen wiesen nur 15 mit insgesamt rund 366 Milliarden US-Dollar einen Handelsüberschuss aus. Die übrigen 44 saldierten sich auf −1,53 Billionen US-Dollar. Die gewichtigsten Gruppen sind in der Abbildung unten dargestellt. Mit 241 Milliarden US-Dollar war das Defizit im Kraftfahrzeughandel (vgl. den obersten Balken, farblich markiert) am größten. Nur ein Sechstel (entspricht 42 Milliarden US-Dollar) davon geht jedoch auf den Handel mit der EU zurück (oben/rechts, linker Balken): Exporten im Wert von 16 Milliarden US-Dollar in die EU stehen Importe im Wert von 58 Milliarden US-Dollar aus der EU gegenüber (oben/Mitte).

Sowohl bei den Importen als auch bei den Exporten entfällt der größte Teil auf Deutschland. Als Markt für deutsche Kraftfahrzeuge werden die USA jedoch nur in geringem Maß aus deutscher Fertigung bedient – ein größerer Teil der Kraftfahrzeuge deutscher Unternehmen wird entweder in den USA selbst produziert oder in deren Nachbarländern. Nicht zuletzt deswegen weisen Mexiko und Kanada beträchtliche Handelsüberschüsse auf, die durch Hin- und Her-Transporte entlang der Wertschöpfungskette zu einem beträchtlichen Handelsvolumen führen. Mit anderen Worten: Bevor ein Kraftfahrzeug für den Endkunden in den USA bereitsteht, haben dessen Teile mehrfach die US-Grenzen überquert. Das führt dazu, dass die Handelsbilanz mit Kraftfahrzeugen zwischen den USA und Mexiko Exporte in Höhe von 29 Milliarden US-Dollar, Importe in Höhe von 136 Milliarden US-Dollar und ein Defizit in Höhe von 107 Milliarden ausweist. Zum Vergleich: Die Werte mit Deutschland betragen mit 9 bzw. 33 Milliarden US-Dollar bei Export und Import bzw. einem Defizit von 24 Milliarden US-Dollar nur einen Bruchteil. Die EU spielt im Kraftfahrzeugbereich somit weniger als Produktionsstandort, sondern vor allem als Firmensitz der Hersteller eine Rolle. Deshalb fallen Japan, Südkorea und zunehmend China stärker ins Gewicht (vgl. die rechten Balken, oben, Mitte/rechts).

Eine noch geringere Rolle spielt die EU im Handel mit E-Technik-Produkten. Lediglich zwei Prozent des großen Defizits (in Höhe von 396 Milliarden US-Dollar, hier werden die drei hellblauen, mit (E) gekennzeichneten Balken unterhalb desjenigen für Kraftfahrzeuge in der Abbildung oben zusammengefasst) hängen an der EU. Es sind, neben Mexiko, ostasiatische Länder, allen voran China, die den US-Markt mit diesen Produkten beliefern. Zu beachten ist die Heterogenität dieser Warengruppe, die von Haushaltsgeräten bis hin zu Halbleitern diverse Produkte umfasst, auf die sich verschiedene Länder unterschiedlich spezialisiert haben. So zählt auch Deutschland zu den wichtigen Importeuren, mutmaßlich aber mit ganz anderen (und im Volumen geringeren) Produkten als die asiatischen Hersteller.

Im Handel mit Maschinen (hier werden die in der Abbildung oben mit (M) gekennzeichneten Balken zusammengefasst) rührt das Defizit in Höhe von 126 Milliarden US-Dollar zu gut der Hälfte aus dem Handel mit der EU. Hierzu steuert allein der starke deutsche Maschinenbau fast die Hälfte bei. Fast gleichauf mit Deutschland liegt hier Japan, gefolgt von China. Auch mit Italien weisen die USA ein beträchtliches Defizit im Handel mit Maschinen auf.

Ebenfalls bedeutend ist der Handel mit pharmazeutischen Gütern. Hier weisen die USA mit 126 Milliarden US-Dollar ein beträchtliches und zudem steigendes Defizit auf. Der Beitrag der EU liegt bei drei Vierteln des gesamten Defizits bei Pharmazeutika (vgl. den vierten Block in der Abbildung oben). Zwar exportieren die USA auch Arzneimittel im Wert von 106 Milliarden US-Dollar (linker Teil der Abbildung). Dieser wird etwa hälftig in die EU und den Rest der Welt ausgeführt. Dem steht aber mit 233 Milliarden US-Dollar ein beträchtlicher Import gegenüber, der zu annähernd zwei Dritteln aus der EU stammt. Irland ist mit einem Wert von 66 Milliarden US-Dollar der bedeutendste Lieferant für die USA. Mit großem Abstand folgt Deutschland mit 17 Milliarden US-Dollar (dabei gibt es Unterschiede zwischen der US-amerikanischen Zählung und der deutschen Handelsstatistik, vgl. „Daten und Methoden“). Insgesamt hat sich seit den frühen 2000-er-Jahren ein immer größeres Defizit der USA gegenüber der EU aufgebaut, das in den Coronajahren zusätzlich anstieg (Abbildung unten).

