#MacroScopePharma 10/24
Der Economic Policy Brief des vfa
Herbstprognose: Die Wirtschaftskrise hält sich hartnäckig
Deutschland steckt in der Krise: Seit drei Jahren gibt es keine nennenswerte wirtschaftliche Dynamik. Die Gründe hierfür: Unsicherheit, Investitions- und Konsumzurückhaltung und schwache Exportmärkte. Unter dem Strich dürfte das Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr um 0,1 Prozent sinken. Eine allmähliche Belebung zeichnet sich erst für das kommende Jahr ab. Die nachlassende Inflation, die sinkenden Zinsen und die steigenden Einkommen stützen die Binnennachfrage. Strukturelle Faktoren belasten allerdings die Industrie. Auch deshalb dürfte das Wachstum im Jahr 2025 mit 0,9 Prozent verhalten ausfallen. Trotz zwischenzeitlicher Rücksetzer bleibt die Pharmabranche eine Stütze der Konjunktur: Der Beschäftigungsaufbau hält an und im kommenden Jahr dürften Produktion und Investitionen klar im Plus sein.Die deutsche Wirtschaft dürfte im Jahr 2024 erneut als einzige große Volkswirtschaft schrumpfen (− 0,1 Prozent, Tabelle 1). Schwaches globales Wachstum, besonders in wichtigen Bereichen der Industrie, hohe Zinsen sowie geopolitische und wirtschaftspolitische Unsicherheiten belasten die Entwicklung hartnäckig. Die deutschen Exporte knüpfen nicht mehr an den Schwung der vergangenen Dekade an. Die Industrie schwächelt dabei besonders: Hohe Energie- und Arbeitskosten drücken ihre Wettbewerbsfähigkeit. Zudem haben Branchen wie der traditionell exportstarke Fahrzeugbau in einem herausfordern- den internationalen Wettbewerb immer häufiger das Nachsehen.
Innovationsstarke Schlüsselbranchen dürften indes mehr und mehr in Schwung kommen. Die globale Investitionsdynamik nimmt im Zuge sinkender Zinsen allmählich Fahrt auf und hochwertige, innovative Produkten „Made in Germany“ sind zunehmend wieder gefragt. Im kommenden Jahr dürfte die Wirtschaftsleistung zulegen, mit einem Plus von 0,9 Prozent aber hinter dem Produktionspotenzial zurückbleiben. Dabei sind positive Impulse der Wachstumsinitiative der Bundesregierung nicht berücksichtigt – diese könnte bei zügiger Umsetzung die Wirtschaftsleistung bereits im kommenden Jahr um bis zu 0,4 Prozent anheben.(1)
Weltkonjunktur: Dauerhaft verschlechtertes Umfeld
Deutschland befindet sich in einem weltwirtschaftlich herausfordernden Umfeld. Das globale Wachstumstempo hat sich seit der Corona-Pandemie spür- bar verlangsamt. Das hat gleich mehrere Ursachen: Die Wirtschaft Chinas kühlt strukturell ab. Darüber hinaus bremst der zunehmende Protektionismus den Welthandel. Vor allem der Konflikt zwischen den USA und China macht sich mehr und mehr bemerk- bar. In vielen fortgeschrittenen Volkswirtschaften führt der demografische Wandel zu einem sinkenden Arbeitsangebot und verlangsamtem Produktivitätswachstum. Die Umstellung auf eine CO₂-neutrale Wirtschaft erfordert tiefgreifende Anpassungen. Der Kapitalstock wird dabei zwar aufgewertet, ohne jedoch in gleichem Maß zusätzliche Produktionskapazitäten zu schaffen. (2)
Vielfach dürfte die Finanzpolitik restriktiver ausfallen, auch weil hohe Schuldenstände die Spielräume einengen.
