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Attraktive Arbeitswelten

Ein Viertel aller Erwerbstätigen in Deutschland ist älter als 55 Jahre. Diese Menschen werden dem Arbeitsmarkt im Laufe des kommenden Jahrzehnts nicht mehr zur Verfügung stehen; qualifizierter Nachwuchs fehlt. Schon heute haben alle Branchen Schwierigkeiten, offene Stellen neu zu besetzen – auch die pharmazeutische Industrie. Im Wettbewerb um die fähigsten Köpfe werden sich deshalb die Unternehmen mit den besten Arbeitsbedingungen durchsetzen.

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Frau hält ihre Brille in der Hand und sitzt mit ihrem Laptop auf dem Schoß auf einem Tisch. Hinter ihr junge Kolleg:innen.

Der Bevölkerungsanteil von Menschen älter als 55 Jahre ist innerhalb des letzten Jahrzehnts um mehr als 3,5 Millionen Personen gewachsen. Die meisten Angehörigen dieser Kohorte sind nach wie vor erwerbstätig: Zuletzt übten drei von vier Personen in der Altersgruppe 55 plus einen Beruf aus – im Vergleich zur Jahrtausendwende hat sich dieser Anteil verdoppelt. Allerdings ging im selben Zeitraum die Zahl der Erwerbspersonen im Alter zwischen 20 und 54 Jahren um 1,3 Millionen Personen zurück. Diese demografische Lücke stellt Unternehmen nun vor die Herausforderung, für die bald in den Ruhestand gehenden Berufstätigen qualifizierten Nachwuchs zu finden.

In Berufen, die schon heute von Personalengpässen betroffen sind, wird sich die Situation aller Voraussicht nach in den nächsten zehn Jahren weiter verschärfen: Schätzungen gehen davon aus, dass rund zwei Millionen Menschen in den Ruhestand gehen werden, ohne dass diese durch Nachwuchs in ausreichender Zahl ersetzt werden können.(1)

Im europäischen Vergleich liegt Deutschland damit nahe am Durchschnitt: Auf 100 Personen im Alter zwischen 60 und 64 Jahren – also kurz vor dem Renteneintritt – kommen deutschlandweit derzeit 82 Personen im Berufseinstiegsalter zwischen 20 und 24 Jahren. Im Ranking der EU-Mitgliedstaaten belegt Deutschland damit noch den 14. Platz. Doch schon jetzt ist absehbar, dass Deutschland in den kommenden Jahren überdurchschnittlich rasch altern wird.

Senioriger Manager blickt aus FensterSo stehen derzeit 100 Personen im Alter von 55 und 59 Jahren nur noch 59 Personen im Alter zwischen 15 und 19 Jahren gegenüber; für 100 Personen im Alter zwischen 50 und 54 Jahren sind es nur noch 56 im Alter zwischen 10 und 14 Jahren – europaweit sind dies die ungünstigsten Werte.(2) Auch die pharmazeutische Industrie steht vor der Aufgabe, geeignete Fachkräfte in ausreichender Zahl ausbilden und beschäftigen zu können, um im globalen Wettbewerb erfolgreich zu bleiben.

Das geht am Ende nur, wenn die Industrie hervorragende Arbeitsbedingungen anbietet und die Produktivität weiter steigert. Parallel dazu müssen Voraussetzungen und Anreize für eine höhere Erwerbsbeteiligung geschaffen und die Zuwanderung erleichtert werden.

Hohes Qualifikationsniveau

Für die kommenden Herausforderungen ist die pharmazeutische Industrie gut gerüstet: Die innovative Branche ist am Standort Deutschland auf die Entwicklung und Produktion komplexer Wirkstoffe und Arzneimittel spezialisiert. Entsprechend hoch ist das Qualifikationsniveau der Belegschaften: 41 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten gehen Spezialist:innen- und Expert:innentätigkeiten nach, die vielfach mit akademischen Qualifikationen verbunden sind. Knapp die Hälfte sind Fachkräfte mit anerkannter Berufsausbildung. Dagegen ist im industriellen Durchschnitt weniger als ein Drittel der Beschäftigten auf dem Qualifikationsniveau von Spezialist:innen oder Expert:innen tätig, fast 60 Prozent gehören zu den Fachkräften.

Eine Produktionsmitarbeiterin im Schutzanzug inspiziert einen Tank zur Herstellung von BiopharmazeutikaKnapp ein Viertel der Pharma-Beschäftigten ist mit Forschung und Entwicklung befasst, etwa ein Drittel arbeitet in einem Produktionsberuf. Der Rest verteilt sich auf Tätigkeiten der Unternehmenssteuerung, des Handels und der IT.(3) . Die Branche mit ihren modernen Berufsbildern bietet entsprechend attraktive Karrieremöglichkeiten, insbesondere für Frauen. Der Frauenanteil in der pharmazeutischen Industrie beträgt 49 Prozent – in der Industrie insgesamt ist es ein Viertel.

