#MacroScopePharma 01/23
Der Economic Policy Brief des vfa
Gestörte Lieferketten:
Normalisierung absehbar – China bleibt ein Risiko
Die globalen Lieferketten sind weiterhin erheblich gestört: Vorleistungsgüter fehlen, Rohstoffpreise zeigen erhebliche Knappheiten an. Gründe dafür sind die Folgen des Kriegs in der Ukraine und die weiterhin erheblichen Auswirkungen der Corona-Pandemie. Eine Rückkehr zu einem störungsfreien Wirtschaftskreislauf rückt in greifbare Nähe und damit auch ein Abflauen des Preisdrucks, der global die Inflation anschiebt. Ein Risiko bleibt aber China, das seine Null-Covid-Politik aufgegeben hat und seither eine rasante Ausbreitung des Virus erlebt.
Pandemie unterbricht globale Lieferketten
Die Corona-Pandemie hinterlässt weiterhin ökonomischen Schaden. Nicht nur die Konsumgewohnheiten wurden auf den Kopf gestellt – Lieferketten sind nach wie vor erheblich gestört und Rohstoffe knapp(1)
. Die Folgen der Pandemie nehmen nun allmählich ab. Die Knappheiten bei Vorleistungen gehen in der Breite zurück (Abbildung 1). An einigen Stellen sind sie gar vollständig beseitigt.
Der mit den Engpässen einhergehende Preisdruck wird allerdings noch eine Weile hoch bleiben – auch dies sind Folgen der Krise und der politischen Reaktion darauf. Instrumente wie Kurzarbeit und andere staatliche Transfers stabilisierten die Einkommen der privaten Haushalte. Die reale Wirtschaftsleistung brach allerdings ein. Die Folge: Haushalte sparten einerseits große Teile ihrer Einkommen, allein weil es an Konsummöglichkeiten mangelte. Andererseits lenkten sie ihren Konsum in andere Bereiche, etwa in solche, die in häuslicher Isolation oder beim Homeoffice nützlich waren.
Diese Verschiebung der Nachfrage hätte für sich genommen schon zu Knappheiten und steigenden Preisen geführt. Hinzu kam aber, dass aufgrund eines hohen Krankenstandes und von Werksschließungen die Produktion gedrosselt war. In der Folge staute sich zunächst die Nachfrage in den Auftragsbüchern und dann die Erzeugnisse in den Häfen (Abbildung 2, links) und auf den Handelsrouten, die auf das neue Konsummuster nicht ausgelegt waren. Preise für Transport (Abbildung 2, rechts) und vor allem jene Güter, die kaum verfügbar waren, schossen direkt in die Höhe. Häufig waren dies Preise für Vorleistungen, die die Produktion, auch in Deutschland, verteuerten und sich nun nach und nach in den Endverbraucherpreisen niederschlagen.
Krieg in der Ukraine verschärft Lieferengpässe zusätzlich
Bereits im Winter 2021/22 zeichnete sich an vielen Stellen eine Entspannung bei den Lieferketten ab. Mit dem russischen Angriff auf die Ukraine vor knapp einem Jahr wurde der Erholungsprozess jedoch unterbrochen. Viele Knappheitsmaße stiegen wieder an und signalisierten im Sommer 2022 wieder zunehmende Probleme. An die zuvor erreichten Spitzenwerte reichten sie allerdings nicht heran. In der Breite konnte sich die Erholung dann auch bald wieder fortsetzten.
Der Ukraine-Krieg und die einhergehenden Sanktionen gegen Russland verknappten vor allem Agrarprodukte und Energierohstoffe. Punktuell kamen spezielle Vorleistungen hinzu. So litt beispielsweise die Automobilindustrie unter fehlenden Kabelbäumen, die bis vor einem Jahr in großer Zahl aus der Ukraine bezogen wurden(2)
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Deutlich größere Auswirkungen hatte aber allein die Sorge vor wegfallenden russischen Rohstofflieferungen. Diese trieb die Preise von Öl und Gas in die Höhe und löste in Europa eine Energiekrise aus. Die Normalisierung der globalen Lieferengpässe insgesamt hat diese Entwicklung aber nicht aufgehalten.
