Bundestagsdrucksache 17/6906 sowie zu den Änderungsanträgen der Fraktionen der CDU/CSU und FDP Drucksache 17(14)0192 des Bundestagsgesundheitsausschusses
1. Einleitung
Der vorliegende Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-VSG) berührt in verschiedenen Punkten wesentliche Belange der forschenden Arzneimittelhersteller. Vorrangig kommt es darauf an,
- die Beratungsprozesse des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) zu modifizieren und transparenter zu gestalten sowie
- Kontrolldefizite gegenüber dem G-BA zu beseitigen und einen effektiven Rechtsschutz betroffener Arzneimittelhersteller herbeizuführen.
Darüber hinaus sollte das Gesetzgebungsverfahren genutzt werden, um zeitnah notwendige Nachjustierungen des Arzneimittelmarktneuordnungsgesetzes (AMNOG) vorzunehmen. Dies betrifft insbesondere die Notwendigkeit,
- die Vertraulichkeit des Erstattungsbetrages nach § 130b SGB V sicherzustellen und
- gesetzliche Klarstellungen für den Fall der Vertriebseinstellung von Arzneimitteln zu treffen.
Schließlich plädieren die forschenden Arzneimittelhersteller – wie auch die anderen Herstellerverbände – nachdrücklich dafür, auf den vorgesehenen Änderungsantrag zur Umsetzung des ABDA/KBV-Konzepts in Modellvorhaben zu verzichten.
2. Stellungnahme zum Gesetzentwurf
Zu Artikel 1 Nr. 29 - § 91 SGB V
Die Weiterentwicklung der bestehenden Strukturen des G-BA ist einer der Regelungsschwerpunkte des vorliegenden Gesetzentwurfs. Der vfa möchte dabei das Augenmerk insbesondere auf die wichtigen Strukturprinzipien der Beteiligung, der Transparenz und der sachlichen Richtigkeitskontrolle lenken, die gestärkt bzw. fest verankert werden sollten.
Beteiligung der Arzneimittelhersteller (zu Buchstabe b und g)
Der Gesetzentwurf sieht im Grundsatz vor, Beschlüsse des G-BA, die im Wesentlichen einen Leistungssektor betreffen, jeweils allein den davon betroffenen Parteien zu überlassen. Diese Ausrichtung folgt dem Selbstverwaltungsprinzip; es besagt, die Regelung eigener Angelegenheiten den jeweils unmittelbar Betroffenen zu übertragen. Die sektorspezifische Ausrichtung würde für den Arzneimittelbereich bedeuten, das entsprechende Entscheidungsgremium mit Vertretern der Krankenkassen und der pharmazeutischen Industrie zu besetzen. Die Arzneimittelhersteller könnten dann bei sie betreffenden Leistungsentscheidungen im G-BA mitwirken – analog den Mitgestaltungsmöglichkeiten von KBV, KZBV und DKG in anderen Leistungsbereichen. Eine solche umfassende, konsequente Neuorganisation der Entscheidungsstrukturen des G-BA wird im vorliegenden Entwurf für den Arzneimittelsektor leider nicht in Angriff genommen.
Kurzfristig umsetzbar im Rahmen des GKV-VStG wäre zumindest, die fachliche Arbeit im Unterausschuss Arzneimittel des G-BA auf eine breitere Basis zu stellen und Industrievertreter regelmäßig am Beratungsprozess in diesem Gremium zu beteiligen. Dies könnte entweder durch Einbeziehung der betroffenen Unternehmen bei einzelnen Beratungspunkten oder durch Einbeziehung von Vertretern der Herstellerverbände als ständige, themenübergreifend involvierte Teilnehmer an den Sitzungen im Unterausschuss geschehen. Solche Beteiligungsrechte würden die Akzeptanz und Legitimation der Entscheidungen des G-BA deutlich stärken.
Die bisher für § 91 Abs. 9 SGB V vorgesehene Neuregelung reicht hierfür nicht aus und sollte entsprechend neu gefasst werden. Die „Kann-Vorschrift“ ist in eine „Soll-Vorschrift“ umzugestalten – an-sonsten droht die Neuregelung im Alltag leerzulaufen. Den Industrievertretern sollte zudem ein Mitberatungsrecht in den Sitzungen gewährt werden.
