#MacroScopePharma 09/23
Der Economic Policy Brief des vfa
Simulation des Wachstumschancengesetzes: Richtung stimmt, Effekte zu gering
Die Bundesregierung sendet mit dem Wachstumschancengesetz die richtigen Signale. Für einen beherzten Schritt, der neuen wirtschaftlichen Schwung für die kommenden Jahre entfaltet, fehlt allerdings die notwendige Entschlossenheit. Simulationen im Rahmen eines gesamtwirtschaftlichen Modells ergeben: Insgesamt reichen die Impulse nicht, um eine konjunkturelle Stabilisierung oder substanzielle Wachstumseffekte zu erzeugen. Einige Maßnahmen wirken zwar schnell, sind deshalb aber auch weniger effizient. Effektive Schritte hingegen sind eher unterdimensioniert. Von allen Maßnahmen entfalten die Impulse für Forschung und Innovation im Vergleich die größte Wirkung je eingesetztem Euro.Der Wirtschaftsstandort Deutschland braucht einen Modernisierungsimpuls
Deutschlands Wirtschaft tritt auf der Stelle. Während in anderen Regionen der Erde die wirtschaftliche Erholung nach der Corona-Krise und dem Schock des russischen Angriffs auf die Ukraine weiter voranschreitet, verharrt Deutschlands Wirtschaftsleistung auf dem Niveau des Jahres 2019. Aktuelle Prognosen(1)
gehen davon aus, dass die deutsche Wirtschaft nach der bis zuletzt anhaltenden Schwächephase weiter an Schwung verliert und sich erst im kommenden Jahr allmählich erholen wird.
Die Gründe hierfür liegen einerseits im inflationsbedingten Kaufkraftentzug bei den privaten Haushalten – ihr Konsum hat spürbar nachgegeben. Andererseits ist es die Schwäche im verarbeitenden Gewerbe: Teile der Industrie mussten wegen des Energiepreisschocks ihre Produktionsleistung drosseln. Die auf Investitionsgüter spezialisierten Wirtschaftszweige bekommen die Folgen global erheblich höherer Zinsen zu spüren, was auch dem Baugewerbe zunehmend zusetzt.
Dabei setzt sich aber auch ein bereits seit dem Jahr 2019 anhaltender Abwärtstrend in der Industrie fort. Vor allem im Automobilsektor zeigten sich schon vor einigen Jahren strukturelle Probleme und eine erheblich veränderte Marktsituation für Automobile mit Verbrennungsmotor(2)
. Dies war scheinbar ein Vorbote für einen nun breiter vorherrschenden Pessimismus gegenüber der Zukunftsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Deutschland. Denn auch die Investitionen in Forschung und Entwicklung sowie die Modernisierung von Maschinen und Anlagen schwächelten im gewerblichen Bereich sichtbar. Dies ist kein gutes Zeichen, denn die heute ausbleibenden Investitionen bedeuten fehlende Wertschöpfung von morgen. Umso wichtiger ist es, den für die Zukunft des Wirtschaftsstandorts Deutschlands bedeutsamen Schlüsselindustrien wie der pharmazeutischen Industrie deutliche Signale zu senden, weiter in Forschung und Entwicklung und in Hightech-Produktionsstätten zu investieren.
vfa-Podcast #MacroScope zum Wachstumschancengesetz
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Mit der konjunkturellen Krise scheint die Bundesregierung nun gewillt, einen fiskalischen Impuls für die Stärkung des Wirtschaftsstandorts zu geben.(3) Eine Modernisierungsagenda wird bereits seit Jahren gefordert. Sie ist angesichts der großen Herausforderungen im Zuge der Energiewende, einer künftig noch digitalisierteren Welt und wegen der demografischen Entwicklung dringend notwendig. Die Investitionsbedarfe allein für den Umbau des Energiesystems werden auf rund 400 Milliarden Euro bis zum Jahr 2030 taxiert.(4) Zahlreiche weitere Bedarfe kommen in den Bereichen der öffentlichen Infrastruktur, Digitalisierung und in der Modernisierung des Maschinen- und Anlagenparks hinzu. Ein Großteil dessen – knapp 90 Prozent – muss durch die private Wirtschaft geleistet werden. Umso wichtiger ist es also, bei dieser Vertrauen in einen wettbewerbsfähigen Wirtschaftsstandort zu wecken.
