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#MacroScopePharma 02/23

Der Economic Policy Brief des vfa



Strukturwandel: Pharma als Schlüssel für künftigen Wohlstand


Deutschlands industrielle Struktur steht vor einem großen Wandel. Die Energiewende, die Digitalisierung und die Demographie verändern das Geschäftsmodell der Wirtschaft grundlegend. Um im globalen Standortwettbewerb bestehen zu können, bedarf es Schlüsselindustrien wie der Pharma-Branche, die hochproduktiv, ressourcenschonend, innovativ und zugleich mit großer technologischer Strahlkraft versehen sind. Sie kompensieren die Nachteile einer alternden Gesellschaft. Ihnen muss das Augenmerk einer gezielten Industriepolitik gelten.

Deindustrialisierung schreitet voran

Zwar liegen die größten Herausforderungen noch vor uns – allerdings hat in den vergangenen Jahren bereits ein erheblicher Strukturwandel eingesetzt. In vielen Industrieländern schreitet ihrer Bezeichnung zum Trotz seit Jahrzehnten eine Deindustrialisierung voran. Damit gehen diese Länder den Weg hin zu einer wissensbasierten Wirtschaftsstruktur, die häufig mit einer höheren Spezialisierung hin zum Dienstleistungssektor einhergeht. Denn eine Orientierung auf wissensintensive Branchen ist eine Voraussetzung für höheres Produktivitätswachstum(1) und anhaltende Wettbewerbsfähigkeit.

Deutschland dagegen hat sich seinen industriellen Kern bewahrt: Das verarbeitende Gewerbe trägt, von konjunkturellen Schwankungen abgesehen, stabil rund 22 Prozent zur gesamten Wirtschaftsleistung bei:

Deutschland verliert damit aber keineswegs den Anschluss im globalen Strukturwandel. Innerhalb der Industrie kam es hierzulande zu deutlichen Verschiebungen. In Deutschland findet der Strukturwandel also auch statt, aber mit einem anderen Schwerpunkt: Anstelle einer Verlagerung hin zu den Dienstleistungen verschiebt sich in Deutschland die Wertschöpfung in die wissensintensiven Industrien. Branchen wie die Textilindustrie sind kaum wissensbasiert(2) und schwinden in der Folge (Abbildung 2). Dagegen gewinnen Schlüsselbranchen an Bedeutung – darunter die Pharmaindustrie.

Seit den 1990er Jahren verzeichnet die Pharmabranche einen Aufwärtstrend. In den vergan-genen Jahren schwankte ihr Wertschöpfungsanteil zuletzt zwischen 0,8 und 0,9 Prozent an der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung. Zum Vergleich: Der Wert für die Automobilindustrie liegt im Schnitt bei 4,2 Prozent, derjenige der Chemieindustrie bei 1,6 Prozent.

Mit einem nahezu konstanten Wertschöpfungsanteil im vergangenen Jahrzehnt schneidet die Pharmabranche im Industrievergleich dennoch gut ab. So haben seit der Finanzkrise(3) nur drei Branchen ihren Anteil steigern können (Abbildung 3), in den meisten Branchen ging es bergab. Jüngst dürfte die Pharmaindustrie ihre Wertschöpfung zudem überdurchschnittlich ausgeweitet haben. Und ohnehin spiegelt der Wertschöpfungsanteil nicht die wirtschaftliche Bedeutung der Branche in vollem Umfang wider.

Ökonomischer Fußabdruck misst Ausstrahleffekte auf alle Branchen

Alle Wirtschaftszweige sind miteinander verwoben, und diesen Verflechtungen trägt der ökonomische Fußabdruck Rechnung. Er misst die wirtschaftliche Aktivität, die insgesamt bei einem Wegfall eines Industriezweiges ausfallen würde. Neben den direkten Beiträgen einer Branche zu Produktion und Wertschöpfung - so wie oben skizziert - kommen diejenigen hinzu, die in vorgelagerten Stufen angeregt werden. In der Pharmaindustrie sind es beispielsweise für die eigene Produktion benötigte Vorprodukte aus der chemischen Industrie. Dabei ist zu beachten, dass Industrien über ihren Kernbereich hinaus noch in weiteren Feldern tätig sind - besonders die Pharmabranche, die allen voran Forschung und Entwicklung betreibt.(4)

Der ökonomische Fußabdruck fasst schließlich beides zusammen: Zu einem Produktionswert der Pharmaindustrie von 55 Milliarden Euro im Jahr 2019 (aktuellere Daten liegen noch nicht vor) kamen gut 24 Milliarden in vorgelagerten Produktionsstufen angeregte Produktion hinzu (Abbildung 4). Insgesamt entspricht dies 1,2 Prozent der deutschen Produktionsleistung. Mit der Wertschöpfung (nicht in der Abbildung enthalten) verhält es sich ebenso: Zu 26 Milliarden Euro direktem Effekt kommen indirekt elf Milliarden Euro hinzu. Der Gesamteffekt ist also ebenfalls fast anderthalb Mal so groß (Faktor 1,43) und liegt auch bei 1,2 Prozent des Gesamtwertes der deutschen Wertschöpfung.