Beteiligung der Patienten (zu Buchstabe g und Artikel 1 Nr. 59 - § 140f SGB V)
Gleichermaßen sollte geprüft werden, die Patientenvertretung im G-BA zu erweitern und zu stärken. Zum einen empfiehlt sich eine stärkere Einbindung von unmittelbar betroffenen Patientenvertretern in die Arbeit des G-BA. Indikationsspezifisch sollten diese Patientenvertreter als sachkundige Personen in den Unterausschüssen in das gesamte Beratungsverfahren einbezogen werden, um die Sicht der von der Entscheidung Betroffenen einzuholen und diese bei den Entscheidungen berücksichtigen zu können. Zum anderen sollte die Legitimation der Patientenvertreter insgesamt durch ein öffentlich nachvollziehbares Akkreditierungsverfahren und eine aktive Ansprache von potenziellen Patientenvertretern erfolgen. Ein transparenter Auswahlprozess würde die sachlich-inhaltliche und personelle Legitimation der Patientenvertretung im G-BA stärken und damit eine Basis für die vorgeschlagenen erwei-terten Mitberatungsrechte dieser Vertreter schaffen.
Die bisher für § 91 Abs. 9 SGB V vorgesehene Neuregelung sollte so modifiziert werden, dass die Mitberatungsrechte der Patientenvertretung sichergestellt sind. Parallel ist der Auswahlprozess der Patientenvertreter in § 140f SGB V anzupassen.
Verfahrenstransparenz (zu Buchstaben f und g)
Neben Beteiligungsrechten erhöhen transparente Entscheidungsprozesse die Akzeptanz und Legitimation der Entscheidungen des G-BA. Der Gesetzgeber sollte daher sicherstellen, dass der G-BA durchgängig transparent arbeitet. Das Gremium sollte verpflichtet werden, seine Entscheidungsprozesse und –grundlagen umfassend öffentlich zu machen. Seine Unabhängigkeit als Entscheidungsorgan bleibt davon unberührt.
Das bedeutet konkret: Termine, Tagesordnungen, Entscheidungsvorlagen sowie –grundlagen, die Auswahl von Vorhaben und deren Begründungen sowie Sitzungsprotokolle auch der Unterausschüsse sind unverzüglich zu veröffentlichen. Entscheidungen sollten nachvollziehbar schriftlich zu begründen sein und die zugrunde liegenden gutachterlichen Stellungnahmen vorgelegt werden. Außerdem sollten die Mitglieder, beauftragten Gutachter und Sachverständigen der Unterausschüsse sowie Arbeitsgruppen des G-BA veröffentlicht werden. Die Einzelvoten der Mitglieder sollten indes aus Rücksicht auf deren Persönlichkeitsrechte geheim verbleiben.
Dieses Verfahren stände im Einklang mit der Wertung des VG Köln vom 13. Januar 2011 (AZ. 13 K 3033/09, noch nicht rechtskräftig) wonach der G-BA in den Anwendungsbereich des Informationsfreiheitsgesetzes (IFG) fällt. Zweck des IFG ist, staatliches Handeln transparent und nachvollziehbar zu machen sowie die Akzeptanz behördlicher Entscheidungen zu steigern.
Es empfiehlt sich, die wesentlichen Transparenzvorgaben bereits im SGB V selbst zu verankern und Näheres einer Rechtsverord-nung des Bundesministeriums für Gesundheit zu überlassen – wie es bereits durch das AMNOG und die Etablierung einer Arzneimittel-Nutzenverordnung vorgezeichnet wurde.
