Gemeinsam für Gesundheit und Entwicklung
Patente fördern Entwicklung
Zur Rolle des Patentschutzes für die Gesundheitsversorgung der Entwicklungsländer gibt es manche Befürchtungen. Doch Patente sind nicht schuld an medizinischen Versorgungsdefiziten, und noch nie wurde ein Gesundheitsproblem durch Aussetzen eines Patents gelöst. Eine Erosion des Patentsystems würde obendrein den Entwicklungsländern sowohl bei der Gesundheitsversorgung als auch bei Ihrer wirtschaftlichen Entwicklung schaden.
Flugzeugentwicklung in Brasilien. Wer mit Neuentwicklungen Geld verdienen will, braucht Patentschutz.
Einige Nicht-Regierungsorganisationen glauben, die Patienten in den Entwicklungsländern hätten deshalb keinen Zugang zu Medikamenten, weil die Präparate aufgrund des Patentschutzes für sie unerschwinglich seien. Durch Aussetzen der Arzneimittelpatente für ärmere Länder oder die Umwandlung aller Arzneimittel In "öffentliche Güter [...], die prinzipiell von Monopolen und exklusiven Vermarktungsrechten ausgenommen sind" (so gefordert von Médecins Sans Frontières und anderen Nicht-Regierungsorganisationen zum G8-Gipfel 2007) ließe sich ein Zugang für alle hingegen erreichen. Das geht jedoch an der Wirklichkeit vorbei.
Patentfreie Arzneimittel
Zunächst einmal: Ein großer Teil der für Entwicklungsländer wesentlichen Medikamente ist ohnehin weltweit patentfrei. So enthält die Essential Drug List der WHO, die Liste der unentbehrlichen Arzneimittel, mehr als 90 Prozent patentfreie Medikamente. 2007 umfasst die Liste Präparate auf der Basis von 325 Wirkstoffen. Zu den unentbehrlichen Arzneimitteln, die - zumindest In Industrienationen - unter Patentschutz stehen, zählen Insbesondere die neueren AIDS-Medikamente. In Indien sind diese - von wenigen Ausnahmen abgesehen - ebenfalls ohne Patentschutz, weil Arzneimittel dort erst seit 2005 patentierbar sind; und eine landeseigene Generikaindustrie gibt es auch. Also wäre nach der Logik der Patent-Skeptiker zu erwarten, dass Indiens HIV-Patienten vorbildlich versorgt werden. Doch von den rund 2 bis 3 Millionen HlV-infizierten Indern (Stand 2007) haben nur schätzungsweise 70.000 tatsächlich Zugang zu einer Therapie. Das Zugangsproblem muss also andere Ursachen haben, zumal die Originalanbieter durchaus bereit sind, ihre Präparate in Indien zu stark ermäßigten Sonderkonditionen abzugeben.
Wozu brauchen Pharmaunternehmen Patentschutz?
Patente sichern Erfinder davor, von Wettbewerbern um die Früchte ihrer erfinderischen Arbeit gebracht zu werden. Konkret: Nur der Patentinhaber und seine Lizenznehmer dürfen während der Patentlaufzeit ein patentiertes Medikament zum Zweck des Verkaufs herstellen. Die Erforschung und Weiterentwicklung dieses Präparats stehen allerdings jedermann frei.
Forschende Pharmaunternehmen sind auf Patentschutz angewiesen, denn nur so ist die Refinanzierung der Entwicklung eines Arzneimittels möglich. Und die ist langwierig und teuer: Selbst wenn ein Projekt erfolgreich ist (und die meisten sind es nicht), dauert es von der Idee bis zum zugelassenen Medikament im Schnitt zwölf Jahre. Und pro Medikament, das tatsächlich die Zulassung erhält, kostet die Entwicklungsarbeit durchschnittlich 800 Millionen US-Dollar.* Das Patentrecht sieht einen 20-jährigen Schutz vor Nachahmung vor. Weil aber für Arzneimittel die "Patentuhr" schon läuft, während sie noch entwickelt werden, sind davon bei Markteintritt schon mindestens die Hälfte abgelaufen. Berücksichtigt man alle Verlängerungsmög-ichkeiten für den Patentschutz, die das europäische Recht aus diesem Grund vorsieht, ergibt sich, dass Medikamente hierzulande rund 13 bis 15 Jahre vor Nachahmung geschützt sind. Danach verdienen an der Erfindung im Wesentlichen nur noch Generikaunternehmen mit ihren Nachahmerversionen.
