Arzneimittelversorgung
Versorgungsdefizite im Arzneimittelbereich- eine Dokumentation des VFA
Statement von Cornelia Yzer
Berlin, (VFA). "Die Arzneimittelbudgets müssen weg - zumindest aber müssen die regionalen Budgets in diesem Jahr deutlich aufgestockt werden, damit die Patienten in Deutschland Zugang zum medizinischen Fortschritt haben und die Versorgungsdefizite im Arzneimittelbereich reduziert werden", forderte die Hauptgeschäftsführerin des Verbandes Forschender Arzneimittelhersteller (VFA), Cornelia Yzer, bei der Vorstellung der VFA-Dokumentation "Defizite in der Arzneimittelversorgung in Deutschland" heute (26.06.00) in Berlin. Andernfalls drohe eine Zweiklassengesellschaft im Gesundheitswesen. Es reiche nicht mehr aus, seitens des Bundesgesundheitsministeriums und der Koalitionsparteien die Budgets zwar immer häufiger als Notlösung zu beklagen, zukunftsfähige Alternativen aber nicht auf den Tisch zu legen.
Die Dokumentation der forschenden Arzneimittelhersteller weist in insgesamt 13 Indikationsgebieten zahlreiche Fälle mit deutlichen, teilweise dramatischen Versorgungsdefiziten auf. "Defizite", so Yzer, "haben wir dokumentiert, wenn es für die Therapie der jeweiligen Krankheit international anerkannte, evidenz-basierte Standards gibt, von denen in der Realität abgewichen wird." Die Zusammenstellung erhebe keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit.
Als ein Beispiel für die dramatische Unterversorgung nannte Yzer das Indikationsgebiet Alzheimer, in dem bereits seit fünf Jahren die Behandlung mit Präparaten der neuen Wirkstoffgruppe der Acetylcholinesterase-Hemmer (AChE-H) möglich ist. Diese ermöglichen es Alzheimer-Patienten, länger selbständig zu bleiben. Damit kann die Einweisung in ein Pflegeheim um mindestens ein Jahr verzögert werden. Neben dem Nutzen für den Patienten bedeutet dies auch Kostenvorteile für die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV).1997 litten zwischen 600.000 und 800.000 Menschen an einer Alzheimer-Erkrankung. Darunter befanden sich 325.000 Menschen in einem leichten bzw. mittelschweren Stadium - sie wären somit für eine Behandlung mit AChE-Präparaten in Frage gekommen.
Tatsächlich wurden damit jedoch lediglich ca. 40.000 Patienten behandelt - ein Anteil von ca. 12 Prozent. Auch der Vergleich zwischen Gesetzlicher und Privater Krankenversicherung zeige, so Yzer weiter, den Zusammenhang zwischen Budget und Unterversorgung: 1999 entfielen bei Alzheimer-Patienten in der GKV unter Budget-Bedingungen lediglich 18,5 Prozent der Verordnungen auf die innovativen AChE-Hemmer, die PKV dagegen finanzierte ohne derartige Budgetierung immerhin 35,4 Prozent der Verordnungen mit diesen neuen Präparaten.
Weitere Versorgungsdefizite gebe es auch bei den koronaren Herzerkrankungen: Die präventive Senkung des Lipidspiegels bei zu hohen Cholesterinwerten durch sogenannte Statine werde vernachlässigt. Obwohl drei Studien bestätigten, dass durch Statine jeder dritte Rückfall bei an koronarer Herzkrankheit Leidenden verhindert werden könne, seien von 91 Prozent der für eine Statine-Behandlung in Frage kommenden Patienten lediglich 28 Prozent mit diesen Medikamenten behandelt worden und nur 4 Prozent erhielten eine dem aktuellen Stand der Wissenschaft entsprechende Therapie. Der stärkere Einsatz dieser innovativen Medikamente könne auch hier für die Sozialversicherungen zu deutlichen Kostensenkungen führen, wie eine Studie des Instituts für Gesundheitsökonomie und Epidemiologie zeige, so Yzer weiter: "Wären beispielsweise alle Infarktpatienten 1996 mit Statinen behandelt worden, hätte dies zu Kostensenkungen von fast 1,5 Milliarden DM in einem Zeitraum von fünf Jahren geführt."