Die für § 91 Abs. 7 SGB V vorgesehene neue Vertraulichkeitsregelung läuft hingegen dem erklärten Ziel zuwider, die Transparenz des G-BA-Entscheidungsprozesses zu steigern. Sie lässt sich auch, anders als in der Gesetzesbegründung ausgeführt, nicht ohne weiteres mit dem „Konzept der untergesetzlichen Normsetzung in der Selbstverwaltung“ rechtfertigen, da auch die geringere demokratische Legitimation der Selbstverwaltung für ein Mehr an Transparenz spricht. Die geplante Vertraulichkeitsregelung sollte daher verworfen werden.
Sachliche Richtigkeitskontrolle
Neben Beteiligungsrechten und Verfahrenstransparenz sollte als weitere wichtige Strukturinnovation für den G-BA ein Verfahren etabliert werden, die Beschlüsse des G-BA zeitnah und unbürokratisch sachlich überprüfen zu können. Dies ist vor allem mit Blick auf die frühe Nutzung (§ 35a SGB V) von besonderem Interesse.
Obgleich Entscheidungen des G-BA weitreichende Konsequenzen haben, ist im System des SGB V durchgängig keine Möglichkeit zur sachlichen Überprüfung dieser Beschlüsse vorgesehen. Die Kontrollmöglichkeiten des Bundesgesundheitsministeriums beschränken sich nach der gültigen Rechtsprechung der Sozialgerichte auf eine bloße Rechtskontrolle. Eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Entscheidungen des G-BA kann erst in nachgelagerten und langjährigen Gerichtsverfahren erfolgen. Dies erscheint insbesondere im Hinblick auf die frühe Nutzenbewertung als nicht sachgerecht. Hier geht es um eine wegweisende "Status"-Entscheidung für Arzneimittel, die zur Anwendung zweier völlig verschiedener Regelungssysteme (Festbetragssystem auf der einen Seite und Rabattverhandlungen auf der anderen Seite) führt. Alle Verfahrensbeteiligten und letztendlich auch der durch die Nutzenbewertung betroffene Patient haben ein berechtigtes Interesse daran, dass diese Weichenstellung sachlich richtig erfolgt. Sollte sich erst zu einem späteren Zeitpunkt herausstellen, dass die vorgeschaltete Entscheidung des G-BA fehlerhaft war, wären hiermit erhebliche Nachteile für alle Beteiligten im Gesundheitswesen verbunden. Eine unmittelbare Richtigkeitskontrolle der frühen Nutzenbewertung würde auch den Anforderungen der europäischen Transparenzrichtlinie (89/105/EWG) besser gerecht werden, die u. a. einem effektiven Rechtsschutz gegen Verfahrensentscheidungen dienen.
Der vfa setzt sich daher für die Einrichtung eines Überprüfungsgremiums - sei es in Form eines Widerspruchsausschusses, einer Einspruchsstelle oder eine Schiedsstelle – ein, das von den jeweils Betroffenen angerufen werden kann und ohne größere Verfahrensverzögerungen eine für den G-BA verbindliche Entscheidung trifft. Dies würde nicht nur dem grundrechtlich verbürgten Rechtsschutzanspruch der Unternehmen (Art. 19 Abs. 4 SGB V) Rechnung tragen, sondern im Interesse aller Beteiligten das Vertrauen in den Entscheidungsprozess und die Akzeptanz der in diesem erzielten Ergebnisse erhöhen.
Der vfa schlägt vor, zunächst in § 35a SGB V eine entsprechende Regelung für die Überprüfung der frühen Nutzenbewertung aufzunehmen, wobei er bezüglich der konkreten Ausgestaltung offen ist. Sollte sich die Regelung bewähren, könnte sie im nächsten Schritt auf weitere Entscheidungsfelder des G-BA im Rahmen der Arzneimittel-Richtlinie ausgedehnt werden, die weitreichende Auswirkungen für alle Beteiligten im Gesundheitswesen haben.