Die globale Dynamik wird künftig verstärkt durch den Dienstleistungssektor geprägt. Die auf industrielle Güter ausgerichtete deutsche Exportwirtschaft fordert dies heraus. Deutsche Exporteure stehen in einem immer intensiveren Wettbewerb – besonders mit China. Denn dessen Industrie wird teils erheblich subventioniert und kann auf geringere Arbeits- und Energiekosten zurückgreifen. (3)
Die weltweit anhaltende Investitionsflaute stellt die auf hochwertige Investitionsgüter spezialisierte deutsche Industrie vor weitere Herausforderungen. Eine maßgebliche Rolle spielt eine große Unsicherheit bei den Unternehmen, teils aber auch das Ausgabeverhalten der Verbraucher:innen. Neben den geopolitischen Spannungen, die Energieversorgungssicherheit und Lieferketten infrage stellen, ist die Unsicherheit über die wirtschaftspolitische Ausrichtung gerade mit Blick auf die Wahlen in den USA hoch. Hinzu kommt: Die Rückführung der Inflation gestaltet sich in vielen Ländern zäher als erwartet und zwingt die Zentralbanken, Zinssenkungen nur allmählich anzugehen. Auch das bremst die Investitionstätigkeit.
Im Euroraum bleibt die konjunkturelle Entwicklung verhalten. Sie zieht nach der eingeleiteten Zinswende erst im kommenden Jahr stärker an. Die bislang robuste Konjunktur in Deutschlands zweitwichtigstem Absatzmarkt, den USA, steht am Wendepunkt: Mit dem Auslaufen substanzieller staatlicher Programme lassen die Investitionen weiter nach. Und auch der Konsum zeigt Ermüdungserscheinungen: Der Arbeits- markt sowie die Lohnzuwächse verlieren an Dynamik und die Ersparnisse aus der Corona-Zeit sind mittlerweile aufgebraucht. Auch in China lassen die Wachstumskräfte nach: Die Krise im Immobiliensektor hält an, belastet die gesamtwirtschaftliche Nachfrage und strahlt negativ auf den privaten Konsum aus.
Deutschland: Kaum Dynamik angesichtsschleppender Modernisierung
In diesem Jahr wird die heimische Wirtschaftsleistung erneut sinken. Auch 2025 bleibt das Wachstum mit voraussichtlich 0,9 Prozent schwach (Tabelle 2).
Nicht nur der zunehmende Fachkräftemangel, sondern auch das ungünstigere weltwirtschaftliche Umfeld führen zu einem geringeren Wachstum in Deutschland. Die Wirtschaftsleistung wird dabei zunehmend vom Dienstleistungssektor getragen. Erst im Laufe des kommenden Jahres wird die Industrie ihre Wertschöpfung wieder nennenswert ausweiten (Abbildung 1).
Die deutschen Ausfuhren dürften ab dem Jahreswechsel 2024/25 zulegen (Abbildung 2). Der Schwung bleibt aber deutlich hinter der Dynamik der vergangenen Dekade zurück. Dies liegt einerseits am insgesamt abgeflauten weltwirtschaftlichen Tempo (vgl. „Welt-BIP“ in Tabelle 1). Hinzu kommt, dass sich wichtige Absatzmärkte vergleichsweise schwach entwickeln (vgl. die exportgewichteten Raten in der Tabelle). Zudem spielt die steigende Bedeutung der Dienstleistungen eine wichtige Rolle: Weil mehr als dreimal so viele Waren wie Dienstleistungen aus Deutschland ausgeführt werden, belastet diese Entwicklung spürbar die deutschen Exporte. Ein starker Euro mindert derzeit die Konkurrenzfähigkeit deutscher Produkte auf den Weltmärkten.
Besonders bremst die schwache Nachfrage aus China – ein Prozess, der sich bereits seit Frühjahr 2022 abgezeichnet hat. Seither stagniert der Export nach China weitestgehend (Abbildung 3) und eine baldige, spürbare Besserung ist nicht zu erwarten. Gebremst hat bislang auch die schwache Nachfrage aus Europa und dem Euroraum, dem weitaus größten Absatz- markt Deutschlands. Nach und nach wird sich aber die konjunkturelle Belebung des Euroraums positiv bemerkbar machen.
