„Reform des Gesundheitssystems und des Arzneimittelmarktes“
A. Reform des Gesundheitssystems
I. Handlungsbedarf
Die gesetzliche Krankenversicherung in Deutschland befindet sich seit Jahren in einem kontinuierlichen Reformprozess. Treiber dieses Prozesses sind immer knappere Ressourcen im Gesundheitswesen aufgrund demografischer Entwicklung und medizinisch-technischem Fortschritt.
Bisherige Reformen haben primär bei der Finanzierung (lohneinkommensbasiertes Umlageverfahren) und den Leistungsträgern (z. B. Kostendämpfungsmaßnahmen im Arzneimittelsektor) angesetzt.
Die letzte Reform, das im April 2007 in Kraft getretene Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbes in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-WSG), bildet hier keine Ausnahme: Der Schwerpunkt liegt auf der Einführung des Gesundheitsfonds zum 1. Januar 2009.
Ziel der Gesundheitspolitik muss es sein, die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung auf eine solide Grundlage zu stellen. Ohne die Berücksichtigung der demografischen Entwicklung und des medizinisch-technischen Fortschritts ist eine nachhaltige Finanzierung des Systems nicht gesichert.
Gerade in dieser Hinsicht vermag der Gesundheitsfonds es nicht, Akzente zu setzen: Weiterhin basiert die Finanzierung des Systems im Kern auf (lohn-)einkommensabhängigen Beiträgen. Daran ändert auch der als Einstieg in die Finanzierung über sog. Kopfpauschalen propagierte „Zusatzbeitrag“, aufgrund seiner Deckelung, nichts.
II. Leitbilder einer Reform
Das deutsche Gesundheitssystem bedarf weiterhin der Reform.
Leitbilder einer zielorientierten Gesundheitsversorgung sind Effektivität, Qualität und Effizienz sowie Nachhaltigkeit und Stabilität. Aber auch Solidarität, Eigenverantwortung und Wahlfreiheit sind wichtige Parameter. Abgerundet wird dieser Katalog durch die Vorgaben von Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit, aber auch Finanzierbarkeit. Jede Reform – egal ob klein oder groß – muss diesen Anforderungen genügen.
Kernpunkte einer Reform müssen die Revision des Leistungskataloges und eine grundlegende Finanzierungsumstellung sein. Flankierend bedarf es einer wettbewerblichen Organisation der Beziehungen zwischen Leistungserbringern und Kostenträgern – deren
Umsetzung Gegenstand der VFA-Position zum Arzneimittelmarkt (Teil B) ist. Im Kern sind diese Ergebnisse allerdings auf alle Leistungsbereiche übertragbar.
In den Augen des VFA bedürfen besonders die folgenden Leitbilder einer schärferen Fokussierung:
Eigenverantwortung bringt mehr Effizienz. Sie beginnt bei der Auswahl einer Krankenversicherung und kann bei der Rechnungsprüfung für erhaltene Behandlungen enden. Grundlage von Eigenverantwortung ist der Zugang zu allen nötigen Informationen – nur ein informierter Patient trifft die richtigen Entscheidungen.
Wahlfreiheit ist Bedingung für Eigenverantwortung. Deshalb muss der Einzelne seinen Versicherungsschutz in größtmöglichem Umfang selbst bestimmen können. Alle Patienten müssen jedoch im Falle schwerer und kostenträchtiger Erkrankungen Anspruch auf Grundleistungen haben.
Solidarität bedeutet, dass jeder Bürger – ohne Ansehen von Herkunft oder Einkommen – einen Anspruch auf umfassende medizinische Leistungen und Teilhabe am medizinisch technischen Fortschritt hat. Soweit es aber um Komfortleistungen oder eine größere Auswahl von (ansonsten gleichwertigen) Behandlungsalternativen geht, muss der Bereich der solidarischen Finanzierung – schon um sie im Kern bezahlbar zu halten – verlassen werden.
III. Vision
In den folgenden Abschnitten schlägt der VFA eine stufenweise Reformierung des deutschen Gesundheitssystems vor. Auch wenn dabei ein Schritt nach dem anderen zu setzen ist, bedarf es bereits zu Beginn einer Zielvorstellung.