Vorgabe verbindlicher Fristen bei Anträgen auf Aufnahme in den GKV-Leistungskatalog
Aufgenommen werden sollten zudem verbindliche Fristen der Entscheidungsfindung, um unnötige Verzögerungen beim Zugang zu Innovationen zu verhindern. Patientinnen und Patienten, die von innovativen Arzneimitteln profitieren sollen, sind auch auf den schnellen Einsatz von Diagnostika in der GKV angewiesen. Das Zusammenspiel von Diagnostika und innovativen Arzneimitteln wird vor dem Hintergrund der zunehmend personalisierten Medizin in Zukunft an Bedeutung gewinnen. Eine Erstattung von Diagnostika zu Lasten der GKV ist allerdings erst nach Aufnahme in den GKV-Leistungskatalog möglich. Im Falle von Arzneimitteln, für deren sachgerechten therapeutischen Einsatz die Identifizierung eines Biomarkers mit entsprechenden Testverfahren in der Fachinformation zwingend vorgeschrieben ist, muss gleichzeitig mit dem Markteintritt des entsprechenden Arzneimittels über die vollumfängliche Erstattung des Testverfahrens/Diagnostikums entschieden sein.
Leistungsausschlüsse und Leistungseinschränkungen nur mit qualifizierter Mehrheit (zu Buchstabe f)
Der vfa begrüßt die Einführung einer qualifizierten Mehrheit für den Ausschluss von Leistungen, die zu Lasten der Krankenkassen in der GKV erbracht werden können. Neben Leistungsausschlüssen sollten allerdings auch Leistungseinschränkungen eine qualifizierte Mehrheit des G-BA erfordern. Es bedarf deshalb einer entsprechenden Klarstellung der angestrebten Neuregelung.
Legitimierung der Unabhängigen (zu Buchstabe a)
Der Entwurf sieht vor, dass die KBV, die DKG und der GKV-Spitzenverband zukünftig die unparteiischen Mitglieder des G-BA vorschlagen. Das Bundesministerium für Gesundheit soll diese Vorschläge dem Ausschuss für Gesundheit übermitteln. Letzterem wird das Recht eingeräumt, den Vorschlägen mit zwei Dritteln seiner Mitglieder zu widersprechen.
Der vfa begrüßt das Ansinnen der Koalition, die Legitimation der unparteiischen Mitglieder des G-BA durch Einbeziehung des Ausschusses für Gesundheit des Bundestages zu stärken. Dies stellt einen ersten, wichtigen Schritt in Richtung einer stärkeren demokratischen Legitimierung des G-BA dar. Weitergehende Schritte – wie sie im Arbeitsentwurf diskutiert wurden – würden der demo-kratischen Legitimierung allerdings noch besser entsprechen.
Zu Artikel 1 Nr. 38 - § 106 SGB V
Der Entwurf sieht vor, im Bereich der Wirtschaftlichkeitsprüfung in Zukunft bei einer erstmaligen Überschreitung des Richtgrößenvolumens um mehr als 25 Prozent keinen unmittelbaren Regress, sondern zunächst nur eine individuelle Beratung des Arztes folgen zu lassen.
Grundsätzlich ist dieses Vorhaben der Koalition, die Wirtschaftlichkeitsprüfung für Ärzte an strengere Voraussetzungen zu knüpfen, zu begrüßen. Es sollte darüber hinaus allerdings erwogen werden, das Instrument der Arzneimittel-Richtgrößenprüfung komplett zu streichen: Durch die immer stärkere gesetzliche und vertragswettbewerbliche Regulierung auf der Angebotsseite – insbesondere durch die im patentfreien Arzneimittelmarkt dominierenden Rabattverträge nach § 130a Abs. 8 SGB V sowie die in absehbarer Zukunft greifenden zentralen Erstattungspreisverhandlungen nach § 130b Abs. 1 SGB V – entfällt zunehmend die Notwendigkeit von Beschränkungen und Kontrollen auf der Nachfrageseite, also beim Arzt.
Zu Artikel 1 Nr. 83 - §§ 303a-e SGB V
§ 303b SGB V regelt die zu übermittelnden Datensätze. Neben den bislang im Gesetzestext genannten Datensätzen wäre es sehr hilfreich, wenn zusätzlich Daten der Pflegeversicherung und aus den Disease-Management-Programmen (hier sowohl die A- als auch die B-Datensätze) zur Verfügung stehen würden, da hierdurch umfassendere Analysen der Versorgungsstrukturen und Ressourcenverbräuche möglich wären und einzelne medizinische Parameter zur Verfügung stehen würden, die ebenfalls einen tiefergehenden Einblick und Analysen erlauben würden.
