Europäische Nutzenbewertung schnell erklärt
Was ist Europäische Nutzenbewertung?
Der europäische Gesetzgeber hat die Einführung einer Nutzenbewertung für neue Arzneimittel auf europäischer Ebene beschlossen. Diese wird parallel zur europäischen Zulassung stattfinden und ab 12. Januar 2025 für die ersten Medikamente starten. Eine EU-Verordnung regelt die Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten bei den klinischen Aspekten des sog. Health Technology Assessments (HTA), insbesondere bei gemeinsamen klinischen Bewertungen sowie den dazugehörigen wissenschaftlichen Beratungen. Für Deutschland bedeutet das: Die klinische Bewertung der Studien wird künftig auf europäischer Ebene erfolgen. Die Beurteilung des Zusatznutzens und die Preisgestaltung verbleiben aber wie bisher in der nationalen Zuständigkeit.
Warum braucht es die Europäische Bewertung?
Wie in Deutschland werden bereits in vielen anderen europäischen Staaten Nutzenbewertungen durchgeführt, die jedoch oft sehr unterschiedlich sind. Dies kann in Europa zu immenser Doppelarbeit und einer Behinderung des Marktzugangs für Unternehmen führen, welcher negative Auswirkungen auf den schnellen Zugang von Patientinnen und Patienten zu neuen Medikamenten haben kann. Fragmentierte Bewertungssysteme belasten dazu die globale Wettbewerbsfähigkeit des Sektors.
Wie ist die Europäische Nutzenbewertung konkret geregelt?
Die EU-Kommission hatte nach dem Vorbild der europaweiten Arzneimittelzulassung vorgeschlagen, die nationalen klinischen Bewertungen umfassend und rechtsverbindlich zu harmonisieren. Der Europäische Rat hatte aber mehr Flexibilität für nationale Besonderheiten eingefordert. Konkret müssen nun die Mitgliedsstaaten die EU-HTA-Bewertungen bei ihren Entscheidungen angemessen berücksichtigen, dürfen aber ergänzende klinische Bewertungen durchführen. Ein verbindlicher Mechanismus regelt die einmalige Einreichung klinischer Daten auf der EU-Ebene, die auf nationaler Ebene nicht erneut angefragt und eingereicht werden dürfen.
Was ist Nutzenbewertung im deutschen Kontext?
Im deutschen Gesundheitssystem gilt seit 2011 das sogenannte AMNOG-Verfahren für die Preisregulierung innovativer Medikamente. Es besteht im Wesentlichen aus den zwei Stufen: und Preisverhandlung. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), das oberste Entscheidungsgremium des Gesundheitssystems, bewertet zunächst den Zusatznutzen eines neuen Arzneimittels gegenüber einer von ihm festgelegten Vergleichstherapie auf der Grundlage der Einreichung klinischer Nachweise des Unternehmens. Die Bewertung ist Grundlage für eine Preisverhandlung zwischen Hersteller und dem Spitzenverband der Krankenkassen (GKV-SV).
Wie ist die künftige Arbeitsteilung?
Das deutsche AMNOG-Verfahren wird weitergeführt. Lediglich der erste Teil der Zusatznutzenbewertung, die Bewertung der klinischen Studienlage, soll in Zukunft gemeinsam auf europäischer Ebene durchgeführt werden und dann als nationale Grundlage herangezogen werden. Für diese klinische Bewertung beauftragt der G-BA heute in der Regel das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit (IQWiG). In Zukunft würde das IQWiG auf europäischer Ebene an dem EU-HTA-Bewertungsbericht mitarbeiten. Die tatsächliche Entscheidung über den Zusatznutzen, auf Basis des europäischen Berichts und möglicher zusätzlicher nationaler Analysen, verbleibt weiterhin im nationalen Aufgabenbereich des G-BA. Auch der GKV-SV in Deutschland ist nach wie vor für die nachgelagerten Preisverhandlungen mit dem Hersteller verantwortlich.
Was bedeutet die Europäische Nutzenbewertung?
Die Zusammenarbeit in der EU ist sinnvoll, denn eine Italienerin ist nicht anders krank als eine Belgierin und ein Spanier profitiert nicht anders von einer Arzneimitteltherapie als ein Österreicher. Die Europäische Nutzenbewertung bietet große Chancen zur Harmonisierung der Bewertungsgrundlagen in den Mitgliedsstaaten zur Vereinfachung des Nutzennachweises in Europa. Dies kann die Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Standorts stärken und den Zugang zu neuen Medikamenten verbessern. Eine zu starke Fokussierung auf nationale Besonderheiten in der europäischen Zusammenarbeit würde diese Chancen schmälern.
Wie geht es weiter?
Ab dem 12. Januar 2025 beginnt die europäische Nutzenbewertung von Arzneimitteln für neuartige Therapien (ATMPs) und onkologische Erkrankungen parallel zu den entsprechenden Zulassungsverfahren der europäischen Arzneimittelagentur (EMA). Der Beginn eines deutschen AMNOG-Verfahrens auf Grundlage der europäischen Vorarbeiten wird erst Ende 2025 erwartet.