CRISPR-basierte Gentherapien
Erstmals wurde in der EU eine Gentherapie zugelassen, bei der die Genschere CRISPR/Cas9 zum Einsatz kommt. Sie soll Menschen mit den seltenen Erbkrankheiten Beta-Thalassämie oder Sichelzellerkrankung eine völlig neue Behandlungsmöglichkeit eröffnen. Weitere „CRISPR-Therapien“ dürften bald folgen: Derzeit befinden sich zahlreiche Projekte in unterschiedlichen Phasen der klinischen und vorklinischen Erprobung. Diese Therapien sollen im Vergleich zu bisherigen Gentherapien wesentlich zielgenauer ins Erbgut von Zellen der Patient:innen eingreifen.
Die weltweit erste Zulassung erhielt eine CRISPR-Therapie am 16. November 2023 in UK und am 8. Dezember in den USA; sie dient der Behandlung von Beta-Thalassämie und Sichelzellerkrankung. Die EU-Zulassung erfolgte am 13.02.2024, nach einer Zulassungsempfehlung der EU-Arzneimittelbehörde EMA am 15.12.2023.
Entwickelt werden CRISPR-Therapien für Patient:innen mit einigen Erbkrankheiten, aber zunehmend auch Menschen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes Typ 2, Krebserkrankungen, HIV-Infektionen oder Malaria. Die Beispiele zeigen: Die CRISPR/Cas-Technologie, wie sie 2020 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde, ist schon weit gekommen auf dem Weg von einer reinen Labortechnik hin zu einer vielversprechende Therapiemethode. Sowohl öffentlich finanzierte Forschungseinrichtungen als auch Pharmaunternehmen aus aller Welt tragen dazu bei, dass sie weiterentwickelt und für Patient:innen mit unterschiedlichen Krankheiten nutzbar gemacht werden.
Grundsätzlich kann eine CRISPR-Therapie ex vivo oder in vivo durchgeführt werden. Ex vivo bedeutet, dass entnommene Zellen von Patient:innen oder Spender:innen im Labor genetisch verändert werden. In vivo bedeutet hingegen, dass die Genveränderung an den Zellen direkt im Körper durchgeführt wird. Handelt es sich um körpereigene Zellen von Patient:innen, spricht man von einer autologen Therapie. Werden hingegen die Zellen von einem anderen Menschen gespendet, handelt es sich um eine allogene Therapie. Die ersten Zulassungen werden voraussichtlich für autologe ex vivo-Therapien erteilt. Über die genaue Funktionsweise der CRISPR/Cas-Technologie informiert ein anderer Artikel des vfa.
Ablauf einer CRISPR-Therapie an blutbildenden Stammzellen
Eine ex vivo-CRISPR-Therapie erfolgt in mehreren Arbeitsschritten. Das wird im Folgenden am Beispiel der schon genannten Therapie gegen Beta-Thalassämie und Sichelzellerkrankung dargestellt:
Wie eine CRISPR-Therapie für fetales Hämoglobin sorgt
Vorläuferzellen von roten Blutkörperchen bilden bis einige Wochen nach der Geburt nicht das normale, sondern das sogenannte fetale Hämoglobin. Dass sie dann damit aufhören, ist der dann zunehmenden Aktivität eines Gens namens BCL11A geschuldet. Dementsprechend lässt sich die Bildung dieses Hämoglobins wieder hochfahren, wenn man BCL11A in den blutbildenden Stammzellen inaktiviert. Ein geeignetes Werkzeug dafür ist CRISPR/Cas9: Die Genschere schneidet dazu einfach ein Stück aus den BCL11A-Genen auf beiden Chromosomen heraus.
Zu beiden Krankheiten kommt es, weil die roten Blutkörperchen genetisch bedingt defekte Formen des roten Blutfarbstoffs Hämoglobin enthalten. Das führt im Fall der Beta-Thalassämie zu schlechter Sauerstoffversorgung aller Gewebe, bei Sichelzellerkrankung zu schmerzhaften Gefäßverschlüssen durch deformierte rote Blutkörperchen. Bisher benötigen die Patient:innen häufige Bluttransfusionen oder andere Therapien, die aber in vielen Fällen nicht vor schweren Organschäden und einem vorzeitigen Tod schützen. Nachhaltige Besserung bietet bislang nur die Transplantation von blutbildenden Stammzellen eines Spenders – wenn sich ein solcher finden lässt. Die CRISPR-Therapie zielt hingegen darauf ab, die blutbildenden Zellen im Knochenmark der Patient:innen selbst zu „ertüchtigen“: Die Zellen werden dazu gebracht, ein anderes Hämoglobin wieder herzustellen – das fetale Hämoglobin –, das sie schon vor der Geburt und in den ersten Lebenswochen produziert haben. Auch dieses Hämoglobin eignet sich gut für den Sauerstofftransport, aber es verursacht nicht die genannten Krankheitssymptome.
Konkret bedeutet das:
1. Gewinnung der blutbildenden Stammzellen
Zunächst wird den Patient:innen Blut abgenommen, etwa aus der Armvene. Anschließend werden im Labor daraus blutbildenden Stamm- und Vorläuferzellen isoliert, wie sie in noch viel größeren Mengen (aber schwerer erreichbar) im roten Knochenmark vorkommen.
