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Innovationen sind der Wohlstand von morgen

Innovationen sind von jeher die Wachstumstreiber entwickelter Volkswirtschaften. Sie tragen als wissensbasierte Grundlage maßgeblich zur Wertschöpfung bei und damit auch zur Lösung demografischer Probleme. Der pharmazeutischen Industrie als forschungsintensivster Branche Deutschlands fällt mit Blick auf die zu steigernde Produktivität eine bedeutende Rolle zu. Sie sorgt auch dafür, dass die Beschäftigten länger und gesünder am Arbeitsleben teilnehmen können.

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Laborantin mit gelber Schutzbrille, die auf fertig abgefüllt Vials runterschaut

Schon seit längerem verfolgt Deutschland das Ziel, die Ausgaben für Forschung und Entwicklung (FuE) auf 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu steigern. Dahinter steht die Erkenntnis, dass nur eine innovative Wirtschaft im internationalen Wettbewerb bestehen kann und sich die demografische Entwicklung allein durch eine höhere Wissensintensität kompensieren lässt. Mittlerweile werden deutschlandweit mehr als drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts pro Jahr für FuE aufgewendet. Der Anteil der pharmazeutischen Industrie, bezogen auf ihre Produktionsleistung, ist dabei überproportional groß. Rund zehn Prozent aller industriellen FuE-Aufwendungen gehen auf die Pharmabranche zurück. Dabei rückt neben der Quantität auch die Qualität der Innovationsaktivitäten in den Fokus. Die Expert:innenkommission Forschung und Innovation (EFI) betont in ihrem jüngsten Gutachten die Bedeutung von Schlüsseltechnologien und technologischer Souveränität(1) als neuem Element der Forschungs- und Innovationspolitik. Der Stifterverband verweist jedoch darauf, dass der Anteil der FuE-Ausgaben in den Bereichen der Spitzentechnologie insgesamt unter dem internationalen Durchschnitt liegt. Zur Spitzentechnologie (>9 Prozent der FuE-Aufwendungen am Umsatz) zählen allein die pharmazeutische Industrie und die Herstellung elektronischer Datenverarbeitungsgeräte.(2)

Dabei stiegen die FuE-Aufwendungen der pharmazeutischen Industrie in den letzten Jahren deutlich. „Man spürt ein langsames Erwachen“, schrieb der deutsche Medizin-Nobelpreisträger Harald zu Hausen vor 10 Jahren auf die Frage nach einer neuen Vision angesichts der medizinischen Herausforderungen(3) . Das war kurz nach der globalen Erschütterung durch die Finanzkrise 2008/09. Die forschende Pharmaindustrie vollzog seinerzeit einen tiefgreifenden Wandel. Denn die wachsende Zahl auslaufender Patente erforderte größere Anstrengungen bei Forschung und Entwicklung.(4) Die Industrie erlag indes nicht dem Sparzwang jener Jahre, sondern setzte auf Innovationen.(5)

Schematische Darstellung der Wirkungsweise einer CAR-T-Zell-TherapieWährend in Branchen wie der Metallindustrie, der Kunststoffverarbeitung oder auch im Maschinenbau der Fortschritt eher durch „inkrementelle Innovationen“ bestimmt war(6) begann die forschende Pharma-Industrie ab Mitte der 2010er Jahre mit der Entwicklung grundlegend neuer Technologien. Beispielhaft stehen dafür die Patentanmeldungen im Bereich hochinnovativer CAR-T-Zelltherapien. So verzeichnete das Europäische Patentamt ab 2013/2014 einen fast sprunghaften Zuwachs an Patentanmeldungen in diesem Bereich.(7)

Die Grundlage dafür lieferten wissenschaftliche Arbeiten, die bis in die Zeit um 1989 zurückreichen.(8) Dass diese Grundlagenforschung auch heute in hochinnovativen Therapien mündet, ist das Ergebnis mehrerer Faktoren, die auch in anderen Technologiebereichen der pharmazeutischen Industrie zum Tragen kommen.