Wachstumschancengesetz mit richtiger Stoßrichtung
Das nun in den Gesetzgebungsprozess eingebrachte „Gesetz zur Stärkung von Wachstumschancen, Investitionen und Innovation sowie Steuervereinfachung und Steuerfairness“ (Wachstumschancengesetz)(5)
geht dabei in die richtige Richtung: Es regt zu mehr privater Investitionstätigkeit an, auch in dem wichtigen Bereich Forschung und Entwicklung (F&E), der die Produktivität ankurbelt und dadurch eine hohe Zukunftsdividende trägt. Die Effekte fallen allerdings, gemessen an den hohen Bedarfen, gering aus. Sowohl konjunkturell als auch für das längerfristige Wachstumspotenzial sind die Impulse des Programms deutlich zu gering, wie die Simulationen in diesem Beitrag zeigen.
In den kommenden beiden Jahren wird das Wachstum durch das Gesetz nur geringfügig angeschoben (Tabelle 1), danach schmilzt dieser Effekt bereits ab. Konjunkturelle Impulse sind indes bei einem auf Wachstum ausgerichteten Gesetz weder zu erwarten noch das Ziel. Allerdings fallen auch die Auswirkungen auf das Wachstum nur gering aus – und selbst im Rahmen der für das Wachstumschancengesetz eng begrenzten Mittel hätte eine zielgerichtetere Ausrichtung mehr Wirkung entfalten können. Hilfreich wäre ein stärkerer Fokus auf forschungsintensive Bereiche gewesen(6)
. In diesen Sektoren wird – grundsätzlich, aber auch mit den Impulsen des vorliegenden Gesetzes – eine hohe Rendite im Verhältnis zu den eingesetzten staatlichen Mitteln erzielt.
Viele Einzelmaßnahmen sollen Investitionen anregen
Das Wachstumschancengesetz bündelt insgesamt 24 Maßnahmen, die Investitionen anregen sollen. Diese sind sowohl vom Umfang her als auch in ihrer Wirkungsweise äußerst unterschiedlich. Die finanziell bedeutendsten Maßnahmen sind in Tabelle 2 dargestellt und werden im Rahmen der Simulationen separat analysiert. Diese fünf Maßnahmen stehen für gut 80 Prozent des geplanten Finanzvolumens – die übrigen Änderungen werden als Summe im Gesamtpaket berücksichtigt.
Gemessen an den von der Bundesregierung für die kommenden Jahre erwarteten Mindereinnahmen bzw. Mehrausgaben des Wachstumschancengesetzes (kurz: Aufwendungen)(7)
, entfällt der größte Anteil auf den Wechsel von der derzeit linearen hin zu einer degressiven Abschreibungsregel für Ausrüstungsinvestitionsgüter(8)
. Diese Maßnahme ist auf die Jahre 2023 und 2024 befristet, führt aber vor allem in den Jahren 2025 und 2026 zu beträchtlichen Aufwendungen, da die zuvor getätigten Investitionen auch in nachfolgenden Jahren abgeschrieben und diese Abschreibungen wiederum teils verzögert steuerlich geltend gemacht werden können.
Mit großem Abstand folgen zwei Änderungen am Einkommens- beziehungsweise Gewerbesteuergesetz, die die Möglichkeiten des Verlustabzugs für Unternehmen erweitern. An dritter Stelle liegt eine Ausweitung der Forschungsförderung. Ebenfalls mit recht spürbaren Steuermindereinnahmen verbunden ist der Wechsel des Abschreibungsverfahrens bei Bauten, analog zu den Ausrüstungen. Deutlich weniger kostenintensiv ist dagegen das neu aufgelegte Klimaschutz-Investitionsprämiengesetz, das „grüne“ Investitionen fördern soll. Die Wirkungen all dieser Teilmaßnahmen werden explizit in dem hier verwendeten Simulationsmodell berücksichtigt.
Alle anderen Maßnahmen - darunter quantitativ bedeutsam vor allem die Vereinfachung bei der Bewertung geringwertiger Güter, Ergänzungen am Körperschaftsteuergesetz, sowie die verbesserte Sonderabschreibung für kleine und mittelständische Unternehmen werden in einem Posten „übrige Maßnahmen“ zusammengefasst.
