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#MacroScopePharma 07/24

Der Economic Policy Brief des vfa



Forschung & Entwicklung: Die globale Konkurrenz um Arbeitskräfte nimmt zu

Investitionen in Köpfe sind entscheidend für wirtschaftliche Stärke und Innovationkraft und die Konkurrenz um Spitzenkräfte in Forschung und Entwicklung (F&E) wächst. Bis zur Jahrtausendwende dominierten Europa und die USA das Innovationsgeschehen. Seither hat China immer größere Ressourcen für Innovationsprozesse aufgewendet und die Führungsposition bei der F&E-Beschäftigung übernommen. Deutschland, führend in Europa, hat die Zahl der Forscher:innen ebenfalls deutlich erhöht. Vor allem der Dienstleistungssektor und die Automobilindustrie trugen zum Zuwachs bei – auch die Pharmaindustrie bleibt besonders forschungsintensiv. Fehlende Fachkräfte sind indes eine zunehmende Herausforderung. Wichtig ist daher, die MINT-Ausbildung zu stärken, Angebote für internationale Expert:innen attraktiver zu gestalten und eigene Potenziale besser auszuschöpfen.

China nimmt dabei weltweit(3) die führende Position als F&E-Standort ein. Von allen F&E-Beschäftigten entfallen knapp 42 Prozent auf China, gefolgt von der EU mit 17,2 Prozent und den Vereinigten Staaten mit 16,5 Prozent. Japan stellt immerhin sechs Prozent der F&E-Beschäftigten, gefolgt von Deutschland mit 4,5 und Südkorea mit 4,2 Prozent. Zusammengenommen stellen China, Europa, die Vereinigten Staaten, Japan, Südkorea, Russland und das Vereinigte Königreich mehr als 90 Prozent der F&E-Beschäftigten weltweit.

Europa mit großen regionalen Unterschieden

Innerhalb Europas ist es vor allem Deutschland, das mit 26 Prozent den größten Anteil zur F&EBeschäftigung beiträgt. Frankreich (16,4 Prozent), Italien (10,8 Prozent), die Niederlande (6,7 Prozent), Spanien (6,3 Prozent) und Belgien (4,4 Prozent) stellen zusammen mit Deutschland knapp 70 Prozent des F&E-Personals Europas.

In Relation zur Bevölkerungsgröße zeigt sich ein anderes Bild: Danach liegen die Niederlande, Schweden, Österreich und Dänemark mit je mehr als 6.000 F&E-Beschäftigten je einer Million Einwohner an der Spitze. Danach folgen die Schweiz, Island, Deutschland, Finnland, Belgien, Slowenien und Luxemburg mit je mehr als 5.000 F&E-Beschäftigten. Der EUDurchschnitt liegt bei 3.839. Norwegen, Frankreich, die Tschechische Republik und Irland liegen oberhalb dieses Werts, alle übrigen europäischen Länder weisen eine unterdurchschnittliche F&E-Beschäftigtenintensität auf. Dabei zeigt sich – ähnlich wie bei den Patentanmeldungen(4) – ein Nord-Süd-Gefälle.

F&E-Beschäftigung in Deutschland deutlich gestiegen

In Deutschland ist die F&E-Beschäftigung in den vergangenen zwei Jahrzehnten(5) fast durchweg gestiegen – von 335.000 Vollzeitäquivalenten im Jahr 2003 auf 578.000 im Jahr 2022. Der Aufbau vollzog sich rascher als bei den übrigen Beschäftigten, so dass der Anteil von F&E an der Gesamtbeschäftigung von 0,9 auf 1,3 Prozent gestiegen ist.

Die meisten F&E-Beschäftigten sind im produzierenden Gewerbe tätig. Zuletzt waren hier rund 450.000 Beschäftigte in F&E eingebunden. Das sind mehr als drei Viertel aller F&E-Beschäftigten im Land. Das produzierende Gewerbe hat innerhalb der vergangenen Jahre die Beschäftigung in diesem wichtigen Bereich um 148.000 Beschäftigte und damit um knapp 50 Prozent gesteigert.

