Multiple Sklerose: Therapie und Medikamente
Bei der Multiplen Sklerose (MS) werden Nervenstrukturen zerstört, was verschiedene Symptome auslöst. Der Krankheitsverlauf ist oft schubförmig, aber das ist von Patient zu Patient sehr verschieden.
Die heutigen Medikamente zur Dauerbehandlung der Multiplen Sklerose (MS) können bei vielen Patienten einen Teil der Krankheitsschübe verhindern und das Fortschreiten der Erkrankung verlangsamen – allerdings nicht bei allen. Pharma-Unternehmen entwickeln deshalb neue Medikamente, die noch zuverlässiger und bei noch mehr Verlaufsformen von MS wirksam sein sollen.
Was ist Multiple Sklerose und welche Ursachen gibt es dafür?
Multiple Sklerose (MS) ist die häufigste autoimmune, chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems. Sie verläuft meist in Schüben und kann je nach betroffenem Hirnareal unterschiedliche Verlaufsformen haben, weshalb sie auch die „Krankheit der 1000 Gesichter“ genannt wird. Bisher ist diese Erkrankung von Gehirn und Rückenmark (dem zentralen Nervensystem, ZNS). Die Krankheit wird auch Encephalomyelitis disseminata (ED) genannt. Multiple Sklerose zählt zu den Autoimmunkrankheiten und beginnt meist im frühen Erwachsenenalter, wobei Frauen etwa 2-3mal häufiger betroffen sind. Dabei greift das Immunsystem die Nervenscheiden (= Umhüllung der Fortsätze von Nervenzellen) an und zerstört im weiteren Verlauf auch die Zellen selbst.
In der Folge einer MS werden weitere zentrale Nervenstrukturen zerstört, was verschiedene Symptome auslöst. Der Krankheitsverlauf verläuft in der Mehrzahl der Fälle schubförmig, aber das ist von Patient zu Patient sehr verschieden. In manchen Phasen ist auch eine Behandlung ohne Medikamente möglich.
Die heutigen Medikamente zur Dauerbehandlung der Multiplen Sklerose wirken auf das Immunsystem ein und können bei vielen Patientinnen und Patienten der Krankheitsschübe weitestgehend verhindern und das Fortschreiten der Erkrankung verlangsamen – allerdings nicht bei allen. Pharma-Unternehmen entwickeln deshalb neue Präparate, die noch wirksamer und sicherer sind bzw. auch bei Anwendung und Monitoring für betroffene Patient:innen zusätzliche Vorteile bieten.
Bei Multipler Sklerose werden die Nervenscheiden beschädigt. Dadurch liegen Nervenfasern teilweise frei, was zu einer gestörten Weiterleitung elektrischer Signale führt.Die Ursachen für eine Erkrankung sind nicht klar. Es gibt wohl keinen Einzelfaktor, der alleine MS auslöst. Eher wird ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren angenommen. Manche könnten in den ererbten Genen liegen, andere in Virus-Infektionen (z.B. mit Masern-, Herpes- oder Epstein-Barr-Viren), in Vitamin D-Mangel oder Rauchen. Auch das Geschlecht scheint einen Einfluss zu haben; denn es leiden 2 bis 3 mal so viele Frauen wie Männer an MS. Dieser Einfluss könnte jedoch sowohl biologisch als auch durch die im Schnitt unterschiedlichen Lebensumstände von Frauen und Männern begründet sein. Insgesamt leiden in Deutschland rund 240.000 Menschen an der einen oder anderen Form der Krankheit (1)
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Wie sich MS äußert – Symptome, Verlauf und Diagnose
Multiple Sklerose tritt häufig unvermittelt und unerwartet auf, vorwiegend im jungen Erwachsenenalter. Oftmals ist zunächst nur ein einzelnes Symptom vorhanden, bei manchen Patienten sind es jedoch sofort mehrere. Beschwerdebild und Verlauf der Krankheit können dabei ganz unterschiedlich ausfallen. Die Symptome versuchen Mediziner durch eine gezielte Multiple Sklerose-Therapie zu mildern.
