Monate statt Jahre: Rekordtempo bei der Corona-Impfstoffentwicklung
Bis vor wenigen Jahren hätte man von der Virusanalyse bis zur Zulassung des Impfstoffes 15 bis 20 Jahre angesetzt. Neue Technologien, Vorerfahrungen mit verwandten Viren und die Priorisierung aller Genehmigungs- und Zulassungsverfahren beschleunigen die Impfstoffentwicklung enorm. In weniger als einem Jahr gelang es, mehrere wirksame und sichere Impfstoffe gegen Covid-19 zu entwickeln.
Erforschen neuer Impfstoffe
Weltweit werden Impfstoffprojekte auf Hochtouren vorangetrieben – auch in Deutschland. BioNTech, CureVac, IDT Biologika und weitere arbeiten daran. Deutschland ist sehr gut darin, Impfstoffe gegen das neuartige Coronavirus zu entwickeln. In kurzer Zeit hat sich das Land zu einem zentralen Standort für Covid-19-Impfstoffe etabliert.
mRNA: Neue Technologie und neue Wege der Kooperation revolutionieren die Impfstoffentwicklung
Impfstoff-Durchbruch mit innovativen Technologien
Neuartige Technologien haben maßgeblich dazu beigetragen, die Impfstoffe schnell auf den Markt zu bringen. Insbesondere in der Entwicklung von mRNA-Impfstoffen übernimmt Deutschland eine weltweite Vorreiterrolle.
Die Basis für die innovative mRNA-Technologie wurde in einem Labor der Uni Tübingen entwickelt. Der Gründer von CureVac erkannte dort vor rund 20 Jahren die Möglichkeit, das Immunsystem mit mRNA zu beeinflussen. Das Unternehmen entstand als echtes wissenschaftliches Spin-off.
Viele deutsche Impfstoffprojekte basieren auf neuen Technologien. Das zeigt, dass Grundlagenforschung und wirtschaftliche Nutzung hierzulande eng verknüpft sind.
Auch die BioNTech-Gründer kommen aus der wissenschaftlich-akademischen Forschung und halten engen Kontakt: Beide lehren an der Uni Mainz und haben ein Doktoranden-Programm aufgebaut zwecks Verbindung von Grundlagenforschung und industrieller Entwicklung.
Kooperationen - der entscheidende Hebel in der Impfstoffentwicklung
Neben der engen Verzahnung von Forschungsinstituten und Wirtschaft hat vor allem ein Faktor die Entwicklung und Produktion der Covid-19-Impfstoffe befeuert: Die Kooperationen zwischen Unternehmen.
Die schnelle pandemische Ausbreitung des Coronavirus führte dazu, dass die Impfstoffentwickler schon frühzeitig große, globale Partner an Bord holten.
BioNTech etwa setzt von Anfang an bei der Entwicklung, Zulassung und Produktion auf Pfizer. CureVac kooperiert mit Bayer in der Studien- und Zulassungsphase für seinen Impfstoff wie auch bei der Produktion. Für die nächste Impfstoffgeneration kooperiert es mit GSK.
Nur eine starke globale Zusammenarbeit kann eine weltweite Pandemie möglichst weitgehend eindämmen
Kooperationen nutzen auch der Weiterentwicklung neuer Technologien: etwa, wenn Impfstoffe an Mutationen von Erregern angepasst werden müssen, Medikamente entwickelt oder neue Anwendungsfelder erschlossen werden.
Mit Blick auf die mRNA-Technologie stehen aktuell zum Beispiel Krebs- und Immuntherapien im Fokus.
Impfstoffproduktion: Kooperationen ermöglichen schnell große Mengen
Nicht nur die Impfstoffentwicklung läuft auf Hochtouren - auch bei der Produktion eines Impfstoffes ist Zeit ein zentraler Faktor: Corona-Impfstoffe sind weltweit, in riesigen Mengen und vor allem schnell gefragt. Die Hersteller der zugelassenen Vakzine setzen deshalb alles daran, ihre Produktionskapazitäten auszuweiten. Dazu bauen und erweitern sie eigene Anlagen. Und sie kooperieren mit Unternehmen, die einzelne oder mehrere Produktionsschritte übernehmen.
Impfstoffentwickler suchen Kooperations- und Lizenzpartner, noch bevor sie eine Zulassung haben. Denn sie wollen schnellstmöglich große Mengen liefern, sobald ihr Impfstoff zugelassen ist.
Kooperationspartner liefern wichtige Komponenten für den Impfstoff zu. Oder sie übernehmen parallel zum Originalhersteller bestimmte Produktionsschritte. Oder sie stellen den Impfstoff in Lizenz komplett eigenständig her und vertreiben diesen.
Nahtlos verzahnte High-Tech-Kompetenzen
Um möglichst schnell eine breite Versorgung zu erreichen, müssen Hightech-Kompetenzen bei der Impfstoffproduktion nahtlos ineinandergreifen. Dies gilt für eine Vielzahl von Produkten und Fähigkeiten.
Viele deutsche Pharmazulieferer haben früh reagiert und die Herstellung ihrer Produkte für Impfstoffe, Diagnostik und Impfung hochgefahren - angefangen bei Antigen- oder PCR-Tests über Glasfläschchen (Vials) bis hin zu Spritzen und Kanülen für die eigentliche Impfung.
Immunschutz für alle - eine Aufgabe, die nur gelingt, wenn sie auf viele Schultern verteilt ist
Lokales Netzwerk als Turbo für die Impfstoffproduktion
Bei der vernetzten Großproduktion ist es von Vorteil, wenn die Partner räumlich nicht allzu weit voneinander entfernt sind. So lassen sich zeit- und kostenintensive Transporte vermeiden.