Die Altersstruktur ist in den pharmarelevanten Berufen etwas günstiger als in anderen Wirtschaftszweigen. Nur ein Fünftel aller der Belegschaften ist 55 Jahre oder älter – unabhängig vom Qualifikationsniveau.

Dennoch konnte fast jede fünfte Stelle in pharmarelevanten Berufen im Jahr 2021 nicht qualifiziert besetzt werden. Besonders herausfordernd war dies in IT-Berufen – hier blieben 44 Prozent der offenen Stellen vakant. Es mangelte vor allem an Informatiker:innen und Softwareentwickler:innen.(4) In Forschung und Entwicklung fehlten Apotheker:innen und Pharmazeut:innen; in den Produktionsbereichen fiel die Stellenbesetzung bei Expert:innen für Elektrotechnik und Auto­matisierungstechnik sowie Mechatronik besonders schwer.

Arbeitsplätze für die besten Köpfe

Die Unternehmen der pharmazeutischen Industrie werden künftig in großer Konkurrenz um die besten Köpfe des Landes stehen. Die demografische Entwicklung wird einen strukturellen Wandel anstoßen, in dem nur jene Branchen bestehen, die Expert:innen aus aller Welt nicht nur attraktive Arbeitsbedingungen und moderne Berufsbilder anbieten können, sondern auch ein international wettbewerbsfähiges Profil vorweisen.

Damit dies gelingt, müssen die Firmen weitere Anstrengungen unternehmen, um benötigte Fachkräfte selbst auszubilden und die eigene Belegschaft kontinuierlich weiter zu qualifizieren. Auch bedarf es flexibler Arbeitsmodelle, um noch attraktiver für Kolleg:innen zu werden, die zunehmenden Wert auf die Vereinbarkeit von Beruf und Familie legen. Eine weitere Internationalisierung der Belegschaft ist notwendig, um zusätzliche Expert:innen aus dem Ausland zu gewinnen, aber auch, um die Kreativität und Innovationskraft in den Belegschaften zu steigern.

Im Wettbewerb um gut qualifiziertes Personal zählen die Lohn- und Gehaltsstrukturen, aber auch die persönlichen Karriere- und Aufstiegsmöglichkeiten. Zentral sind gleiche Entwicklungschancen und eine leistungsgerechte Entlohnung.

Moderne Strukturen schaffen

Die Beschäftigung von älteren Menschen zu fördern und die Erwerbsbeteiligung von Frauen zu erhöhen – vor allem auf den gehobeneren Qualifikationsniveaus: Beides mobilisiert vorhandene Reserven auf dem Arbeitsmarkt. Zwar ist im europäischen Vergleich die Erwerbsbeteiligung von Frauen nur in den Niederlanden und Schweden höher als in Deutschland. Doch fast die Hälfte der Frauen hierzulande arbeitete im Jahr 2020 in Teilzeit, zumeist unfreiwillig. Damit sinken auch deren Chancen auf einen beruflichen Aufstieg.(5)

Unternehmen setzen bereits heute vermehrt auf flexible Arbeitszeiten und eine gute Vereinbarkeit von Beruf und Familie – und sollten diese Strategie konsequent weiterführen, um die Arbeit in Vollzeit für alle Erwerbstätigen zu ermöglichen. Dabei hilft auch ein gutes Betreuungsangebot für Kinder, das nach wie vor häufig fehlt.

Frau die Telefoniert am Arbeitsplatz mit Kleinkindind im Arm welches auf dem Tisch sitzt.Familienarbeit ist zudem ein häufiges Hindernis für berufliche Karrieren. Gerade das Potenzial überwiegend in Teilzeit beschäftigter Frauen kann besser genutzt werden, wenn beispielsweise Modelle des Führens in Teilzeit verstärkt zur Förderung von Frauen in Führungspositionen mitgedacht werden. Dafür braucht es Anstrengungen auf Ebene der Unternehmen. Aber auch die öffentliche Hand steht für die Bereitstellung von Infrastrukturen in der Pflicht. So sollten unter anderem Anreizstrukturen im Steuersystem kritisch geprüft werden, die aktuell noch Teilzeitmodelle begünstigen.

Erwerbsbeteiligung und Produktivität

Die Einbindung älterer Beschäftigter erfordert ein Umdenken hinsichtlich altersgerechter Arbeitsbedingungen. Neben vermehrten Teilzeitmöglichkeiten, flexibleren Arbeitszeitmodellen und Urlaub spielt auch bei älteren Beschäftigten die Vereinbarkeit von Beruf und Familie eine Rolle, damit diese nicht vor Erreichen des gesetzlichen Renteneintrittsalters aus ihrem Beruf ausscheiden.