Ergänzung der Umlagefinanzierung durch Kapitaldeckung
Mit Blick auf den demografischen Wandel ist die Ergänzung der Umlagefinanzierung durch Elemente der Kapitaldeckung im Wahlleistungsbereich der gesetzlichen Krankenversicherung von höchster Bedeutung.
Hier sollten Alterungsrückstellungen aufgebaut und der Kontrahierungszwang der Krankenkassen gelockert werden. So ließe sich zumindest in einem Teilbereich der gesetzlichen Krankenversicherung Generationengerechtigkeit herstellen, wenn jeder Bürger für sein eigenes Alter Rückstellungen aufbaut.
Überprüfung des Grundleistungskataloges
Individuell wählbare Zusatzleistungen sind zudem eine sinnvolle Ergänzung des Solidarsystems, indem sie den Grundleistungsbereich finanzierbar halten.
Deshalb möchte der VFA eine öffentliche Debatte anstoßen, welche Leistungen auch weiterhin einer solidarischen Finanzierung bedürfen und deshalb im Grundleistungskatalog verbleiben müssen.
Eine solche Priorisierung ist Voraussetzung für die effektive Einführung von Wahlleistungstarifen. Nur wenn stringent Leistungen identifiziert werden, die dem Bereich individueller Präferenz – und nicht der allgemeinen Grundversorgung – zugerechnet werden können, kann es zu einer Entlastung des Solidarsystems kommen.
IV. Grundlegende Reformen
Grundlegende Reformschritte sollten Maßnahmen enthalten, um die Finanzierung des Gesundheitssystems nachhaltig zu sichern.
Übergang zu einkommensunabhängigen Pauschalen
Im heutigen System entgehen der gesetzlichen Krankenversicherung schätzungsweise 26 Mrd. Euro, indem bestimmte Versichertengruppen bzw. Versicherte aus sozial- oder familienpolitischen Gründen keinen oder nur einen ermäßigten Beitrag entrichten.
Höchste Dringlichkeit besitzt daher die Abkopplung der Krankenversicherungsbeiträge vom Lohneinkommen. Diese Verknüpfung ist nicht nur überkommen, sondern erschwert zunehmend die Finanzierung des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung: Eine immer kleinere Zahl von Bürgern muss die Leistungen eines immer größeren Teils mit bezahlen, der nur einen eingeschränkten oder gar keinen Beitrag leistet.
An Stelle der lohneinkommensbasierten Finanzierung sollte die Zahlung lohnunabhängiger Prämien treten. Jeder Bürger würde so transparent den Beitrag leisten, der zur Deckung der Gesundheitsausgaben benötigt wird – unabhängig davon, welche Einkommensart er erhält.
Der erforderliche soziale Ausgleich würde über das Steuersystem erfolgen: Die Versicherungsbeiträge z. B. für Kinder oder sozial schwache Menschen würden so ganz oder zumindest teilweise von staatlichen Stellen übernommen.
Umwandlung der Arbeitgeberbeiträge in Lohn
In einem System von pauschalen Versicherungsprämien sollte zudem der bisherige Arbeitgeberbeitrag zur Krankenversicherung dem Einkommen der Arbeitnehmer zugeschlagen werden.
V. Inkrementelle Reformschritte
Möglichst zeitnah sollten erste, inkrementelle – aber eminent wichtige – Weichenstellungen vorgenommen werden:
Aufhebung der Deckelung des Fondszusatzbeitrages
Allen voran steht hier die Entdeckelung des Zusatzbeitrages zum Gesundheitsfonds: Alleine die Deckelung des Zusatzbeitrages auf 1 Prozent des Haushaltseinkommens könnte im nächsten Jahr zu Finanznöten auf Kassenseite führen.
Problematisch ist dies insofern, als diese Schwierigkeiten nicht in unwirtschaftlichem Handeln begründet liegen, sondern ausschließlich in der Mitgliederstruktur der betreffenden Krankenkassen.
Erste Opfer wären einzelne Ortskrankenkassen, deren Mitglieder bereits bei einem Zusatzbeitrag von nur 10 Euro zu 62 Prozent „überfordert“ wären.
