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Wertschöpfung im Wandel

Die Pharmaindustrie zählt zu den Zukunftsbranchen der globalen Ökonomie. Sie trägt durch ihre Innovationskraft nicht nur zu Wachstum und damit zu gesellschaftlichem Wohlstand bei, sondern steht auch in Verantwortung für die Qualität der Gesundheitsversorgung. Die Unternehmen der pharmazeutischen Industrie können diesen Aufgaben auch in Zukunft nur dann gerecht werden, wenn die Politik das große Potenzial der Industrie für den technologischen und gesellschaftlichen Wandel erkennt und für Rahmenbedingungen einer neuen, nachhaltigen Wertschöpfung sorgt.

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Dieser Artikel ist Teil der Broschüre Pharma 2030. Die gesamte Publikation kann als PDF-Download gespeichert oder als Print-Version bestellt werden. Hier geht es zur Publikation.

Graphen und Balkendiagramme mit blauem Hintergrund ohne festen Bezug zu einer Größe.

Die Ampel-Koalition ist mit dem Versprechen eines Aufbruchs für Deutschland und Europa angetreten. Im kommenden Jahrzehnt soll die deutsche Wirtschaft auf die Grundlage einer nachhaltigen, digitalen und wissensintensiven Wertschöpfung gestellt werden. Den Unternehmen kommt dabei nicht nur die Rolle als Anwender nachhaltiger und moderner Technologien zu – sie sollen zu global führenden Innovationstreibern werden und Marktanteile in den jeweiligen Zukunftstechnologien erobern.(1)

Gleichzeitig muss der Kontinent die Konsequenzen einer wachsenden demografischen Unwucht bewältigen. Das Niveau des wirtschaftlichen Wachstums und damit der soziale Wohlstand lässt sich künftig nur halten, wenn der steigende Anteil älterer Menschen an der Bevölkerung durch Zuwanderung und eine höhere Produktivität der Erwerbstätigen ausgeglichen wird.(2)

Gerade das Gesundheitswesen steht angesichts dieser demografischen Entwicklung vor einer großen Aufgabe. Es gilt, die Versorgungsleistungen für eine alternde Bevölkerung erheblich auszubauen und Verteilungskonflikte mithilfe einer weitsichtigen Politik zu entschärfen. Den komplexen Herausforderungen lässt sich grundsätzlich mit einer wachstumsorientierten Wirtschaftspolitik begegnen. Denn nur so öffnen sich größere Verteilungsspielräume, die auch helfen, die Leistungen der Sozialversicherungssysteme abzusichern.

Industriepolitische Ausgangsbedingungen

Die Transformation ist gerade für Deutschland mit tiefgreifenden strukturellen Umbrüchen verbunden. Die deutsche Wirtschaft ist von Energie- und Rohstoffvorkommen abhängig, über die das Land selbst nicht verfügt. Die Dekarbonisierung sowie veränderte geopolitische Rahmenbedingungen führen dazu, dass bislang profitable, auf fossilen Energien beruhende Geschäftsmodelle nicht länger zukunftsfähig sind, dadurch nicht unerhebliche Teile des Kapitalstocks vorzeitig abgeschrieben und durch umfangreiche Investitionen ersetzt werden müssen.(3) Gleichzeitig werden über die steigenden Preise für die Emission klimaschädlicher Gase vor allem energieintensive Technologien sukzessive aus dem Markt gedrängt, was Wachstumspotenziale für emissionsarm und klimaschonend produzierende Wirtschaftszweige eröffnet. Gefragt sind alternative Technologien und Wirtschaftszweige, mit denen der Kern der deutschen Industrie erhalten und zukunftsfähig umgebaut werden kann. Industriepolitisch verfolgt die Bundesregierung das Ziel, notwendige Investitionsgüter in Deutschland zu produzieren und das Land als einen international führenden Standort für die Herstellung „grüner“ Maschinen- und Anlagentechnik zu etablieren.

Die Demografie führt in den kommenden Jahren zu einer deutlich sinkenden Zahl Erwerbstätiger und einem weiteren Anstieg des durchschnittlichen Alters der Belegschaften. Der Umbau der deutschen Wirtschaft muss daher darauf abzielen, die Produktivität deutlich zu erhöhen(4) , also vorhandene Belegschaften im Rahmen von Weiterbildung zu qualifizieren, innovative Produktionsverfahren einzusetzen sowie junge Arbeitnehmer:innen zu gewinnen und auszubilden.

Nahaufnahme mit Hand eines Labormitarbeiters, der an einem Mikroskop forscht.Die Koalition aus SPD, Grünen und FDP setzt dabei auf qualifizierte Zuwanderung und die breite Unterstützung von Wissenschaft und Forschung, insbesondere bei Schlüsseltechnologien wie der Biotechnologie. Weniger Augenmerk wird indes auf die Bedeutung des medizinisch-technischen Fortschritts gelegt, der den Menschen ein potenziell längeres und produktiveres Erwerbsleben ermöglichen kann und damit auch einen eigenen Finanzierungsbeitrag leistet.(5)


Unabhängig davon wird die Demografie einen strukturellen Wandel in Deutschland anschieben, der vor allem den Wirtschaftszweigen mit hoher Produktivität Chancen eröffnet und die Potenziale für große Produktivitäts- und Innovationssprünge ausschöpft.