Im dritten Quartal 2024 sind die realen Exporte nach deutlichen Rücksetzern im Frühsommer erneut geschrumpft (vgl. Abbildung 2). Da sie jedoch im Juli und August wieder Fahrt aufgenommen hatten, dürfte der Außenhandel ab diesem Winter die deutsche Wirtschaft wieder anschieben – wenn exportstarke Branchen die konjunkturelle Schwächephase abstreifen (vgl. hierzu die Ausführungen zu den zinsreagiblen Branchen im Industriekapitel).
Die Investitionen haben ihre Talfahrt zuletzt beschleunigt. Die Unternehmensinvestitionen sinken wegen der gestiegenen Zinsen und schwachen Industriekonjunktur seit Mitte des vergangenen Jahres (Abbildung 4). Vor allem die Neuanschaffungen von Maschinen und Fahrzeuge sanken empfindlich – im zweiten Quartal 2024 um deutliche 6,2 Prozent.
Dies hat mittelfristig negative Folgen für die Modernität des Kapitalstocks und die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen. Die Ausrüstungsinvestitionen dürften alles in allem auch im dritten Quartal erneut nachgegeben haben. Für das Schlussquartal zeichnet sich eine Stabilisierung auf niedrigem Niveau ab. Hierfür sprechen die zuletzt angezogenen Umsätze der Investitionsgüterhersteller. Im kommenden Jahr dürften die Ausrüstungsinvestitionen – nicht zuletzt gestützt durch anziehende Exporte – wieder ausgeweitet werden. Stabilisierend wirkt die Forschungsaktivität der Unternehmen. Die entsprechenden („sonstigen“) Investitionen setzen ihren Aufwärtstrend fort. Deutschland bestätigt damit seine Rolle als ein wichtiger Innovationsstandort.
Weiterhin bremsen auch die privaten Wohnungsbauinvestitionen. Diese sinken seit mehr als drei Jahren und dürften sich wohl erst ab dem kommenden Frühjahr langsam beleben. Aufwärts gerichtet sind dagegen die öffentlichen Investitionen: Hier spielt maßgeblich die Beschaffung von Rüstungsgütern eine Rolle. Die dringend notwendigen Ausgaben für die Infrastruktur treten eher auf der Stelle. Mit Blick auf die angespannte Haushaltslage sind hier auch keine kräftigen Impulse zu erwarten.
Durch die hohe Inflation in den Jahren 2022 (6,9 Prozent) und 2024 (5,9 Prozent) hatten die Konsument:innen Kaufkraft eingebüßt. Mittlerweile haben sich die Energiepreise weitestgehend normalisiert. Mit ihnen ist auch die Inflation zurückgegangen und sinkt bis Jahresende weiter. Im Durchschnitt liegt sie dieses Jahr bei 2,2 Prozent, im kommenden Jahr bei voraussichtlich zwei Prozent. Die Löhne haben sich verzögert an die Teuerung angepasst und mittlerweile die Kaufkraftverluste vielfach ausgeglichen. Eine nachhaltige Konsumbelebung ist dennoch bislang ausgeblieben. Dies liegt auch daran, dass eine große Unsicherheit die Menschen zum Sparen veranlasst hat. Die Unsicherheit ist dabei auch auf die Wirtschaftspolitik zurückzuführen(4)
. Die steigende Arbeitslosigkeit und Arbeitsplatzunsicherheit dürften maßgeblich dazu beigetragen haben. Die Beschäftigung steigt vor allem in den Dienstleistungsbereichen. Der Arbeitsplatzabbau in Teilen der Industrie bremst indes. Das weitere Sinken der Teuerung führt in den kommenden Monaten zu spürbar steigenden Realeinkommen. Der Konsum dürfte daher im dritten Quartal nicht erneut gesunken sein und danach, vor allem im ersten Halbjahr 2025, etwas stärker zulegen.