§ 303e Abs. 1 SGB V regelt zudem, wer die bei der Datenaufbereitungsstelle gespeicherten Daten „zum Zwecke der Erfüllung seiner Aufgaben" verarbeiten und nutzen darf. Hier sollten auch explizit die pharmazeutischen Unternehmen aufgenommen werden. Diese sind gemäß § 35a SGB V und § 4 AM-NutzenVO verpflichtet, in ihrem Dossier für die Nutzenbewertung "4. die Anzahl der Patienten und Patientengruppen, für die ein therapeutisch bedeutsamer Zusatznutzen besteht" sowie "5. die Kosten der Therapie für die gesetzliche Krankenversicherung" anzugeben. Letztere umfassen sowohl die Jahrestherapiekosten für das zu bewertende Medikament als auch für die zweckmäßige Vergleichstherapie.
Die zur Ermittlung dieser verpflichtenden Angaben erforderlichen Daten liegen den Krankenkassen vor. Daher sollten diese anonymisiert den pharmazeutischen Unternehmen zur Verfügung gestellt werden. Dies ist deshalb geboten, da die erstmals betroffenen pharmazeutischen Unternehmen diese Daten aufwendig recherchieren oder gar von Dienstleistern kaufen müssten, während nachfolgend Betroffene diese Daten aus den Dossiers entnehmen könnten, die mit dem Nutzenbewertungsbeschluss vom G-BA veröffentlicht werden.
3. Ergänzung des Gesetzentwurfs
Vertraulichkeit des Erstattungsbetrages - § 130b SGB V
Bislang wird im Gesetzentwurf nur die Klarstellung vorgenommen, dass Erstattungsbetragsverhandlungen geheim zu halten sind (Artikel 1 Nr. 48). Diese beabsichtigte gesetzliche Änderung geht aus Sicht des vfa in die richtige Richtung.
Zusätzlich sollte jedoch auch das Ergebnis der Verhandlungen, die Höhe des Erstattungsbetrags bzw. Rabatts, vertraulich behandelt werden. Andernfalls strahlt ein veröffentlichter Erstattungsbetrag auf den europäischen Arzneimittelmarkt aus, und es kommt zu unerwünschten zirkulären Effekten: Deutschland ist einerseits für die meisten Länder in Europa direkt oder indirekt Referenzland für die nationale Preisbildung. Andererseits sollen im Zuge der Verhandlungen über einen Erstattungsbetrag auch europäische Preise mitberücksichtigt werden. Solche Ausstrahl- bzw. zirkulären Effekte sind weder wirtschafts- noch gesundheitspolitisch wünschenswert. Dabei kann ein vertraulicher Erstattungsbetrag das Ziel einer moderaten Ausgabenentwicklung im deutschen Gesundheitssystem ebenso gut erfüllen. Gesetzliche Veränderungen, die eine internationale Preisreferenzierung auf Grundlage des Erstattungsbetrags nach § 130b SGB V vermeiden, sind deshalb anzustreben. Diese Nachjustierung des AMNOG würde nicht zuletzt helfen, das neue System der frühen Nutzenbewertung und Erstattungsbetragsverhandlungen gängig zu machen.
Es gibt technische Lösungen zur Begrenzung der Offenlegung des Erstattungsbetrages, die auf etablierten Verfahren der Abwicklung von Rabatten bzw. Herstellerabschlägen aufsetzen und ohne größeren Aufwand umgesetzt werden können. Der vfa schlägt vor, die Abwicklung des Erstattungsbetrages nach § 130b SGB V im GKV-System – wie heute bei den Rabattverträgen nach § 130a Abs. 8 SGB V – direkt mit den einzelnen Krankenkassen durchzuführen. Dieser Weg würde zudem ein hohes Maß an Flexibilität mit Blick auf Rabattverträge und Verträge nach § 130c SGB V erlauben. Im PKV-System könnte die Abwicklung über die Zentrale Stelle zur Abrechnung von Arzneimittelrabatten in der PKV (ZESAR) erfolgen, die bereits die gesetzlichen Herstellerabschläge für PKV und Beihilfe einzieht.
