Drucken
öffnen / schließen
Wenn Sie diese Felder durch einen Klick aktivieren, werden Informationen an Facebook, Twitter oder Google in die USA übertragen und unter Umständen auch dort gespeichert. Näheres erfahren Sie hier: https://www.heise.de/ct/artikel/2-Klicks-fuer-mehr-Datenschutz-1333879.html

#MacroScopePharma 11/24

Der Economic Policy Brief des vfa



Wirtschaftspolitische Unsicherheit: Investitionen bleiben aus


Deutschland braucht Klarheit in der wirtschaftspolitischen Ausrichtung. Die Unsicherheit über die künftige Geschäftsgrundlage belastet die Investitions- und Ausgabenbereitschaft der Unternehmen und Haushalte erheblich. Der Schaden der Vertrauenskrise summiert sich allein im Jahr 2024 auf rund 20 Milliarden Euro. Dass jetzt die Ampel-Koalition an den Verhandlungen zum Bundeshaushalt gescheitert ist, dürfte die Unsicherheit zusätzlich verschärfen. Deshalb ist es wichtig, schnell Signale des Aufbruchs an die Wirtschaft zu senden. Dass eine klare politische Kommunikation positiv wirkt, zeigt das Beispiel der Pharmastrategie.

Wirtschaftspolitische Unsicherheit in Deutschland seit geraumer Zeit hoch

Gemessen am sogenannten Economic Policy Uncertainty Index ist die Unsicherheit global, in Europa und Deutschland in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten gestiegen (Abbildung 1). Deutliche Zuwächse gab es zunächst in der Finanz-, der darauffolgenden Euro- und in besonderem Maß während der Coronakrise. Auch wenn die Unsicherheit nach dem Abebben der Coronapandemie zunächst gesunken ist: Infolge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine und der daraufhin einsetzenden Energiekrise kam es immer wieder zu starken Anstiegen geopolitischer Unsicherheit. Bemerkenswert ist, dass sich die Unsicherheit in Deutschland nach einer langen Phase des Gleichlaufs von der Entwicklung im übrigen Europa und der Welt abgekoppelt hat und nun auf erheblich höherem Niveau schwankt.

Dies trifft – abgesehen von leichten Unterschieden im Timing – für verschiedene Unsicherheitsmaße zu (Abbildung 2). Betrachtet man das jeweilige Unsicherheitsmaß für Deutschland im Vergleich zur EU, so zeigt sich in der Vergangenheit ein nur geringer Unterschied – wenn es Unterschiede gab, war die Unsicherheit in Deutschland meist geringer als in Europa. Seit einigen Jahren hat sich dies jedoch gedreht. Die wirtschaftspolitische Unsicherheit stieg in Deutschland etwa seit Herbst 2021 deutlich stärker als ohnehin in der EU. Die Schwierigkeiten, aus unternehmerischer Sicht Entscheidungen zu treffen (gemessen am Dispersionsindex sowie dem Volatilitätsmaß), nahmen bereits gegen Ende des Jahres 2017 spürbarer zu als in unseren Nachbarländern (blaue und grüne Linien in der Abbildung). Die Umfrage der EU zur Planbarkeit unternehmerischer Entscheidungen stützt diesen Befund: Seit dies ergänzend in den Unternehmen abgefragt wird, liegen die Angaben deutscher Unternehmen deutlich oberhalb des EU-Durchschnitts.

Deutsche Industrien unterschiedlich betroffen – Pharma im Vergleich robust

Die Unsicherheit in der deutschen Industrie ist seit der Coronakrise außergewöhnlich hoch und hält sich hartnäckig (Abbildung 3). Dabei fallen vor allem die Automobilbranche und der Maschinenbau ins Gewicht. Diese sind besonders exportorientiert und haben angesichts der erheblichen Veränderungen auf den Weltmärkten teilweise großen strukturellen Anpassungsbedarf.

Die hohe Unsicherheit setzt sich allerdings in der Breite der Industrie fort. Alle Branchen sind betroffen (Abbildung 4), wobei in den Jahren 2023/24 die zinsreagiblen Bereiche (in der Abbildung mit einem (z) hervorgehoben) und die energieintensiven Sektoren (in der Abbildung mit (e) hervorgehoben) hervorstechen. Besonders hoch ist die Unsicherheit mit Blick auf die Lageeinschätzung (linke Spalte in der Abbildung), die Nachfragesituation und die Auftragslage (und hier vor allem die inländische). Bei Einschätzungen der Exportperspektiven (rechte Spalte) fällt die Unsicherheit geringer aus – die Ursachen der erhöhten Unsicherheit liegen vor allem im Inland und lasten auf der derzeitigen Lage, wohingegen sich die Erwartungen etwas positiver darstellen.