Individualisierte Medizin

Einer der wichtigsten Trends der modernen Medizin und der sie begleitenden Pharmaforschung ist die „personalisierte“ oder auch „individualisierte Medizin“.(9) Einsatz maßgeschneiderter, auf die Bedürfnisse einzelner Patient:innen oder Patient:innengruppen ausgerichteter Therapieverfahren die Wirksamkeit und Qualität der Behandlung zu verbessern, dabei die Nebenwirkungen zu reduzieren und langfristig die Kosteneffektivität zu steigern.“(10)

Wegbereiter dieser innovativen Form von Medizin ist die erstmals 2001 gelungene Genomanalyse durch DNA-Sequenzierung, also die Entschlüsselung des menschlichen Erbguts. Eng damit verbunden ist der immer stärkere Einsatz von Molekulardiagnostik und Bioinformatik mit dem Ziel, auf Grundlage der Erkennung spezifischer Gensequenzen und Mutationen, Krankheitsursachen so konkret wie möglich zu identifizieren und damit auf den Patient:innen zugeschnittene Therapien einsetzen zu können.

Wissenschaft und Industrie wollen in diesem hochinnovativen Forschungsfeld die Therapieoptionen auf immer mehr Patient:innengruppen und Indikationsgebiete erweitern. Denn nach wie vor gibt es beispielsweise im Bereich der Onkologie einen hohen, bislang nur schwer behandelbaren medizinischen Bedarf. Ebenso groß sind die Herausforderungen bei Volkskrankheiten wie Diabetes II und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Für Letztere werden derzeit ambitionierte RNA-Technologien entwickelt.

Renaissance der Impfstoffe

Das Bild zeigt eine symbolische Impfstoffflasche mit der Aufschrift Coronavirus Vaccine sowie eine Spritze, beides gehalten von einer Hand, die einen blauen Schutzhandschuh trägt.Gefragt nach den Zukunftstrends der medizinischen Biotechnologie, prognostizierte der 10. vfa-Biotechreport 2015 eine „Renaissance der Impfstoffe“.(11) Im Jahr 2016 waren 25 Prozent aller bis dahin zugelassener Biopharmazeutika Impfstoffe. (12) Die Corona-Krise hat diese Prognose vollumfänglich bestätigt und mit Blick auf die Entwicklung mRNA-basierter Impfstoffe für gleich mehrere Innovationssprünge in der modernen Medizin und in der pharmazeutischen Industrie gesorgt.

Grund dafür war eine für die pharmazeutische Industrie typische Kombination aus Gründergeist, wissenschaftlicher Expertise, langjähriger Vorarbeit und der Verfügbarkeit des notwendigen technischen Know-hows, nicht nur für die Impfstoffentwicklung, sondern auch für die in historisch einmalig kurzer Zeit zu skalierende Produktion. Künftig wird es darauf ankommen, diese Erkenntnisse und Erfahrungen aus der Impfstoffentwicklung auch in anderen medizinische Bereichen zu nutzen.

Neue Technologien

Nahaufnahme blau eingefärbter ZellkulturenMit dem Thema „Produktion“ verbunden sind komplexe Prozesstechnologien, neue Wirkstoff-Träger-Systeme wie die Nanotechnologie oder neue Therapieansätze wie die sogenannten „Advanced Therapy Medicinal Products“ (ATMP), das Technologiefeld der Gen- und Zelltherapien, die 2020 mit dem Nobelpreis prämierte Genomediting-Technik CRISPR/Cas9 („Genschere“)(13) oder auch der bislang noch wenig diskutierte, aber überaus vielversprechende Ansatz onkolytischer Viren.(14)

Mit diesen technologischen Innovationen verbinden sich nicht nur die Hoffnungen von Patient:innen mit bislang nur schwer oder gar nicht behandelbaren Krankheiten auf mögliche Heilung oder zumindest spürbare therapeutische Hilfe, sondern auch eine Vielzahl von darauf aufbauenden medizinischen Weiterentwicklungen und neuen Ansätzen der Gesundheitsforschung, beispielsweise im Bereich Demenz/Alzheimer, vieler Seltener Erkrankungen oder der Behandlung von Kindererkrankungen.(15)

