#MacroScopePharma 07/22
Der Economic Policy Brief des vfa
Stark steigende Preise für Vorleistungen: Unternehmen in der Kostenfalle
Die Vorleistungskosten für die deutsche Wirtschaft ziehen dramatisch an. Vor allem Energie und Rohstoffe haben sich in den vergangenen Monaten erheblich verteuert. Einige Branchen geben diese Kosten an ihre Kunden weiter – in anderen sind die Preissetzungsspielräume gering. Dort drücken die gestiegenen Kosten die Margen und damit auf die Spielräume für wichtige Investitionsvorhaben. Besonders deutlich bekommt dies die pharmazeutische Industrie zu spüren. Sie kann die gestiegenen Bezugskosten aufgrund des regulierten Marktes nicht weitergeben.Inflation schockt Wertschöpfungsketten
Die deutschen Erzeugerpreise haben in den vergangenen anderthalb Jahren historische Höchststände erreicht. Maßgeblich haben hierzu die gestiegenen Energiepreise beigetragen. Vor allem Öl und Gas, aber auch Strom haben sich in den vergangenen 18 Monaten deutlich verteuert. Dies macht sich in den Kostenstrukturen der Unternehmen bemerkbar. Sie werden weiter versuchen, die gestiegenen Kosten an ihre Kunden weiterzugeben. Ergebnis sind die insgesamt deutlich anziehenden Erzeugerpreise.
Diese konnten in der Vergangenheit mit Modellrechnungen auf Grundlage der vierteljährlichen Wirtschaftsentwicklung und der Ölpreise weitgehend treffsicher im Trend vorhergesagt werden.(1)
Rohölpreise sind ein gewichtiger Kostenfaktor und schwanken oft außergewöhnlich stark. Jüngst ist zum Öl- auch der Gaspreis als Inflationstreiber hinzugekommen. Im vergangenen Jahrzehnt fluktuierte dieser vergleichsweise verhalten um die 20-Euro-Marke. Seit dem vergangenen Frühjahr ist er jedoch in die Höhe geschnellt und hatte sich zum Jahresende 2021 bereits verfünffacht. In Reaktion auf den Krieg Russlands gegen die Ukraine lag er in der Spitze gar bei knapp 144 Euro.
Finanzmärkte erwarten anhaltende Anspannungen an Energiemärkten
Doch der Höhepunkt des Teuerungsschubs ist noch nicht erreicht. Dies zeigen die sogenannten Future Contracts für Öl- und Gas. Die Futures bilden die Entwicklung an den Terminbörsen ab und sind ein Indikator dafür, zu welchen Preisen Energie zukünftig gehandelt wird. Die Verwendung von Futures ist ein in der Konjunkturanalyse etabliertes Verfahren, um künftige Energiepreisentwicklungen abzuschätzen.(2)
Eine Entspannung setzt dort erst im kommenden Frühjahr ein: Die Anleger:innen auf den Märkten für Energie erwarten ab dem Jahreswechsel 2022/2023 rückläufige Gaspreise – die Ölpreise sinken in den Erwartungen bereits ab den Sommermonaten dieses Jahres. Die Ölpreis-Futures signalisieren eine Rückkehr in einen Bereich um 80 Euro je Barrel der Nordseesorte Brent – ein Niveau, auf das sich die Ölpreise bereits vor der Coronakrise auch aufgrund der US-Frackingproduktion eingependelt hatten (s. Abb. oben, schraffierter Bereich).(3)
Allerdings wird dieses Niveau erst im Jahr 2025 wieder erreicht.
Die Gaspreise dürften dagegen in diesem Sommer auch angesichts einer drohenden Mangellage weiter zulegen, bevor sie nach und nach sinken – allerdings auf ein erheblich höheres Niveau als in der Vergangenheit. Auch im Jahr 2024 ist der erwartete Gaspreis fast viermal höher als das durchschnittliche Niveau der 2010er-Jahre in Deutschland.