Ausgliederung der versicherungsfremden Leistungen
Versicherungsfremde Leistungen – wie z. B. Krankengeld oder Mutterschaftsgeld – sollten als gesamtgesellschaftliche Aufgabe steuerfinanziert werden und daher aus dem solidarisch finanzierten (Grund-)Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung herausgenommen werden.
Allein dieser Schritt könnte bereits finanzielle Spielräume von bis zu 3,5 Mrd. Euro schaffen, die für einen Erhalt der breiten Verfügbarkeit von medizinischem Fortschritt für die gesamte Bevölkerung aufgewendet werden könnten.
B. Reform des Arzneimittelmarktes
I. Handlungsbedarf
Der deutsche Arzneimittelmarkt ist überreguliert – er ist gekennzeichnet durch eine Vielzahl unterschiedlicher Reglementierungen. Teilweise zielen diese Regulierungen auf die Arzneimittelpreise, teils auf die Menge der verordneten Präparate, teils auf die Struktur des Verordnungssortiments.
Adressaten der Regelungen sind durchweg direkt oder indirekt die pharmazeutischen Unternehmer. In hohem Maße werden aber auch in interventionistischer Weise Ärzte in ihrem Verordnungsverhalten gesteuert. Ihre Therapiefreiheit wurde Stück für Stück eingeschränkt und zurückgedrängt. Parallel dazu wurden Apotheker mit Vorgaben belegt, außerdem Krankenkassen und Patienten.
Im Ergebnis stehen
- Arzneimittelfestbeträge,
- Zuzahlungsbefreiungsgrenzen,
- Herstellerabschlag von 6 Prozent,
- Herstellerabschlag von 10 Prozent,
- Nutzenbewertung und Kosten-Nutzen-Bewertung,
- (Erstattungs-)Höchstbeträge
- Parallelimportförderung
- Aut-idem-Substitution
- Arzneimittelrichtgrößen
- Arzneimittel-Richtlinie
- Arzneimittelvereinbarungen und
- Arzneimittelrabattverträge
nebeneinander und heben sich teils im Ergebnis gegenseitig auf oder verstärken sich ungeplant in ihrer Wirkung.
Ein Beispiel für dieses ungeordnete Nebeneinander von Instrumenten bilden Festbeträge und Rabattverträge: Bei der Festsetzung von Festbeträgen dient als Grundlage der Marktpreis der entsprechenden Präparate. Dieser Marktpreis ist aber im Zuge der Rabattverträge nicht mehr öffentlich zugänglich.
Daneben entwerten sich Festbeträge und Zuzahlungsbefreiungsgrenzen gegenseitig: Stellen Festbeträge de facto schon die Vorgabe von Höchstpreisen dar, so werden sie durch Zuzahlungsbefreiungsgrenzen noch verschärft, die ihrerseits noch mindestens 30 Prozent unter Festbetrag liegen müssen. Werden andererseits Festbeträge weiter abgesenkt, erreichen die Zuzahlungsbefreiungsgrenzen durch den vorgeschriebenen Abstand zu den Festbeträgen ein so niedriges Niveau, dass sie ihre Funktion verlieren, weil Arzneimittelpreise nicht dermaßen reduziert werden können. Leidtragende dieser Fehlsteuerung sind die Patienten, wenn sie bei sinkenden Festbeträgen (wieder) höhere Zuzahlungen leisten müssen.
Dieses vielschichtige, in seinen Effekten weitgehend intransparente Regulierungssystem bietet nicht den ordnungspolitischen Rahmen, in dem sich wettbewerbliche Instrumente funktionsgerecht entfalten können – es besteht eine dysfunktionale und daher instabile Mischung aus zentral-administrativen und wettbewerblich-dezentralen Steuerungsinstrumenten - insofern sind die Rabattverträge, als erste wettbewerbliche Elemente, unsystematisch im hochregulierten Umfeld implementiert.
Das bestehende Regulierungssystem vermag den Leitbildern einer zielorientierten Gesundheitsversorgung nicht mehr zu genügen, es weist im Gegenteil augenfällige Defizite hinsichtlich Nachhaltigkeit und Stabilität, Effizienz, Transparenz, Rechts- und Planungssicherheit sowie Konsistenz und Fairness auf.
