#MacroScopePharma 04/22
Der Economic Policy Brief des vfa
Innovationen als Grundlage für mehr Wachstum
Im kommenden Jahrzehnt wird die Alterung der Bevölkerung das gesamtwirtschaftliche Wachstum erheblich belasten. Immer weniger Erwerbstätige müssen für immer mehr Menschen im Ruhestand sorgen. Dies kann durch Investitionen und Innovationen kompensiert werden. Die kommenden zehn Jahre werden oder gar müssen deshalb durch einen strukturellen Wandel hin zu einer deutlich wissensintensiveren Wertschöpfung gekennzeichnet sein.Nach wie vor bremst die Corona-Krise die wirtschaftliche Erholung aus. Besonders die Industrieländer mit hoher Exportorientierung können die Folgen der Pandemie nur allmählich abschütteln. Während die USA oder China das Vorkrisenniveau wirtschaftlicher Aktivität im vergangenen Jahr bereits wieder erreichen konnten, sind es Länder wie Deutschland, deren Produktionsleistung auch im dritten Jahr der Pandemie unter dem Niveau des Jahresbeginns 2020 liegt. Hinzu kommt der Krieg Russlands gegen die Ukraine, der erneut erhebliche wirtschaftliche Folgen nach sich zieht.
Dies liegt vor allem daran, dass die exportorientierte deutsche Wirtschaft massiv unter den Lieferschwierigkeiten wichtiger Vorleistungen leidet. Die Produktion scheitert beispielsweise im Fahrzeugbau oder im Maschinen- und Anlagenbau an fehlenden Halbleitern oder ist durch massive Preissteigerungen bei wichtigen Rohstoffen belastet. In den USA hingegen wurde die Nachfrage im dort deutlich größeren Dienstleistungssektor mit einem großen Konjunkturpaket gestützt, sodass sich die Wirtschaft schneller erholen konnte.
China hat mit teils äußerst rigiden Maßnahmen die Verbreitung des Virus unterbunden. (1)
Diese Lücke zwischen den Wirtschaftsräumen zu schließen, wird eine Herausforderung. Kurzfristig ist es im Interesse der deutschen Wirtschaft, die Pandemie mit all ihren Auswirkungen auf den internationalen Warenverkehr schnell zu überwinden. Der Schlüssel hierfür ist ein möglichst schneller und umfassender globaler Impfschutz, damit sich neue Virusvarianten nicht verbreiten.
Damit die Corona bedingte Lücke zwischen den großen Wirtschaftsräumen wieder geschlossen werden kann und auch die Folgen des Kriegs in der Ukraine überwunden werden sind allerdings grundlegendere Weichenstellungen für einen starken Forschungs- und Innovationsstandort nötig.
Weniger Erwerbstätige - weniger Wachstum
Diese Herausforderungen liegen primär in der demographischen Entwicklung. Immer mehr Menschen werden in den kommenden Jahren aus dem Erwerbsleben ausscheiden und gleichzeitig immer weniger Menschen eintreten. Bis in das Jahr 2035 dürften unter dem Strich etwa sieben Millionen Beschäftigte den Arbeitsmarkt verlassen haben, wenn die Zuwanderung und die Erwerbsbeteiligung von Frauen nicht deutlich steigen.(2) Die Folge ist ein erheblicher Fachkräftemangel.
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Die Alterung der Gesellschaft wird sich zudem auf die Produktivität auswirken: Kognitive und physische Fähigkeiten nehmen im Alter ab und werden häufig nicht vollständig durch Erfahrung und Organisationswissens ausgeglichen. Auch steigt in alternden Gesellschaften der Konsum – Vermögen werden abgebaut und damit der Verwendung für produktivitätssteigernde Investitionen entzogen.(3)
Die Demographie begrenzt so das Wachstum in den kommenden Jahren immer mehr und setzt dabei die Sozialversicherungssysteme erheblich unter Druck.
Diese Entwicklungen erfordern eine grundlegende Neuausrichtung des Geschäftsmodells der deutschen Volkswirtschaft. Notwendig wird eine deutliche Steigerung der Produktivität, die durch höhere Investitionen unterstützt, insbesondere aber durch eine deutliche Steigerung der Wissensintensität in der Wertschöpfung erreicht werden kann.