Alles in allem: Im dritten Quartal dieses Jahres ist die Wirtschaftsleistung Deutschlands angesichts sinkender industrieller Wertschöpfung und sinkender Warenexporte wohl noch etwas stärker gesunken als im Vorquartal. Zum Jahreswechsel dürfte mit steigendem Konsum und stärkerer Investitionsgüternachfrage vor allem aus dem Ausland eine Erholung einsetzen.
Industrie: Abwärtstrend verfestigt sich in einigen Bereichen
Die deutsche Industrie steckt in der Krise. Während einige Branchen nur mit vorübergehenden Problemen kämpfen, stehen die energieintensiven Industrien vor einem dauerhaften Kostenproblem und die Automobilbranche befindet sich seit geraumer Zeit in einem Abwärtstrend. Die industrielle Wertschöpfung dürfte ab dem Jahreswechsel aber zulegen (Abbildung 5, vgl. die mittelblaue Linie): Weltweit zunehmende Investitionen dürften die Produktion exportstarker Branchen ankurbeln.
Nachdem historischen Zinsschock setzte eine welt- weite Investitionsflaute ein. Nach und nach brach den zinsreagiblen Branchen(5)
die Nachfrage weg und in der Folge deren Produktion ein (vgl. die hellblaue Linie in Abbildung 5). Die Produktion dürfte sich in dem Maße erholen, wie nun im Zuge zunehmend weniger restriktiver Geldpolitik die globale Investitionsdynamik anzieht. Angesichts der bis zuletzt schwachen Entwicklung und pessimistischen Erwartungen dürfte eine Erholung jedoch nur allmählich und verhalten einsetzen.
Die energieintensiven Branchen haben die Talfahrt, die mit der Energiekrise im Jahr 2022 einsetzte, mittlerweile gestoppt. Die Erholung bleibt bislang zögerlich (vgl. die dunkelblaue Linie in Abbildung 5). Für den weiteren Verlauf ist zu erwarten, dass sich die Produktion langsam erholt (Tabelle 3). Sie wird das Vorkrisenniveau allerdings bei Weitem nicht mehr erreichen.
Die Produktion der Automobilindustrie folgt seit 2019 unter starken monatlichen Schwankungen einem Abwärtstrend. Zuletzt kam es durch die Lage der Werksferien zu Rückgängen im Sommer, gefolgt von einem Produktionsschub im August. Dieses zuletzt hohe Niveau dürfte in den kommenden Monaten voraussichtlich nicht zu halten sein (vgl. die grüne Linie in Abbildung 5).
Die übrigen, überwiegend konsumorientierten Branchen setzten die zum Jahresbeginn begonnene Erholung nicht fort. Angesichts rückläufiger Konsumausgaben gab die Produktion sogar nach. Diese dürfte sich, wenn die Zuversicht der Konsument:innen zurückkehrt, mit einem steigenden privaten Verbrauch ebenfalls entsprechend erholen.
Pharma: Nach Impfstoffschüben wieder auf Kurs
Die deutsche Pharmaindustrie steht im Vergleich zu anderen Branchen gut da. Im Sommer erweckten deutliche Produktionsrückgänge den Eindruck, auch der Schlüsselbranche Pharma stünde eine Schwächephase bevor. Zur Einordnung: Die Branche steht weiterhin im Zeichen einer Normalisierung nach der großen Impfstoffnachfrage der Jahre 2021 und 2022. So lagen damals etwa die Inlandsumsätze in der Spitze 40, in einigen Monaten gar 50 Prozent über dem Durchschnitt der Vorkrisenjahre (Abbildung 6, oben).
Dies führte im vergangenen Jahr zu rund 20 Prozent geringeren Inlandsumsätzen, die Produktion sank um drei Prozent (Tabelle 4).