Alle Akteure – Krankenkassen und Leistungserbringer – sehen sich mit einer Rahmenordnung konfrontiert, der eine belastbare Grundlage fehlt und die den Entscheidungsträgern eine längerfristige Orientierung unmöglich macht und in ihren Steuerungswirkungen in vieler Hinsicht willkürlich erscheint.
Über diese Funktionsdefizite hinaus ist festzustellen, dass das geltende Regulierungssystem auch den Pharmastandort Deutschland schädigt: Er wird als überreguliert, innovationskritisch und interventionistisch wahrgenommen. Umfragen unter Entscheidern belegen, dass diese Regelungen positive Maßnahmen zur Stärkung des Pharmastandortes Deutschland in anderen Politikbereichen überlagern und sich investitionshemmend auswirken.
II. Das Reformmodell
Daher ist dringend eine Deregulierung erforderlich. Um das Feld für weitergehende Reformen zu ebnen, ist das Regulierungsdickicht zunächst möglichst vollständig zu beseitigen. Zentrale Instrumente – wie z. B. Festbeträge, Erstattungshöchstbeträge und Herstellerabschläge (Zwangsrabatte) sind ebenso abzuschaffen wie die zentrale Kosten-Nutzen-Bewertung, die als solche im gegenwärtigen System einen hohen Stellenwert besitzt, unter durchgängig wettbewerblichen Bedingungen jedoch dezentral von den einzelnen Krankenkassen durchzuführen ist.
In Folge sollte das deutsche Gesundheitssystem über die möglichst breite Einführung von Wettbewerb gesteuert werden. Leitbild ist dabei die qualitätsgesicherte, patientenorientierte, differenzierte Versorgung der Bürger.
Durch die vom VFA aufgezeigten Rahmenbedingungen wird sichergestellt, dass sich ein fairer Wettbewerb entfalten kann, in dem die beteiligten Pharma-Unternehmen und Krankenkassen ihre Angelegenheiten durch selektives Kontrahieren regeln: Rahmenbedingungen für den Wettbewerb werden nur dort gesetzt, wo sie im Patienteninteresse oder aus kartellrechtlichen Gründen geboten sind.
Die folgenden Ausführungen erfolgen exemplarisch für den Arzneimittelmarkt, gelten aber vom Grundsatz her für alle Leistungsbereiche des deutschen Gesundheitssystems.
Dezentrale Entscheidungen statt zentraler Regulierungen
Wenn die zentralen (Preis- und Mengen-) Regulierungen abgeschafft werden, müssen dezentrale Verhandlungen ihren Platz einnehmen: Krankenkassen verhandeln aktiv mit den Arzneimittelherstellern, um die Versorgung ihrer Mitglieder zu gewährleisten.
Wesentlicher Vorteil dezentraler Verhandlungen ist ein größeres Spektrum an Wahlmöglichkeiten – starre Vorgaben „von oben“ werden zugunsten höchst möglicher Flexibilität abgeschafft. Jede Krankenkasse kann sich ihr eigenes Profil geben.
Im Bereich der solidarischen Finanzierung sind diesem Streben allerdings Grenzen gesetzt. Aufgrund des Kontrahierungszwangs sind Krankenkassen aus eigenem ökonomischen Interesse an einem niedrigen Leistungsniveau interessiert, weil ein hochwertiges Leistungsangebot tendenziell Kranke – und damit schlechte Risiken – anziehen würde. Gesunde Menschen dagegen sind (wenn sie den Tarif jederzeit wechseln können) eher preissensitiv, was im Ergebnis zu einer Risikoentmischung führen würde.
Um dies zu verhindern, muss ein gesetzlicher Rahmen vorgehalten werden, der garantiert, dass alle Krankenkassen vergleichbare Therapieoptionen anbieten.
Einen Vorschlag, wie ein solcher Rahmen konkret ausgestaltet werden könnte, liefert das aktuell vorgelegte Gutachten der Professoren Wille, Cassel und Ulrich: Danach würde die Nutzenbewertung von Arzneimitteln zwar weiterhin zentral durch einen Bewertungsausschuss erfolgen. Die Auswahl erstattungsfähiger Arzneimittel und ihre Konditionen würden dagegen dezentral, wettbewerblich durchgeführt werden.