Dramatisch sei die Versorgungssituation auch im Indikationsgebiet Schmerz: Von rund 550.000 Patienten, die stark wirkende Opioide brauchten, erhielten nur 3,6 Prozent die erforderliche Behandlung.
Schließlich verwies Yzer auf eine Studie, die das Zentrum für Sozialpolitik der Universität Bremen im Auftrag der Gmünder Ersatzkasse (GEK) erstellt hat. Danach ist "jeder Vierte gesetzlich Versicherte in Deutschland von Unterversorgung betroffen", so Yzer. Von 57,9 Prozent der Befragten, die im letzten Quartal 1999 in Behandlung waren, wurden 27,4 Prozent Arznei- oder Heilmittel, die sie bisher erhalten hatten, verweigert oder auf das Jahr 2000 verschoben. 11 Prozent wurden sogar bisher erhaltene Arzneimittel verweigert, ohne dass dafür alternative Behandlungsmöglichkeiten gewährleistet wurden.
"Sparen unter Budget provoziert Unterversorgung der Patienten", erklärte Yzer und nannte weitere Beispiele: "65 Prozent aller an schweren Depressionen erkrankten Patienten sind unterversorgt. Von 30.000 Erkrankten, bei denen Hepatitis C diagnostiziert wurde, werden lediglich 10.000 medikamentös adäquat behandelt. Mehr als 2,5 Millionen Asthmatiker werden medikamentös mangelhaft betreut. Aufgrund der ungenügenden ambulanten und medikamentösen Behandlung erblinden jährlich 6.000 Typ-2-Diabetiker, 8.000 werden dialysepflichtig, bei 28.000 werden Gliedmaßen amputiert, 27.000 erleiden einen Herzinfarkt und 44.000 einen Schlaganfall."
Zwar zeigten sich auch Gesundheitspolitiker aus den Reihen der Regierungsparteien betroffen, wenn sie mit Einzelfällen von Unterversorgung konfrontiert würden. "Betroffenheit im Einzelfall aber reicht nicht mehr aus", betonte Yzer, "entscheidend ist, dass sofort damit begonnen wird, die Versorgungsdefizite zu beseitigen!"
Dazu sei es vor allem notwendig, so Yzer, dass Innovationen bei der Budgetfestsetzung ausreichend berücksichtigt werden. Dies sei in den letzten Jahren nicht geschehen, wie eine Studie von Prof. Eberhard Wille, dem stellvertretenden Vorsitzenden des Sachverständigenrates der Konzertierten Aktion für das Gesundheitswesen, eindeutig belegt habe. Der VFA habe die Wille-Studie fortgeschrieben. Ergebnis: "Allein um die Innovationen in der Arzneimitteltherapie an die Patienten weitergeben zu können, müssten die Budgets jährlich mindestens um vier Prozent angehoben werden", erklärte Yzer.
Angesichts der noch laufenden Verhandlungen über das Budget 2000 appellierte die VFA-Hauptgeschäftsführerin an die Verantwortlichen, die Budgets, wenn sie schon nicht abgeschafft würden, zumindest bedarfsgerecht auszugestalten.
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Edgar Muschketat
Tel. 0 30/2 06 04-204
Fax 0 30/2 06 04-209
Pressekonferenz
"Arzneimittelbudgets und Unterversorgung der Patienten in Deutschland"
des Verbandes Forschender Arzneimittelhersteller e.V.
Berlin, 26. Juni 2000
Cornelia Yzer
Hauptgeschäftsführerin des Verbandes Forschender Arzneimittelhersteller
Die forschenden Arzneimittelhersteller haben die Budgetierung und die sektoralen Budgets schon immer für den falschen Weg gehalten, das Gesundheitssystem zu sanieren. Von Anfang an haben wir darauf hingewiesen, dass die Arzneimittelbudgets eine angemessene Arzneimittelversorgung in Deutschland unmöglich machen. Sehr früh schon haben wir davor gewarnt, dass die restriktive Budgetierung die Ärzte dazu zwingt, auf Kosten der Versorgung der Patienten zu rationieren.
