vfa-Faktencheck zur Orphan Drug-Analyse des IQWiG
Orphan Drugs - klare Orientierung am medizinischen Bedarf!
Am Jahresende 2024 erschien eine neue Publikation des IQWiG zu Arzneimitteln zur Behandlung seltener Erkrankungen. (1) Darin diskutiert das Institut die Ergebnisse der AMNOG-Nutzenbewertungen für Orphan Drugs sowie ihren Stellenwert zur Deckung des medizinischen Bedarfs. Der vfa hat sich mit wesentlichen Aussagen der Publikation auseinandergesetzt.1. Das IQWiG stellt fest, dass in den meisten AMNOG-Bewertungen der Orphan Drugs vom G-BA ein nicht-quantifizierbarer Zusatznutzen festgestellt wird. Bei anschließenden Vollbewertungen wurde in rund der Hälfte der Fälle ein Zusatznutzen als nicht belegt eingestuft.
vfa-Check:
Die Zusatznutzenkategorie „nicht quantifizierbar“ ist in der Tat die häufigste bei Orphan Drugs und bedeutet zunächst, dass der Zusatznutzen zwischen den Kategorien gering und erheblich einzustufen ist. Die ausbleibende Quantifizierung liegt zumeist daran, dass die Besonderheiten bestimmter Therapiesituationen und der Evidenzgenerierung (wie z.B. die Seltenheit der Erkrankung) im AMNOG methodisch nicht angemessen berücksichtigt werden. Häufig auch mit der Folge, dass die bestverfügbare Evidenz in der Bewertung unberücksichtigt bleibt und ein Zusatznutzen sogar als nicht belegt eingestuft wird.
Aber auch hinter einem formal "nicht belegten" Zusatznutzen eines Orphan Drugs befinden sich echte Innovation. Ein AMNOG-Beschluss ist eben kein Abbild der Versorgungsrealität. Dies ist besonders eindrucksvoll am aktuellen Beispiel einer Therapie zur Behandlung der akuten myeloischen Leukämie (AML) zu sehen, für die zunächst ein beträchtlicher Zusatznutzen attestiert wurde und die inzwischen selbst den unumstrittenen Therapiestandard darstellt. Das formale Ergebnis eines „nicht belegten“ Zusatznutzens in der Neubewertung, konnte laut G-BA (aufgrund eines Wechsels der zweckmäßigen Vergleichstherapie) den hohen Stellenwert des Arzneimittels in der Versorgung nicht abbilden.
2. Das IQWiG gibt an, dass in 58 Prozent der Fragestellungen aus Vollbewertungen zum Zeitpunkt bereits andere aktive Therapien zur Verfügung standen. Noch häufiger war dies bei onkologischen Therapien. Solche Orphan Drugs würden daher laut IQWiG nicht den ungedeckten medizinischen Bedarf („unmet medical need“) adressieren.
vfa-Check:
Besonders gravierend ist hier die implizite Schlussfolgerung, dass bei bestehenden bestehende Therapiemöglichkeit für die Betroffenen kein ungedeckter medizinischer Bedarf mehr bestünde. Eine Zulassung als Orphan Drug bedeutet stets eine klare Orientierung am medizinischen Bedarf. Denn für die Erlangung des Orphan-Drug-Status ist ein bedeutender Zusatznutzen gegenüber der bisherigen Therapie – sofern eine solche vorhanden ist – Voraussetzung. Kurz vor der Zulassung überprüft die EMA, ob ein „Significant Benefit“ und damit ein bedeutender Beitrag zur Patientenversorgung gegenüber anderen Behandlungen vorliegt.
Ebenso sollte die Förderung der Forschung und Entwicklung nicht nur deshalb aufhören, weil es eine Therapiemöglichkeit gibt. Es lässt sich nie mit nur einem Medikament erreichen, dass alle Menschen mit der jeweiligen Krankheit gut und nachhaltig behandelt werden können. Die Gründe dafür sind vielfältig. So sind z.B. Arzneimittel nicht bei jedem Betroffenen dauerhaft wirksam, gut verträglich oder für alle Unterformen einer seltenen Krankheit zugelassen. Ein Medikament ist eben nicht genug. Auch Menschen mit seltenen Erkrankungen sollen am medizinischen Fortschritt teilhaben können und auch für sie ist es wichtig, dass mehrere Medikamente zur Verfügung stehen. Forschende pharmazeutische Unternehmen kommen auch diesem Anliegen nach.
Hintergrund
Orphan Drugs werden für die Behandlung seltener Erkrankungen eingesetzt. Die kleine Anzahl an Patient:innen schafft sowohl in Entwicklung und Zulassung als auch im Markt eine besondere Situation für diese Arzneimittel, der mit fördernden Regelungen Rechnung getragen wird.
In Deutschland ist die Versorgung mit Medikamenten für seltene Erkrankungen zugleich durch die Orphan Drug-Regelung im AMNOG-Verfahren gesichert, mit einer Marktverfügbarkeit von 90 % an der Spitze Europas. Doch wiederkehrende gesundheitspolitische Diskussionen bedrohen diese Errungenschaft, indem sie eine Gleichstellung der Bewertungsstandards aller Medikamente fordern, ohne die speziellen Herausforderungen bei seltenen Erkrankungen zu berücksichtigen. Solche Änderungen könnten gravierende Auswirkungen auf die Verfügbarkeit von Orphan Drugs haben. Dies zeigt auch die jüngste Studie des vfa.
(1) Kranz et al. Results of health technology assessments of orphan drugs in Germany—lack of added benefit, evidence gaps, and persisting unmet medical needs, International Journal of Technology Assessment in Health Care. 2024;40(1):e68. doi:10.1017/S026646232400062X