Neues Ungemach droht nun allerdings aus Fernost: China hat seine rigide Null-Covid-Politik aufgegeben und sieht sich jetzt mit einem äußerst dynamischen Infektionsgeschehen durch das Coronavirus konfrontiert. Der hohe Kranken-stand kann erneut zu Ausfällen entlang der Wert-schöpfungskette führen. Es droht ein wiederholter Engpass bei Lieferungen aus China.
Deutschland von Störungen besonders betroffen
Deutschland ist von den ausbleibenden Vorleistungslieferungen weitaus stärker betroffen als viele andere Industrieländer (Abbildung 4). Umfragen unter Unternehmen zeigen seit Mitte des Jahres 2021, dass die Lieferengpässe hierzulande deutlich über dem europäischen Durchschnitt liegen. Im Sommer des Jahres 2022 gaben 85 Prozent der Industrieunternehmen in Deutschland an, von Lieferengpässen betroffen zu sein. Europaweit lag dieser Wert lediglich bei gut 50 Prozent. In Italien war zum selben Zeitpunkt lediglich jedes vierte befragte Unternehmen betroffen.
Der in der Abbildung 3 ebenfalls dargestellte ISM-Einkaufsmanagerindex für die USA ist im Niveau nicht eins zu eins mit den EU-Reihen vergleichbar. Er zeigt aber: Das Problem fehlender Vorleistungen hatte in den USA deutlich früher eingesetzt und sich entsprechend früher wieder aufgelöst.
Dass Deutschland besonders hart getroffen ist, liegt nicht etwa an der Zusammensetzung der deutschen Industrie: Ein Vergleich auf Branchenebene ergibt, dass Deutschland in allen wichtigen Wirtschaftszweigen überdurchschnittlich große Schwierigkeiten im Vorleistungsbezug hat, so auch in der Pharmaindustrie (Abbildung 4, links). Hier gaben Mitte 2022 rund 85 Prozent der Hersteller an, von Engpässen bei Zulieferungen betroffen zu sein. Europaweit lag dieser Wert bei knapp der Hälfte der Unternehmen – in Spanien, Italien und Frankreich zeigten sich die Schwierigkeiten lediglich bei etwa jedem fünften Unternehmen der pharmazeutischen Industrie.
Pharmazeutische Industrie erst später mit Problemen
Dabei sieht es für die Pharmaindustrie in Deutschland ähnlich aus wie in vielen anderen Wirtschaftszweigen. Die Lieferschwierigkeiten setzten aber erst ein halbes Jahr später ein als im restlichen verarbeitenden Gewerbe. In der Chemie-, Metall- und Elektroindustrie sowie dem Maschinen- und Fahrzeugbau mehrten sich bereits Ende 2020 entsprechende Anzeichen spürbar (Abbildung 5, rechts). In all diesen Branchen belasteten die Engpässe im europäischen Vergleich bis zuletzt klar überdurchschnittlich(3)
.
Bei den Pharmaunternehmen hat diese Entwicklung erst an Schärfe gewonnen, als kaum substituierbare Vorprodukte nach Ausbruch des Ukraine-Kriegs zu rentablen Preisen verfügbar waren. Die als Vorleistungsproduzent besonders gewichtige deutsche Chemieindustrie hat in der zweiten Jahreshälfte 2022 ihre Produktion um mehr als ein Sechstel gegenüber dem Vorjahr gedrosselt, nachdem sich die Erdgaspreise, einem gewichtigen Rohstoff in der chemischen Produktion, vervielfacht hatten(4)
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Unter den deutschen Industriezweigen ist die Pharmabranche weniger von den globalen Störungen betroffen gewesen. Knappheiten haben sich dort erst viel später aufgetan, als vorgelagerte Industrien schon lange in der Klemme waren und die Versorgung mit wichtigen Pharmavorleistungen ins Wanken geriet.