Die Arzneimittelbudgetierung war 1993 ursprünglich als kurzfristige Notmaßnahme eingeführt worden. Und was ist daraus geworden? Ein dauerhaftes Kostendämpfungsinstrument, das allerdings über Jahre seine Untauglichkeit bewiesen hat: gesundheitspolitisch, finanziell und verwaltungstechnisch. Das Ende vom Lied: zunehmende Rationierung von Leistungen und Unterversorgung.
Deshalb begrüßen wir die jüngste Debatte über das Budget. Gleichzeitig sage ich in aller Klarheit: Es reicht nicht mehr aus, seitens des Bundesgesundheitsministeriums und der Koalitionsparteien die Budgets zwar immer häufiger als Notlösung zu beklagen, zukunftsfähige Alternativen aber nicht auf den Tisch zu legen.
Die aktuelle Budgetsituation offenbart Unterversorgung
Unsere Alternative lautet: Das Budget muss weg! Zumindest aber müssen die regionalen Budgets in diesem Jahr deutlich aufgestockt werden, um medizinischen Fortschritt weiterhin den Patienten zugänglich zu machen. Die moderne Arzneimittelversorgung in Deutschland darf durch zu geringe Budgets nicht behindert werden. Andernfalls droht eine Zweiklassengesellschaft im Gesundheitswesen.
Der Versuch, die aktuelle Budgetdiskussion mit dem Hinweis auf angebliche Einsparpotentiale in der Arzneimittelversorgung zu beenden, hilft heute wie schon seit Jahren nicht weiter. Wer - wie zuletzt die AOK - von Einsparpotentialen in Höhe von über sieben Milliarden DM spricht, verabschiedet sich aus der ernsthaften Diskussion. Wer angesichts der bestehenden Versorgungsengpässe und der Unterversorgung suggeriert, beim Arzneimittelbudget stünden 20 Prozent zur Disposition, handelt - auf dem Rücken der Patienten - grob fahrlässig. Der Patienten in Deutschland, einem der reichsten Industrieländer der Welt. Und ein solches Land kann und darf sich eine Unterversorgung seiner Patienten nicht leisten. Sparen an Medikamenten ist die falsche Strategie. Wir sagen: Sparen durch Medikamente. Zum Wohle der Patienten.
Zahlreiche Studien haben sich bereits mit dem Thema Unterversorgung befasst und damit auf das Problem aufmerksam gemacht. Einen Gesamtüberblick über das Ausmaß der Unterversorgung gibt es jedoch bislang nicht.
Auf verschiedenen Veranstaltungen - wie dem Deutschen Schmerztag 1999 in Frankfurt, um nur ein Beispiel zu nennen - wurde das Problem intensiv behandelt. Auch Bundesgesundheitsministerin Fischer zeigte sich dort betroffen über das Ausmaß der Unterversorgung. Betroffenheit im Einzelfall aber reicht nicht aus. Entscheidend ist, dass sofort damit begonnen wird, die Versorgungsdefizite zu beseitigen.
Deshalb haben wir einen Überblick über Versorgungsdefizite im Arzneimittelbereich erstellt. Unsere Zusammenstellung erhebt allerdings keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Unser Auswahlkriterium für die Berücksichtigung der Studien war die Objektivierbarkeit der Unterversorgung. Das heißt, wir sprechen dann von einem Versorgungsdefizit, wenn es für die Therapie der jeweiligen Krankheit international anerkannte, evidenz-basierte Standards gibt, von denen in der Realität abgewichen wird.