Im Dienstleistungssektor wurde die F&E-Beschäftigung innerhalb von zwei Jahrzehnten fast vervierfacht. Nun sind in diesem Bereich 129.000 Beschäftigte für Innovationen in den Unternehmen tätig. Im Jahr 2003 waren es noch 34.000. Dies zeigt, dass Dienstleistungen immer wissensintensiver werden. Vor allem die zunehmende Digitalisierung und die steigende Bedeutung datengetriebener Dienstleistungen dürften hier eine Rolle gespielt haben.

Industrie steigert F&E-Beschäftigung in den meisten Bereichen

Den größten Beitrag zum F&E-Personalaufbau der vergangenen 20 Jahre leistete der Dienstleistungssektor. Rund 39 Prozent des Zuwachses gingen auf diesen zurück. Bemerkenswerter ist allerdings die Rolle des Fahrzeugbaus. Dieser allein ist für 31 Prozent des F&E-Personalzuwachses verantwortlich – etwa soviel wie in allen anderen Industriebranchen zusammengenommen.

Im Vergleich der übrigen Industriezweige zeigen sich vor allem die Branchen Elektro und Maschinenbau mit ihren großen Belegschaften als wichtige Branchen für den Beschäftigtenzuwachs. Danach folgt allerdings die Pharmaindustrie, die deutlich weniger Personal beschäftigt, allerdings mit Abstand die forschungsintensivste Branche in der Industrie ist. Seit einiger Zeit hat hier eine sichtbare Beschleunigung beim Personalaufbau eingesetzt. F&E-Personal wurde allerdings in manchen Branchen abgebaut. Die chemische Industrie liegt beispielsweise leicht unterhalb des F&E-Beschäftigtenniveaus von vor 20 Jahren.

Pharma mit konstant hoher F&E-Intensität in der Belegschaft

Im Vergleich der Intensitäten, dem Anteil der F&EBeschäftigten an der Gesamtbelegschaft, stechen innerhalb der Industrie vier Branchen besonders hervor: In der Elektrotechnik, bei Pharma und bei Automobilen lag der Anteil der F&E-Beschäftigten an der Gesamtbelegschaft zuletzt (im Jahr 2021) bei gut 17 Prozent. In den genannten Wirtschaftszweigen arbeitet also jede:r Sechste im Bereich Forschung und Entwicklung.

In den anderen Industriebranchen fällt dieser Anteil erheblich geringer aus. So liegt der Anteil in der Chemie bei rund 6,7 Prozent, im Maschinenbau bei 5,1 Prozent oder in der Textilindustrie bei rund 1,5 Prozent. Im Durchschnitt der Industrie sind etwa 5,5 Prozent der Belegschaft, gesamtwirtschaftlich nur jede:r Hundertste, in F&E beschäftigt. Dies mag auch an der Bedeutung von F&E-Dienstleistern liegen. Viele Entwicklungsaktivitäten werden extern vergeben.

Dabei ist die F&E-Intensität in der Belegschaft einiger Bereiche historisch besonders hoch. Hierunter fällt die Pharmabranche, deren F&E-Anteil in der Belegschaft immer schon deutlich über 15 Prozent lag. Ähnliches gilt für die Elektrotechnik. Deutliche Zuwächse sind im Bereich der Automobilbranche zu sehen. Dort stieg der Anteil von etwa zehn Prozent der Belegschaft im Jahr 2003 auf zuletzt 17 Prozent im Jahr 2021.

Erhebliche Lohnunterschiede zwischen den Wirtschaftszweigen

Die höchsten Gehälter für Wissenschaftler:innen und Forschungspersonal werden in der pharmazeutischen und chemischen Industrie gezahlt. In der Pharmabranche liegt der Personalkostenaufwand je Vollzeitstelle bei etwa 124.000 Euro und in der Chemie bei circa 116.000 Euro. Erst mit deutlichem Abstand folgt der Fahrzeugbau mit rund 103.000 Euro. Damit liegen die F&E-Löhne in der Pharmaindustrie gut 30 Prozent über dem Durchschnitt der Industrie und fast 40 Prozent über dem gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt.

Die hohen Bezüge dürften maßgeblich auf die meist hochspezialisierten und überwiegend naturwissenschaftlich ausgerichteten Stellenprofile der Pharma- und Chemieindustrie zurückzuführen sein.(6) Der Fachkräftemangel ist gerade in diesen Bereichen besonders hoch. Hinzu kommt der große und steigende Bedarf im Bereich der IT.(7) Andere Branchen können auf einen größeren Talentepool zurückgreifen, wenngleich sich auch dort die Situation verschlechtert.