Die außergewöhnlichen Krankheitswellen(6)
überlagerten diese Normalisierung teilweise. So stieg im Zuge des hohen Krankenstandes im Winter 2023/24 die Produktion im Auftaktquartal dieses Jahres deutlich: Insgesamt fünf Prozent Zuwachs, bei den Inlandsumsätze sogar elf Prozent (vgl. Abbildung 6, unten).(7)
Als ab Frühjahr der Krankenstand saisonal bedingt zurückging, setzte sich die Normalisierung von Produktion und Umsatz fort. Diese dürfte dieses Jahr abgeschlossen sein und der Inlandsumsatz dann das zuletzt erreichte Niveau halten. Die neuerlichen Krankheitswellen können aber kurzfristig zu einem höheren Medikamentenbedarf führen. Auch bei den Auslandsumsätzen gab es im Winter 2023/24 ein Zwischenhoch, nicht zuletzt, weil zwischen September und November wieder deutlich mehr Impfstoffe ausgeführt wurden: insgesamt für 1,5 Milliarden Euro. In den fünf vorangegangenen Monaten beliefen sich die entsprechenden Einnahmen lediglich auf jeweils 0,1 Milliarden Euro. Verglichen damit lagen die jüngsten Umsätze mit dem Ausland zwar deutlich niedriger, sie dürften jedoch im Trend weiter aufwärtsgerichtet bleiben. Alles in allem gehen wegen der Normalisierung Umsatz und Produktion auch in diesem Jahr zurück. Für das kommende Jahr ist mit spürbaren Zuwächsen zu rechnen.
Zu der in der Folge steigenden Produktion passt auch der anhaltende Beschäftigungsaufbau. Nach einem kräftigen Plus im Jahr 2023 dürfte auch in diesem Jahr die Beschäftigtenzahl spürbar steigen. Der Zuwachs um 1,9 Prozent beziehungsweise um 2.400 Personen übersteigt den gesamtwirtschaftlichen Beschäftigungsaufbau (+ 0,3 Prozent) deutlich. In der Industrie wird die Beschäftigung insgesamt sogar abgebaut.
Auch im kommenden Jahr dürften die Pharmaunternehmen weiter einstellen. Mit 1.500 Personen wird die Branche wohl erneut einen überdurchschnittlichen Anstieg verzeichnen (+ 1,1 Prozent im Vergleich zu einer Stagnation in der Gesamtwirtschaft). Zunehmend knappe Fachkräfte(8)
engen die Expansionsmöglichkeiten indes ein.
Die Pharmabranche investiert weiter in den Standort Deutschland: Die Investitionen wurden im Jahr 2022 (neuere Daten liegen noch nicht vor) zwar gesenkt (− 1,9 Prozent), allerdings hatten damals im Zuge der Energiekrise hohe Vorleistungskosten die Margen und damit die Investitionsspielräume eingeengt. Dies liegt daran, dass die Absatzpreise der meisten pharmazeutischen Produkte reguliert sind und die Kostensteigerungen bei den Vorleistungen drastisch ausfielen. Seitdem haben sich die Kosten normalisiert, und im Gleichschritt mit dem Beschäftigungsaufbau dürften die Unternehmen auch ihre Investitionen wieder ausweiten. Nicht zuletzt unter dem Eindruck der Energiekrise berichteten im Winter 2022/23 die Pharmaunternehmen in einer Umfrage des DIHK noch mehrheitlich von Plänen, ihre Investitionen zu reduzieren. Seither hat sich die Stimmung im Gegensatz zur übrigen Industrie allerdings gedreht: Der Anteil der Unternehmen mit Investitionsabsichten liegt seit geraumer Zeit auf hohem Niveau. Im Zuge der Pharmastrategie der Bundesregierung wurden eine Reihe von Großinvestitionen angekündigt. Vom Stifterverband befragte Pharmaunternehmen gaben im vergangenen Jahr an, mit 6,4 Milliarden Euro ihre F&E-Ausgaben (die besonders eng mit den Investitionen der forschungsstarken Branche zusammenhängen) im Jahr 2023 um knapp fünf Prozent erhöhen zu wollen. Alles in allem dürften die Investitionen im vergangenen Jahr leicht zugelegt haben und in diesem und im kommenden Jahr spürbar steigen.