Eines, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist mir jedoch wichtig zu betonen: Es gibt verschiedene Stufen der Versorgungsqualität. Wir wollen keine Schwarz-Weiß-Malerei betreiben, eine medizinische Versorgung ist nicht entweder "optimal" oder "nicht vorhanden". Dazwischen existiert ein breites Behandlungsspektrum. Wenn wir vom Versorgungsdefizit sprechen, meinen wir damit die Abweichung der tatsächlichen Behandlung von der optimalen Behandlung bezogen auf evidenz-basierte Standards. Es wird somit nicht zwingend impliziert, dass jede andere Behandlungsform inakzeptabel ist.
Doch nun zu den konkreten Beispielen für die Unterversorgung mit Arzneimitteln in Deutschland.
Jeder Vierte gesetzlich Versicherte ist unterversorgt
Jeder Vierte gesetzlich Versicherte in Deutschland ist von Unterversorgung betroffen. Dies belegt eine Studie der Gmünder Ersatzkasse (GEK). Das Zentrum für Sozialpolitik der Universität Bremen - das nun wirklich absolut unverdächtig ist, besonders industriefreundlich zu sein - wertete im April im Auftrag der GEK die Antworten von 4.024 repräsentativen GEK-Verischerten aus.
Mit folgendem Ergebnis: Von den 57,9 Prozent der Befragten (2.299 Personen), die im vierten Quartal 1999 in Behandlung waren, wurden 27,4 Prozent Arznei- oder Heilmittel, die sie bisher erhalten hatten, verweigert oder auf das Jahr 2000 verschoben. 11 Prozent wurden sogar bisher erhaltene Arzneimittel verweigert, ohne dass dafür alternative Behandlungsmöglichkeiten gewährleistet wurden.
Besonders bemerkenswert waren dabei die Begründungen für die Ablehnungen: Bei 68 Prozent der Fälle, in denen bisher verschriebene Präparate ohne Alternative abgelehnt wurden, gaben die Ärzte als Begründung an, sie müssten wegen der Budgetierung die Leistungen aus eigener Tasche bezahlen! Wer will da noch den Zusammenhang zwischen Budget und Unterversorgung leugnen?
Auf die Frage, ob die Betroffenen wegen der Ablehnung oder Verschiebung von Leistungen "spürbare gesundheitliche Nachteile" hatten oder haben, gaben beachtliche 24,2 Prozent an, es gäbe "viele" oder sogar "sehr viele". In diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinweisen, dass zahlreiche Studien belegt haben, dass Patienten mit sehr hoher Zuverlässigkeit dazu in der Lage sind, ihren Gesundheitszustand korrekt einzuschätzen.
Dramatische Beispiele für Unterversorgung: Alzheimer, Herz-Kreislauf und Schmerz
Wie dramatisch die Unterversorgung in einzelnen Indikationen ist, belegen zahlreiche Beispiele, die Sie auch alle in Ihrer Pressemappe finden. An dieser Stelle möchte ich drei exemplarisch herausstellen.
- Im Indikationsgebiet Alzheimer ist seit 1995 - also bereits seit fünf Jahren - die Behandlung mit Präparaten der neuen Wirkstoffgruppe der Acetylcholinesterase-Hemmer (AChE-H) möglich. Dank dieser neuen Substanzklasse können Alzheimer-Patienten länger selbständig bleiben. Die Einweisung in ein Pflegeheim - die in der Regel sehr teuer ist - kann dadurch um mindestens ein Jahr hinausgezögert werden. Nach epidemiologischen Studien litten 1997 zwischen 0,6 und 0,8 Millionen Menschen an einer Alzheimer-Erkrankung. Unter ihnen befanden sich mindestens 325.000 Erkrankte in einem leichten bzw. mittelschweren Erkrankungsstadium. Ihnen würde eine Behandlung mit AChE-H- Präparaten deutlich nutzen. Tatsächlich jedoch wurden mit diesen innovativen Medikamenten lediglich ca. 40.000 Menschen behandelt. Das entspricht einem Anteil von ca. 12 Prozent.