Dies deutet darauf hin, dass hier weniger die allgemeinen Engpässe als vielmehr die Abhängigkeit von einzelnen Branchen wie beispielsweise der Chemieindustrie die Ursache war. Hinzu kommen die ebenfalls energieintensiv produzierende Glasindustrie sowie knappe Verpackungsmaterialien wie Kartonagen und Kunststoffe(5)
. Da eine Gasmangellage, die allen voran die chemische Industrie hierzulande schwer getroffen hätte, vorerst abgewendet scheint, haben sich die Perspektiven nicht nur für die Pharmaindustrie aufgehellt. Insgesamt dürfte die deutsche Industrie im Frühjahr an Fahrt aufnehmen.
vfa-Podcast #MacroScope zu Lieferengpässen
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Lieferkettenprobleme nicht zu verwechseln mit Lieferengpässen
Nicht zu verwechseln sind die globalen Probleme in den Lieferketten mit den spezifischen Entwicklungen auf dem Markt für Arzneimittel. Derzeit werden Lieferschwierigkeiten für einige Medikamente gemeldet – besonders prominentes Beispiel sind Fiebersäfte für Kinder. In diesem spezifischen Fall trifft eine, wegen der häufigen Atemwegserkrankungen außergewöhnlich hohe Nachfrage auf ein gesunkenes Angebot. Bereits im Sommer hat ein Hersteller von Fiebersäften seine Produktion aus wirtschaftlichen Gründen eingestellt.
Dies zeigt, dass die Verfügbarkeit von Medikamenten keine Selbstverständlichkeit ist. Vielmehr sollten Vorkehrungen für Krisen unterschiedlicher Art getroffen werden: Dabei sollte über Pandemien hinaus der Blick in Richtung strategische Unabhängigkeit und technologische Souveränität geweitet werden. Der Krieg Russlands gegen die Ukraine hat sicher geglaubte wirtschaftliche Beziehungen von einem Tag auf den anderen obsolet gemacht – Deutschland war wegen seiner Abhängigkeit von russischer Energie erpressbar. Ähnliches darf sich nicht in anderen wichtigen Feldern wie der Arzneimittelversorgung wiederholen. Europa tut im Sinne der eigenen Souveränität gut daran, sowohl die Entwicklung von Wirkstoffen, das Know-How in der Hightech-Produktion als auch die Produktion selbst am Standort zu stärken.
MacroScope Facts
Die deutschen Erzeugerpreise sind im Zuge der Energiekrise kräftig in die Höhe geschossen. Neben den Energiebranchen war besonders die chemische Industrie betroffen, die in hohem Maß von Erdgas abhängig ist. Obwohl die Pharmaindustrie viele Erzeugnisse aus der Chemieindustrie bezieht, deren Preise um rund ein Drittel angezogen hatten, konnten die Unternehmen die Kostenexplosion nicht wie in anderen Branchen in ihren Absatzpreisen auffangen. Mittlerweile lässt der Preisdruck aus den vorgelagerten Produktionsstufen aber allmählich nach.
Quellen:
(1) Celasun, O., Hansen, M., Mineshima, M., Spector, M., Zhou, J. (2022): Supply Bottlenecks: Where, Why, How Much, and What Next?, Internationaler Währungsfonds, online verfügbar.
(2) Sauer, S., Wohlrabe, K. (2022): Auswirkungen des Krieges in der Ukraine auf deutsche Unternehmen: Unsicherheit, Lieferengpässe und Preisanstiege, ifo Schnelldienst, 75(6), S. 15-18, online verfügbar.
(3) Relativ wenig betroffen (Anteil der Unternehmen, die in der Spitze von Engpässen berichten liegt unter 30 Prozent) sind u.a. Belgien, Frankreich, Italien, Spanien, die Niederlande und Polen, etwas stärker (mit einem Anteil von knapp 50 Prozent) u.a. Portugal, Österreich, die Tschechische Republik, Bulgarien und Lettland. Stärker betroffen sind neben Deutschland die Slowakei, Dänemark und Irland (mit Anteilen zwischen gut 80 und 90 Prozent) und Schweden, Griechenland, Litauen, Nordmazedonien, Malta und Ungarn (mit Anteilen von bis zu 100 Prozent).
(4) Müller, S., & Mertens, M. (2022). Wirtschaftliche Folgen des Gaspreisanstiegs für die deutsche Industrie: Kurzexpertise für den Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (No. 04/2022), online verfügbar.
(5) Francas, D., Fritsch, M., Kirchhoff, J. (2022): Resilienz pharmazeutischer Lieferketten, Studie im Auftrag des Verbands forschender Arzneimittelhersteller (vfa), online verfügbar.