Die Pharmaindustrie weist eine im Vergleich mit den meisten anderen Industriezweigen geringere Unsicherheit auf. Gerade bei den so wichtigen Geschäftserwartungen hebt sich die Branche positiv vom Rest des verarbeitenden Gewerbes ab.

Gesamtwirtschaftliche Wirkung der Unsicherheit beträchtlich

Um zu messen, wie sich die außergewöhnlich hohe Unsicherheit wirtschaftlich niederschlägt, wird im Rahmen geeigneter Modelle (vgl. Box 2) untersucht, wie die privaten Ausrüstungsinvestitionen und der private Konsum auf die steigende Unsicherheit reagieren. Ein „normaler“ Anstieg der Unsicherheit wirkt dämpfend – die Investitionen liegen dadurch gut einen halben Prozentpunkt niedriger. Je nach Modell – insbesondere abhängig von der Wahl des Unsicherheitsmaßes – fällt die Reaktion stärker oder schwächer aus. Ein typischer Verlauf ist in Abbildung 5 dargestellt. Nach anfangs deutlicher Investitionszurückhaltung nähert sich das Ausgabeverhalten allmählich wieder dem normalen Niveau (dargestellt durch die Nulllinie). Häufig tritt in den Modellen die „Spitze“ im unmittelbar folgenden Quartal nach der gestiegenen Unsicherheitauf, was sich dann vollzieht, wenn aufgrund erhöhter Unsicherheit einige Projekte lediglich verzögert werden. Alles in allem entfallen aber Investitionen, die ansonsten getätigt worden wären.

Wenn sich bei derart geringen Anstiegen der Unsicherheit bereits messbare Effekte ergeben, so dürfte die aktuell außergewöhnlich hohe Unsicherheit entsprechend stark wirken. Auch dies hängt vom verwendeten Unsicherheitsmaß ab, allerdings auch davon, welches Niveau an Unsicherheit als normal erachtet wird. Beispielsweise beim Dispersions-Index der ifo-Produktionserwartungen ist ersichtlich (vgl. Abbildung 3), dass im Zuge von Finanz- und Eurokrise die Unsicherheit zwischen 2009 und 2013 deutlich erhöht war. Wird als Phase „normaler“ Unsicherheit der darauffolgende Zeitraum bis zum erneuten Ausbrechen höherer Unsicherheit ab 2018 betrachtet, so lag in den vergangenen zwei Jahren die Unsicherheit (mit einem Wert von im Schnitt 62 Punkten) siebeneinhalbmal höher. Auch bei anderen Maßen ergeben sich entsprechend deutliche Ausschläge und über alle Modelle hinweg signalisiert dies um vier Prozent geringere Investitionen in private Ausrüstungen (Abbildung 6). Derzeit (im Mittel der ersten drei Quartale 2024) liegen diese Investitionen fast sechs Prozent unter dem Vorjahresniveau – ein guter Teil dieses Rückganges wird somit durch die außergewöhnliche Unsicherheit getrieben.

Für den privaten Konsum ergibt sich analog ein um ein halbes Prozent geringeres Niveau aufgrund der derzeit hohen Unsicherheit. Zum Vergleich: Im Mittel der ersten drei Quartale dieses Jahres lag der reale private Konsum um 0,15 Prozent niedriger als im vergangenen Jahr – ohne erhöhte Unsicherheit wäre er um gut ein Drittel Prozent gestiegen.

All dies misst zunächst nur die direkten Effekte, die Unsicherheit auf Investitionen und den privaten Konsum entfaltet. Das vfa-Deutschlandmodell, das gesamtwirtschaftliche Wirkungen berücksichtigt, ergibt für dieses Jahr alles in allem eine um rund ein Drittel Prozent geringere Wirtschaftsleistung bei etwas gedämpfter Teuerung (um 0,15 Prozentpunkte) – in jeweiligen Preisen entspricht dies Einbußen in Höhe von rund 20 Milliarden Euro in diesem Jahr. Für das kommende Jahr fallen die realen Auswirkungen geringer aus (-0,05 Prozentpunkte beim realen Bruttoinlandsprodukt), insgesamt ergeben sich dennoch Verluste in Höhe von sechs Milliarden Euro. Die Zahl der Erwerbstätigen wird in beiden Jahren um 8000 bzw. knapp 20.000 Personen geringer ausfallen als ohne Unsicherheit.

Wirtschaftspolitische Weichen stellen – Unsicherheit reduzieren

Die Wachstumsschwäche ist zumindest in Teilen hausgemacht. Der Einfluss der wirtschaftspolitischen Unsicherheit auf die wirtschaftliche Aktivität ist derzeit beträchtlich. Konsum und Investitionen werden gedämpft – die Ausgaben fehlen für die Modernisierung des Standorts. Dies wiederum hat Rückwirkungen auf die schon jetzt angespannte Lage der Sozialversicherungen. Die Einnahmen der gesetzlichen Krankenversicherung dürften in diesem und im kommenden Jahr unsicherheitsbedingt rund zwei Milliarden Euro geringer ausfallen.

