Drucken
öffnen / schließen
Wenn Sie diese Felder durch einen Klick aktivieren, werden Informationen an Facebook, Twitter oder Google in die USA übertragen und unter Umständen auch dort gespeichert. Näheres erfahren Sie hier: https://www.heise.de/ct/artikel/2-Klicks-fuer-mehr-Datenschutz-1333879.html

Behandlung mit Medikamenten, die noch nicht zugelassen sind

Ehe ein Medikament auf den Markt kommt, müssen seine Wirksamkeit und Verträglichkeit in klinischen Studien ermittelt und seine technische Qualität geprüft werden. Nur Medikamente, deren Nutzen die Anwendungsrisiken überwiegt und die in einem zuverlässigen Verfahren hergestellt werden, erhalten nach vielmonatiger behördlicher Prüfung die Zulassung zur Vermarktung, können also auch bei Patient:innen außerhalb von Studien eingesetzt werden. Doch für Menschen mit schweren Erkrankungen, die mit allen zugelassenen Therapiemöglichkeiten „austherapiert“ sind, aber nicht an einer Studie teilnehmen, werden sie damit manchmal zu spät verfügbar, um noch vor Tod oder Invalidität zu bewahren.

Unter bestimmten Umständen ist es deshalb zulässig, dass diese Patient:innen mit einem noch nicht zugelassenen Medikament (oder einem nur für andere Zwecke zugelassenen Medikament) behandelt werden. Hierfür gibt es Härtefall-Programme (auch Compassionate Use-Programme genannt) und die Möglichkeit des individuellen Heilversuchs.

Gesprächsrunde zwischen drei Vertretern des medizinischen Persoanals einer Klinik und Vertretern der Verwaltung

Härtefall-Programme

Härtefall-Programme (englisch Compassionate Use, "Anwendung aus Mitgefühl") müssen bei der zuständigen deutschen Arzneimittelbehörde gemeldet werden. Im Rahmen eines solchen Programms kann ein bestimmtes Medikament, das schon ein Stück weit erprobt, aber noch nicht zugelassen ist, unter genau aufgelisteten Umständen von einer Klinik oder einer Praxis angefordert werden, damit ein entsprechender Patienten damit versorgt werden kann.

Für welche Medikamente es derzeit diese Möglichkeit gibt, und für welche Patient:innen es genutzt werden kann, listen die Websites des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) auf. Dabei stehen Angaben zu Medikamenten mit chemisch-synthetischen Wirkstoffen beim BfArM und solche zu gentechnischen Medikamenten, Blutprodukten und Impfstoffen beim PEI. Hier findet sich auch zu jedem Programm eine Kontaktadresse für die Anforderung des Medikaments. Viele Härtefallprogramme betreffen Medikamente gegen Krebserkrankungen.

Ärzte, die ein Medikament im Rahmen eines Härtefall-Programms einsetzt, müssen Verdachtsfälle auf Nebenwirkungen an die für das Härtefall zuständige Person in der Firma weitergeben. Diese muss ihrerseits die Zulassungsbehörde darüber informieren. So können im Rahmen des Programms weitere Erkenntnisse über die Sicherheit des Medikaments gewonnen werden.

In Deutschland ist rechtlich klar geregelt, dass ein Arzneimittelhersteller, wenn er an einem Härtefallprogramm mitwirkt, das betreffende Medikament kostenfrei zur Verfügung stellen muss. Die gesetzlichen Krankenkassen zahlen für das Medikament nicht, nur für die Behandlung und gegebenenfalls für den Klinikaufenthalt. Härtefall-Programme gibt es aber auch in den anderen EU-Ländern (es gibt sogar einige wenige EU-weite Härtefall-Programme), und dort sind die Bestimmungen zur Kostenübernahme für das Medikament zum Teil andere.

Härtefall-Programme sind immer zeitlich befristet. „Auf Dauer“ angemeldete Härtefall-Programme gibt es nicht. Aber es ist möglich, die Dauer eines Härtefall-Programms im begründeten Bedarfsfall zu verlängern; ein Härtefall-Programm endet aber in jedem Fall mit dem Tag der Markteinführung des betreffenden Medikaments.


Individuelle Heilversuche

Bei einem individuellen Heilversuch handelt es sich um eine Anwendung eines nicht zugelassenen Medikaments im Einzelfall, über die der Arzt bzw. die Ärztin im Rahmen der Therapiefreiheit mit Zustimmung des Patienten allein und aus eigener Initiative entscheidet. Er ist nur angebracht, wenn alle anderen Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft sind, und wenn aufgrund von wissenschaftlichen Erkenntnissen ein Nutzen für den betreffenden Patienten vermutet werden kann. Der Arzt bzw. die Ärztin trägt dabei die Verantwortung für die Anwendung. Beim individuellen Heilversuch steht also nur die Heilung des einzelnen Patienten im Vordergrund, das Gewinnen von Erkenntnissen zum Medikament ist kein Ziel (kann aber trotzdem erfolgen).

In Deutschland sind individuelle Heilversuche gesetzlich nicht geregelt. Sie sind nicht meldepflichtig, und es gibt kein Register dafür. Dennoch ist anerkannt, dass von der ärztlichen Therapiefreiheit auch der individuelle Heilversuch umfasst ist und damit möglicherweise einhergehende tatbestandliche Verstöße gegen Normen des AMG durch die Notstandsregelung des § 34 StGB gerechtfertigt sein können. Klar ist auch, dass das betreffende Medikament nicht beworben werden darf und auch nicht bei BfArM oder PEI im Härtefall-Register gelistet ist. Insofern kann ein Arzt bzw. eine Ärztin lediglich durch Teilnahme an Forschungs-Fachkongressen, anhand der Fachliteratur oder durch Studienregister auf die Existenz des Mittels aufmerksam werden.

Erfolgt die Anwendung des Medikaments in einem individuellen Heilversuch, muss Folgendes sorgfältig dokumentiert werden: In der Patientenakte müssen unter anderem das Arzneimittel bzw. sein Wirkstoff, der Therapieplan, die Dosierung, das Auftreten unerwünschter Wirkungen und überhaupt der Verlauf der Behandlung ausführlich beschrieben werden. Für die Kostenübernahme gibt es keine eigenständige Regelung. Das muss im Einzelfall zwischen den Beteiligten – Arzt/Ärztin, Patient:in, Firma und Krankenversicherung – geklärt werden.

Da individuelle Heilversuche nur in Ausnahmefällen und jeweils nur für einzelne Patienten durchgeführt werden dürfen, müssen die Mediziner und Forschenden des Unternehmens jedes Mal neu entscheiden, ob sie dem Wunsch nach Bereitstellung ihres Medikaments für einen individuellen Heilversuch entsprechen können oder nicht. Und wenn sie eine Entscheidung dagegen treffen – in dem Wissen, dass dies für die Betroffenen schwer verständlich ist –, dann aus ihrer Verantwortung heraus.