Sollte die Direktabrechnung mit den Krankenkassen politisch nicht präferiert werden, könnte alternativ die Abwicklung des Erstattungsbetrages im GKV-System – wie heute bei den Herstellerabschlägen nach § 130a Abs. 1, 1a, 2, 3, 3a und 3b SGB V – über die Abrechnungsstellen der Apotheken erfolgen. Beide Lösungen implizieren, dass der Erstattungsbetrag nicht in der Apothekensoftware ausgewiesen wird. Sie lassen sich organisatorisch kurzfristig implementieren, da vorhandene Strukturen genutzt werden. Auf diese Weise bliebe noch vor der Vereinbarung erster Erstattungsbeträge die Vertraulichkeit gewahrt und es käme nicht zu den angesprochenen negativen Effekten für Patienten, Industrie und Krankenkassen.
Klarstellung zur Vertriebseinstellung - § 130b SGB V
Es liegt grundsätzlich in der freien unternehmerischen Entscheidung des pharmazeutischen Unternehmers, ob und unter welchen Voraussetzungen er seine Arzneimittel im deutschen Markt vertreiben möchte. Der pharmazeutische Unternehmer hat daher jederzeit die Möglichkeit, den Vertrieb eines Arzneimittels dauerhaft oder vorübergehend unter Beachtung der arzneimittelrechtlichen Vorschriften einzustellen. Es fehlen bisher gesetzliche Regelungen, welche Auswirkungen eine Vertriebseinstellung auf die Vereinbarung eines Erstattungsbetrages hat.
Der Gesetzgeber sollte in § 130b SGB V festlegen, dass ein Erstattungsbetrag nicht zu vereinbaren ist, wenn der pharmazeutische Unternehmer dem GKV-Spitzenverband mitteilt, dass er das Arzneimittel nicht weiter in den Verkehr bringt. In diesem Rahmen ist sicherzustellen, dass Arzneimittel, deren Vertrieb eingestellt wird, ab dem 13. Monat nach dem Inverkehrbringen bis zur Vereinbarung oder Festsetzung eines Erstattungsbetrages nicht mehr zu Lasten der GKV oder der PKV erstattet werden.
Sofern der pharmazeutische Unternehmer das Arzneimittel wieder in den Verkehr bringen will, sollte er frühestens nach zwölf Monaten Gelegenheit haben, eine erneute Nutzenbewertung zu beantragen oder auf Grundlage des bereits bestehenden Beschlusses des G-BA über die Nutzenbewertung in Verhandlungen über eine Vereinbarung eines Erstattungsbetrages einzutreten. Dadurch wird sichergestellt, dass der G-BA und der GKV-Spitzenverband nicht unnötig mit Verfahren belastet werden. Die weiteren Einzelheiten sollten in der Verfahrensordnung des G-BA geregelt werden.
4. Stellungnahme zu Änderungsanträgen
Änderungsantrag Nr. 4 – Modellvorhaben zur Arzneimittelversorgung (§ 64a SGB V)
Mit diesem Änderungsantrag beabsichtigen die Regierungsfraktio-nen, die Vertragspartner auf Landesebene zur Durchführung eines Modellvorhabens zur Arzneimittelversorgung zu ermächtigen. Damit soll der Weg zur Erprobung des ABDA/KBV-Konzeptes zur Arzneimittelversorgung mit den drei Säulen Arzneimittelmanagement, Wirkstoffverordnung und Medikationskatalog geebnet werden.
