Die forschende Pharmaindustrie in Deutschland – alte Stärke, neue Chancen
Die Covid-19-Pandemie stellt die Welt weiter vor enorme Herausforderungen. Schließlich geht es nicht nur darum, die Menschen vor den tödlichen Folgen einer Infektion zu schützen, sondern auch um den Erhalt der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Für beides spielen Deutschlands forschende Pharmaunternehmen eine Schlüsselrolle: mit der Entwicklung und Produktion von Impfstoffen ermöglichen sie in vielen Fällen erst wieder wirtschaftliche Aktivität. Gleichzeitig ist die pharmazeutische Industrie ein Stabilitätsanker in der wirtschaftlichen Krise.
Der tückische Siegeszug des Corona-Virus um die Welt hat nicht nur die Lebensgewohnheiten massiv beeinträchtigt. Er verdeutlicht auch, welche Branchen und Berufe in Krisenzeiten von existenzieller Bedeutung sind. Jeder dürfte nun wissen, dass nicht nur Mediziner:innen und Pflegepersonal eine immens wichtige Rolle in Pandemiezeiten spielen, sondern beispielsweise auch die Mitarbeiter:innen in den Supermärkten.
Mit Impfstoffen auf dem Weg zurück in die Normalität
Ohne die forschenden Pharmaunternehmen gäbe es keine wirksamen Impfstoffe gegen das Corona-Virus. Nur mit ihnen ist der Weg zurück in das bisherige Leben mit Theaterbesuchen, Reisen und unbeschwerten Familienfeiern überhaupt möglich. Dabei spielt der Pharmastandort Deutschland eine bedeutende Rolle: In Deutschland wurde der erste zugelassene Impfstoff von BioNTech in Zusammenarbeit mit Pfizer entwickelt; und seither wirken in Deutschland gleich mehrere Unternehmen an mehreren Standorten an seiner Produktion mit.
Enge Verzahnung von Forschung und Produktion
Wie eng Forschung und Produktion hierzulande bei den forschenden Pharmaunternehmen verzahnt sind, lässt sich gut anhand der direkten oralen Gerinnungshemmer – insbesondere für die Schlaganfallprävention – belegen: Zwei davon wurden in Deutschland entwickelt und werden auch hier produziert. Die gute Interaktion von Entwicklungsbereich und Produktion in pharmazeutischen Unternehmen bietet dabei beste Voraussetzungen für einen reibungslosen Wissens-Transfer und eine Optimierung von Produktionsprozessen vor der Zulassung eines neuen Medikaments und letztlich auch die rasche Überführung in großtechnische Maßstäbe; dies wurde auch eindrucksvoll bei der Entwicklung und Produktion der Covid-19-Impfstoffe unter Beweis gestellt.
Pharmaindustrie federt Konjunktureinbrüche ab
Deutschlands Pharmaunternehmen sind auch in der Corona-Krise ein gesamtwirtschaftlicher Stabilitätsanker. Während viele Dienstleistungsbereiche aber auch Industrieunternehmen empfindliche Einbrüche in der Wirtschaftsleistung verkraften mussten, blieb die Produktionsleistung der Pharmabranche relativ stabil. Ähnlich wie in der Finanzkrise blieben Einbrüche im ersten Jahr der Corona-Krise aus. Gegenüber dem Jahr 2019 stieg die Produktionsleistung insgesamt um rund zwei Prozent. In anderen Wirtschaftszweigen ist dies weitaus drastischer: So standen die Bänder beispielsweise in der Automobilindustrie im vergangenen Frühjahr praktisch still. Gegenüber dem Vorjahr verbuchte dieser Wirtschaftszweig Produktionsrückgänge von 24 Prozent.
Dies liegt auch daran, dass die internationalen Lieferketten in der Pharmabranche halten. Lieferengpässe bei Rohstoffen oder Halbleitern sind nicht zu beobachten.