Indien: Aus Nachahmern werden Innovatoren
In mancher Hinsicht ist Indien eine Industrienation: Das Land hat mehr als 20.000 Pharmaunternehmen, darunter Hersteller anspruchsvoller gentechnischer Präparate. Die indische Firma Dr. Reddy's Laboratories Ltd. unterhält schon ein Tochterunternehmen in Deutschland; weitere dürften folgen. Rund 80 Millionen Inder leben auch auf einem Wohlstandsniveau, das Europa vergleichbar ist; und sie können sich aus eigener Kraft einen entsprechenden Gesundheitsstandard leisten. Doch in anderer Hinsicht ist Indien ein Entwicklungsland; insbesondere hinsichtlich weiter Teile seines Gesundheitswesens.
Das WTO-Mitglied Indien hat sein Patentrecht 2005 grundsätzlich den Erfordernissen von TRIPS angepasst - dies nicht zuletzt deshalb, weil führende indische Firmen nicht mehr nur Generika, sondern auch Eigenentwicklungen vertreiben wollen, für deren Finanzierung sie Patentschutz brauchen. Allerdings entspricht das indische Patentrecht nicht durchgehend dem WTO-Standard. Hierdurch sind manche technische Verbesserungen in Indien nicht wie in anderen Ländern patentfähig.
Um dem vielerorts schlecht entwickelten indischen Gesundheitswesen Rechnung zu tragen, bieten viele europäische und US-amerikanische Unternehmen bedürftigen Patienten dringend benötigte Präparate gegen lebensbedrohliche Erkrankungen - etwa AIDS oder bestimmten Formen von Leukämie - zu extrem ermäßigten Sonderkonditionen oder sogar kostenlos an. Vergleichbare Versorgungsprogramme indischer Generikahersteller gibt es hingegen nicht.
Gerade wenn man verlangt, dass forschende Pharmaunternehmen künftig mehr Finanzen und Personal für die Entwicklung wenig gewinnträchtiger Medikamente für typische Krankheiten von Menschen in Entwicklungsländern aufwenden, kann man nicht daran interessiert sein, den Unternehmen jede Finanzierungssicherheit zu entziehen. Dass sich die Unternehmen bereits jetzt für solche Medikamente immer stärker engagieren, wird ab Seite 18 näher beschrieben. Nun lassen sich Gewinne, die die Entwicklungskosten refinanzieren, nur erzielen, wo Präparate zu Preisen weit über den Herstellungskosten vermarktet werden können. Das ist jedoch in weiten Teilen der Entwicklungsländer nicht der Fall: Hier können die Originalhersteller ihre Präparate nur zu sehr niedrigen Preisen anbieten. Etliche Präparate - etwa gegen AIDS und Malaria - liefern sie an Hilfsprogramme von Organisationen oder Regierungen sogar zu den Selbstkosten; oder sie vergeben Lizenzen für Herstellung und Vertrieb dieser Präparate an lokale Generikafirmen. Manche Präparate spenden sie sogar, etwa zur Verhinderung der Mutter-zu-Kind-Übertragung von HIV oder gegen Flussblindheit, Bilharziose, Lepra, Trachom oder die Schlafkrankheit. Warum also, so wird mitunter gefragt, ist den Unternehmen dennoch die Gültigkeit ihrer Patente in Schwellen-und Entwicklungsländern so wichtig, wenn es nicht um den Schutz von Preisen auf Industrienations-Niveau geht? Ein Grund dafür ist, dass sich Originalhersteller auf diese Weise gegen minderwertige Nachahmerversionen ihrer Präparate zur Wehr setzen können; und die Vergabe von Produktions- und Vertriebslizenzen an Generikahersteller können sie vom Einhalten von Qualitätsstandards abhängig machen. Auch erlauben Patente den Unternehmen in Ländern wie Indien, Arzneimittelspenden und Sonderkonditionen auf den bedürftigen Teil der Bevölkerung zu konzentrieren, während sie den wohlhabenden Bevölkerungsteil zu "normalen" Konditionen beliefern.