Pharma: Auch für die übrigen Wirtschaftszweige immer bedeutender

Die Pharmabranche hat ihre Position als Schlüsselindustrie mehr und mehr gefestigt: Sie wird bedeutender für den Arbeitsmarkt(5) – besonders für Hochqualifizierte und darunter auch zunehmend für Frauen(6) , für den Fiskus – aber eben auch für Unternehmen im In- und Ausland. Ihr ökonomischer Fußabdruck, also ihre Bedeutung für die gesamte heimische Wirtschaft, weist insgesamt einen leicht positiven Trend auf (Abbildung 5). Dies gilt zumindest für die Produktion: Der Fußabdruck der Pharmaindustrie ist um gut einen Zehntel Prozentpunkt gestiegen. Die Automobilindustrie hat nach diesem Maßstab drei Zehntel verloren.

Relevanter ist aber der Fußabdruck bezogen auf die Wertschöpfung. Hier konnte die Pharmabranche ihren Anteil mit einer schwarzen Null halten, die Kfz-Industrie hat nach diesem Maß etwas an Bedeutung gewonnen (plus zwei Zehntel) – deutlich weniger aber als es der Blick auf die reinen Wertschöpfungsanteile (s. Abbildung 3) nahelegte. In den letzten Jahren hingegen ist der Fußabdruck stetig gesunken. Dies hängt auch mit den strukturellen Problemen im Automobilsektor zusammen.(7)

Nach wie vor bleibt – gemessen am ökonomischen Fußabdruck (bezogen auf die Wertschöpfung) wenig überraschend – die Automobilindustrie Spitzenreiter. Während aber nahezu alle übrigen Industriebranchen an Bedeutung verloren haben, stechen wiederum nur die IT-Industrie (WZ26) und Pharma mit leichten Zugewinnen heraus (Abbildung 4).

Es sind primär die wissensintensiven Branchen, die zulegen, während die nicht-wissensbasierten Branchen auf dem Rückzug sind : Gemessen am Anteil der Investitionsausgaben in Patente und geistiges Eigentum an der jeweiligen Wertschöpfung gehören alle Industriezweige mit sinkendem Fußabdruck zu den nicht-wissensbasierten – ihr Investitionsanteil liegt unter zehn Prozent. Dagegen gewinnen die stärker wissensbasierten Bereiche an Bedeutung.

Woher kommt das Wachstum in der Zukunft?

Die Wirtschaftspolitik muss heute die Frage beantworten, woher künftig das Wachstum in Deutschland und Europa kommen soll. Bereits in den vergangenen Jahren hat ein schleichender Strukturwandel die deutsche Industrielandschaft verändert. Der Veränderungsdruck wird in den kommenden Jahren erheblich steigen.

Dabei wäre es ein großer Fehler, allein auf die etablierten und großen Industriezweige in Deutschland zu setzen. Allen voran der Automobilbau kompensierte in den 2010er-Jahren den schleichenden Niedergang anderer Industrie-zweige. Es ist aber äußerst zweifelhaft, ob dies angesichts der massiven Verschiebungen im Mobilitätsbereich in den kommenden Jahren weiterhin der Fall sein wird. Vielmehr ist zu erwarten, dass angesichts des starken Ausbaus der Elektromobilität mit seinen deutlich weniger komplexen Fahrzeugtechnik der ökonomische Fußabdruck der Branche sinken wird. Ähnlich unter Druck geraten energieintensive Branchen oder jene, die sehr arbeitsintensiv und wenig produktiv sind.

Doch allzu oft liegt das Augenmerk der Politik allein auf Wirtschaftszweigen in Schwierigkeiten und dabei werden die Chancen des Strukturwandels vernachlässigt. Denn für den Wandel sind produktive Industrien in Wachstumsmärkten gefragt, deren Technologiezyklen jung, deren Digitalisierungspotenziale groß sind und deren Wertschöpfung grün ist. Hier sticht Pharma als Schlüsselindustrie hervor. Diese zu unterstützen muss ein Primat einer aktiven und transformationsfördernden Industriepolitik sein.

Fußnoten:

(1) Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (2019): Jahresgutachten – Den Strukturwandel meistern, online verfügbar.

(2) Vgl. die Kategorisierung in (Nicht-)wissensintensive Wirt-schaftszweige in: Kowalewski, Julia und Stiller, Silvia (2009), „Strukturwandel im deutschen Verarbeitenden Gewerbe“, Wirtschaftsdienst, 89. Jahrgang, Heft 8, online verfügbar.

(3) Betrachtet wird der Zeitraum 2011 bis 2019, für den Eurostat vollständige Input-Output-Tabellen auf Länderbasis zur Verfügung stellt und die im Folgenden genauer untersucht werden.

(4) Vgl. MacroScope Pharma Economic Policy Brief 2022/09: „Ökonomischer Fußabdruck: So strahlt Pharma in andere Wirtschaftsbereiche aus“, und dort Abbildung 1, online verfügbar.

(5) Vgl. MacroScope Pharma Economic Policy Brief 2022/05: „Sichere Jobs der Zukunft: Qualifikation als Schlüssel“, online verfügbar.

(6) Vgl. MacroScope Pharma Economic Policy Brief 2022/08: „Gender-Pay-Gap: Lohnunterschiede werden allmählich kleiner“, online verfügbar.

(7) Vgl. Gemeinschaftsdiagnose (2020), Wirtschaft unter Schock – Finanzpolitik hält dagegen, online verfügbar.

Autor:

Dr. Claus Michelsen
Geschäftsführer Wirtschaftspolitik
Dr. Claus Michelsen

Telefon 030 20604-120

c.michelsen@vfa.de

Pressekontakt:

Henrik Jeimke-Karge
Pressesprecher Wirtschaftspolitik
Henrik Jeimke-Karge

Telefon 030 20604-205

h.jeimke-karge@vfa.de