F&E-Expert:innen beziehen auch verglichen mit ihren Kolleg:innen innerhalb der Branche deutlich höhere Löhne und Gehälter. Die Differenz variiert dabei zwischen elf Prozent in der Metallindustrie und 64 Prozent in der Pharmabranche. Dabei ist die Differenz gesamtwirtschaftlich mit 91 Prozent deutlich größer. Dies liegt daran, dass eine Vielzahl von Branchen – insbesondere im Dienstleistungsbereich – faktisch keine eigene Forschung und Entwicklung betreibt. Dass die Differenz innerhalb einer Branche so erheblich ausfällt, ist ebenfalls dem hohen MINTAnteil in der Pharma- und Chemieindustrie geschuldet.

Mehr F&E-Personal steigert die Produktivität

Die Branchen profitieren grundsätzlich vom höheren Einsatz von F&E-Personal: Dieser stärkt die Innovationskraft und steigert die Produktivität. Branchen mit einem hohen Anteil beim Forschungspersonal weisen eine entsprechend hohe Produktivität auf (Abbildung 9). Dabei liegen die Schlüsselindustrien Elektrotechnik, Pharma und Automotive weit vorne, während der Maschinenbau mit vergleichsweise geringer Forschungsintensität nur im Mittelfeld liegt.

Der Aufbau von zusätzlichem F&E-Personal hat vielfach auch gerade dort stattgefunden, wo der Einsatz besonders rentabel war. Dort, wo kaum zusätzliche Ressourcen in Forschung und Entwicklung gelenkt wurden, hat sich auch die Produktivität kaum verändert. Dabei korreliert der Personaleinsatz in F&E auch stark mit dem absoluten Mitteleinsatz für Innovationen. Die digitalen Chancen – der Einsatz von Künstlicher Intelligenz oder die systematische Verarbeitung großer Datenmengen – sind hier groß, um die Effizienz von Innovationsprozessen zu steigern.

Fazit: Mehr Fachkräfte für F&E werden dringend benötigt

Deutschland und Europa tun gut daran, die innovativen Kapazitäten zu stärken. Die Innovationskraft des Kontinents ist in der globalen Konkurrenz der zentrale Faktor für den wirtschaftlichen Erfolg in den kommenden Jahren. Europa fehlt es an Rohstoffen und perspektivisch immer mehr an Fachkräften. Allein deshalb ist es sinnvoll, die Industriepolitik auf die Stärkung der innovativen Sektoren auszurichten – dies zeigt auch die vfa-Oxford-Economics Studie, die Industriepolitiken weltweit vergleicht.(8)

Aber auch um den Anschluss gegenüber anderen Wirtschaftsräumen zu halten, ist es notwendig, die F&E-Kapazitäten zu steigern. Europa wies im Vergleich zu den USA schon immer eine geringere F&E-Beschäftigtenintensität auf – ähnlich wie bei den Ausgaben für Forschung und Entwicklung. Mit China ist nun ein weiterer großer Wirtschaftsraum mit ungleich größeren Kapazitäten zum globalen
F&E-Powerhouse gewachsen.

Perspektivisch wird ein Aufbau des F&E-Personalbestands nur gelingen, wenn die Ausbildung in den MINT-Bereichen ausgeweitet und die Durchlässigkeit des Arbeitsmarkts durch Bildung und Weiterqualifikation aber auch im internationalen Austausch gestärkt wird. Seit Jahren wird darauf hingewiesen, dass die Ausbildung in den MINT-Bereichen in Deutschland zu kurz kommt. Vor allem die schnell wachsenden Anforderungen im IT-Bereich können nur dann bewältigt werden, wenn die laufende Weiterbildung diese Kompetenzen in der Breite der Belegschaft stärkt. Vor allem dieser Bereich ist in den Spitzenqualifikationen stark umkämpft, da viele Branchen auf die Querschnittskompetenzen in der IT zurückgreifen.