Die Digitalisierung spielt dabei eine Schlüsselrolle.(6) In den vergangenen Jahren haben immer größere Rechnerkapazitäten, Methoden der künstlichen Intelligenz und die Nutzung von großen Datenmengen sowohl zu Produktivitäts- als auch Innovationssprüngen geführt. Die in vielen Bereichen des Lebens generierten Daten sind eine Ressource, die andere Volkswirtschaften bereits intensiver und besser zu nutzen wissen. Dass datenbasierte und digitale Geschäftsmodelle derzeit vorzugsweise außerhalb Deutschlands entwickelt werden, wirkt sich auf das Gründungsgeschehen hierzulande nachteilig aus. Während politische Entscheidungsträger:innen die Potenziale der Digitalisierung, insbesondere in Bezug auf die Nutzung von Gesundheitsdaten, mittlerweile erkannt haben, werden ihre Chancen bei weitem noch nicht ausgeschöpft . Doch Wirtschaftsräume, die sich dieser Nutzung verschließen, werden im globalen Standortwettbewerb an Boden verlieren.

Zu den Lehren aus der Pandemie und dem Krieg in der Ukraine gehört die Einsicht, dass Wirtschaft und Gesellschaft in Krisen nur mit größerer Resilienz bestehen können. Das heißt zum einen, die kritische Infrastruktur auf Krisen vorzubereiten, zum anderen bedeutet es auch, Schlüsseltechnologien am Standort zu halten, um – wie im Fall der schnellen Entwicklung von Corona-Impfstoffen – rasch auf veränderte Situationen reagieren zu können. Nicht zuletzt muss auch die internationale Arbeitsteilung dahingehend geprüft werden, ob die vorhandenen Produktions- und Lieferstrukturen auch im Falle einer globalen Krise zuverlässig funktionieren.

All diese Herausforderungen erfordern eine gezielte industriepolitische Flankierung. Viele der genannten Aufgaben können Märkte allein nicht lösen. So sind beispielsweise Unternehmen nicht ohne Weiteres in der Lage, eine allgemeine und gesellschaftlich akzeptierte Infrastruktur für die zentrale Speicherung und Nutzung personenbezogener Daten bereitzustellen. Wenn es um den Aufbau strategischer Produktionskapazitäten und die Entwicklung innovativer Produkte geht, spielen für Unternehmen die gesellschaftlichen Vorteile einer schnellen Reaktionsfähigkeit im Krisenfall eine eher untergeordnete Rolle. Auch geopolitische Verwerfungen können auf Unternehmensebene nicht in ausreichendem Umfang eingepreist werden.

Eine Laborforscherin sitzt vor einem Monitor und macht sich Notizen.Doch für eine prosperierende Zukunft des Standorts bedarf es auch einer gezielten Förderung von Forschung und Entwicklung, von Innovationen und Gründungen, um den Anschluss an andere Regionen nicht zu verlieren. Technologieoffenheit und Wettbewerb sind Prinzipien, die in anderen Wirtschaftsräumen nicht vollumfänglich geteilt werden.


Dabei kann eine Volkswirtschaft schon dadurch ins Hintertreffen geraten, dass sie bei der Verbreitung technologischer Standards nicht schnell genug agiert und das Feld dann anderen Ländern überlässt. Auch dafür bedarf es einer gezielten wirtschaftspolitischen Antwort. Ein „Important Project of Common European Interest“ (IPCEI) wäre ein Instrument, das die internationale Wettbewerbsfähigkeit Europas im Bereich wichtiger Technologien sichern helfen könnte.

Die pharmazeutische Industrie als Partner im Wandel

Diese industriepolitischen Ziele und die spezifischen Qualitäten der pharmazeutischen Industrie ergänzen sich auf gleich mehreren Ebenen. Die Branche bietet sich schon aufgrund ihrer Innovationskraft als wichtiger Partner in der Transformation an und leistet als Schlüsselindustrie einen großen Beitrag für den Wohlstand hierzulande. Gleichzeitig sorgen die entwickelten Therapien dafür, dass Menschen gesünder und älter werden und damit länger und produktiver am Erwerbsleben teilnehmen können.