Dass als Ursache für diese Unterversorgung das Arzneimittelbudget diagnostiziert werden kann, macht der Vergleich zwischen Gesetzlicher Krankenversicherung (GKV) und Privater Krankenversicherung (PKV) und Selbstzahlern deutlich: 1999 entfielen bei an Alzheimer erkrankten GKV-Versicherten lediglich 18,5 Prozent der Verordnungen auf die innovativen AChE-Hemmer. Die PKV, die sich nicht mit einem Budget-Deckel herumschlagen muss, finanzierte immerhin schon bei 35,4 Prozent der Verordnungen diese neuen Präparate.
Übrigens ist im vergangenen Jahr der Anteil der Verschreibungen von AChE-Hemmern in der PKV um 41 Prozent gestiegen, in der GKV im selben Zeitraum lediglich um 12 Prozent.
Nach einer repäsentativen Befragung der Firma Pfizer gaben im vergangenen Jahr 85 Prozent der Ärzte an, bewusst auf den Einsatz von AChE-Hemmern zu verzichten. Als Grund nannten 38 Prozent der Ärzte das Arzneimittelbudget. Ohne Budgetzwang würden diese Ärzte den Anteil dieser Verordnungen von 18 auf 40 bis 50 Prozent erhöhen.
Fazit: Nicht aus medizinischen, sondern aus budgettechnischen Gründen wird vielfach auf Innovationen verzichtet, obwohl der Nutzen dieser Präparate für die Patienten von den Ärzten nicht in Frage gestellt wird.- Im Indikationsgebiet Herz-Kreislauf gelten erhöhte Cholesterinwerte und Bluthochdruck als Hauptrisikofaktoren für schwere Erkrankungen. Hier kommt der Sekundärprävention eine besondere Rolle zu. Patienten mit zu hohen Cholesterinwerten kann durch eine Therapie mit sogenannten Statinen geholfen werden: Eine präventive Senkung des Lipid-Spiegels reduziert die Morbidität und Mortalität dieser Patienten nachweisbar um 30 Prozent. Allein drei Studien (die 4-S-Studie, die LIPID-Studie und die CARE-Studie) haben gezeigt, dass jeder dritte Rückfall bei bereits an koronarer Herzkrankheit (KHK) Leidenden durch eine Statine-Therapie verhindert werden kann.
Zwar werden immer mehr Statine auf Kosten der GKV verordnet. Aber dennoch bleibt eine solche Therapie einem Großteil der Betroffenen vorenthalten. Eine bundesweite Untersuchung mit 3720 Patienten in 591 Arztpraxen kommt zu folgendem Ergebnis: Für 91 Prozent der koronaren Herzkranken wäre eine Statine-Behandlung in Frage gekommen. Davon hatten jedoch nur 28 Prozent überhaupt Lipidsenker verordnet bekommen - und das sogar zum Teil in unzureichender Form: Nur vier Prozent erreichten die international empfohlenen Cholesterinwerte. Daraus folgt: 87 Prozent dieser KHK-Patienten waren unterversorgt.
An dieser Stelle möchte ich zudem daran erinnern, dass Bundesgesundheitsministerin Fischer zu Beginn ihrer Amtszeit vor allem die Prävention in den Vordergrund gestellt hatte. Hier jedoch wird Prävention durch das Budget verhindert.
Eine Studie des Instituts für Gesundheitsökonomie und Epidemiologie hat darüber hinaus gezeigt, dass der vermehrte Einsatz innovativer Medikamente auch aus der Sicht der Sozialversicherungen zu deutlichen Kostensenkungen führen könnte. Wären beispielsweise alle Infarktpatienten 1996 mit Statinen behandelt worden, hätte dies zu Kostensenkungen von fast 1,5 Milliarden DM in einem Zeitraum von fünf Jahren geführt. Ganz zu schweigen von dem unmittelbaren Nutzen, den die Patienten davon gehabt hätten.Dies waren drei ausführliche Beispiele aus einer unendlichen Geschichte, die da heißt: Sparen unter Budget provoziert Unterversorgung der Patienten. Ich kann die Reihe schlaglichtartig fortsetzen:- Ebenfalls dramatisch ist die Situation im Indikationsgebiet Schmerz. Experten sprechen bereits von Deutschland als analgesiologischem Notstandsgebiet. Zur Erklärung: Unter Analgesie versteht man die Aufhebung des Schmerzempfindens. Die Experten gehen davon aus, dass eine Million Menschen unnötig leiden muss.
