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Änderung der zweckmäßigen Vergleichstherapie

Die Festlegung der zweckmäßigen Vergleichstherapie – kurz zVT – ist eine zentrale Komponente der AMNOG-Nutzenbewertung. Sie ist entscheidend für die Bewertung des Zusatznutzens eines neuen Arzneimittels. In zahlreichen Fällen erfolgen jedoch zu verschiedenen Zeitpunkten nachträgliche Änderungen der zVT. Die Folge: Erhebliche Konsequenzen für die Bewertung des neuen Arzneimittels und Herausforderungen für das pharmazeutische Unternehmen.

Blick durch eine Lupe auf drei weiße Tabletten und zwei rot-weiße Kapseln

Neue patengeschützte Arzneimittel durchlaufen seit 2011 das AMNOG-Verfahren. Auf der Grundlage der von den pharmazeutischen Unternehmen vorzulegenden Unterlagen wird der Zusatznutzen neuer, patentgeschützter Arzneimittel durch den Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) bewertet.(1) Anschließend werden die Erstattungsbeträge verhandelt. Ein entscheidender Faktor für den Ausgang des Verfahrens ist die zweckmäßige Vergleichstherapie (zVT) – diese legt der G-BA fest.

Grundlagen der Festlegung der zVT

Die zVT wird vom G-BA nach Maßstäben festgelegt, die sich aus seiner Verfahrensordnung (VerfO) ergeben. Sie ist nach Maßstäben zu bestimmen, die sich aus den internationalen Standards der evidenzbasierten Medizin ergeben.

Mit der Veröffentlichung der Nutzenbewertung (drei Monate nach Verfahrensbeginn) veröffentlicht der G-BA einige „Informationen zur zweckmäßigen Vergleichstherapie“ u.a.:

  • eine Aufzählung der zugelassenen Arzneimittel
  • die Beschreibung der Recherche-Strategie
  • eine tabellarische Darstellung der Recherche-Ergebnisse

Die eigentlichen Entscheidungsgrundlagen der o.g. Kriterien bei der Festlegung werden erst mit dem Beschluss (sechs Monate nach Verfahrensbeginn) veröffentlicht.

G-BA-Beratung

Zu der festzulegenden zVT kann sich der Hersteller vom G-BA unverbindlich beraten lassen. Die mitgeteilte zVT kann später geändert werden. Die Beratungsgebühren betragen 16.000 Euro.(2)
Die Beratung lässt sich dabei nach zwei Zweckbestimmungen unterscheiden:

  • zur Planung von pivotalen klinischen Studien
  • vor der Einreichung eines Dossiers zur Nutzenbewertung

Da eine Änderung der zVT trotz Beratung möglich ist, besteht keine Verlässlichkeit für die pharmazeutischen Unternehmen. Im Extremfall erhält das neue Arzneimittel durch die Änderung der zVT keine Anerkennung des Zusatznutzens, obwohl eine Studie zur zuvor beratenen Vergleichstherapie vorliegt.

Änderung der zweckmäßigen Vergleichstherapie

Die vom G-BA festgelegte zVT ist nicht verbindlich und kann ohne klare Systematik zu einem späteren Zeitpunkt – auch unmittelbar vor oder nach der Dossiereinreichung – verändert werden. Gründe für eine Anpassung:

  • Änderung des Anwendungsgebietes eines Arzneimittels im Studien- oder im Zulassungsprozess
  • Weiterentwicklung des Stands der medizinischen Erkenntnisse und der Versorgungsrelevanz
  • Resultat aus G-BA-Beschlüssen, wenn bewertete Arzneimittel mit oder ohne belegten Zusatznutzen als neue Vergleichstherapien ausgewiesen werden