Die Forschungserfolge sorgen bereits heute für ein kräftiges gesamtwirtschaftliches Wachstum: Die Herstellung der auf der neuen mRNA-Technologie basierenden Impfstoffe sorgte im Jahr 2021 für mindestens 0,5 Prozent zusätzlicher Wirtschaftsleistung. Die Anwendung dieser Technologie in anderen Bereichen oder der breite Ausbau biotechnologischer Verfahren versprechen in den kommenden Jahren ähnliche Innovationssprünge von vergleichbarer gesamtwirtschaftlicher Bedeutung. Damit ist die pharmazeutische Industrie nicht nur innovativer Motor der Gesundheitswirtschaft, sondern auch für andere Wirtschaftsbereiche wie dem Maschinen- und Anlagenbau ein relevanter Akteur. Mit dem Wachstum der Branche entstehen weit überdurchschnittlich bezahlte Jobs – selbst in Krisenzeiten, wie die vergangenen zwei Jahren gezeigt haben. Volkswirtschaftlich spiegelt sich diese Entwicklung in steigenden Durchschnittseinkommen sowie einer Entspannung demografisch bedingter Verteilungskonflikte wider. Mittlerweile sind mehr als 160.000 Menschen direkt in der Entwicklung und Herstellung von Pharmazeutika beschäftigt.

Ingenieur mit Schutzhelm und Warnweste auf ProduktionsgeländeDie pharmazeutische Industrie emittiert weitaus weniger klimaschädliche Gase als das verarbeitende Gewerbe insgesamt. Ihr Ausstoß beläuft sich auf etwa 28 Prozent der durchschnittlichen Industrieemissionen in Deutschland. Zur Veranschaulichung: Während die pharmazeutische Industrie 73 Gramm C0₂ je Euro Wertschöpfung emittiert, stößt das verarbeitende Gewerbe im Durchschnitt 255 Gramm pro Euro Wertschöpfung aus.


Die pharmazeutische Industrie ist bereits jetzt die mit Abstand wissensintensivste Branche: Sie wendet knapp ein Fünftel ihres Umsatzes direkt für Forschung und Entwicklung auf. Dies entspricht etwa einem Zehntel aller privaten Forschungsausgaben. Grundlage dafür ist ein umfassender Schutz geistigen Eigentums. Dessen Bedeutung zeigt sich in der Zahl angemeldeter Patente. Europaweit werden die meisten Patente im Bereich der Pharmazie und Biotechnologie angemeldet.

Die pharmazeutische Industrie generiert Wissen – und Wissen braucht fähigen Nachwuchs. Die Branche bietet exzellent ausgebildeten Arbeitnehmer:innen hervorragende Beschäftigungs­perspektiven. Qualifikationsniveau und Produktivität sind weit überdurchschnittlich, ebenso die branchenüblichen Löhne und Gehälter. Mit einem Frauen-Anteil von 49 Prozent liegt die pharmazeutische Industrie vor allen anderen Wirtschaftsbereichen.

Eine junge Frau sitzt konzentriert vor einem reflektierenden Bildschirm mit DatenkolonnenDie Digitalisierung bietet in kaum einem anderen Bereich größere Wachstumschancen als im Gesundheitssektor: In keiner anderen Branche werden mehr Daten und Informationen erzeugt. Wie der internationale Vergleich zeigt, eröffnet sich mit der Nutzung dieser Daten ein großes wirtschaftliches Potenzial mit enormen Innovationschancen. Nicht zuletzt helfen digitale Anwendungen bei der Entwicklung neuer Wirkstoffe und Verfahren, die nicht länger im Labor, sondern mithilfe künstlicher Intelligenz überwiegend am Rechner designt werden können.

Und schließlich zeigt das Beispiel der Impfstoffentwicklung, dass sich auch die mit öffentlichen Mitteln angestoßene Forschung und Entwicklung langfristig auszahlen: Vom Erfolg eines Unternehmens wie BioNTech profitieren am Ende auch die öffentlichen Haushalte. Allein die Stadt Mainz, Standort von BioNTech, erzielte im Jahr 2021 anstelle eines Millionendefizits einen Haushaltsüberschuss von mehr als einer Milliarde Euro. Das gibt der Stadt nicht nur die Mittel für umfangreiche Investitionen in die öffentliche Infrastruktur; damit werden auch die Spielräume für eine Stärkungen des Wirtschaftsstandorts größer, beispielsweise durch eine Absenkung der Gewerbesteuer und eine dadurch höhere Investitionsneigung von Unternehmen.

Quellen:

(1) Vgl. Industriepolitische Strategie der Europäischen Kommission, online verfügbar. Mehr Fortschritt wagen, Koalitionsvertrag zwischen SPD, Grünen und FDP,  online verfügbar.

(2) Vgl. Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose (2021), Pandemie verzögert Aufschwung – Demografie bremst Wachstum, online verfügbar.

(3) Vgl. Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose (2022), Von der Pandemie zur Energiekrise – Wirtschaft und Politik im Dauerstress, online verfügbar.

(4) Vgl. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (2019), Produktivität: Wachstumsbedingungen verbessern, Nationaler Produktivitätsbericht 2019, online verfügbar.

(5) Karmann, A., Rösel, F., & Schneider, M. (2016). Produktivitätsmotor Gesundheitswirtschaft: Finanziert sich der medizinisch-technische Fortschritt selbst?, Perspektiven der Wirtschaftspolitik, 17(1), S. 54–67.

(6) Vgl. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (2020), Produktivitätswachstum durch Innovation: Digitalisierung vorantreiben, Nationaler Produktivitätsbericht 2020, online verfügbar.