Investitionen werden mit dem Wachstumschancengesetz angeschoben
Die beschriebenen Maßnahmen sollen Investitionen anregen und damit Wachstumsimpulse für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung entfalten. Tatsächlich wirken sich die Gesetzesänderungen positiv auf die Investitionstätigkeit aus. Während sich die Veränderungen in den Abschreibungsregeln die unterschiedlichen Zulagen für Unternehmen quasi als Preissenkung für die Investition auswirken, dient beispielsweise die Veränderung bei den Regelungen zum Verlustrücktrag zu Steigerung der Liquidität der Unternehmen, was deren Investitionsspielräume erweitert (für Details siehe Kasten 1).(9)
Die größten Effekte für die Investitionstätigkeit entfalten zunächst die degressiven Abschreibungen bei Ausrüstungen und Bauten (zu den Details der Szenarioanalyse siehe Kasten 2). In den Folgejahren wächst dann der Einfluss der Forschungsförderzulage. Ebenfalls sichtbar zu Buche schlagen der Verlustvortrag und in der Summe die übrigen Maßnahmen, während die Klimaprämie kaum ins Gewicht fällt. Insgesamt steigert das Wachstumschancengesetz das Niveau der Investitionstätigkeit in der Spitze um rund 0,4 Prozent gegenüber einer Situation ohne das entsprechende Paket. Nach einem Zeitraum von fünf Jahren kommt es zu Mehrinvestitionen von insgesamt elf Milliarden Euro (vgl. Abbildung 1, Gesamte Investitionen).
Die einzelnen Investitionsarten werden jeweils von den für sie speziell aufgelegten Maßnahmen am stärksten angeregt: Die degressive Abschreibung für Ausrüstungen schlägt bei eben diesen voll durch. Auch die Maßnahmen zur Verbesserung der Liquiditätsposition der Unternehmen steigern deren Investitionstätigkeit. Die Ausrüstungsinvestitionen werden in ihrem Niveau kurzfristig um bis zu 0,8 Prozent angehoben. Nach fünf Jahren betragen die kumulierten Mehrinvestitionen in bewegliche Wirtschaftsgüter knapp sechs Milliarden Euro (vgl. Abbildung 1, Ausrüstungsinvestitionen). Dass der Impuls des Wachstumschancengesetzes im späteren Verlauf der Betrachtung geringer wird, ist vor allem der Begrenzung der veränderten Abschreibungsregeln auf zwei Jahre geschuldet.
Im Wohnungsbau ist der Effekt wegen der Laufzeit bis September 2029 persistenterer Natur. Die Einführung einer degressiven Abschreibungsregel von sechs Prozent schiebt die Wohnungsbauinvestitionen auf ein um 0,3 Prozent höheres Niveau. Nach fünf Jahren betragen die kumulierten Mehrinvestitionen im Wohnungsbau rund zweieinhalb Milliarden Euro (vgl. Abbildung 1, Wohnungsbau).
Die F&E-Investitionen werden nahezu ausschließlich von der Forschungsförderung angeregt. Im Betrachtungszeitraum steigen die sonstigen Investitionen daher kontinuierlich an und steigern die Investitionstätigkeit in diesem Bereich nach fünf Jahren um 1,1 Prozent im Niveau (vgl. Abbildung 1, Sonstige Investitionen).
Gesamteffekt trotz höherer Investitionen überschaubar
Die höhere Investitionstätigkeit spiegelt sich auch in der Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) wider (Abbildung 2). Den im Quartalsverlauf betrachtet größten Effekt auf das Niveau der Wirtschaftsleistung entfaltet das Wachstumschancengesetz im Schlussquartal 2024. Preisbereinigt, also real, dürfte die Wirtschaftsleistung um 0,09 Prozent höher ausfallen und nominal in ähnlicher Größenordnung (+0,10 Prozent).