Hohe Energiekosten schlagen bei den Erzeugerpreisen voll durch
Die hohen Energiekosten betreffen die Branchen mit hohem Energiebedarf in der Produktion unmittelbar. Auch der Energiemix spielt dabei eine Rolle: Ein hoher Erdgasbedarf wirkt sich länger auf die Kostenstrukturen der Unternehmen aus als der Ölpreis, von dem eine schnellere Normalisierung erwartet wird.(4)
Viele Unternehmen werden versuchen, die gestiegenen Herstellungskosten in Form höherer Preise weiterzugeben. Dies führt zu einer weiteren Verteuerung der Herstellungskosten auf nachgelagerten Produktionsstufen und damit auch in Branchen, deren Energieabhängigkeit geringer ist.
Die erwartete Energiepreisentwicklung kann in die Teuerung auf der Erzeugerstufe insgesamt übersetzt werden. Übliche Modelle zeichnen diese Teuerung bis Ende 2020 hinreichend verlässlich nach (vgl. in Abbildung 2, dunkelblaue Linie bis etwa 2020); ab dem Frühjahr des vergangenen Jahres enteilte die tatsächliche Entwicklung allerdings der Modellprognose zunehmend.
Mit der Preisexplosion am Gasmarkt ist der bislang genutzte Zusammenhang zwischen Erzeugerpreis- und Ölpreisentwicklung allein nicht länger hinreichend zu modellieren. Werden indes die Gaspreise hinzugezogen, lässt sich auch die jüngste Dynamik der Teuerung nachvollziehen (vgl. in Abbildung 2 links, gestrichelte Linie). Ausgehend von diesen Zusammenhängen zeichnet sich eine nur allmähliche Verlangsamung der Teuerung auf Erzeugerebene ab – mit zunächst weiteren Anstiegen im Jahr 2022 (vgl. auch den schraffierten Bereich in Abbildung 2 rechts). Ein Sinken der Preise ist erst ab dem Jahreswechsel 2022/2023 zu erwarten.
Vor allem energieintensive Branchen ziehen Preisschraube an
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Die Wirtschaftszweige sind unterschiedlich von den Energiepreissprüngen betroffen: Direkt von Rohstoffen abhängige Branchen haben ihre Absatzpreise bereits massiv angehoben. So sind beispielsweise die Preise im Bereich der Energieversorgung derzeit fast doppelt so hoch wie ein Jahr zuvor (Punkte – hier oben rechts zum Wert 96,6 – in Abbildung 4), in der Rohstoffgewinnung bzw. -verarbeitung sind sie um etwa 60 Prozent höher, in der Metall- bzw. der Chemieindustrie um knapp 40 bzw. 30 Prozent.
Analog zur Prognose der gesamtwirtschaftlichen Erzeugerpreise lassen sich auch die Absatzpreise der einzelnen Wirtschaftszweige ausgehend von den Projektionen für die Energiepreisentwicklung und die wirtschaftliche Entwicklung trendmäßig ableiten.(5)
Hieraus ergeben sich für dieses Jahr weitere, erhebliche Preisanstiege, wenngleich sie über die Branchen hinweg unterschiedlich hoch ausfallen. Im kommenden Jahr verharren die Preise im Durchschnitt auf hohem Niveau. Erst im darauffolgenden Jahr 2024, sind jahresdurchschnittlich deutliche Rückgänge zu erwarten (Abbildung 4, rechte Balken). Der Inflationsdruck hält also von Seite der Erzeugerpreise an.
Die höchsten Preisanstiege sind in diesem Jahr in der Energieversorgung (+71%), der Rohstoffgewinnung (+55%) und -verarbeitung (+51%) sowie in der Metallverarbeitung (+35%) zu erwarten. Anstiege von mehr als 20 Prozent stehen bei Papier, Holz und Chemie an. In Branchen wie der Elektronik, Automobilindustrie aber auch in der Bekleidungsindustrie liegen die erwarteten Preisanstiege im laufenden Jahr bei unter fünf Prozent.
Die geringsten Steigerungen der Herstellerpreise sind mit nicht einmal zwei Prozent in der pharmazeutischen Industrie zu erwarten – und das auch nur, weil sich pharmazeutischen Grundstoffe verteuern, die überwiegend branchenintern weiterverarbeitet werden. Die übrigen Preise sind im Vorfeld verhandelt. Nur für einen kleinen Teil ist überhaupt ein Inflationsausgleich vorgesehen und dieser orientiert nicht an den Kosten, sondern an der Verbraucherpreisinflation – noch dazu der des Vorjahres.