Fazit: Gesamtwirtschaftliche Lage weiterhin herausfordernd
Deutschlands reale Wirtschaftsleistung wird im Jahr 2024 in etwa dem Niveau von vor fünf Jahren entsprechen. Diese Stagnation hat fünf Ursachen: Erstens haben die Corona-Krise und die Kriegsfolgen in der Ukraine erhebliche Verwerfungen verursacht. Zweitens leidet die Industrie unter der schwachen Nachfrage wichtiger Absatzmärkte. Drittens dämpfen Sonderfaktoren wie ein hoher Krankenstand die Erholung. Viertens steht die Wirtschaft vor strukturellen Herausforderungen, die sich nun deutlich bemerkbar machen. Zuletzt ist auch die Verunsicherung von Unternehmen und Haushalten erheblich: Dies liegt unter anderem an der teilweise unklaren Ausrichtung der Wirtschaftspolitik. Unter dem Strich verliert Deutschland Marktanteile und Wettbewerbsfähigkeit. Hier muss auf unterschiedlichen Ebenen deutlich gegengesteuert werden.
Zuallererst sind strukturelle Faktoren in den Blick zu nehmen, die bereits seit dem Jahr 2018 zu einem Abwärtstrend in der Industrie geführt haben. Der Fachkräftemangel, die hohen Bürokratiekosten und die sinkende Qualität der öffentlichen Infrastruktur lassen die Zuversicht der Unternehmen schwinden und führen zu einer Investitionszurückhaltung. Viele Maßnahmen im Wachstumspaket der Bundesregierung adressieren diese Nachteile und können die Wirtschaftsleistung bereits im kommenden Jahr spürbar anschieben. Voraussetzung ist jedoch deren schnelle Umsetzung. Dazu gibt es teilweise hoffnungsvolle, teilweise aber auch eher ungünstige Signale aus dem politischen Raum. Vor allem schnellere Abschreibungen bei Investitionen aber auch eine breitere Forschungszulage könnten die Investitionsbereitschaft spürbar stärken. Dem stehen allerdings Finanzierungsfragen zwischen Bund und den Ländern im Wege. Zu befürchten ist eher eine Reduzierung der Anreize an Stelle einer eigentlich notwendigen Ausweitung. Die Finanzierung der öffentlichen Infrastruktur bleibt gemessen am Investitionsbedarf ebenfalls unzureichend.(9)
Auch im Bereich der Bürokratie wurden Erleichterungen avisiert. Diese Absicht muss nun zügig mit Leben gefüllt werden. Für die hoch regulierte pharmazeutische Industrie kann dies einen erheblichen Schub bedeuten. Gefragt sind jetzt pragmatische Lösungen: Redundanzen und nicht mehr zeitgemäße Prüfungen sollten sofort gestrichen werden können. Zudem gibt es gute Beispiele, wie sich Verwaltungshandeln während der Corona-Krise spürbar beschleunigen ließ, ohne die Qualität der Verfahren zu reduzieren. Diese guten Beispiele könnten im Sinne einer lernenden Bürokratie als Standard für alle folgenden Verwaltungsprozesse verbindlich festgehalten werden.