Stabile Lieferketten: Ein Vorteil in Pandemiezeiten
Diese Entwicklung ist bemerkenswert, weil die Pharmaindustrie traditionell global vernetzt und sehr exportlastig ist, wie Branchenkennziffern belegen: So lag die Exportquote der Pharmabranche 2020 nach Angaben des Statistischen Bundesamts bei rund 60 Prozent. Und obwohl das Corona-Virus schonungslos offengelegt hat, wie anfällig die eng vernetzte globale Wirtschaft für exogene Schocks ist, gelang es dem Pharmasektor etwas Bemerkenswertes: Wegen der vergleichsweise hohen Vorratshaltung bei Wirkstoffen und Arzneimitteln erwiesen sich die globalen Lieferketten als relativ robust. Dies dürfte ebenso wie die pandemiebedingte gestiegene Nachfrage nach Pharmazeutika dazu beigetragen haben, dass die Ausfuhren im Jahr 2020 gegenüber dem Vorjahr um sechs Prozent höher lagen. Gleichzeitig haben die Pharmaunternehmen weiter in den Standort investiert und neue Produktionsstätten - etwa in Tübingen, Marburg und Dessau-Roßlau - eröffnet.
Pharmasektor: Deutschlands forschungsintensivste Branche
Vorerst steht die deutsche Pharmabranche gut da: So brachten die Unternehmen hierzulande allein in diesem Jahr bis Anfang Oktober 36 neue Medikamente auf den Markt, bis Ende dieses Jahres dürften weitere hinzukommen. Insgesamt investieren die vfa-Mitgliedsunternehmen allein in Deutschland 7,8 Milliarden Euro (2020) in die Forschung.
Dennoch kann sich die Branche auf ihrem guten Ruf jedoch nicht ausruhen, denn andere Standorte holen rasant auf: So musste Deutschland 2018 seinen europäischen Spitzenplatz bei klinischen Arzneimittelstudien an Großbritannien abgeben und belegt aktuell im weltweiten Ranking Platz fünf. Und in puncto Kapazität biotechnologischer Produktionsanlagen liegt Deutschland ebenfalls nur noch auf Rang fünf. Damit Deutschlands forschende Pharmaunternehmen auch weiterhin weltweit in der ersten Liga mitspielen können, setzt sich der vfa für verlässliche und innovationsfreundliche Rahmenbedingungen ein, die es den Unternehmen besser ermöglichen, sich auch im härter werdenden Marktumfeld erfolgreich zu behaupten.
Maßnahmen, um sich für den zunehmenden Wettbewerb zu wappnen
Um dies zu gewährleisten, schlägt der vfa konkrete Maßnahmen vor: Die Beschleunigung der Genehmigungsverfahren, den Ausbau der digitalen Infrastruktur und verbesserte Bedingungen für die Bereitstellung von Wagniskapital. Die erste Maßnahme begründet der Verband damit, dass die Genehmigungsverfahren für klinische Studien in Deutschland im Schnitt länger dauern als in anderen Ländern Europas, was er unter anderem auf Personalmangel in den Zulassungsbehörden und die umständlichen Regelungen zum Datenschutz zurückführt. So müssen letztere den Vorgaben von 16 Landesdatenschützer:innen und denen des Bundesdatenschützers entsprechen, die nicht immer deckungsgleich sind – eine Herausforderung für die Branche, da Entscheidungen immer einstimmig getroffen werden müssen. Die Verbesserung der digitalen Infrastruktur als zweite Maßnahme umfasst auch die Umsetzung einer klaren Digitalisierungs- und eHealth-Strategie sowie die Nutzung von Big Data-Analysen für die Forschung und soll helfen, den Standort Deutschland digital in die erste Liga zu führen. Die dritte Maßnahme zielt auf einen verbesserten Zugang zu Wagniskapital für junge, innovative Start-Ups ab, denn diese benötigen besonders in der Wachstumsphase viel Kapital, um ihre Geschäftsmodelle voranzubringen. Doch bislang mangelt es an Finanzierungsmöglichkeiten.
Investitionsfreundliches Umfeld nützt auch der Allgemeinheit
Die Bedeutung der forschenden Pharma-Industrie in Deutschlands Regionen (Quelle: IW Köln):
Mit seinen Vorschlägen will der vfa erreichen, dass die forschenden Pharmaunternehmen die Entwicklungschancen optimal ausschöpfen können. Damit wäre auch dem Gemeinwohl gedient, denn je günstiger das Umfeld für die Unternehmen ist, desto reibungsloser und zügiger können sie ihre Forschungsaktivitäten zur Bewältigung der Corona-Pandemie vorantreiben. Und davon profitieren letztlich nicht nur die Menschen, die sich nach Monaten ohne Kinobesuche und Konzerte wieder nach Normalität sehnen, sondern auch der Standort Deutschland: So zieht jeder der insgesamt rund 92.000 Arbeitsplätze in den forschenden Pharmafirmen fünf weitere nach.