In Deutschland sind rund 360 Pharma-Unternehmen ansässig
Die hohe Dichte an innovativen Pharma- und Biopharma-Unternehmen in Deutschland ermöglicht, schnell die richtigen Partner zu finden.
Der Darmstädter Life-Science-Konzern Merck, das Essener Spezialchemieunternehmen Evonik sowie Lipoid in Ludwigshafen gehören z.B. zu den wichtigsten Zulieferern von Lipid-Nano-Partikeln (LNP) - spezielle fettlösliche Moleküle, die die empfindliche mRNA umschließen und dafür sorgen, dass sie sicher in die Körperzellen transportiert wird.
In der Impfstoffproduktion entstehen auch ungewöhnliche Kooperationen mit Zukunftsperspektive.
CureVac zum Beispiel entwickelt gemeinsam mit einem Anlagenbauer aus dem Automobilsektor einen mobilen RNA-Printer. Er soll global an nahezu jedem Ort Impfstoffe oder andere Medikamente herstellen.
Kühltransporte - das heiße Eisen der Lieferkette
Neben der Impfstoffentwicklung und -produktion ist auch die Lieferung der Impfstoffe eine Herausforderung. Schon unter normalen Bedingungen ist die Lieferkette für Arzneimittel eine anspruchsvolle Sache. Unter Pandemie-Bedingungen sind Lagerung, Transport und Verteilung der hochsensiblen Güter noch einmal deutlich komplexer.
Tiefgekühlt bis -70 Grad
Wie viele andere Arzneimittel auch, müssen die Corona-Impfstoffe kühl gelagert und transportiert werden. Für die notwendige Kühlung sorgen spezielle Kühlschränke und Transportboxen. Rund ein Dutzend Hersteller in Deutschland produzieren solche außergewöhnlichen Kühlsysteme. Steigt die Nachfrage sprunghaft, kann es dennoch zu Engpässen kommen.
Beim Transport müssen Kühlung und Temperaturüberwachung auch ohne Strom funktionieren. Spezielle Pharma-Transportboxen sind dazu mit Kühlakkus und Sensoren ausgestattet.
Besonders innovative Boxen baut ein Mittelständler aus Würzburg: Sie sind durch ein Vakuum isoliert, ähnlich wie bei einer Thermoskanne. Die Wände der Behälter sind nur rund drei Zentimeter stark. Mit herkömmlicher Technik wären sie zehnmal so dick.
Wer Impfstoffe sicher und schnell verteilen will, braucht komplexe Logistik-Lösungen
Neue Herausforderungen durch Corona
Für die Corona-Impfstoffe entwickeln Pharma-Transporteure neue Lösungen für bislang unbekannte Probleme. Neben Kühlung und Sicherheit gehört dazu auch die schiere Menge an Waren: Pro Palette mit Impfstoff muss auch eine Lkw-Ladung Zubehör transportiert werden, wie Spritzen und Nadeln oder Schutzausrüstung.
Während die Ware im Inland und für Nachbarländer per Lkw transportiert werden kann, muss sie in entferntere Regionen per Luftfracht versendet werden. Aber aufgrund der Pandemie sind die weltweiten Flugverbindungen deutlich reduziert.
Viele Passagierflugzeuge, die normalerweise etwa die Hälfte der weltweiten Luftfracht transportieren, bleiben während der Pandemie am Boden. Die Logistikunternehmen müssen Warenströme neu bündeln und Kapazitäten generieren - zum Beispiel indem sie Flugzeuge so umrüsten, dass auch im Passagierraum Fracht transportiert werden kann.
Die Flughäfen Frankfurt am Main und Leipzig werden künftig eine zentrale Rolle in der weltweiten Verteilung der Impfstoffe spielen.
Frankfurt ist europaweit der größte Luftfracht-Umschlagplatz für kühlpflichtige Pharmazeutika.
So kommt der Impfstoff zum Patienten
Die Verteilung und Auslieferung der Corona-Impfstoffe haben zu Beginn staatliche Stellen übernommen. In Deutschland waren das die Bundesländer. Sukzessive geht die Impfstofflogistik jetzt in die etablierten Strukturen der deutschen Arzneimittelversorgung über.
Logistikunternehmen oder die Bundeswehr bringen die Impfstoffe von den Zentrallagern der Länder in die Impfzentren. Arzt- oder Betriebsarztpraxen werden über den pharmazeutischen Großhandel und die Apotheken beliefert.
Innovationskette: Auf dem Weg vom Labor zu den Patient:innen
Die Herausforderungen durch das Coronavirus sind neu und existentiell. Aber sie haben Kräfte mobilisiert und Kooperationen initiiert, die bislang kaum möglich schienen. Entwicklung und Produktion neuer Arzneimittel sind komplexe Prozesse. Damit sie vorankommen, müssen viele Faktoren erfüllt sein: Vor allem braucht es Knowhow - in den Laboren, in den Produktionsbetrieben, bei Behörden, aber auch bei Ausrüstern und Zulieferern. Es braucht elaborierte Technik, Kapazitäten vor Ort und gute Kontakte. Wenn all das gut ineinandergreift, entsteht eine funktionierende Innovationskette. Und genau die ist es, die eine chemische oder biochemische Idee aus dem Labor ans Bett von Patient:innen bringt.
"Coronavirus-Pandemie: Wie Schutz-Impfungen nach Deutschland und in die Welt kommen" Eine Podcast-Folge der #vfaTonspur