Die Maßnahmen zur Linderung des Fachkräftemangels im Rahmen der Wachstumsinitiative gehen ebenfalls in die richtige Richtung. Vor allem die Anreize, das Erwerbsleben über den regulären Renteneintritt hinaus fortzusetzen, können die Situation deutlich verbessern. Gerade für wachsende Branchen wie die Pharmaindustrie sind aber weitere Maßnahmen notwendig: Ein großes Potenzial schlummert im schnelleren Quereinstieg und Branchenwechsel.(10)
Diesen politisch zu flankieren, ist im Strukturwandel sinnvoll. Kurzfristig können Reserven in der Teilzeitbeschäftigung und der „Stille Reserve“ gehoben werden: Bessere Betreuungsangebote für Eltern und die umfassendere steuerliche Absetzbarkeit von Betreuungskosten könnten hier unterstützen. Verstärkt auf Prävention zu setzen stärkt das Arbeitskräftepotenzial und verbessert zudem auch die Gesundheit.(11)
Eine vorwärts gerichtete Wirtschaftspolitik reduziert die Unsicherheit bei den Haushalten und Unternehmen. Für sich genommen wirkt diese also konjunkturstabilisierend. Ein gutes Beispiel ist die Pharmastrategie der Bundesregierung. Die Branche kann sich sichtbar vom Abwärtstrend in anderen Bereichen entkoppeln – die Investitionsbereitschaft steigt. Hier gilt es anzuknüpfen und einerseits die Rahmenbedingungen stabil und kalkulierbar zu machen und andererseits Wachstumspotenziale mit weiteren Reformen zu heben.
MacroScope Facts
Die Pharmaindustrie exportiert neben Medikamenten auch weitere Produkte wie chemische Vorleis- tungsgüter. Große Bedeutung hatten während der Corona-Krise auch Dienstleistungsexporte. Hierunter fallen Lizenzgebühren für die Nutzung geistigen Eigentums. Die entsprechenden gesamtwirtschaftlichen Einnahmen stiegen im Jahr 2021 in bislang ungekanntem Ausmaß. Da sich die Nachfrage nach Impf- stoffen normalisiert hat, sinken die Erträge nun sichtbar.
(1) Vgl. Fichtner, F., Junker, S., Michelsen, C. (2024): Impulse der Wachstumsinitiative: Welche Wirkungen möglich sind, MacroScope Pharma 08.24, online verfügbar.
(2) Neue Anlage sind indes häufig produktiver und für deutsche Produzenten liegen hier auch Chancen – als potenzielle Lieferanten der benötigten, hochwertigen Investitionsgüter.
(3) Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose (2024): „Deutsche Wirtschaft im Umbruch – Konjunktur und Wachstum schwach“, online verfügbar.
(4) Vgl. Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose (2024), ibd.
(5) Hierunter werden der Maschinenbau und die Elektroindustrie (Wirtschaftszweige 26, 27 und 28) zusammengefasst.
(6) Vgl. Michelsen, C., Junker, S. (2024): Hoher Krankenstand drückt Deutschland in die Rezession, MacroScope Pharma 01.24, online verfügbar.
(7) Dies kam auch in spürbar gesteigerten Apothekenumsätzen zum Ausdruck, vgl. MacroScope Facts vom Januar 2024, s. Fußnote 7.
(8) Vgl. Kirchhoff, J., Malin, L., Schumacher, S. & Werner, D. (2024): Fachkräftemangel: Hemmschuh für den Pharmastandort Deutschland. Gutachten des IW Köln im Auftrag des vfa, online verfügbar.
(9) Vgl. Dullien, S., Gerards Iglesias, S., Hüther, M., & Rietzler, K. (2024). Investitionsbedarfe in der Infrastruktur und für die Transformation. Herausforderungen für die Schuldenbremse. IMK Policy Brief, (168), online verfügbar.
(10) vfa und IGBCE (2024): Fachkräftesicherung in der Pharmaindustrie: Lösungen für eine Schlüsselindustrie, Positionspapier, online verfügbar.
(11) Vgl. Michelsen, C., Junker, S. (2024): Fachkräftemangel: Stille Reserven am Arbeitsmarkt heben, MacroScope Pharma Economic Policy Brief 09/2024, online verfügbar.