Ebenso zielt die forschende Pharmaindustrie auf die Verbesserung von Therapieoptionen in jenen Bereichen, die aufgrund kleiner Patient:innengruppen nicht marktfähig sind und von Forschung und Innovation deshalb nur unzureichend berücksichtig werden. Zudem gibt es mit den zu bekämpfenden Antibiotika-Resistenzen eine weitere Herausforderung, der die Industrie mit der „AMR Industry Alliance“ begegnet.(16)

Schließlich muss sich der Blick auf hochinnovative Entwicklungen in den Wirtschaftsbranchen entlang der gesamten pharmazeutischen Wertschöpfungskette richten, wie z. B. im Pharmamaschinenbau, der allein in Deutschland ein Produktionsvolumen von etwa 2,5 Milliarden Euro aufweist. Auch hier ergeben sich große Chancen in der Entwicklung sowohl von skalierbaren Produktionstechniken für personalisierte Arzneimitteltherapien und ATMP(17) wie auch von nachhaltigen, rohstoff- und energieeffizienteren Produktionstechniken.

Wie Innovationen gedeihen

Die Chancen, als Gesellschaft von grundlegenden Innovationen im Bereich der Pharmazie zu profitieren, sind beträchtlich. Allerdings müssen dafür die Grundlagen und Rahmenbedingungen stimmen.

Für eine erfolgreiche pharmazeutische Industrie ist eine exzellente universitäre und außeruniversitäre Grundlagenforschung von herausragender Bedeutung. Spitzenforschung in Exzellenzclustern kann in zentralen Bereichen wie Gen- und Zelltherapien weltweit führend werden – vorausgesetzt, die Grundlagenforschung ist auskömmlich und verlässlich finanziert.

Eine zukunftsfähige Wissenschaftspolitik muss für den Transfer der Erkenntnisse der Spitzenforschung in die kommerzielle Anwendung sorgen, die Zusammenarbeit und den Austausch zwischen öffentlich und privat finanzierter Forschung fördern und die bestehenden Hürden beim personellen Austausch zwischen beiden Sphären abbauen.

Forschungspersonal mit Tablet im LaborFerner ist der sichere, aber unkomplizierte Zugang zu wissenschaftlichen Ressourcen wichtig. So bleiben beispielsweise die Potenziale der Digitalisierung bislang weitgehend ungenutzt. Berechtigte Interessen des Datenschutzes oder ethische Grundsätze sind hohe Güter – wissenschaftliche Vorhaben scheitern hierzulande aber nicht selten an höchst unterschiedlichen Auslegungen der Standards. Damit riskiert Deutschland, wissenschaftlich ins Hintertreffen zu geraten.


So wichtig wie der Austausch von Wissen, so zentral ist auch der Schutz geistigen Eigentums, wenn die Forschung in innovativen Therapien mündet. Nur ein umfassender Patentschutz stellt sicher, dass wissenschaftliche Erkenntnisse geteilt werden und Anreize für Innovationstätigkeit bestehen.

Auch die steuerliche Forschungsförderung sollte weiterentwickelt werden, sodass die bis Juli 2026 befristete Erhöhung der maximalen Förderhöhe auf 1 Million Euro pro Jahr und pro Unternehmen über diesen Zeitraum hinaus beibehalten, oder, besser noch, weiter ausgebaut wird. Zu bedenken wäre darüber hinaus eine Erhöhung des Fördersatzes, die Erweiterung der Bemessungsgrundlage sowie eine Anpassung der Eingrenzung über „Verbundene Unternehmen“. Sämtliche Abläufe und Verfahren müssen außerdem endlich entbürokratisiert und die Beantragung vereinfacht werden.(18)

Innovationen im Gesundheitssystem brauchen eine angemessene Honorierung. Standorte sind für Forschende attraktiv, wenn dort Innovationen nach ihrer Zulassung schnell in der Praxis zur Verfügung stehen und die Vergütung den Fortschritt gegenüber bestehenden Therapien honoriert. Die wenigsten Therapien sind dabei grundlegende Durchbrüche: Vielmehr setzen sich die meisten Erfolge in der Behandlung beispielsweise von Krebs aus vielen kleinen Innovationen zusammen.