US-Handelsüberschüsse bei den Dienstleistungen sind deutlich

Allerdings gibt es auch Bereiche, in denen die USA Überschüsse aufweisen. Wird der Blick von physischen Gütern auf Dienstleistungen geweitet, dreht sich das Bild. Die USA weisen dort bereits seit langer Zeit eine Stärke im Außenhandel auf. Im Jahr 2023 erzielten die USA einen Überschuss in Höhe von 278 Milliarden US-Dollar.(5) Dazu zählen vor allem Finanzdienste, zunehmend aber auch im IT-Bereich, in dem vor allem Lizenzeinnahmen eine Rolle spielen (vgl. die hellblaue Fläche). Lediglich die Überschüsse aus dem Reiseverkehr haben sich nach dem Einbruch in den Coronajahren kaum erholt. Hier schlugen insbesondere Rückgänge gegenüber der EU und dem Vereinigten Königreich zu Buche, aber auch etwa mit Japan und Kanada gingen die Überschüsse zurück. Die zunehmende Bedeutung der Dienstleistungen, für die es in Europa bislang nur unzureichende Alternativen gibt, kompensiert das Defizit im Warenhandel mit der EU beträchtlich (zweite Abbildung unten).

Fazit: Zölle würden globale Arbeitsteilung erheblich belasten

All dies zeigt: Es gibt zwar bei wichtigen Warengruppen ein erhebliches Defizit der USA mit der EU. Allerdings gibt es auch Spezialisierungsvorteile zwischen beiden Währungsräumen. Während die USA vor allem bei hochinnovativen, digitalen Dienstleistungen Vorteile haben, sind es auf europäischer Seite vor allem Industrieprodukte mit hohem Innovationsgehalt, die komplex und entsprechend schwer zu ersetzen sind. Ein Handelskrieg würde diese sinnvolle Arbeitsteilung erheblich belasten und Verlierer auf beiden Seiten schaffen. Die USA können kaum spezielle elektrotechnische Güter, Spezialmaschinen und patentgeschützte, innovative Arzneimittel ersetzen. Im Gegenzug bleibt Europa auf Digitaldienste wie Cloudcomputing und Künstliche Intelligenz aus den USA angewiesen.

Die protektionistische Wirtschaftspolitik während Trumps erster Amtszeit hat die negativen Folgen eines Handelskriegs eindrücklich gezeigt(6) : Trotz erheblicher Zölle hat sich das Handelsbilanzdefizit mit China lediglich in andere asiatische Länder verlagert. Das Loch im Warenhandel wurde sogar noch größer, weil die Produktionskosten durch die erzwungene Umstrukturierung stiegen. Zwar erzielten die USA zusätzliche Zolleinnahmen im Umfang mehrerer Milliarden Dollar – diese wurden aber nach einhelliger Einschätzung von Ökonomen vor allem von US-Verbrauchern und -Unternehmerinnen gezahlt.(7) Die höhere Inflation musste von der US-Notenbank durch starke Zinsanhebungen eingehegt werden, was nun auf dem US-Schuldendienst und damit ebenfalls auf dem Leistungsbilanzdefizit lastet. Unterm Strich zeigt dies: Ohne Not wurde ein vermeintliches Problem mit falschen Mitteln bekämpft. Die Verschlimmerung der Lage wird indes nicht genutzt, um diesen Kurs zu korrigieren, sondern um mit noch mehr Nachdruck erneut den falschen Weg zu verfolgen.

Selten wird zudem die zweite Seite der Leistungsbilanz betrachtet: Der wegen der Marktgröße, Liquidität und Sicherheit stete Kapitalimport der USA haben zur Folge, dass die USA rein mechanisch zu einem Defizit in der Leistungsbilanz tendieren. So sehr wie in Deutschland über die zu geringen Direktinvestitionen und den Nettokapitalexport geklagt wird, so sehr freuen sich die USA über ihre Attraktivität für junge und innovative Unternehmen sowie Investitionen aus dem Ausland. Anders ausgedrückt: Wären die USA weltweit weniger als Investitionsstandort gefragt oder würden die USA selbst stärker international anlegen, würde der Dollar abwerten und das Leistungsbilanzdefizit dadurch entsprechend korrigiert, da ein schwächerer Dollar die US-Exporte beflügeln und gleichzeitig deren Importe dämpfen würde.