Die Pharmaindustrie ist forschungsintensiv wie keine andere Branche in Deutschland. Deshalb ist der Bedarf an F&E-Personal in diesem Sektor auch besonders hoch. Deutschland konnte in der Vergangenheit mit Spitzenpersonal und -forschung punkten – in den kommenden Jahren wird dies zu einer zunehmenden Herausforderung. Für das Wachstum des Pharmastandorts ist es von zentraler Bedeutung, die Fachkräftesituation zu verbessern und damit das Wachstumspotenzial hochzuhalten. Hierfür müssen die eigenen Potenziale hochqualifizierter Fachkräfte besser ausgenutzt werden: Dies gelingt mit einer stärkeren und längeren Einbindung gerade von Frauen und älteren Erwerbstätigen, der verstärkten Integration Eingewanderter in das Bildungssystem, höheren Anreizen für ausländische Fachkräfte und die Weiterqualifikation von Expert:innen aus anderen Branchen. Im Wissenschaftssystem sollten die Potenziale des internationalen Austauschs verstärkt genutzt und erleichtert werden. Das moderne Zuwanderungsrecht Deutschlands bedarf zudem der institutionellen Untersetzung: Mittlerweile scheitert die Fachkräftezuwanderung nicht mehr an den Regeln, sondern vielmehr an ihrer Auslegung und Umsetzung.


(1) Vgl. Beznoska, M., Kauder, B., & Obst, T. (2021). Investitionen, Humankapital und Wachstumswirkungen öffentlicher Ausgaben (No. 2/2021). IW-Policy Paper, online verfügbar.

(2) Vgl. Teichler, U. (2015). Academic mobility and migration: What we know and what we do not know. European Review, 23(S1), S6 – S37, online verfügbar.

(3) Approximativ für die weltweite F&E-Beschäftigung werden die Daten der OECD genutzt, die zusätzlich zu den OECD-Ländern (außer Kolumbien und Costa Rica) China, Russland, Taiwan, Singapur, Südafrika, Argentinien und Rumänien umfassen.

(4) Vgl. Michelsen, C., Junker, S. (2024), Patentanmeldungen weltweit: Chinas rasanter Aufstieg zum Hightech-Standort, MacroScope Pharma Economic Policy Brief 06/24, online verfügbar.

(5) Vgl. die Box auf Seite 8 für Details zu den Daten, die detailliert frühestens ab 2003 vorliegen.

(6) Vgl. Anger, C., & Plünnecke, A. (2022). MINT gewinnt: Hohe Löhne in den MINT-Berufen (No. 106/2022), IW-Kurzbericht, online verfügbar.

(7) Vgl. Kirchhoff, J., Malin, L., & Schumacher, S. (2022): Pharmaindustrie im Wandel: Fachkräftebedarfe in Zeiten transformatorischer Herausforderungen. IW-Trends-Vierteljahresschrift zur empirischen Wirtschaftsforschung, 49(2), 97 – 116, online verfügbar und Malin, L., & Schumacher, S. (2024). Pharmaindustrie: Steigender Druck auf dem Arbeitsmarkt. Fachkräftesituation entlang der pharmazeutischen Wertschöpfungskette (No. 2/2024). IW-Report, online verfügbar.

(8) Vgl. Oxford Economics (2024): Internationaler Vergleich aktueller industriepolitischer Strategien mit Auswirkungen auf den Hightech-Sektor, Studie im Auftrag des vfa, online verfügbar.

(9) Dies scheint aufgrund der Beobachtung plausibel, dass diese Anteile über die Zeit wenig schwanken. Beispielsweise geht dann ein (in den Daten ausgewiesener) Rückgang der Vollzeitäquivalente in einem Jahr mit einem (nicht notwendigerweise gleichstarkem) Rückgang der Anzahl der Beschäftigten einher, auch wenn für dieses Jahr die Anzahl der Beschäftigten nicht erfasst wurde.

(10) Die Daten sind als PDF und Excel-Dateien online verfügbar, etwa das Zahlenwerk 2015, das Zahlenwerk 2023 und die facts 2022; die F&E-Datenreports sind als PDF erhältlich.

Autor:

Dr. Claus Michelsen
Geschäftsführer Wirtschaftspolitik
Dr. Claus Michelsen

Telefon 030 20604-120

c.michelsen@vfa.de

Co-Autor:

Dr. Simon Junker
Senior Manager Konjunkturpolitik
Dr. Simon Junker

Telefon 030 20604-511

s.junker@vfa.de

Pressesprecher:

Henrik Jeimke-Karge
Pressesprecher Wirtschaftspolitik
Henrik Jeimke-Karge

Telefon 030 20604-205

h.jeimke-karge@vfa.de