Quellen:

(1) Vgl. Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) (2022), Gutachten zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands, online verfügbar.

(2) Vgl. Stifterverband (2021), Forschung und Entwicklung in der Wirtschaft, online verfügbar.

(3) Harald zu Hausen: Medizin mit Vision, Deutsche Welle vom 22.01.2012: online verfügbar.

(4) Vgl. „Der Pharmasektor im Stresstest“, NZZ vom 18.07.2012; „Pharma-Forschung im Rückwärtsgang“, FAZ vom 11.01.2013; „Eine Industrie orientiert sich neu“, Deutsches Ärzt:innenblatt vom 26.04.2013.

(5) ZEW-Branchenreport Pharmaindustrie, Nr. 10/Januar 2021.

(6) Vgl. Innovationen den Weg ebnen. Eine Studie von IW Consult u. SANTIAGO für den VCI, Frankfurt/Main 2015, S. 20; Rammer, Christian et.al.: INNOVATIONEN IN DER DEUTSCHEN WIRTSCHAFT. Indikatorenbericht zur Innovationserhebung 2021, Mannheim 2021, S. 5: mip_2021.pdf (zew.de).

(7) Clarke, Nigel/Jürgens, Björn: Landscape study on patent filing – Chimeric Antigen Receptor T-cell Immunotherapy, hrsg. vom Europäischen Patentamt, München 2019, S. 6.

(8) Vgl. Beiträge zum Workshop der Paul-Martini-Stiftung (PMS): „Immuntherapie von Tumoren: Erfolg für die Wissenschaft, Erfolg für den Patient:innen – und der wichtige Weg dazwischen“, Berlin, 18. März 2015: online verfügbar.

(9) Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina, acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften, Union der deutschen Akademien der Wissenschaften (Hrsg): Individualisierte Medizin – Voraussetzungen und Konsequenzen, Halle (Saale) 2014

(10) Ebd., S. 16.

(11) Lücke, Jürgen/Bädeker, Mathias/Hildinger, Markus: Medizinische Biotechnologie in Deutschland. 2005 – 2015 – 2025, München 2015, S. 28ff. – online verfügbar.

(12) Lücke, Jürgen/Bädeker, Mathias/Hildinger, Markus: Medizinische Biotechnologie in Deutschland 2016. Nutzen für von Impfstoffen für Menschen und Gesellschaft, München 2016, S. 12. – online verfügbar.

(13) Vgl. https://www.nobelprize.org/prizes/chemistry/2020/summary; EFI-Jahresgutachen 2021, Schwerpunktkapitel B.3: online verfügbar.

(14) vgl. Erstmals onkolytische Viren zum gezielten Angriff auf Krebsstammzellen erzeugt (dkfz.de); Forscher lizenzieren ein neuartiges Virotherapeutikum Gemeinsam mit Biotech-Unternehmen Themis Bioscience wird ein wirkungsverstärktes onkolytisches Virus klinisch entwickelt | Universitätsklinikum Tübingen (uni-tuebingen.de).

(15) Vgl. Steffen Albrecht/Harald König/Arnold Sauter: Genome Editing am Menschen, hrsg. vom Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag, Berlin 2021. – online verfügbar.

(16) vgl. Home – AMR Industry Alliance.

(17) VDMA (Hrsg.): Brancheportrait Pharmamaschinen, Frankfurt/Main 31.01.2022: online verfügbar.

(18) Vgl. BDI, Strategie für die industrielle Gesundheitswirtschaft, März 2021, S. 73, online verfügbar.