Europäische Nutzenbewertung schnell erklärt
Was ist Europäische Nutzenbewertung?
Der europäische Gesetzgeber hat die Einführung einer Nutzenbewertung für neue Arzneimittel auf europäischer Ebene beschlossen. Diese soll parallel zur europäischen Zulassung stattfinden und ab Januar 2025 für die ersten Medikamente starten. Ziele sind der schnellere Zugang zu neuen Therapien, die Verringerung von Doppelarbeit und die Harmonisierung der klinischen Bewertung. Eine entsprechende EU-Verordnung regelt die Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten bei den klinischen Aspekten des sog. Health Technology Assessments (HTA), insbesondere bei gemeinsamen klinischen Bewertungen sowie den dazugehörigen wissenschaftlichen Beratungen. Für Deutschland bedeutet das: Die klinische Bewertung der Studien wird künftig auf europäischer Ebene erfolgen. Die Beurteilung des Zusatznutzens und die Preisgestaltung verbleiben aber wie bisher in der nationalen Zuständigkeit.
Warum braucht es die Europäische Bewertung?
Wie in Deutschland werden bereits in vielen anderen europäischen Staaten Nutzenbewertungen durchgeführt, die jedoch oft sehr unterschiedlich sind. Dies führt in Europa zu immenser Doppelarbeit und einer Behinderung des Marktzugangs für die Industrie mit negativen Auswirkungen auf den schnellen Zugang von Patientinnen und Patienten zu neuen Medikamenten. Fragmentierte Bewertungssysteme belasten dazu die globale Wettbewerbsfähigkeit des Sektors.
Was ist konkret geregelt?
Die EU-Kommission hatte nach dem Vorbild der europaweiten Arzneimittelzulassung vorgeschlagen, die nationalen klinischen Bewertungen umfassend und rechtsverbindlich zu harmonisieren. Der Europäische Rat hatte aber mehr Flexibilität für nationale Besonderheiten eingefordert. Konkret müssen nun die Mitgliedsstaaten die EU-HTA-Bewertungen bei ihren Entscheidungen gebührend berücksichtigen, dürfen aber ergänzende klinische Bewertungen durchführen. Ein verbindlicher Mechanismus regelt die einmalige Einreichung klinischer Daten auf der EU-Ebene, die auf nationaler Ebene nicht erneut angefragt und eingereicht werden dürfen.
Was ist Nutzenbewertung im deutschen Kontext?
Im deutschen Gesundheitssystem gilt seit 2011 das sogenannte AMNOG-Verfahren für die Preisregulierung innovativer Medikamente. Es besteht im Wesentlichen aus den zwei Stufen: und darauf aufbauender Preisverhandlung. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), das oberste Entscheidungsgremium des Gesundheitssystems, bewertet zunächst den Zusatznutzen eines neuen Arzneimittels gegenüber einer von ihm festgelegten Vergleichstherapie auf der Grundlage der Einreichung klinischer Nachweise des Unternehmens. Die Bewertung ist Grundlage für eine Preisverhandlung zwischen Hersteller und dem Spitzenverband der Krankenkassen (GKV-SV).
Wie ist die künftige Arbeitsteilung?
Das deutsche AMNOG-Verfahren kann nach den Regelungen im Wesentlichen weitergeführt werden. Lediglich der erste Teil der Zusatznutzenbewertung, die Bewertung der klinischen Studienlage, soll in Zukunft gemeinsam auf europäischer Ebene durchgeführt werden. Für diese klinische Bewertung beauftragt der G-BA heute in der Regel das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit (IQWiG). In Zukunft würde das IQWiG auf europäischer Ebene an dem EU-HTA-Bewertungsbericht mitarbeiten. Die tatsächliche Entscheidung über den Zusatznutzen, auf Basis des europäischen Berichts und möglicher zusätzlicher nationaler Analysen, verbleibt weiterhin im nationalen Aufgabenbereich des G-BA. Auch ist der GKV-SV in Deutschland nach wie vor für die nachgelagerten Preisverhandlungen mit dem Hersteller verantwortlich.
Was bedeutet die Europäische Nutzenbewertung?
Die Zusammenarbeit in der EU ist sinnvoll, denn eine Italienerin ist nicht anders krank als eine Belgierin und ein Spanier profitiert nicht anders von einer Arzneimitteltherapie als ein Österreicher. Eine angestrebte Harmonisierung der klinischen Bewertung neuer Medikamente in Europa kann den Zugang zu neuen Medikamenten verbessern und mehr Effizienz und Planungssicherheit schaffen. Dies kann die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Gesundheitssektors unterstützen und Europa als Pharmastandort stärken. Die mögliche Flexibilität bezüglich nationaler Besonderheiten könnte sich jedoch als Hürde für die Erreichung dieser Ziele herausstellen, sollten die Mitgliedsstaaten im Rahmen ihrer Zusammenarbeit stets auf diesen bestehen.
Wie geht es weiter?
Bis Dezember 2024 muss der europäische Verfahrensablauf und Bewertungsrahmen durch die Mitgliedsstaaten und die EU-Kommission konkret festgelegt werden. Zusätzlich müssen die nationalen Verfahren angepasst werden. Dabei haben die Mitgliedsstaaten erneut die Chance die Weichen auf ein stärkeres Zusammenwachsen Europas zu stellen und die Verordnung zum Wohle der Patienten, der Gesundheitssysteme und des Standorts Europas umzusetzen.