Häufige Symptome der Multiplen Sklerose:
- Sehstörungen z.B. mit Verschwommen- oder Nebelsehen, Sehausfall
- Krämpfe, Muskelzuckungen, Schwerfälligkeit, spastische Lähmungserscheinungen, die vor allem die Beine betreffen, teils auch die Hände
- Müdigkeit, allgemeine Mattigkeit oder Konzentrationsstörungen („Fatigue“)
- Gefühlsstörungen der Haut z.B. Kribbeln, Taubheitsgefühl
- Unsicherheiten beim Gehen, Störungen der Bewegungskoordination
- Lähmungen oder Störungen beim Entleeren von Darm oder Blase
Meist verläuft die Erkrankung in Schüben, also Phasen mit Symptomen, die sich dann wieder zurückbilden. Das ist die sogenannte schubförmig remittierende MS. Nach 10-15 Jahren bleibt bei einem Drittel dieser Patientinnen und Patienten die Regeneration nach einem Schub aus.
Anders als beim schubförmigen Verlauf schreitet bei rund 10 % der Patienten MS von Beginn an unaufhaltsam fort - auch primär progrediente MS genannt. Dies ist die schwerste Verlaufsform der Krankheit. Es gibt noch eine Mischform, die sekundär progrediente MS. Diese entwickelt sich aus der schubförmigen MS, wenn sich die Symptome nach einem Schub kaum noch oder gar nicht mehr zurückbilden.
Behandlung von Multipler Sklerose: Therapiemöglichkeiten und Medikamente
Multiple Sklerose ist nicht heilbar. Durch moderne Behandlungsmöglichkeiten kann der Verlauf der Erkrankung jedoch meist lange herausgezögert und verbessert werden. Damit sind die Möglichkeiten zur Multiple Sklerose-Therapie heute erheblich besser als noch bis Mitte der 1990er Jahre, als man nur akute Schübe dämpfen konnte.
Die Therapie der Multiplen Sklerose stützt sich dabei auf mehrere Säulen:
- Schubtherapie: Behandlung akuter Schübe, damit Beschwerden sich schnell zurückbilden
- Verlaufsmodifizierende Therapie (= Basistherapie): Reduktion der Schwere und Häufigkeit der Schübe, um die beschwerdefreie oder -arme Zeit zu verlängern
- Symptomatische Therapie: Linderung von MS-Beschwerden und Vorbeugung möglicher Komplikatione
Übersicht der Medikamente für Patienten mit schubförmiger MS
Für Patientinnen und Patienten mit schubförmig verlaufender Erkrankung stehen mehrere Medikamente zur Verfügung, die den Angriff des Immunsystems auf die Nervenzellen abschwächen. Bei akuten Schüben können u.a. Cortison-Präparate die Symptome dämpfen. Darüber hinaus können wiederkehrend angewendete sogenannte Basistherapeutika viele Schübe verhindern und zum Teil das Fortschreiten der Krankheit hinauszögern.