Dies gilt auch für die Qualifikation: Weiterbildungsangebote sind auf die Bedürfnisse älterer Beschäftigter zuzuschneiden, nicht zuletzt, um der zunehmenden Digitalisierung und Automatisierung Rechnung zu tragen. Dies kann auch durch die öffentliche Hand unterstützt werden: Im Zuge des strukturellen Wandels müssen Beschäftigte vieler Branchen auf neue Tätigkeiten vorbereitet werden. Die Instrumente der Arbeitslosenversicherung sollten die neu benötigten Qualifikationsstrukturen angemessen berücksichtigen – beispielsweise kann ein Qualifikations- oder Übergangsgeld gewährt werden, das Beschäftigten die Weiterqualifikation während Phasen der Kurzarbeit oder bei Arbeitslosigkeit ermöglicht.(6)

Zuwanderung von Fachkräften

Die arbeitsmarktökonomische Bedeutung internationaler Fachkräfte wird in Deutschland weiter steigen. Qualifizierte Zuwanderung muss deshalb durch geeignete institutionelle Rahmenbedingungen flankiert werden.

Die Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen ist im Berufsqualifikationsgesetz aus dem Jahr 2012 geregelt sowie in dem 2020 in Kraft getretenen Fachkräfteeinwanderungsgesetz verankert. Beides erleichtert die Erwerbsmigration von Fachkräften aus nicht-europäischen Drittstaaten, vor allem für Fachkräfte mit beruflicher Qualifikation. Auch wenn damit die Potenziale der bereits in Deutschland lebenden Menschen mit Migrationshintergrund gehoben wurden – um den in Zukunft fehlenden Fachkräftebedarfen in der deutschen Wirtschaft zu begegnen, sind umfangreichere Maßnahmen nötig.(7)

Bei konsequenter Nutzung der vorhandenen digitalen Möglichkeiten lassen sich Verfahrensabläufe optimieren und die Potenziale des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes besser ausschöpfen. Neben der Zuwanderung bereits ausgebildeter Fachkräfte ist die Zuwanderung über das Bildungssystem ein weiterer Schritt zur Fachkräftesicherung. Zwar würden die Ausbildungskosten für 100.000 zusätzliche Studierende aus dem Ausland, vor allem in MINT-Studiengängen, mit jährlich etwa 0,7 Milliarden Euro zu Buche schlagen. Mittelfristig jedoch zahlt sich dies in Form deutlich höherer Einnahmen der öffentlichen Hand und einem steigenden Arbeitskräfteangebot in den von Engpässen betroffenen Berufen aus.(8)

Quellen:

(1) Koneberg, F., Jansen, A. (2022). Ältere am Arbeitsmarkt: Herausforderungen und Chancen für die Fachkräftesicherung, KOFA-Studie Nr. 1/2022, online verfügbar.

(2) Geis-Thöne, W. (2022). Zuwanderung aus Indien: Ein großer Erfolg für Deutschland: Entwicklung und Bedeutung für die Fachkräftesicherung, IW-Report Nr. 1/2022, online verfügbar.

(3) Kirchhoff, J., Milan, L., Schumacher, S. (2022). Pharmaindustrie im Wandel: Fachkräftebedarfe in Zeiten transformatorischer Herausforderungen. IW-Trends-Vierteljahresschrift zur empirischen Wirtschaftsforschung Nr. 49 (2), S. 97–116, online verfügbar.

(4) Ebd.

(5) Bundesagentur für Arbeit, 2022, Die Arbeitsmarktsituation von Frauen und Männern 2021, Berichte: Blickpunkt Arbeitsmarkt, Juli 2022, Nürnberg, online verfügbar.

(6) Weber, E. (2021). Zu Mindesthöhe und Qualifizierung beim Kurzarbeitergeld: Stellungnahme des IAB zur öffentlichen Anhörung im Ausschuss für Arbeit und Soziales des Deutschen Bundestags am 1.3. 2021, IAB-Stellungnahme Nr. 2/2021, online verfügbar.

(7) Pierenkämper, S., Hickmann, H., Jansen, A. (2022) Internationale Fachkräfte aus Drittstaaten – zwei Jahre Fachkräfteeinwanderungsgesetz, KOFA Kompakt, Nr. 3.

(8) Plünnecke, A. (2021). Herausforderung Demografie Bildung, Zuwanderung und Innovation stärken (No. 48/2021). IW-Kurzbericht, online verfügbar.