Weitergehend ist auch eine vollkommen dezentrale Steuerung denkbar, die im Rahmen vielfältiger Vertragsmodelle auch eine dezentrale Nutzenbewertung durch die einzelnen Krankenkassen beinhalten würde. Die Kassen wären nur noch durch den Ordnungsrahmen, der qualitative Anforderungen stellt, gebunden. Mit einer solchen dezentralen Steuerung könnte die Orientierung der Kassen weg von der reinen Preisfokussierung hin zu einer abwägenden Kosten-Nutzen-Betrachtung vor dem Hintergrund von Versichertenpräferenzen erreicht werden.
Frei wäre dabei auch die Wahl der Vertragsmodalitäten zwischen Krankenkassen und Arzneimittelherstellern: Neben schlichten Rabattverträgen könnten zunehmend Mehrwertverträge eine stärkere Rolle spielen. Denkbar wären, neben den heute dominanten Wirkstoff- oder Sortimentsverträgen, vor allem Cost- oder Risk- Sharing-Modelle, bei denen Arzneimittelhersteller Mitverantwortung für die Lebensqualität von Patienten übernehmen. Aber auch Versorgungs- oder Bundling-Verträge sind weitere Optionen. Allen Mehrwertverträgen ist gemein, dass sie neben der reinen Kostendimension auch die Nutzendimension stärker akzentuieren.
Im Ergebnis soll der informierte Versicherte in die Lage versetzt werden, seine persönlichen Präferenzen in einer informierten Wahlentscheidung (für oder gegen eine Krankenkasse) zu treffen.
Für den Bereich der Wahlleistungen muss eine vollständig dezentrale Steuerung angestrebt werden. Außerhalb der solidarisch finanzierten Grundleistungen ist durch die Geltung des Versicherungsprinzips gewährleistet, dass Krankenkassen ein vitales Interesse am Angebot leistungsorientierter Tarifoptionen haben – wie heute schon die private Krankenversicherung.
Im Diskurs mit allen Beteiligten – namentlich der Politik, der Krankenkassen, der Ärzte, der Patienten, der Wissenschaft und der Arzneimittelhersteller – soll in den nächsten Monaten die praktische und politische Machbarkeit dieser Optionen geprüft werden, um dann auf möglichst breiter Basis das Ziel eines zukunftsorientierten, wettbewerblichen Gesundheitssystems und Arzneimittelmarktes anzusteuern und gemeinsam zu erreichen.
Auch im Arzneimittelmarkt gilt: Weg von der Einheitsversorgung, hin zur bedarfsgerechten Versorgung!
Geltung des Kartell- und Wettbewerbsrechts
Um einer rasch voranschreitenden Mono-/Oligopolbildung entgegenzutreten, die angesichts der fortgeschrittenen Konzentration und der zu beobachtenden Formierung von Einkaufsmacht auf der Kassenseite zu befürchten steht, muss der Übergang zu einer vertragswettbewerblichen Steuerung des GKV-Arzneimittelmarktes (wie der anderer Versorgungsbereiche auch) mit einer klaren kartell- bzw. wettbewerbsrechtlichen Weichenstellung einhergehen.
Beim Abschluss von Selektivverträgen im Allgemeinen und von Versorgungs- und Rabattverträgen für Arzneimittel im Besonderen sollten Krankenkassen als Unternehmen im Sinne des „funktionalen Unternehmensbegriffs“ des GWB gelten und in vollem Umfang sowohl dem nationalen als auch dem europäischen Kartell- und Wettbewerbsrecht unterliegen. Dementsprechend muss auch eine ausschließliche Zuständigkeit der Kartellbehörden und Zivilgerichte begründet werden.
Es gilt: Wenn Krankenkassen unternehmerisch handeln, muss der entsprechende Rahmen gesetzt werden – die Regeln des Sozialgesetzbuches sind dafür nicht geeignet.