Wirkstoff | Einnahmeform | Wirkungsweise |
Beta-Interferone | Spritze | Abschwächung des Immunangriffs auf Nervenzellen; verhindern rund 1/3 bis 1/2 der Schübe und verringern ihre Schwere |
Glatirameracetat | Spritze | Abschwächung des Immunangriffs auf Nervenzellen; ähnliche Wirkung wie Beta-Interferone |
Ofatumumab | Spritze | Blockiert durch Antikörper spezifische Immunzellen, die das ZNS angreifen |
Fingolimod | Tabletten | Eliminiert bestimmte Immunzellen oder dämpft ihre Aktivität zur Verhinderung von Angriffen im Zentralnervensystem (ZNS) |
Teriflunomid | Tabletten | Dämpft die Aktivität von Immunzellen zur Verhinderung von Angriffen im ZNS |
Dimethylfumarat | Tabletten | Dämpft die Aktivität von Immunzellen zur Verhinderung von Angriffen im ZNS |
Cladribin | Tabletten | Eliminiert bestimmte Immunzellen zur Verhinderung von Angriffen im ZNS |
Ocrelizumab | Infusion | Blockiert durch Antikörper spezifische Immunzellen, die das ZNS angreifen |
Natalizumab | Infusion | Blockiert bestimmte Immunzellen zur Verhinderung von Angriffen im ZNS |
Alemtuzumab | Infusion | Blockiert bestimmte Immunzellen zur Verhinderung von Angriffen im ZNS |
Chemotherapeutika | Verschiedene | Können zur Schub- oder Dauerbehandlung eingesetzt werden, verbunden mit höheren Risiken und Nebenwirkungen |
Tabelle: Medikamente für Patienten mit schubförmiger MS (Stand: 2023)
Zu den schon am längsten verfügbaren Basistherapeutika zählen die Betainterferon-Präparate und das synthetische Peptidgemisch Glatirameracetat; sie alle müssen regelmäßig gespritzt werden. Schlägt eins dieser Basistherapeutika an, kann das etwa ein Drittel bis die Hälfte aller neuen Schübe verhindern und die Schwere vermindern. Das Spritzen allerdings fällt manchen Patienten schwer; und die Mittel wirken nur bei rund 70% der Patienten. Etliche Patienten erleben auch belastende Nebenwirkungen wie grippeähnlichen Symptome durch die Basistherapie mit diesen Mitteln. 2018 kam noch ein Antikörper-Medikament (mit Ocrelizumab) hinzu.
Schon seit 2011 kamen aber auch Basistherapeutika in Tablettenform heraus, mit den Wirkstoffen Fingolimod, Siponimod, Ponesimod, Ozanimod, Teriflunomid, Dimethylfumarat und Cladribin. Diese neueren Medikamente – und darin unterscheiden sie sich nicht grundsätzlich von den älteren – eliminieren bestimmte Zellen des Immunsystems oder dämpfen ihre Aktivität, damit deren Angriffe im ZNS unterbleiben. Die genauen Wirkprinzipien, mit denen das erzielt wird, sind jedoch andere; und einige Patienten begrüßen es sehr, dass sie ihre Medikamente nicht spritzen müssen. Der Einsatz von einigen von ihnen ist auf Patienten mit hoher Schubfrequenz beschränkt.
Leiden Patienten trotzdem an einer hohen Schubrate, kann auch ein Antikörperpräparat oder ein Chemotherapeutikum (zur Schub- oder Dauerbehandlung) eingesetzt werden, was jedoch mit höheren Risiken für die Patienten durch belastende, in Einzelfällen auch schweren Nebenwirkungen verbunden sein kann. Drei Antikörperpräparate (Natalizumab, Ocrelizumab und Ofatumumab) werden in Dauertherapie eingesetzt, für ein weiteres (Alemtuzumab) genügen zwei kurze Behandlungsphasen für eine langanhaltende Wirkung.
Medikamente für Patienten mit primär-progredienter MS
Für Patienten mit primär-progredienter MS (PPMS) gab es lange Zeit trotz intensiver Forschung kein zugelassenes Basis-Medikament. Im Jahr 2018 kam erstmals ein solches Medikament heraus; das Präparat enthält den Antikörper Ocrelizumab und kann die Krankheitsaktivität dämpfen. Besonders bei jüngeren Betroffenen mit kürzerer Erkrankungsdauer und nachweisbarer Krankheitsaktivität kann das Fortschreiten der Erkrankung durch die Behandlung mit Ocrelizumab gebremst werden.
Was im Körper passiert und wie Medikamente dagegen wirken
Zu den Aufgaben des Immunsystems zählt, eindringende Krankheitskeime wie Viren oder Bakterien abzuwehren. Dazu muss es fähig sein, zwischen „fremd“ und „körpereigen“ zu unterscheiden. Bei der MS gelingt ihm dies jedoch im Falle der Nervenscheiden nicht: Das Immunsystem hält sie für fremd und startet einen Großeinsatz der Immunzellen, der allerdings nicht im gesamten ZNS gleichzeitig erfolgt, sondern sich auf einzelne Regionen konzentriert und dort zu einer Entzündung führt. Beteiligt am Immunangriff sind unterschiedliche weiße Blutkörperchen: sogenannte Fresszellen (Makrophagen, sie können andere Zellen in direktem Kontakt vernichten), T-Lymphozyten und B-Lymphozyten. Letztere schädigen das ZNS nicht direkt, sondern produzieren Antikörper, die sich auf die Nervenzell-Hüllen setzen und diese damit für weitere Immunzellen „zum Abschuss freigeben“.