Bezogen auf das von den führenden Wirtschaftsforschungsinstituten für dieses Quartal prognostizierte nominale Bruttoinlandsprodukt von dann voraussichtlich rund 1,15 Billionen Euro entspricht der Gesamteffekt des Wachstumschancengesetzes allein in diesem Quartal einem Plus in der Wirtschaftsleistung von rund einer Milliarde Euro. Gut 0,4 Milliarden Euro resultieren dabei aus dem Wechsel der Abschreibungsregel für Ausrüstungen und reichlich 0,1 Milliarden Euro aus der Ausweitung der Forschungsförderung. Die gestiegene Nachfrage wird aber auch durch höhere Importe gedeckt. Der fiskalische Impuls wird also auch im Ausland wirksam und führt dort zu einem etwa ebenso großen Effekt wie bei den heimischen Produzenten.
Wachstumschancengesetz sorgt für etwas mehr Beschäftigung und Einnahmen für den Fiskus
Da die Wirtschaftsleistung durch die Investitionstätigkeit steigt, nimmt auch die Beschäftigung zu (Abbildungen 3a und 3b). Neben den liquiditätsfördernden Maßnahmen entfaltet besonders die Ausweitung der Forschungsförderung sichtbare Wirkung in diesem Zusammenhang. Insgesamt kommen mit dem Wachstumschancengesetz zusätzliche 10.000 Menschen in Lohn und Brot. Dies wiederum belebt den Konsum, bei nahezu unveränderter Inflation.
Das Wachstumschancengesetz sorgt zudem für höhere Steuereinnahmen. Für eine Gegenfinanzierung der Ausgaben sind diese aber bei weitem nicht ausreichend. Bis in das Jahr 2028 kumuliert legen sie, ausgelöst durch die Maßnahmen, um rund sechseinhalb Milliarden Euro zu. Zum Vergleich: Im selben Zeitraum fallen fast 33 Milliarden Euro Aufwendungen für den Staat an.
Fazit: Wachstumschancengesetz nur ein erster Schritt in die richtige Richtung
Unter dem Strich sorgt das Wachstumschancengesetz für eine in den Jahren 2024 bis 2028 um zwölf Milliarden Euro höhere Wirtschaftsleistung. Diesen Erträgen stehen aber Aufwendungen von rund 33 Milliarden Euro gegenüber. Das Verhältnis aus Erträgen und Aufwendungen wird als sogenannter Multiplikator bezeichnet. Dieser fällt für die ergriffenen Maßnahmen unterschiedlich hoch aus. Einem für die Forschungsförderung aufgewendetem Euro steht bis Ende des Jahres 2028 ein Plus in der Wirtschaftsleistung von einem Euro gegenüber.(10)
Die staatlich eingesetzten 4,2 Milliarden Euro schlagen also in diesem Fall voll in die Wirtschaftsleistung durch.
Bei anderen Maßnahmen ist dieses Verhältnis deutlich ungünstiger. Im Falle der Abschreibungen – sowohl für Maschinen und Anlagen aber auch für Wohnbauten – liegt dies daran, dass diese nicht nur zusätzliche Aktivitäten begünstigen, sondern auch alle Vorhaben, die ohne eine entsprechende Veränderung des steuerlichen Rahmens durchgeführt worden wären. Im Falle der Ausrüstungsinvestitionen werden je Quartal rund 70 Milliarden Euro ohnehin investiert, die aber ebenso in den Genuss der Vorteile kommen. Deshalb liegt der Multiplikator bei der veränderten Ausrüstungs-Abschreibungsregel bei nur 0,4 – es „versickern“ also Mittel in höheren Unternehmensgewinnen, was insgesamt die Ersparnisbildung aber nicht die gesamtwirtschaftliche Nachfrage steigert. Zusätzlich schlägt sich ein Teil der höheren Investitionsgüternachfrage in steigenden Importen statt in heimischer Produktion nieder.
Vieles spricht also dafür, die Gewichtung innerhalb des Wachstumschancengesetzes zugunsten effektiverer Maßnahmen zu verschieben. Dies betrifft insbesondere die Forschungs- und Entwicklungsförderung, die nicht nur kurzfristig den höchsten Ertrag bietet, sondern dauerhaft innovationsstarke Schlüsselindustrien für die Transformation des Wirtschaftsstandorts Deutschland stärkt. Die seit einigen Jahren stagnierende F&E-Quote würde damit wieder den Weg in Richtung der Zielmarke von 3,5 Prozent an der Wirtschaftsleistung einschlagen. Die hier gewählten Impulse sind zum Erreichen dieses Ziels aber deutlich zu klein.