Größe ist nicht alles - Innovationsintensität in den Blick nehmen
Die Versuchung ist groß, die Innovationspolitik an den existierenden industriellen Strukturen auszurichten. So haben beispielsweise der Fahrzeugbau, der Maschinenbau und die metallverarbeitende Industrie einen erheblichen Anteil an der Bruttowertschöpfung. Gleichwohl verteilt sich die Wirtschaftsleistung auf deutlich mehr Branchen, als die Innovationsleistungen. Während 90 Prozent der Bruttowertschöpfung durch 12 Branchen des verarbeitenden Gewerbes erbracht werden, werden 90 Prozent der Innovationsausgaben von gerade einmal acht Wirtschaftszweigen gestemmt. Knapp drei Viertel aller Innovationsausgaben tragen vier Branchen: Automobilherstellung, Maschinenbau, pharmazeutische Industrie und die Herstellung von Datenverarbeitungsgeräten.
Innovationsintensität in der pharmazeutischen Industrie mit Abstand am höchsten
Dabei ist das Verhältnis aus Innovations- und Wertschöpfungsanteil bei der pharmazeutischen Industrie mit dem Faktor 3,2 am größten, gefolgt von der Automobilindustrie (2,2), der Herstellung elektronischer Datenverarbeitungsgeräte (1,5) und dem sonstigen Fahrzeugbau (1,3). Alle anderen Branchen haben einen geringeren Anteil an den Innovationsausgaben als dies ihr Wertschöpfungsanteil nahelegen würde.
Dies zeigt sich auch in der Innovationsintensität: Knapp ein Fünftel des Umsatzes wird in der pharmazeutischen Industrie in Forschung und Entwicklung verwendet. In den ebenfalls innovationsstarken Branchen der Automobilherstellung, EDV oder dem Maschinenbau sind es deutlich weniger.
Dabei ist die Innovationsintensität nicht maßgeblich für den Anteil innovativer Unternehmen in einer Branche: Beispielsweise geben im Wirtschaftszweig der Kokerei und Mineralölverarbeitung 90 Prozent der Unternehmen an, Innovationen im Unternehmen zu verwenden. Deren Innovationsaufwendungen fallen mit 0,4 Prozent des Umsatzes weit hinter die sonst beobachtbaren Werte im verarbeitenden Gewerbe zurück. Im Durchschnitt liegt die Innovationsintensität der Industrie bei sechs Prozent des Umsatzes und die Innovatorenquote bei 58,5 Prozent.
Adaptieren oder innovieren?
Die Branchen verfolgen mit ihren Innovationsaktivitäten unterschiedliche Zielstellungen. Grundsätzlich gilt: Je höher die Innovationsintensität, desto geringer ist der Anteil investiver Innovationsausgaben, also der Mittel, die für den reinen Zukauf neuer Verfahren und Produkte aufgewendet werden. Branchen mit hoher Innovationsintensität betreiben daher in großem Umfang eigene Forschung und Entwicklung (Abbildung 2 rechts) mit entsprechend hochqualifiziertem Personal.
Dies bedeutet nicht, dass Branchen mit hoher Innovationsintensität immer an grundlegend neuen Produkten und Verfahren forschen. Viele nutzen ihre F&E-Kapazitäten, um existierende, bereits am Markt verfügbare Lösungen nachzuahmen oder diese inkrementell zu verbessern.
So liegt der Umsatzanteil der Automobilindustrie mit reinen „Nachahmerinnovationen“ bei knapp 40 Prozent. In anderen Worten: Ein großer Markt verleitet dazu, die Forschungskraft weniger stark auf grundlegende Innovationen zu richten, sondern das Augenmerk auf den Erhalt von Marktanteilen legen.
In anderen innovationsintensiven Branchen ist dies deutlich anders gelagert. Beim F&E-intensivsten Wirtschaftszweig – der pharmazeutischen Industrie – beträgt der Anteil von „Nachahmerinnovationen“ rund zehn Prozent. Dort liegt der Fokus vielmehr auf der Entwicklung neuartiger Produkte.
Innovations-Booster für Hightechbranchen notwendig
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Um die Folgen der Corona-Krise zu überwinden und die Wachstumsaussichten in den kommenden Jahren zu stärken, ist eine Neuausrichtung der Innovations- und Industriepolitik notwendig. Insgesamt muss die Wissensintensität der Wertschöpfung deutlich steigen, um die Folgen des demographischen Wandels für den Wohlstand abzufedern.