Beispiel Morphinverschreibungen: Diese sind in den vergangenen Jahren zwar angestiegen. Doch um eine adäquate Versorgung zu gewährleisten, müsste sich die verschriebene Menge in etwa verzehnfachen - dann erst entspräche sie internationalem Standard. In Deutschland haben wir folgende Situation: von rund 550.000 Patienten, die stark wirkende Opioide brauchen, erhalten lediglich 3,6 Prozent die erforderliche Behandlung. Die Zahlen sprechen für sich.
Auf dem Deutschen Schmerztag 1999 in Frankfurt führten die Experten diese dramatische Unterversorgung darauf zurück, dass bei den Berechnungen der Arzneimittelbudgets diese oftmals teuren Medikamente - Zitat - "offensichtlich vergessen wurden". Hinsichtlich der Kostenseite gelte auch für dieses Indikationsgebiet: Zwar würden durch eine innovative Versorgung Mehrkosten entstehen. Gleichzeitig jedoch sei durch diese Medikamente eine stationäre Behandlung oftmals nicht mehr notwendig. Im stationären Bereich könne somit erheblich gespart werden. Die Mehrkosten für Innovationen würden somit überkompensiert. Mit sektoralen Budgets jedoch wird dieses Einsparpotential nicht realisiert.
- 65 Prozent aller an schweren Depressionen Erkrankten sind unterversorgt.
- Von 30.000 Patienten, bei denen Hepatitis C diagnostiziert wurde, werden lediglich 10.000 medikamentös adäquat behandelt.
- Mehr als 2,5 Millionen Asthmatiker werden medikamentös mangelhaft betreut.
- Aufgrund der ungenügenden ambulanten und medikamentösen Behandlung erblinden jährlich 6.000 Typ-2-Diabetiker, 8.000 werden dialysepflichtig, bei 28.000 werden Gliedmaßen amputiert, 27.000 erleiden einen Herzinfarkt und 44.000 einen Schlaganfall.
- Chronische Bronchitis wird nur in 50 bis 60 Prozent aller mittelschweren und schweren Fälle angemessen mit Antibiotika therapiert.Unterversorgung betrifft auch die Indikationsgebiete Schizophrenie, Osteoporose, Onkologie und Epilepsie. Und wie ich bereits eingangs erklärte, diese Beispiele haben keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
- Lediglich 6,7 beziehungsweise 14,8 Prozent aller Gastritis- oder Ulcus-Patienten erhalten eine Therapie mit innovativen Medikamenten.
Die forschenden Arzneimittelhersteller fordern deshalb: Wer über das Budget berät, wer das Budget festlegt, der muss mit diesem Budget den therapeutischen Möglichkeiten und den Bedürfnissen der Patienten Rechnung tragen.
Innovationen werden bei der Budgetfestsetzung nicht ausreichend berücksichtigt
Es ist unbestritten: In den letzten Jahren haben zahlreiche Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen zu medizinisch-therapeutischen Fortschritten bei der Behandlung weitverbreiteter und schwerer Krankheiten geführt. Innovationen müssen - so legt es das Sozialgesetzbuch fest - bei der Fortschreibung des Budgets berücksichtigt werden.- In welchem Umfang sind die GKV-Arzneimittelausgaben durch Innovationen gewachsen ("Innovationskomponente")?Zu diesen Fragen hat Prof. Wille, Inhaber des Lehrstuhls für Volkswirtschaftslehre der Universität Mannheim und stellvertretender Vorsitzender des Sachverständigenrats für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen, im Auftrag des VFA ein Gutachten vorgelegt.
- Ist die Innovationskomponente bei der Fortschreibung der Budgets angemessen berücksichtigt worden?