Ähnliches gilt aber auch für die benötigten Investitionen in moderne Maschinen und Anlagen sowie eine moderne Infrastruktur. Auch hier werden deutlich größere Impulse als die nun beratenen benötigt, um die Zukunft des Wirtschaftsstandorts positiv zu gestalten.
Nicht alles muss allerdings mit großen Summen aus den öffentlichen Haushalten angeschoben werden. Für die pharmazeutische Industrie würden beispielsweise verlässliche Rahmenbedingungen, schlankere bürokratische Prozesse und eine deutlich bessere Dateninfrastruktur für F&E die Attraktivität des Standorts erheblich steigern. Deshalb sind parallel gestartete Initiativen zur Entbürokratisierung und Verfahrensbeschleunigung, aber auch zur Verbesserung der digitalen Infrastruktur mindestens ebenso wichtig für die Zukunftsfähigkeit Deutschlands.
Kasten 1: Wirkung der Maßnahmen auf Investitionsentscheidungen
Der Wechsel der Abschreibungsregel wirkt sich positiv auf die Investitionstätigkeit aus, weil sie den – nach Steuern betrachteten – Preis für Investitionen senkt. Investive Ausgaben werden als Kosten von den Erlösen abgezogen und senken damit den steuerpflichtigen Gewinn. Unterstellt wird für die Berechnungen ein durchschnittlicher Unternehmenssteuersatz von 30 Prozent. Wäre sofort eine komplette Abschreibung möglich, würde somit jeder investierte Euro die Steuerlast um 30 Cent senken.
Allerdings können diese Kosten nur über viele Jahre verteilt geltend gemacht werden. Da gleiche Zahlungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten einen anderen Gegenwarts- (oder Bar-)wert haben, ist aus unternehmerischer Sicht die mit der Abschreibung verbundene Minderung der Steuerlast umso attraktiver, je näher sie an der Gegenwart liegt.
Deshalb ist der Wechsel auf eine degressive Abschreibungsregel bei den Ausrüstungen attraktiv – sie verlagert die Abschreibungen und somit die Steuervorteile näher an den Investitionszeitpunkt und reduziert damit in einer Nachsteuerbetrachtung den Preis von Investitionen. Anfangs werden 25 Prozent des Investitionswertes abgeschrieben, in der Folge jedoch nur jeweils 25 Prozent des Restwertes – im zweiten Jahr werden somit 19 Prozent (¼ x ¾) abgeschrieben und in den folgenden Jahren klingt die Rate exponentiell ab – im vierten Jahr sind es nur noch acht Prozent, die degressive Abschreibung fällt ab dann hinter der linearen in ihrer Wirkung auf den Steuervorteil zurück.
Die geltende lineare Regel führt dagegen zu gleichmäßigen Abschreibungen über eine vorgegebene Zahl an Jahren, die von der Nutzungsdauer abhängt. Für die Modellierung wird im gesamtwirtschaftlichen Mittel eine zehnjährige Nutzung unterstellt, so dass pro Jahr zehn Prozent abgeschrieben werden (ab dem vierten Jahr ist der Satz zunehmend höher als im degressiven Fall).
Der Vorteil der degressiven Abschreibung in den ersten drei Jahren hängt an dem Zinssatz, mit dem künftige Zahlungen diskontiert werden – das bedeutet, dass ferner in der Zukunft liegende Zahlungen kalkulatorisch „bestraft“ werden – und das umso mehr, je höher der Zinssatz ist. Die degressive Abschreibung spielt ihre kurzfristigen Vorteile also bei einem hohen Zins umso mehr aus.
Der dabei verwendete Zins fußt auf einer zugrundeliegenden risikolosen, realen Rendite, die um Prämien für Inflation und gesamtwirtschaftliches Risiko angepasst wird. Je nach Höhe dieses Zinses ergeben sich verschiedene Barwerte für die über die Jahre verteilten Steuergutschriften von insgesamt 30 Cent (je Euro Investition), der Nachsteuer-Preis für eine Investition sinkt durch den Wechsel der Abschreibungsregel entsprechend.