Die Steigerung der Ausgaben für Forschung und Entwicklung auf mindestens 3,5 Prozent der Wirtschaftsleistung werden schon lange gefordert. Dies müssten dann rechnerisch rund 125 Milli-arden Euro jährlich sein. Derzeit werden in Deutschland etwas mehr als drei Prozent hier-für aufgewendet.(4)
Dies kann entweder durch eine Steigerung der Innovationsaktivitäten über alle Branchen hinweg geschehen oder durch einen strukturellen Wandel erreicht werden, in dessen Ergebnis HightechBranchen ein deutlich höheres Gewicht in der Wertschöpfung bekommen. Angesichts der demografischen Entwicklung scheint letzteres vorgezeichnet. Hierfür bedarf es allerdings einer konsequenten Politik zur Stärkung des Wissenschafts-, Gründungs- und Hightech-Standorts. Dies umfasst beispielsweise eine international konkurrenzfähige Finanzierung öffentlicher Grundlagenforschung, eine moderne Dateninfrastruktur und -nutzungspolitik oder den Abbau bürokratischen Hürden für private Forschungsvorhaben.
Hinzu kommt, dass die Ziele der Nachhaltigkeit in vielen Bereichen eine deutlich stärkere Fokussierung auf echte Produktinnovationen erfordern. Die reine Anpassung und inkrementelle Verbesserung existierender Lösungen reicht nicht aus, um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben. Einige wichtige Branchen wie die Automobilindustrie werden in den kommenden Jahren deutlich mehr Kraft in diese Richtung aufwenden müssen.
Für bereits jetzt hochinnovative Bereiche liegen die Herausforderungen vor allem darin, wichtige Trends in der Forschung und Entwicklung nicht zu verpassen. In der pharmazeutischen Industrie konnten beispielsweise jüngst bahnbrechende Innovationserfolge im Bereich der mRNA-Technologie gefeiert werden - weitere grundlegende Durchbrüche sind hier zu erwarten, ebenso wie die Forschung auf anderen Gebieten wie der personalisierten Medizin weit fortgeschritten sind.
Für den Standort bieten diese Durchbrüche Chancen, um größere Anteile am global wachsenden Markt für innovative Therapien zu gewinnen. Dies haben andere Wirtschaftsräume bereits erkannt: Beispielsweise werden in den USA und China, aber auch innerhalb der europäischen Union, erhebliche Anstrengungen zur Stärkung der Innovationskraft dieser Branche unternommen. Die USA haben erst jüngst ein milliardenschweres Programm zur Förderung der mRNA-Technologie angekündigt. China verfolgt schon seit vielen Jahren erfolgreich ein Programm zur Stärkung des Pharmastandorts mit dem Ziel einer weitgehend autarken Versorgung und globaler Marktführerschaft. Das Bekenntnis der neu formierten Bundesregierung zur Unterstützung der Gesundheitswirtschaft und des Biotechnologiestandorts ist ein erster, aber wichtiger Schritt, auf den jetzt konkrete Maßnahmen folgen müssen.
MacroScope auf den Punkt
Der Beschäftigungsaufbau setzt sich nach Einschätzung der Unternehmen der pharmazeutischen Industrie trotz der gegenwärtigen Krisen fort. Im April 2022 erreichte der vom ifo Institut ermittelte Index ein neues Allzeithoch mit rund 140 Zählern:
(1) Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose (2021). Krise wird allmählich überwunden – Handeln an geringerem Wachstum ausrichten, Gemeinschaftsdiagnose 2/2021, online verfügbar.
(2) Fuchs, J., Söhnlein, D., & Weber, B. (2021). Projektion des Er-werbspersonenpotenzials bis 2060: Demografische Entwicklung lässt das Arbeitskräfteangebot stark schrumpfen (Nr. 25/2021). IAB-Kurzbericht, online verfügbar.
(3) Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose (2021). Pandemie verzö-gert Aufschwung–Demografie bremst Wachstum, Gemeinschaftsdi-agnose 1/2021, online verfügbar.
(4) Expertenkommission für Forschung und Innovation (2021). Gut-achten zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfä-higkeit Deutschlands, online verfügbar.