Für 1995 und 1996 ermittelt die Studie eine Innovationskomponente von rund 3 Prozent. Bis 1998 - dies ergibt eine Aktualisierung der Studie durch den VFA auf der Basis der gleichen Methode - steigt die Innovationskomponente auf 5,8 Prozent, 1999 geht sie auf 4,7 Prozent zurück. Fazit: Im Durchschnitt müssten die Budgets jährlich um mindestens vier Prozent angehoben werden, um die Innovationen in der Arzneimitteltherapie an die Patienten weitergeben zu können.
Unter Innovationen werden bei dieser Methode ausschließlich Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen verstanden. Darüber hinaus gibt es weitere Innovationen, die sich durch die Entdeckung neuer Indikationen für bekannte Wirkstoffe, neuen Darreichungsformen und Verbesserungen im Behandlungsprozess (wie z.B. in der Diabetes-Therapie) auszeichnen. Auch diese Innovationen müssen in der Budgetbemessung berücksichtigt werden.
Das Wille-Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass die Innovationskomponente nicht ausreichend beziehungsweise überhaupt nicht in der Bemessung der Budgets berücksichtigt worden ist. Die abgeschlossenen oder noch laufenden Verhandlungen für die Budgets 2000 zeigen keine Änderung dieser Praxis.
Wir sagen: wenn die Budgets schon nicht abgeschafft werden, dann müssen sie zumindest bedarfsgerecht sein. Das erfordert die Berücksichtigung der Arzneimittelinnovationen. Nur dann verdient unser Gesundheitssystem auch weiterhin den Ruf, eines der besten Sozialsysteme der Welt zu sein.
- Chronische Bronchitis wird nur in 50 bis 60 Prozent aller mittelschweren und schweren Fälle angemessen mit Antibiotika therapiert.
- Aufgrund der ungenügenden ambulanten und medikamentösen Behandlung erblinden jährlich 6.000 Typ-2-Diabetiker, 8.000 werden dialysepflichtig, bei 28.000 werden Gliedmaßen amputiert, 27.000 erleiden einen Herzinfarkt und 44.000 einen Schlaganfall.
- Mehr als 2,5 Millionen Asthmatiker werden medikamentös mangelhaft betreut.
- Von 30.000 Patienten, bei denen Hepatitis C diagnostiziert wurde, werden lediglich 10.000 medikamentös adäquat behandelt.
- Ebenfalls dramatisch ist die Situation im Indikationsgebiet Schmerz. Experten sprechen bereits von Deutschland als analgesiologischem Notstandsgebiet. Zur Erklärung: Unter Analgesie versteht man die Aufhebung des Schmerzempfindens. Die Experten gehen davon aus, dass eine Million Menschen unnötig leiden muss.
Unsere Mitglieder und ihre Standorte
Die Mitglieder des vfa repräsentieren mehr als zwei Drittel des gesamten deutschen Arzneimittelmarktes und beschäftigen in Deutschland rund 102.000 Mitarbeiter:innen.
Rund 21.000 davon sind für die Erforschung und Entwicklung von Arzneimitteln tätig. Allein in Deutschland investieren die forschenden Pharma-Unternehmen jährlich 9,6 Mrd. Euro in die Arzneimittelforschung für neue und bessere Medikamente. Dies entspricht etwa 42 Millionen Euro pro Arbeitstag. - Im Indikationsgebiet Herz-Kreislauf gelten erhöhte Cholesterinwerte und Bluthochdruck als Hauptrisikofaktoren für schwere Erkrankungen. Hier kommt der Sekundärprävention eine besondere Rolle zu. Patienten mit zu hohen Cholesterinwerten kann durch eine Therapie mit sogenannten Statinen geholfen werden: Eine präventive Senkung des Lipid-Spiegels reduziert die Morbidität und Mortalität dieser Patienten nachweisbar um 30 Prozent. Allein drei Studien (die 4-S-Studie, die LIPID-Studie und die CARE-Studie) haben gezeigt, dass jeder dritte Rückfall bei bereits an koronarer Herzkrankheit (KHK) Leidenden durch eine Statine-Therapie verhindert werden kann.