Unterstellt wird in der vorliegenden Simulation des Wachstumschancengesetzes ein konstanter Zins von fünf Prozent. Als Inflationsprämie wird dabei vereinfachend die Zielinflation von zwei Prozent unterstellt. Für dieses Jahr fallen die Inflationsprognosen zwar noch deutlich höher aus, für das kommende Jahr werden im Mittel zweieinhalb Prozent und für 2025 gut zwei Prozent prognostiziert. Unter diesen Annahmen ergibt sich ein effektiver (Nachsteuer-)Preisrückgang von 2,6 Prozent in den beiden Jahren 2023 und 2024. Ein höherer Zins führt zu einem höheren Preiseffekt(11)
, den Einfluss des Zinses auf die beiden genutzten Effekte (für die Ausrüstungs- beziehungsweise Baupreise) stellt die Abbildung dar.
Beim Wechsel der Abschreibungsregel für Bauten wird analog vorgegangen, wobei der deutlich geringere degressive Satz von sechs Prozent den Wechsel weniger vorteilhaft macht. In der Folge fällt der Preiseffekt deutlich geringer aus. Auch die Ausweitung der Forschungsförderung wird über einen Preiseffekt modelliert. Die Ausgaben für sonstige Investitionen werden um die bisherigen staatlichen Fördermittel ergänzt, um die zusätzlich eingestellten Mittel gesenkt. Genauso wird der Effekt der Klimaprämie auf die Ausrüstungen ermittelt. Die direkt liquiditätswirksamen Maßnahmen – allen voran also die Vereinfachung beim Verlustvortrag, aber auch der Sammelposten „übrige Maßnahmen“ – werden als direkter Transfer des Staates an die Unternehmen dargestellt.
Kasten 2: Methode zur Szenarioanalyse
Zur Analyse der Wirkung des Wachstumschancengesetzes wird ein strukturelles Modell der deutschen Volkswirtschaft verwendet(12)
. Dieses bildet die Verflechtungen innerhalb der deutschen Wirtschaft ab und wird anhand vorliegender Daten der amtlichen Statistik geschätzt. Dabei wird auf die Coronajahre verzichtet, die eine Schätzung ohne eine weitere Anpassung stark verzerren würden.
Das Modell enthält dabei wesentliche gesamtwirtschaftliche Größen, wie die Investitionen in Ausrüstungen, Bauten oder Forschungsaktivitäten, die in diesem Rahmen durch Faktoren wie Zinsen, den Auslastungsgrad der Wirtschaft und Preise bestimmt werden. Dabei werden all diese Größen gleichzeitig betrachtet, um neben den direkten Effekten der Gesetzesänderungen auch die Wechselwirkung zwischen den einzelnen Maßnahmen erfassen zu können. So regt eine steigende Produktion, beispielsweise bei bestimmten unternehmerischen Investitionen, unter anderem die Beschäftigung an und über steigende Einkommen indirekt den Konsum, die Importe benötigter Waren und Dienstleistungen und im Weiteren auch Investitionen in Bereichen, die ursprünglich nicht betroffen waren, über die indirekten Folgen aber ebenfalls positiv betroffen sind.
In derartigen Modellen können die gesamtwirtschaftlichen Folgen wirtschafts-politischer Maßnahmen abgeschätzt werden. Dabei werden ausgewählte Größen, zum Beispiel die Investitionen in Ausrüstungen, anfangs um einen vorgegebenen Wert geändert – man spricht von einem Schock. Das Modell bildet dann die Reaktion aller Größen auf diesen Schock ab. Neben dem Schock, dem direkten Effekt, enthält die betrachtete Größe (wie alle übrigen auch) die Rückwirkungen, die sich innerhalb der Wirtschaft kumulieren, den indirekten Effekt.
Für die Modellierung ist die Größe der Schocks bedeutsam. Ebenfalls ist es wichtig, welche wirtschaftliche Größe direkt von einer Politikmaßnahme beeinflusst wird. Zunächst werden deshalb den Maßnahmen des Wachstumschancengesetzes die ökonomischen Variablen zugeordnet, die von ihnen jeweils direkt betroffen sind. Im Folgenden wird quantifiziert, wie stark die betroffene Variable von der Maßnahme angestoßen wird (Tabelle, Spalte „Schock“). Hier werden die fiskalischen Mittel nicht direkt als Impuls auf die Investitionen interpretiert, sondern diese realwirtschaftliche Reaktion wird anhand der oben dargestellten Preiseffekts innerhalb des Modells geschätzt. Im Falle des Wechsels bei der Abschreibungsregel für Ausrüstungen zeigt diese Reaktion etwa, dass – trotz der beträchtlichen Kostensenkung – vergleichsweise wenig zusätzliche Investitionen angeregt werden. Alle Ausrüstungsinvestitionen, die ohnehin getätigt worden wären (pro Quartal sind dies rund 70 Milliarden Euro) profitieren ebenso von der günstigeren Abschreibungsregel, ohne dass sie zu zusätzlicher Wirtschaftsleistung führen.