Die Medikamente in der MS-Therapie greifen an verschiedenen Stellen in den Entzündungsprozess ein. Einige Präparate verhindern die Vermehrung bestimmter Immunzellen. Ein anderes hindert T- und B-Lymphozyten daran, die Lymphknoten zu verlassen und ins ZNS einzudringen. Ein weiteres stört die Kommunikation zwischen Immunzellen, so dass diese ihren Angriff nicht koordinieren können.
MS-Forschung und neue Medikamente für die Multiple Sklerose-Therapie
Dennoch ist vieles bis heute nicht zufriedenstellend: Im Jahr 2024 kann keines der Basistherapeutika alle Schübe verhindern. Und für die Behandlung bestimmter Formen der Krankheit sind sind erst wenige Medikamente wie Mayzent oder Ocrevus zugelassen. Deshalb versuchen Pharmaforscher weiterhin, für die Patienten Medikamente zu entwickeln, die noch wirksamer und noch besser verträglich sind. Und sie arbeiten an weiteren Medikamenten gegen die stetig fortschreitende (die sogenannte "primär-progrediente" oder "sekundär-progrediente“) MS.
Liste weiterer MS Medikamente in Erprobung oder Zulassungsverfahren
Ein wichtiger Schwerpunkt der klinischen Forschung liegt 2024 wie auch in den vergangenen Jahren auf der Weiterentwicklung von immunmodulatorischen Substanzen, die das Voranschreiten der Behinderung effektiver unterbinden sollen. Durch Immunmodulatoren kann die Immunantwort im Körper beeinflusst und neu ausgerichtet werden. Sie können beispielsweise Botenstoffe sein, die therapeutisch eingesetzt werden, um die Kommunikation zwischen den Immunzellen zu beeinflussen. Ein weiterer Fokus liegt auf der Erforschung der Zelle, insbesondere der Rolle von T-Zellen und B-Zellen, um die Mechanismen der Autoimmunreaktion besser zu verstehen. Andere Studien zielen darauf ab, den Anwendungskomfort durch längere Anwendungsintervalle oder eine orale Verabreichung zu erhöhen.
Wirkstoff; Einnahmeform | Wirkungsweise | Stand des Projekts | |||||||||||||||||||||
Siponimod = BAF-312; zum Schlucken | verhindert Freisetzung von T- und B-Lymphozyten aus den Lymphknoten | Mayzent ist in der EU seit 01/2020 gegen sekundär progrediente MS zugelassen.Ozanimod; zum Schlucken | verhindert als S1P1- und S1P5-Rezeptorantagonist die Freisetzung von T- und B-Lymphozyten aus den Lymphknoten | OCREVUS ist in der EU seit 05/2020 gegen schubförmige MS zugelassen. | Ponesimod; zum Schlucken | verhindert Freisetzung von T- und B-Lymphozyten aus den Lymphknoten | in klinischer Erprobung, Phase III | Immunoglobulin Octagam | k. A. | in klinischer Erprobung, Phase III | Diroximel fumarat (ein Monomethylfumarat-Prodrug) | k.A. | in klinischer Erprobung, Phase III; in USA Zulassung seit 12/2018 gegen schubförmige MS beantragt | Ublituximab | veranlasst die Dezimierung von B-Lymphozyten | in klinischer Erprobung gegen schubförmige MS, Phase III | Adamantin, controlled release | k.A. | in klinischer Erprobung gegen nicht näher spezifizierte MS, Phase III | Ocrelizumab | k.A. | in klinischer Erprobung gegen sekundär-progrediente MS, Phase III (gegen schubförmige und primär-progrediente MS schon zugelassen) | |