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Warum das Gerede vom Ende der Globalisierung ungesund ist

Von Han Steutel

Die Welt wusste immer, dass drohende Pandemien ihre Achillesferse sind. Als das neuartige Corona-Virus identifiziert wurde, tat China etwas sehr Bemerkenswertes: Es hat – zumindest bestimmte – Informationen global geteilt; nämlich die Sequenz des Virus, sein Erbgut. Kein Impfstoff- oder Arzneimittelprojekt der Welt wäre heute schon da, wo es ist, wären die Chinesen ihrer Tradition treu geblieben, ihr Wissen abzuschotten.

In der Folge gab es überall auf der Welt so viele Kooperationen, wie wir sie noch nie gesehen haben. Zwischen Pharma-Unternehmen untereinander, aber auch zwischen Forschungseinrichtungen und der Privatwirtschaft. Allen ist klar, worum es jetzt geht!

Zusammenarbeit ist nicht nur in der Forschung das Motto der Stunde, sondern auch in der Produktion von Arzneimitteln. Kein Land der Welt kann sich heute komplett allein versorgen. So beziehen die Chinesen viele patentgeschützten Arzneimittel aus deutscher und europäischer Produktion; deutlich mehr als wir von ihnen. Bei Generika und den dafür benötigten Grundstoffen ist es umgekehrt: Da sind China und Indien die Exportgiganten. Wir haben also bei Arzneimitteln einen Austausch in beide Richtungen. Kurz gesagt: China und Indien brauchen uns - und wir sie. Globalisierung, zumindest da haben ihre Kritiker recht, ist kein Selbstzweck. Es kommt auf ihre Leistungsbilanz an - und die ist im Arzneimittelsektor gut. Auch angesichts des globalen Corona-Stresstests.

Ein Gabelstapler befördert einen Schiffscontainer

Zwar gab es schon vor der Corona-Krise Lieferengpässe in vielen Ländern; diese wuchsen sich aber zumindest in Deutschland fast nie zu Versorgungsproblemen aus. Betroffen waren fast immer Generika, und im Bedarfsfall konnte ein Arzneimittel gegen ein anderes ausgetauscht werden. Auch in der Corona-Krise ist die Zahl der Lieferengpässe trotz erhöhter Nachfrage nicht übermäßig stark gestiegen. Daraus kann man für die weitaus überwiegende Zahl von Medikamenten schließen, dass internationale Lieferketten auch unter Stress halten. Die größte Herausforderung für Pharma-Unternehmen ist es gegenwärtig, bei Beruhigungs- und Schmerzmitteln lieferfähig zu bleiben, damit Patientinnen und Patienten in der Intensivmedizin optimal geholfen werden kann.

Indien erließ nach Auftreten der ersten SARS-CoV-2-Infektionen zunächst Ausfuhrbeschränkungen für einige Arzneimittel. Es hat diese aber zügig wieder aufgehoben. Das ist auch nachvollziehbar: Für Indien ist die Pharma-Industrie eine strategische Schlüsselbranche, und der Subkontinent hat sich schnell daran erinnert, dass er vom Verkauf dieser Produkte lebt. China hat von vornherein immer darauf geachtet, bei Arzneimitteln bzw. deren Vorprodukten möglichst lieferfähig zu bleiben.

Der Aufstieg Indiens und Chinas der letzten Jahre und Jahrzehnte verdient Beachtung. Aber manchmal lassen wir uns zu sehr davon einschüchtern. Wir sollten nicht vergessen, was wir können: Deutschland gehört zu den stärksten Produktionsstandorten für Medikamente in der Welt. Bei uns wird vieles hergestellt, was rund um den Erdball gegen Krebs, rheumatische Erkrankungen, Schlaganfall, Diabetes, Grippe und Diphtherie zum Einsatz kommt. Natürlich werden diese Arzneimittel aus Deutschland auch von Indien und China eingeführt und in großem Umfang genutzt. Das spiegelt sich in wirtschaftlichen Kennzahlen wider: Der Wert der Arzneimittel-Ausfuhren aus Deutschland nach China und Indien betrug im vergangenen Jahr rund 4 Mrd. Euro. Der Wert der Einfuhren aus diesen Ländern machte gerade einmal die Hälfte aus, also rund 2 Mrd. Euro.

Deutschlands besondere Stärke in der Arzneimittelproduktion liegt darin, die Qualität auch bei komplizierten Prozessen garantieren zu können. Deshalb haben Betriebe in Deutschland europaweit die Spitzenposition bei der Zahl der produzierten Wirkstoffe für Biopharmazeutika, und deshalb liegt Deutschland in der Biotech-Produktion – etwa bei Insulinen, Rheuma- und Krebsmitteln – weltweit auf Platz 2 hinter den USA. Und genau deshalb gibt es auch keinen Grund, jetzt alles in Frage zu stellen.

Wer also behauptet, dass der Globalisierungstrend durch die Corona-Pandemie jetzt schon wieder vorbei sei, liegt falsch. Statt angstgetrieben zu erörtern, wie man etwa bei Arzneimitteln die Globalisierung zurückdreht, brauchen wir eine sinnvolle Debatte, wie wir sie fortentwickeln! Hier kann Deutschland mehr tun. Ein erster Schritt wäre, bei Verträgen der Kassen mit Herstellern die Lieferfähigkeit höher zu gewichten.

Forderungen, dass sich alle Länder wieder auf sich selbst zurückbesinnen sollen und alles selbst produzieren müssen, sind Unsinn und wenig glaubwürdig für ein Land, das vom Export lebt. Nationale Symbolpolitik wird uns in der Zeit „nach Corona“ wenig helfen. Die Chancen liegen in einer klugen Industriepolitik in Deutschland und Europa. Dabei kann die vorhandene Forschung, Entwicklung und Produktion von Arzneimitteln weiter gestärkt werden. Unser Ziel muss sein, dass Zukunftsmedizin buchstäblich auf unserem Kontinent „gemacht“ wird!