Umsetzung der EU-HTA-Verordnung – Es bleibt noch viel zu tun!
Am 11. Januar 2022 ist die EU-HTA-Verordnung in Kraft getreten. Sie regelt eine gemeinsame klinische Bewertung von neuen Arzneimitteln auf europäischer Ebene (EU-HTA). Gestartet wird ab Januar 2025 mit der Bewertung von Arzneimitteln für neuartige Therapien (ATMP) und onkologischen Arzneimitteln. Ab 2028 sollen Bewertungen von Arzneimitteln gegen Seltene Leiden (Orphan Drugs) und ab 2030 für alle anderen Medikamente folgen.
Im Wesentlichen verfolgt die Verordnung folgende Ziele:
- Verbesserung des Zugangs von Patienten in der EU zu innovativen Therapien
- Verringerung des bürokratischen Aufwands und Vermeidung von Doppelarbeit bei allen Beteiligten durch gemeinsam durchgeführte Beratungsprozesse (Joint Scientific Consultations – JSC) und nachfolgende gemeinsame klinische Bewertungen (Joint Clinical Assessments – JCA)
- Stärkung der Qualität der klinischen Bewertungen
- Stärkung des Pharmastandorts Europa und seiner internationalen Wettbewerbsfähigkeit
Dafür müssen auf europäischer Ebene und im deutschen System der Nutzenbewertung (AMNOG-Prozess) rechtzeitig die richtigen Weichen für eine bestmögliche Vorbereitung in den nationalen Agenturen und den Unternehmen gestellt werden. Denn 2025 rückt rasch näher. Die pharmazeutische Industrie hat klare Erwartungen an die Umsetzung der EU-HTA-Verordnung hin zu einem vorhersehbaren, praktikablen und effizienten Prozess mit reduziertem bürokratischem Aufwand. Daher möchten wir gemeinsam mit den nationalen HTA-Institutionen und Behörden an einer erfolgreichen Implementierung arbeiten.
Hierfür müssen auf europäischer Ebene folgende Punkte berücksichtigt werden:
Entwickler von Gesundheitstechnologien besser einbeziehen
Hersteller müssen als unverzichtbare Hauptakteure anerkannt werden und sind als solche angemessen und konstruktiv am gesamten EU-HTA-Prozess, insbesondere bei der Bestimmung des Bewertungsumfanges (Scoping), zu beteiligen. Das wird die Qualität bedeutend stärken.
Gemeinsame europäische Evidenzanforderungen anstreben
EU-HTA als eine bloße Zusammenführung nationaler Praktiken kann den Aufwand für Unternehmen und HTA-Behörden nicht verringern. Daher ist eine Angleichung der Evidenzanforderungen anzustreben. Dabei ist die Entwicklung eines EU-PICO, das sich auf das konzentriert, was den Mitgliedstaaten gemeinsam ist, entscheidend.
Schlanke Prozesse gewährleisten und an Zeitrahmen anpassen
Die Machbarkeit bezüglich der Anforderungen ist stärker zu berücksichtigen, um Dossier-Vorbereitungen und HTA-Bewertungen innerhalb des engen Zeitrahmens parallel zum Zulassungsprozess abschließen zu können. Der EU-HTA-Prozess muss sowohl für Hersteller als auch für Gutachter innerhalb begrenzter Zeiträume effizient und praktikabel sein.
Kontextspezifische Bewertungsmethoden schaffen
Bewertungsmethoden müssen stärker an den klinischen und regulatorischen Kontext angepasst und flexibel angewendet werden. Insbesondere Orphan Drugs und ATMP benötigen angepasste Methoden (wie es die EU-HTA-Verordnung in Erwägungsgrund Nr. 24 vorsieht), die dem Therapiebereich gerecht werden können (inkl. Verwendung von Surrogat-Endpunkten, indirekten Behandlungsvergleichen und von Real World Evidence).
Kapazitäten für wissenschaftliche Beratung sicherstellen
Auf EU-Ebene müssen ausreichend Kapazitäten und Fachwissen für rechtzeitige und qualitativ hochwertige gemeinsame wissenschaftliche Beratungen verfügbar sein.
Im Rahmen der Implementierung auf nationaler Ebene sind folgenden Punkte erforderlich:
Umfassende Nutzung der europäischen Bewertung gewährleisten
Zur Vermeidung von Doppelarbeit müssen die Ergebnisse der europäischen Bewertung im deutschen AMNOG-Prozess umfassend genutzt werden. Folglich müssen Verwendung und Übernahme der gemeinsamen europäischen Arbeitsergebnisse im nationalen Prozess für den G-BA verpflichtend werden.
Anforderungen an zusätzliche Analysen reduzieren
Die Anforderungen in den nationalen Dossiervorlagen im AMNOG-Prozess, insbesondere an Subgruppen- und bestimmte Arzneimittelsicherheitsanalysen, bedürfen insoweit einer Überprüfung, dass sie deutlich effizienter auszugestalten sind. Hierbei sollte man sich an europäischen Leitlinien orientieren, um die EU-HTA-Bewertung ohne Qualitätsverlust zu erreichen.
G-BA-Beratungen bezüglich nationaler Zusatzanalysen stärken
Für ein optimales Zusammenspiel des AMNOG-Verfahrens mit dem EU-HTA müssen die nationalen G-BA-Beratungen gestärkt werden. Dies betrifft insbesondere zusätzliche Beratungen zu nationalen klinischen Zusatzanalysen in Ergänzung zum EU-HTA. Diese sollten sich auf wenige und absolut notwendige Analysen beschränken.
Schnellen Marktzugang absichern
Eine Herausforderung für den schnellen Start des AMNOG-Prozesses ist der späte Zeitpunkt des Vorliegens des europäischen HTA-Bewertungsberichts erst mehrere Wochen nach Zulassung. Die AMNOG-Regelung bezüglich ihrer schnellen Marktzugangsmöglichkeit mit Vorliegen der Zulassung ist abzusichern, damit Innovationen auch zukünftig schnellstmöglich zur Verfügbarkeit stehen.
Nationale Orphan-Drug-Regelung passgenau verzahnen
Die Orphan-Drug-Regelung im AMNOG ist zu bestärken, indem festgehalten wird, dass auch im Kontext des EU-HTA der Zusatznutzen für Orphan Drugs als belegt gilt und Nachweise gegenüber einer Vergleichstherapie im nationalen Prozess erst nach der Überschreitung der Umsatzschwelle von 30 Mio. Euro erbracht werden müssen. Dies sichert den schnellen Zugang zu neuen Orphan Drugs in Deutschland weiterhin ab.
Alle Beteiligten beschäftigen sich intensiv mit der Umsetzung der EU-HTA-Verordnung. Es gibt noch viele unbeantwortete Fragen zur Entwicklung der Verfahren. Die pharmazeutische Industrie setzt ihr Fachwissen und ihre Ressourcen ein, dass der EU-HTA-Prozess ein Erfolg wird. Die nationalen HTA-Institutionen sollten die noch offenen Fragen baldmöglich lösen. Änderungen an den Betriebsmodellen und Prozessen der nationalen HTA-Institutionen sollten schnellstmöglich umgesetzt werden. Alle Beteiligten sollten einen klaren und vorhersehbaren Rahmen für die Planung und Durchführung des EU-HTA und des sich anschließenden AMNOG-Prozesses haben.
Daher rufen wir zu einem steten Dialog mit den nationalen Behörden während des Umsetzungsprozesses auf.
Bei diesem Text handelt es sich um ein gemeinsames Verbände-Statement von B.A.H., BPI und vfa, das Sie sich hier als PDF herunterladen können.