Die Verunsicherung ist allerdings schon seit geraumer Zeit hoch und spiegelt den Bedarf der Akteure nach klaren wirtschaftspolitischen Weichenstellungen wider. Denn die strukturellen Schwächen und Herausforderungen des Standorts werden mit jedem Tag eines Schwebezustands größer. Gefragt ist deshalb eine klare industrie- und finanzpolitische Ausrichtung: Diese muss Investitionen in Innovationen und Hightech-Anlagen priorisieren und deutliche Signale an die Wirtschaft senden, damit die Standortbedingungen in Deutschland und Europa an Wettbewerbsfähigkeit gewinnen. Wichtige erste Maßnahmen wären weitere Verbesserungen bei der Forschungszulage und den Abschreibungsmöglichkeiten für Investitionen, so wie dies im Wachstumspaket aus dem Sommer vorgesehen war. Dazu gehört auch eine moderne und funktionsfähige Infrastruktur. Dass eine solche Politik Wirkung entfalten kann, zeigen erste Ergebnisse bei der Umsetzung der Pharmastrategie der Bundesregierung. Diese fortzusetzen und die nächsten Schritte zu gehen, wäre deshalb konsequent. Planungssicherheit, Verlässlichkeit und eine auf die Modernisierung des Landes ausgerichtete Wirtschaftspolitik sind gefragt.

Nicht zu vernachlässigen ist auch die Größe des Heimatmarkts. Die USA und China setzen auf die Anziehungskraft ihrer Märkte. Eine Chance für Europa wäre es, den größten gemeinsamen Wirtschaftsraum für Hightech-Produkte und Innovationen zu bilden. Die Ansätze der sich neu konstituierenden Europäischen Kommission sind im Grundsatz richtig. Viele Impulse des Draghi-Berichts sollten aufgegriffen werden. Auch deshalb wäre es gut, schnell eine handlungsfähige Regierung in Deutschland zu bilden, um in den relevanten Diskussionen auf europäischer Ebene gut aufgestellt zu sein.

Fußnoten:

(1) SVR Wirtschaft (2024): Versäumnisse angehen, entschlossen modernisieren, Jahresgutachten, Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, online verfügbar.

(2) Institut der Deutschen Wirtschaft (2024): Fachkräftemangel: Hemmschuh für den Pharmastandort Deutschland, Studie im Auftrag des vfa, online verfügbar.

(3) Bloom, N. (2009): The Impact of Uncertainty Shocks,” Econometrica, vol. 77(3) und Rieth, M., C. Michelsen und M. Piffer (2016): Unsicherheitsschock durch Brexit-Votum verringert Investitionstätigkeit und Bruttoinlandsprodukt im Euroraum und Deutschland, DIW Wochenbericht 32+33, online verfügbar.

(4) Baker, S.R., N. Bloom, and S. J. Davis (2016): Measuring economic policy uncertainty, Quarterly Journal of Economics, vol. 131 (4) und Davis, S. J. (2016): An Index of Global Economic Policy Uncertainty, NBER Working Papers 22740 online verfügbar; die Daten sind ebenfalls online verfügbar.

(5) Bachmann, R., Elstner, S. und Sims, E. (2013): Uncertainty and economic activity: evidence from business survey data, American Economic Journal.: Macroeconomics, vol. 5(2).

(6) Die monatlichen Daten beginnen im April 2019 und sind auf der Webseite der DG ECFIN zu den Ergebnissen der Unternehmens- und Verbraucherumfragen verfügbar; vgl. auch Europäische Kommission (2021): European Business Cycle Indicators, 3rd Quarter 2021, European Economy Technical Papers 521, Oktober 2021, online verfügbar und Verwey, M., Morice, F., Reuter, A. und Gayer, C. (2021): A new survey-based measure of economic uncertainty, online verfügbar.

(7) Christian Grimme (2017), Messung der Unternehmensunsicherheit in Deutschland – das ifo Streuungsmaß, ifo Schnelldienst, 2017, Nr. 70/15.

Autor:

Dr. Claus Michelsen
Geschäftsführer Wirtschaftspolitik
Dr. Claus Michelsen

Telefon 030 20604-120

c.michelsen@vfa.de

Co-Autor:

Dr. Simon Junker
Senior Manager Konjunkturpolitik
Dr. Simon Junker

Telefon 030 20604-511

s.junker@vfa.de

Pressekontakt:

Henrik Jeimke-Karge
Pressesprecher Wirtschaftspolitik
Henrik Jeimke-Karge

Telefon 030 20604-205

h.jeimke-karge@vfa.de