Die in Rede stehenden Zölle auf Arzneimittel sollten indes schon allein deshalb vermieden werden, da dies erhebliche Auswirkungen auf die Patient:innenversorgung haben kann. Deshalb wurde vor 30 Jahren das Pharmaceutical Tariff Elimination Agreement (Zero for Zero) geschlossen, um weltweit möglichst guten Zugang zu medizinischer Versorgung zu schaffen. Kurzfristig würden Zölle die Einfuhren von Arzneimitteln verteuern, was sich entweder in höheren Medikamentenpreisen oder dort, wo Preisanpassungen nicht möglich sind, in einer schlechteren Verfügbarkeit von Therapien niederschlagen kann. Die Herstellungskosten würden über höhere Vorleistungspreise steigen und sich damit global in schlechteren Kostenstrukturen äußern. Produktionsverlagerungen könnten das Ergebnis sein – einerseits in die USA, wenn damit Belastungen des Zolls reduziert werden können. Es ist aber auch denkbar, dass gerade auf den vorgelagerten Produktionsstufen Aktivität aus den USA heraus verlagert wird, wenn die Herstellung in den USA wegen der gestiegenen Vorleistungspreise global nicht mehr wettbewerbsfähig wäre.

Wegen dieser negativen Auswirkungen sollten keine weiteren Zollbarrieren aufgebaut werden – insbesondere für Arzneimittel. Ohnehin belasten die verunsichernden Signale die Investitionsbereitschaft, die für die industrielle Erneuerung dringend benötigt wird. Deshalb sollten die Europäische Kommission und die sich momentan formierende Bundesregierung klare positive Signale senden, damit die hohe Investitionsbereitschaft der Pharmaindustrie erhalten bleibt. Hierzu zählen innovationsfreundliche Märkte, Investitionsanreize für Hightech-Produktion und Innovation sowie ein konsequenter Abbau von Bürokratie. Keinesfalls sollte das ohnehin fragile Umfeld zusätzlich belastet werden.

Fußnoten:

(1) Kamin, K., & Langhammer, R. J. (2025). Die geoökonomischen Herausforderungen der deutschen Wirtschaft meistern.
Wirtschaftsdienst, 1, 48., online verfügbar.

(2) Grömling, M. (2013). Wirtschaftsstruktur und Leistungsbilanz. IW-Trends-Vierteljahresschrift zur empirischen Wirtschaftsforschung, 40(2), 3–19, online verfügbar

(3) Kempa, B., Reisen, H., Herr, H., Menkhoff, L., Thießen, F., & Jehmlich, T. (2018). Der US-Dollar als Leitwährung alternativlos? Wirtschaftsdienst, 98(10), 691–710, online verfügbar.

(4) Bereits im Jahr 2023 war der Primärsaldo auf 67 Milliarden US-Dollar abgerutscht, in den anderthalb Jahrzehnten zuvor lag er im Mittel (bei steigendem Trend) bei 194 Milliarden US-Dollar, also rund dreimal so hoch. Im vergangenen Jahr war er gar in den ersten drei Quartalen in Summe mit 13 Milliarden US-Dollar im Minus

(5) Für 2024 liegen nur Zahlen bis zum dritten Quartal vor, bis dahin lagen die Überschüsse aber bereits sechs Prozent höher als im Vorjahreszeitraum

(6) Boer, L., Menkhoff, L., & Rieth, M. (2021). Restriktive US-Handelspolitik wirkt signifikant negativ auf Finanzmärkte. DIW Wochenbericht, 88(31), 519–526, online verfügbar.

(7) Amiti, M., Redding, S. J., & Weinstein, D. E. (2019). The impact of the 2018 tariffs on prices and welfare. Journal of Economic Perspectives, 33(4), 187–210, online verfügbar.

(8) Michelsen, C. und Junker, S. (2025). Handelsverflechtungen: Welche Industrien US-Zölle besonders hart treffen, MacroScope Pharma, Economic Policy Brief des vfa Nr. 01/25, online verfügbar.

Autor:

Dr. Claus Michelsen
Geschäftsführer Wirtschaftspolitik
Dr. Claus Michelsen

Telefon 030 20604-120

c.michelsen@vfa.de

Co-Autor:

Dr. Simon Junker
Senior Manager Konjunkturpolitik
Dr. Simon Junker

Telefon 030 20604-511

s.junker@vfa.de

Pressekontakt:

Henrik Jeimke-Karge
Pressesprecher Wirtschaftspolitik
Henrik Jeimke-Karge

Telefon 030 20604-205

h.jeimke-karge@vfa.de