Jordanien: Mit Patentschutz auf Erfolgskurs
Jordanien trat 1999 als 136. Mitgliedsstaat der WTO bei und erfüllte binnen kurzer Zeit alle Verpflichtungen zur Umsetzung von TRIPS; zudem traf es ein Freihandelsabkommen mit den USA.
Die Entwicklung spricht für sich: Mit der Schaffung geeigneter Rahmenbedingungen war schon bald festzustellen, dass sich ausländische Pharmaunternehmen verstärkt im Land engagieren. Sie brachten zunächst eine Vielzahl neuer Produkte auf den Markt, von denen das Land profitieren konnte. Zunehmend bezogen sie aber auch jordanische Krankenhäuser in internationale klinische Studien ein, und die Forschungseinrichtungen des Landes arbeiten mit führenden Instituten in aller Welt zusammen. Im Land entwickelte sich auch eine wachsende einheimische Generikaindustrie, die Medikamente in andere Länder exportiert. Der Export wächst jährlich zweistellig.
Internationale Mindeststandards: TRIPS
Es liegt auf der Hand, dass Patente bei Arzneimitteln nur dann Ihre Funktion erfüllen, wenn sie von allen Medikamente produzierenden Ländern respektiert werden. Schließlich werden Medikamente über Landesgrenzen hinweg gehandelt.
Während In den Industrieländern der Patentschutz für Arzneimittel schon lange etabliert Ist, war dies In den meisten Entwicklungsländern nicht der Fall, bis die Welthandelsorganisation WTO 1994 das so genannte TRIPS-Überelnkommen verabschiedete (TRIPS steht für Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights, also "handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums"). Dieses Internationale Regelwerk beschreibt, wie ein nationales Patentrecht auszusehen hat und wie nationale Patente Im Internationalen Handel zu respektleren sind.
Bei TRIPS wurde der Situation der am wenigsten entwickelten Länder Rechnung getragen: Sie dürfen Gesetze und Vorschriften Im Inland höchst flexibel umsetzen, erhalten eine Übergangsfrist zur Implementierung von bis zu zehn Jahren (auf Antrag sogar länger) und ein Angebot auf Zusammenarbeit In technischer und finanzieller Hinsicht.
Damit Patente In einer Krisensituation keinesfalls die Gesundheitsversorgung eines (Entwlcklungs)-Landes behindern, erlaubt TRIPS, dass ein Land den Patentschutz für ein Präparat national und zeitlich befristet ausnahmsweise außer Kraft setzt - diese Regelungen werden oft TRIPS Flexibilities genannt. Das Land darf dann einem einheimischen oder ausländischen Generika-Hersteller eine ,Zwangsllzenz' zur Lieferung einer Nachahmerversion des Präparats erteilen. Seit der Verabschiedung des TRIPS-Überelnkommens sind zwar Fortschritte zu verzeichnen; In vielen Entwicklungsländern ist TRIPS jedoch bis heute nicht oder nicht vollständig in nationales Recht umgesetzt worden. Zudem müssen die am wenigsten entwickelten Länder die TRIPS-Vor-schrlften bis zum Jahr 2016 nicht befolgen. Einerseits können solche Länder daher derzeit ohne Rücksicht auf Patente generlsche Versionen patentgeschützter Präparate produzieren oder einführen. Andererseits fehlt ihnen - mangels Patentrecht - auch eine wesentliche Voraussetzung nachhaltiger wirtschaftlicher Entwicklung: der Anreiz, eigenständige Produkte hervorzubringen, die sich auch zum eigenen Vorteil im In- und Ausland vermarkten lassen.