Erhalt eines breiten Therapiespektrums
Oberstes Ziel aller Reformbestrebungen muss eine hochwertige Versorgung der Patienten sein, welche den Herausforderungen der Zukunft – insbesondere durch die demografische Entwicklung und den medizinischen Fortschritt – gerecht wird.
Dazu gehört, wie oben bereits erwähnt, dass jede Krankenkasse – unabhängig von ihrer Positionierung im Wettbewerb – im Grundleistungsbereich ein breites therapeutisches Spektrum anbietet. Folgerichtig können einzelne Arzneimittel nur dann nicht im Programm einer Krankenkasse enthalten sein, wenn sie gleichwertige Therapiealternativen bereithält.
Um festzustellen, welche Medikamente vergleichbar sind, ist dabei nicht nur ihre Zulassung für eine bestimmte Indikation entscheidend, sondern auch ein im Bezug auf den Behandlungserfolg gleichwertiges Wirkungs- und Nebenwirkungsprofil sowie eine übereinstimmende Anwendungsform und Gesamtverträglichkeit.
Wenngleich das von einer Krankenkasse anhand dieser Vorgaben definierte Präparateprogramm die generelle Richtschnur bildet, muss es dem Arzt in begründeten Ausnahmefällen auch gestattet sein, außerhalb dessen zu verordnen. Nur so kann die Breite der Behandlungsanforderungen auf der einen Seite und der Therapiemöglichkeiten auf der anderen Seite erfasst und zur Deckung gebracht werden.
Wettbewerb der Kassen um die beste Versorgung
Krankenkassen in einem wettbewerblichen Gesundheitssystem werden vom „Payer“ zum „Player“. Sie gestalten die Versorgung ihrer bestehenden Mitglieder aktiv und werben neue Mitglieder über Leistung und Preis.
Auch wenn das bereitzuhaltende therapeutische Spektrum durch den vorgegebenen Ordnungsrahmen unter den Kassen vergleichbar ist, haben sie im Wettbewerb vielfältige Möglichkeiten, sich voneinander durch Effizienz oder Leistung abzugrenzen: So können sich Kassen – oberhalb des durch politische Rahmenbedingungen garantierten Mindeststandards – zum Beispiel als qualitäts- oder preissensitiv positionieren. Eine solche Differenzierung wird sogar innerhalb ein und derselben Kasse möglich, wenn neben einer Grundversorgung weitere Arzneimittelalternativen als Wahlleistung – dann zum höheren Beitrag – angeboten werden.
Ebenso zahlreich wie die neuen Möglichkeiten der Krankenkassen sind die Anreize der Bürger, davon Gebrauch zu machen: Während der eine eher preissensitiv ist und daher eine Versorgung mit günstigsten Arzneimitteln bevorzugt, ist ein anderer bereit, für die Erstattung eines breiteren Präparateangebots einen Zusatzbeitrag zu zahlen.
Zugang zu Innovationen sichern
Von herausragender Bedeutung ist, dass die Arzneimittelversorgung innovationsoffen und -freundlich ist. Innovative Arzneimittel sind ein unverzichtbarer Bestandteil einer hochqualifizierten Versorgung und Träger des medizinischen Fortschritts. Daher müssen innovative Arzneimittel von ihrer Markteinführung an grundsätzlich allgemein verordnungs- und erstattungsfähig sein. Dadurch wird eine neue Therapieoption zunächst auf jeden Fall gesichert. Erst wenn sich nach einigen Jahren zeigen sollte, dass der therapeutische Wert eines innovativen Medikaments nicht dem entspricht, was man sich von ihm versprochen hatte, kann es einer Kasse daher freigestellt werden, es einem anderen nachzuordnen und gegebenenfalls darauf zu verzichten.
III. Ausblick
Das Leitbild der Zukunft muss eine hochqualifizierte, patientenorientierte, differenzierte Arzneimittelversorgung sein. Sie lässt sich mit einem wettbewerblichen Ansatz erreichen. Seine Basis bilden Einzelverträge zwischen Krankenkassen und Pharma- Unternehmen innerhalb eines staatlicherseits gesetzten Rahmens. Ärzten und Patienten erwachsen daraus adäquate Therapiemöglichkeiten.
Stand: 29.10.2008