MacroScope Facts
Deutschlands Wirtschaft ist verunsichert, wie der Policy Uncertainty Index zeigt – ein Maß, das sich im europäischen Vergleich deutlich verschlechtert hat. Es ist also an der Zeit, dass die Politik verlässliche Signale sendet und mit entschlossenen Maßnahmen überzeugt.
(1) Die fünf Wirtschaftsforschungsinstitute, die auch im Auftrag der Bundesregierung die Gemeinschaftsdiagnose zur Analyse der wirtschaftlichen Lage in Deutschland erstellen, haben jüngst ihre jeweiligen Konjunkturprognosen vorgelegt, vgl. IfW, ifo, IWH, RWI und DIW.
(2) Vgl. Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose (2020): Wirtschaft unter Schock – Finanzpolitik hält dagegen, online verfügbar.
(3) Lindner, C. (2023). Finanzpolitische Zeitenwende–das Fundament für Wachstum schaffen. Wirtschaftsdienst, 2023(8), 530-538, online verfügbar.
(4) Vgl. BDI (2021) Klimapfade 2.0 – ein Wirtschaftsprogramm für Klima und Zukunft, online verfügbar.
(5) Für die Berechnungen wurde der Regierungsentwurf vom 29. August zugrunde gelegt, online verfügbar.
(6) Vgl. MacroScope Pharma Economic Policy Brief 08/2022: Innovationsstandort Deutschland: Anreize für Unternehmen stärken, online verfügbar.
(7) Vgl. Fußnote 5, dort Seiten 91-100.
(8) Vgl. zur Mechanik die Ausführungen in Kasten 1.
(9) Zu den Wirkungen des Verlustrücktrags vgl. bspw. Koch, R., & Langenmayr, D. (2020). Der steuerliche Umgang mit Verlusten: Reformoptionen für die Corona-Krise. Wirtschaftsdienst, 100(5), 367-373, online verfügbar.
(10) Die hier berechneten Multiplikatoren gelten nur approximativ. Vor allem bei den beiden Abschreibungsmaßnahmen fällt ins Gewicht, dass in der Betrachtung bis 2028 lediglich ein Ausschnitt der fiskalischen Wirksamkeit abgebildet wird. Die Wirkung der Maßnahme erstreckt sich auf einen längeren Zeitraum, vor allem bei den Bauten. Dies wird in den Schätzungen des BMF ersichtlich, die aufgrund der kurzen Frist der degressiven Abschreibung bei den Ausrüstungen für diese für das Jahr 2028 bereits rund eine Milliarde an Mehreinnahmen ausweist, bei den Bauten dagegen noch nicht. Somit fehlen für eine Gesamtbilanz der Aufwendungen viele relevante Jahre.
(11) Sind die Barwerte bei linearer bzw. degressiver Abschreibung mit b bzw. b‘ bezeichnet, sind die effektiv je Euro Investition gezahlten Nachsteuer-Preise p=1-b bzw. p‘=1-b‘ und der Preiseffekt ist definiert als die prozentuale Änderung beim Übergang von p auf p‘. Für positive Zinsen r ergeben sich für die Barwerte beim Steuersatz s, einer Nutzungsdauer von T Jahren und einem degressiven Satz d: b=(s/T)(1+r)(1-(1+r)^(-T))/r und b‘=ds(1+r)/(r+d).
(12) Das Modell basiert auf Albig, H., Clemens, M., Fichtner, F., Gebauer, S., Junker, S. und Kholodilin, K. (2016): „Zunehmende Ungleichheit verringert langfristig Wachstum: Analyse für Deutschland im Rahmen eines makroökonomischen Strukturmodells“, Bonn. Friedrich-Ebert-Stiftung, Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik, online verfügbar.