Eflornithin
Eflornithin wurde in den 1970er Jahren vom Unternehmen Merrell als Krebsmedikament getestet. Doch während es sich gegen Krebs als unbrauchbar erwies, zeigte es Wirksamkeit gegen die Schlafkrankheit, eine tropische Armutskrankheit Zentralafrikas. Die WHO und Merrell verständigten sich daraufhin, dass das Unternehmen auf eigene Kosten Eflornithin in Schlafkrankheitsstudien erprobt, dann in den betroffenen Ländern zur Zulassung bringt und schließlich die Rechte daran der WHO übereignet, die damit auch für die weitere Produktion verantwortlich zeichnet. Zur Übereignung legte das Unternehmen noch einen Eflornithinvorrat an, um die Zeit zu überbrücken, bis die WHO einen neuen Hersteller gefunden hätte.
Doch die Zeit ohne Hersteller verging, und der Vorrat wurde aufgebraucht. So übernahm es ab 2001 doch der ursprüngliche Hersteller wieder (mittlerweile unter dem Namen Aventis, später Sanofi-Aventis), für die WHO Eflornithin-Ampullen zu produzieren; kostenfrei und unterstützt von Bristol-Myers Squibb. Letzteres Unternehmen hatte Merrells alter Produktionsanlage das Fortbestehen gesichert, indem es für Eflornithin ein weiteres Anwendungsgebiet erschloss: als Wirkstoff für Enthaarungscreme.
Entwicklungsländer profitieren von Patentschutz
Die Achtung von Patenten kommt Entwicklungs- und Schwellenländern aber nicht nur Indirekt - über für sie günstige Aktivitäten forschender Pharmaunternehmen -, sondern auch direkt zugute. Das zeigen eine Reihe von Erfolgsbeispielen. So ist heute schon fast in Vergessenheit geraten, dass Korea und Taiwan noch In den 80er Jahren als Entwicklungsländer galten. Dann aber sorgte die Einführung des Patentschutzes für eine Zunahme forschungsintensiver Arbeltsplätze - und bot jungen Akademikern, die Im Ausland studiert hatten, den nötigen Anreiz, In Ihr Heimatland zurückzukehren. Mit einem Anstieg der Rückkehrerquote um rund 20 Prozent konnte der gefürchtete "brain drain". In den späten 80er Jahren deutlich verlangsamt werden. Heute zeigt Jordanien eindrucksvoll, wie schnell und effizient ein zuverlässiger Schutz des geistigen Eigentums die wirtschaftliche Entwicklung beschleunigt (siehe Kasten).
Heute sind China und Indien dabei, sich In einigen Berelchen technologische Führungspositionen zu erarbeiten. Man muss sich die Frage stellen, ob sich solche Entwicklungs- und Schwellenländer nicht In der Erfindung und Produktion neuer Medikamente gegen Tropenkrankheiten ein Interessantes, well von großen Pharmaunternehmen weniger bearbeitetes Wirtschaftssegment erschließen könnten. Ihre günstige Lohn- und Kostenstruktur käme Ihnen dabei zu Hilfe. Für die Bereltschaft dort ansässiger Unternehmen, ein solches Geschäftsmodell zu verfolgen, wäre aber ein wirksames Patentrecht essenziell.
Verzicht auf Patente
Es gibt Beispiele dafür, dass Unternehmen In besonderen Situationen auf Patentschutz für Ihre Präparate verzichtet haben. So hat schon Vorjahren ein Unternehmen die Rechte an dem von Ihm fertig entwickelten Präparat Eflornithin gegen afrikanische Schlafkrankheit der WHO geschenkt (siehe Kasten).
Zu einer Herstellung durch andere Firmen hat das bis heute jedoch nicht geführt!
Andere Unternehmen haben Rechte und Know-how an die Regierungen einzelner Länder übergeben; so etwa für Benzonldazol gegen die Chagas-Krankheit.
Auf der Suche nach neuen Lösungen für die Entwicklungsländer haben aber die Firma sanofi-aventis und die Organisation Drugs for Neglected Diseases Initiative für ein gemeinsam entwickeltes Malariapräparat 2007 auch einmal ausdrücklich auf Patentschutz verzichtet. Ob es von Generikaherstellern aufgegriffen oder doch - wie das Eflornithin - weiter nur vom Originalhersteller produziert werden wird, bleibt abzuwarten.
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