Anwendungsbegleitende Datenerhebung: eine erste Zwischenbilanz
Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) kann seit 2020 Verfahren zu anwendungsbegleitenden Datenerhebungen (AbD) für bestimmte Arzneimittel einleiten. Stand jetzt – Juni 2024 – hat er bereits 15 Verfahren zur Prüfung gestartet und für sechs Arzneimittel eine AbD gefordert. Zwei der geforderten AbD haben sich als nicht durchführbar erwiesen, im Zuge der Verfahren zur Prüfung hat der G-BA die Beratungsverfahren eingestellt. (aktuelle Übersicht zu den Verfahren: G-BA) In drei weiteren Fällen entschied sich das G-BA Plenum vorab gegen eine Verfahrenseinleitung. Nachüber drei Jahren kann eine erste vorsichtige Zwischenbilanz gezogen werden.
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Methodische Herausforderungen und Probleme in den Verfahrensabläufen zeichnen sich ab
Was ist eine Anwendungsbegleitende Datenerhebung (AbD)?
Im Rahmen einer AbD werden Daten erfasst, die bei der Routinebehandlung von Patient:innen mit einem Arzneimittel anfallen – sogenannte Versorgungsdaten. Das kann in besonderen Fällen dabei helfen, den Nutzen und mögliche Nebenwirkungen dieses Arzneimittels noch besser einschätzen zu können. (mehr)
Wenn aus Sicht des G-BA Evidenzlücken für die Nutzenbewertung vorliegen, soll die AbD den forschenden Pharmaunternehmen die Möglichkeit geben, den Zusatznutzen anhand von Versorgungsdaten darzustellen. Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) hat dazu methodische Vorgaben entwickelt (Rapid Reports). Diese erscheinen in Teilen jedoch praxisfern und die Anforderungen sind überhöht. Die praktische Durchführbarkeit, auch im Kontext der Zweckmäßigkeit, stellt eine besondere Herausforderung dar, die sich in den ersten Verfahren widerspiegelt. In einem Fall führte dies bereits dazu, dass eine AbD schlichtweg nicht durchführbar war, was sich allerdings auch zuvor im Verfahren bereits abgezeichnet hatte. Ob die in den anderen geforderten anwendungsbegleitenden Datenerhebungen generierten Daten abschließend tatsächlich in der Nutzenbewertung berücksichtigt werden können, ist zum jetzigen Zeitpunkt unklar.
Es wird sich zeigen, ob das AMNOG – oder genauer: dessen methodische Anforderungen durch IQWiG und G-BA – schon bereit für Versorgungsdaten ist.
Die ersten Verfahren machen deutlich, dass es in den Abläufen noch Verbesserungspotenziale gibt. So könnte die Einführung eines Stellungnahmeverfahrens vor der Konzepterstellung des IQWiG unter Beteiligung aller Stakeholder (Ärztliche Fachgesellschaften, Patient:innen, Hersteller, Register-Betreiber, Verbände, Zulassungsbehörden...) sinnvoll sein, um unpraktikable Datenerhebungen zu vermeiden. Zweifelsohne ist jedoch eine frühere Einbindung der Fachexperten:innen, spätestens bei der Erstellung des Konzepts, notwendig. Auch sollte ein Austausch der Stakeholder zu methodischen Fragestellungen während der Studienprotokollerstellung ermöglicht werden. Aktuell wird zudem das pharmazeutische Unternehmen erst sehr spät über eine mögliche Verfahrenseinleitung in Kenntnis gesetzt, was Planbarkeit und Umsetzung zusätzlich erschwert. Insgesamt ist der Prozess noch zu intransparent und die fehlende Einbindung von Herstellerverbänden ist nicht nachvollziehbar. Hier sollten die Nutzenbewertungsverfahren als Vorbild gelten.
Was kann besser werden?
- Umsetzbarkeit gewährleisten – für den Hersteller und für Registerbetreiber
- Transparenz erhöhen und bessere Planbarkeit durch frühzeitige Einbindung aller Beteiligter
- Methodischer Realismus: mehr Praxisnähe in der Generierung von Evidenz, um eine Berücksichtigung in der Nutzenbewertung zu ermöglichen
Anwendungsbegleitende Datenerhebung als „lernendes System“?
Die Zwischenbilanz zur AbD zeigt noch einige Verbesserungspotenziale, die ausgeschöpft werden können. Dabei sollten die beteiligten Akteure, analog zu den Anfängen des AMNOG, ein gemeinsames Verständnis für die AbD als „lernendes System“ entwickeln und dieses iterativ optimieren. Neben der frühzeitigen Einbindung aller Beteiligter, Anpassungen bei den Verfahrensabläufen und mehr Transparenz ist es notwendig, die Methodik für Versorgungsdaten tauglich zu machen. Klar ist jedoch: die AbD ist kein „one-size-fits-all“-Ansatz und nur sinnvoll für Arzneimittel in besonderen Therapiesituationen, für die die Möglichkeiten der Evidenzgenerierung im Rahmen von RCTs deutlich erschwert sind und für die gleichzeitig durch eine AbD das ursprüngliche Ziel – die Quantifizierung des Zusatznutzens – überhaupt erreichbar erscheint. Der Einsatz dieses Instruments muss daher stets unter breiter Beteiligung der Expert:innen gründlich abgewogen werden. Beim Beschluss der Forderung einer AbD dürfen dann keine Zweifel mehr zur Durchführbarkeit bestehen, andernfalls sollte die AbD nicht gefordert werden. Zu begrüßen ist, dass der G-BA im Juni 2023 erstmals ein Verfahren zur Prüfung einer AbD im Zuge des Beratungsverfahrens eingestellt und somit die Angemessenheit und Realisierbarkeit hinreichend abgewogen hat.
Wie wird die Zukunft für Versorgungsdaten?
Die AbD kann als erster Schritt zu einer breiteren Akzeptanz und Nutzung von Versorgungsdaten verstanden werden. Durch die Durchführung der AbD kann unter Umständen weiterführende Evidenz generiert werden. Unabhängig von der AbD ist die Generierung von Versorgungsdaten wichtig. Hierdurch kann sich die Patientenversorgung verbessern - das Kernanliegen der forschenden Pharmaindustrie. In Zukunft wird sich jedoch vermehrt die Frage stellen, wie man das AMNOG fit für den medizinischen Fortschritt machen kann, ähnlich wie es in der Zulassung durch besondere Zulassungsformen getan wurde. Die anwendungsbegleitende Datenerhebung kann und wird hier nicht die Universallösung sein. Spezielle Versorgungssituationen, zielgerichtetere Therapieansätze mit kleineren Patient:innengruppen und Gentherapien stellen die frühe Nutzenbewertung vor Herausforderungen, die es zu bewältigen gilt.