Im Jahr 2024 sind insbesondere in den Branchen mit derzeit hohen Preissteigerungen stark rückläufige Preisentwicklungen zu beobachten. Allerdings kompensieren die Rückgänge bei weitem nicht die derzeitigen Entwicklungen. Unternehmen und Haushalte müssen sich daher auf ein dauerhaft deutlich höheres Preisniveau einstellen.
Pharmabranche: Kostenschub bei den Vorleistungen
Auf Grundlage der Herstellerpreisanstiege lassen sich zudem grob die Kostenentwicklungen bei den Vorleistungen der Wirtschaftszweige beziffern. Dort wo große Teile der Vorleistungen aus Wirtschaftsbereichen mit hohen Erzeugerpreissteigerungen bezogen werden, steigt der Kostendruck auf der nachgelagerten Wertschöpfungsstufe stark an. Die pharmazeutische Industrie bezieht zwar so gut wie keine Rohstoffe direkt (über die Wirtschaftszweige 5 bis 9 bzw. 19), dafür aber mit rund einem Sechstel einen guten Teil der Vorleistungen aus der chemischen Industrie(6)
, deren Güter sich dieses Jahr um etwa ein Viertel verteuern dürften. Im mit ihren Vorleistungsanteilen gewichteten Durchschnitt verteuern sich die Preise von zugekauften Gütern und Dienstleistungen in der pharmazeutischen Industrie im laufenden Jahr um rund elf Prozent.
Die Pharmaunternehmen haben also – bereits ohne Lohnsteigerungen – einen zweistelligen Kostenschub zu schultern. Wie der Blick auf die Erzeugerpreise zeigt, haben auch andere Branchen mit steigenden Kosten zu kämpfen, können diese aber zumindest teilweise weiterreichen. Dies ist in der pharmazeutischen Industrie nicht der Fall. Die steigenden Preise stellen also nicht nur Haushalte vor größere Herausforderungen. Auch die Unternehmen müssen Wege finden, die höheren Faktorkosten dauerhaft aufzufangen und gleichzeitig Investitionen in moderne und energieeffiziente Anlagen umzusetzen.
MacroScope Facts
Ein politisch verlässliches Umfeld ist zentral für unternehmerisches Handeln und langfristige Investitionsentscheidungen. In Deutschland gelten insbesondere diese Rahmenbedingungen als gegeben - in der derzeitigen Krise steigt die wirtschaftspolitische Unsicherheit in Deutschland allerdings ungewöhnlich stark an.
Fußnoten:
(1) Grundlage der Prognosen sind zeitreihenökonometrische Modelle. In diese gehen als erklärende Größen Quartalsän-derungen von Energiepreisen und der Wirtschaftsleistung, teils verzögert, ein.
(2) Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose (2022). Von der Pandemie zur Energiekrise – Wirtschaft und Politik im Dau-erstress. Vgl. dort etwa S. 62. Online verfügbar.
(3) Ansari, D., & Engerer, H. (2020). Corona-Pandemie und gesunkene Ölpreise setzen Golfstaaten unter Druck. DIW Wochenbericht, 87(48), 881-888, online verfügbar.
(4) Kagerl, C., Moritz, M., Roth, D., Stegmaier, J., Stepanok, I., & Weber, E. (2022). Energiekrise und Lieferstopp für Gas: Auswirkungen auf die Betriebe in Deutschland. Wirtschafts-dienst, 102(6), 486-491, online verfügbar. Prognose AG (2022). Folgen einer Lieferunterbrechung von russischem Gas für die deutsche Industrie. Studie im Auftrag des Verbands der bayerischen Wirtschaft (vbw), online verfügbar.
(5) Zunächst werden (in einem sogenannten Faktormodell) die branchenweisen Preisänderungen zusammengefasst. Die zusammengefassten Größen (hier zwei sogenannte Faktoren) werden wie die gesamtwirtschaftliche Teuerung auf der Erzeugerstufe modellgestützt fortgeschrieben. Diese Prognosen werden schließlich auf die Branchenpreise übertragen – dabei wird der zuvor beim Zusammenfassen beschrittene Weg umgekehrt.
(6) Francas, D., Fritsch, M., Kirchhoff, J. (2022), Resilienz Pharmazeutischer Lieferketten, Studie im Auftrag des vfa, online verfügbar.