Ernennung zVT

Über 100 AMNOG-Arzneimittel wurden nach ihrer Nutzenbewertung selbst vom G-BA zur zweckmäßigen Vergleichstherapie ernannt. In zwei Drittel der Fälle wurde der Zusatznutzen dieser Arzneimittel zuvor als nicht belegt, nicht quantifizierbar oder gering eingestuft. Auch Arzneimittel mit solchen Bewertungen werden somit regelmäßig zum neuen Therapiestandard und sind von hoher Versorgungsrelevanz:

Transparenz der zVT-Änderungen

Gründe für die zVT-Änderungen werden erst mit dem späteren Nutzenbewertungsbeschluss veröffentlicht (trifft nur auf Änderungen in laufenden Verfahren zu). Solche Änderungen der zVT fanden in den letzten zwei Jahren in etwa bei jedem fünften Verfahren statt. Änderungen, die vor der Dossiereinreichung erfolgen, werden in den tragenden Gründen des G-BA als solche nicht aufgeführt und auch nicht begründet. Eine Quantifizierung zur Häufigkeit solcher Änderungen ist daher nicht möglich.

Kommunikation an die pharmazeutischen Unternehmen

Für die pharmazeutischen Unternehmen gab es in den vergangenen Jahren verschiedene Möglichkeiten, Informationen hinsichtlich der Anpassungen einer zVT zu bekommen. Seit 2022 erfolgt nach Abschluss eines Beratungsverfahrens keine weitere Information mehr. Es liegt ausschließlich im Verantwortungsbereich des Unternehmens, die Aktualität der zVT zu prüfen. Der G-BA verweist auf die Möglichkeit einer erneuten Beratung.

Handlungsoptionen für pharmazeutische Unternehmen

Bei Änderungen im laufenden Verfahren ergeben sich in der Beschlusspraxis mehrere Konstellationen für pharmazeutische Unternehmen:

  • Eine Studie wird erst nach dem Stellungnahmeverfahren als geeignet eingestuft. Die bereits eingereichte Studie kann in einem vom IQWiG zu erstellenden Addendum nachträglich bewertet und im Beschluss berücksichtigt werden.(3) Eine erneute Durchführung des Nutzenbewertungsverfahren ist nicht erforderlich.
  • Die zVT wird zwar durch den G-BA geändert, es entstehen aber keine unmittelbaren Konsequenzen für den Zusatznutzennachweis.
  • Der G-BA befristet die Verfahren um sechs Monate. Das pharmazeutische Unternehmen erhält die Möglichkeit ein neues Dossier unter Berücksichtigung der aktuellen zVT einzureichen.

Es erfolgt die vorläufige Aussetzung der Beschlussfassung für sechs Monate aufgrund der zVT-Änderung. Problematisch sind kurzfristige Änderungen, die keine Anpassungen des Dossiers mehr erlauben. Gravierende Änderungen können trotz frühzeitiger Information dazu führen, dass keine adäquaten Anpassungen erfolgen können.

Planungssicherheit nach zVT-Beratung

Bei Anpassungen einer zVT sollte die Studienlage des Herstellers, wenn diese auf Grundlage einer G-BA-Beratung generiert wurde, besser berücksichtigt werden. Die zuvor beratene Vergleichstherapie, für die eine klinische Studie generiert wurde, sollte als Vergleichstherapie zusätzlich berücksichtigt werden. Dieser Lösungsansatz könnte die Planungssicherheit für Hersteller verbessern und negative Auswirkungen auf die Versorgung vermeiden.

Transparenz der zVT-Festlegung

Der G-BA veröffentlicht die festgelegte zVT und das Dokument zu „Informationen zur zweckmäßigen Vergleichstherapie“ erst zusammen mit der Nutzenbewertung. Die zur zVT-Festlegung vorgenommenen Abwägungen bleiben für die Dauer der Nutzenbewertung und das gesetzlich vorgeschriebene Stellungnahmeverfahren intransparent. Diese Verzögerung bei der Transparenz ist nicht sachgerecht.

Hinweis: In Langfassung erschien der Text im monitor Versorgungsforschung (Print 3. Oktober 2022/Online 21. September). Autor Dr. Andrej Rasch

Quellen