Diese Antragsinitiative ist aus mehreren Gründen nicht nachvollziehbar: Zum einen versteckt sich letzten Endes hinter dem Medikationskatalog, der laut Änderungsantrag verbindlicher Bestandteil des Modellvorhabens sein soll, eine bundesweit einheitliche, kassenübergreifende Positivliste – ein Instrument, das in den Regierungsfraktionen eigentlich kritisch gesehen wird und dessen versorgungspolitischer und ökonomischer Nutzen von den meisten Partnern im Gesundheitswesen inzwischen skeptisch eingestuft wird. Es drohen weitere Therapieeinschränkungen für den Arzt, sowohl mit Blick auf innovative Arzneimittel wie für das generikafähige Marktsegment. Eine Verbesserung der Qualität der Arzneimitteltherapie kann durch eine solche Positivliste nicht erreicht werden. Es ist überraschend, dass der Gesetzgeber diesen Weg einschlagen will.
Zum zweiten ist die vorgesehene Steuerung der Arzneimittelversorgung durch Ärzte und Apotheker mit den bereits existierenden Instrumenten nur schwer vereinbar. Neue Arzneimittel sind durch das mit dem AMNOG eingeführte System der frühen Nutzenbewertung und der Erstattungsbetragsfestsetzung bzw. der Festbeträge lückenlos reguliert. Rabattverträge sind inzwischen das zentrale Steuerungsinstrument der Kassen im generikafähigen Marktsegment. Darüber hinaus gibt es regionale Arzneimittelvereinbarungen einschließlich Leitsubstanzvorgaben, die Wirtschaftlichkeitsprüfung und weitere Vorgaben. Es ist unklar, warum der Gesetzgeber das ohnehin überkomplexe Steuerungsinstrumentarium im Arzneimittelsektor weiter diversifizieren will und wie sich ein neues Modell der Versorgungslenkung durch Ärzte und Apotheker hier gewinnbringend einfügen könnte.
Drittens besteht die Gefahr, dass ein entsprechendes Modellvorhaben als reines Honorargenerierungsmodell für Ärzte und Apotheker missbraucht wird. Sorge bereitet hier insbesondere, die im zweiten Absatz vorgesehene Schiedsamtsentscheidung, wenn eine Modellvereinbarung auf freiwilliger Basis nicht zustande kommt. Wenn die Kostenträgerseite nicht vom ökonomischen und versorgungspolitischen Erfolg eines Modellprojekts überzeugt werden kann, besteht Grund zur Annahme, dass die von den Leistungserbringern in Aussicht gestellten Vorteile für die GKV und die Patienten fraglich sind. Entsprechende belastbare Nachweise werden im der Antragsinitiative zugrundeliegenden ABDA/KBV-Konzept ohnehin nicht geliefert. Eine Schiedsamtsentscheidung ginge dann zu Lasten Dritter – der GKV. Der Ausgangsgedanke eines Modellprojekts auf freiwilliger Basis würde damit ad absurdum geführt.
Und schließlich ist eine enge Verzahnung der Medikationsüberwachung zwischen Ärzten und Apothekern zwar unstrittig zu begrüßen. Patienten erwarten allerdings zu Recht bereits heute von Ärzten und Apothekern eine optimale, auf ihre individuellen Belange abgestimmte Beratung, die im Übrigen durch die geltenden Rahmenvorgaben auch honoriert werden. Angesichts der bestehenden Handlungsspielräume und definierten Aufgabengebiete von Ärzten und Apothekern, deren Bewältigung in der Praxis durch Softwareprogramme und zukünftig durch die elektronische Gesundheitskarte erleichtert wird, bedarf es selbst in diesem Teilbereich keines neuen Modellvorhabens.
Im Ergebnis sollte auf den Änderungsantrag verzichtet werden.
Wenn die Regierungsfraktionen an dem Vorhaben grundsätzlich festhalten wollen, müsste zumindest sichergestellt werden, dass die Vertragsfreiheit der Krankenkassen respektiert wird und diese nicht ggf. durch einen Schiedsspruch zu einem solchen Modellvorhaben zwangsverpflichtet werden können. Zudem sollte unbedingt ein effektiver wissenschaftlicher Evaluationsprozess zu den Effekten des Modells im Hinblick auf Compliance, Patientenakzeptanz, medizinische Outcomes und Wirtschaftlichkeit vorgesehen sein.