2. Erbgutveränderung im Labor
Um das Erbgut der so gewonnenen Zellen gezielt zu verändern, benötigt man zwei Komponenten: das Cas9-Enzym, das DNA zerschneiden kann, und eine kurze, im Labor erzeugte guide-RNA (gRNA, manchmal auch sgRNA abgekürzt), die das Cas9-Enzym exakt an die richtige Stelle in den Chromosomen führt – in diesem Fall zu einem Abschnitt im Gen BCL11A. Die beiden Komponenten werden mit einem Stromstoß, der die Zellmembran vorübergehend durchlässig macht, in die Stamm- und Vorläuferzellen eingeschleust. Dort, im Inneren der Zellen, verrichten sie ihre Arbeit und verändern die Chromosomen so, dass wieder fetales Hämoglobin gebildet wird (vgl. Kasten).
3. Erfolgskontrolle im Labor
Es folgen umfangreiche Kontrollen im Labor, auch um sicherzustellen, dass die Genveränderung erfolgreich war und genügend Zellen die Prozedur überlebt haben. Anschließend werden die genveränderten Zellen in der Kulturschale vermehrt.
4. Re-Implantation
Bevor die genveränderten Zellen den Patient:innen zurückgegeben werden können, ist es – ebenso wie bei der allogenen Stammzelltransplantation – nötig, die defekten blutbildenden Stammzellen im Knochenmark mit einer Chemotherapie zu zerstören. Sofern die Behandelten sich die Möglichkeit offen halten wollen, später Kinder zu zeugen, müssen vor der Chemotherapie einige Ei- oder Samenzellen eingefroren werden. Erst wenn das alte Knochenmark zerstört ist, werden die genveränderten Zellen mit einer Infusion zurückgegeben, damit sie neues Knochenmark aufbauen – Knochenmark, das dann auch fetales Hämoglobin produziert.
CRISPR-Therapien versus bisherige Gentherapien
Wie andere Gentherapien auch sind CRISPR-Therapien als Einmalbehandlung mit möglichst lang anhaltender Wirkung konzipiert. In einigen Fällen dürften sie die ersten spezifischen Behandlungen für Patient:innen mit einer bestimmten Krankheit darstellen. In anderen Fällen gibt es schon Therapien, die jedoch alle paar Tage oder Wochen erneut angewendet werden müssen. Das Ziel ist dann, dies durch die CRISPR-Therapie unnötig zu machen.
Ein wesentlicher Unterschied ist, dass man bei den bisherigen Gentherapien nur Gene hinzufügen kann, und das, ohne genau steuern zu können, an welchen Stellen in welchen Chromosomen sie eingefügt werden (wenn sie nicht ohnehin mit einem kleinen zusätzlichen DNA-Ring [einem Episom] im Zellkern platziert werden). Muss aber – wie im dargestellten Beispiel – ein bestimmtes, schon in einem Chromosom vorhandenen Gen „operiert“ werden, dann gelingt das mit herkömmlichen Gentherapien nicht.
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Weitere CRISPR-Therapien in Entwicklung
Zahlreiche CRISPR-Therapien haben schon die klinische Erprobung erreicht. Das zeigt die folgende Tabelle (Stand 13. Februar 2023).
Krankheit | CRISPR-Therapie | Entwicklungsstadium in der EU | Unternehmen | Typ |
Sichelzell-Erkrankung, Beta-Thalassämie | Exagamglogen autotemcel | zugelassen in der EU seit 13.02.2024 | Vertex (USA) / CRISPR Therapeutics (USA) | autolog, ex vivo, CRISPR/Cas9 |
Transthyretin-Amyloidose | NTLA-2001 | Phase III | Intellia Therapeutics (USA) | autolog, in vivo, CRISPR/Cas9 |
Sichelzell-Erkrankung, Beta-Thalassämie | EDIT-301 | Phase II | Editas Medicine (USA) | autolog, ex vivo, CRISPR/Cas12a |
B-Zell-Lymphome | CTX-110 (CAR-T-Zellen) | Phase II | CRISPR Therapeutics (Schweiz) | allogen, ex vivo, CRISPR/Cas9 |
Akute lymphatische Leukämie, Non-Hodgkin-Lymphom | ET-02 (CAR-T-Zellen) | Phase II | EdiGene | autolog (?), ex vivo |
B-Zell-Lymphome | BRL-201 (CAR-T-Zellen) | Phase II | Bioray Laboratories (China) | tbd |
Diabetes Typ 1 | VCTX211 (Stammzellen) | Phase II | CRISPR Therapeutics (Schweiz) / Vertex (USA) | allogen, ex vivo, CRISPR/Cas9 |
Hereditäres Angioödem | NTLA-2002 | Phase II | Intellia Therapeutics (USA) | autolog, in vivo, CRISPR/Cas9 |
Gastrointestinale Tumore | k. A. (Therapie mit genetisch modifizierten Tumor-infiltrierenden Lymphozyten) | Phase II | Intima Bioscience (USA) | ex vivo |
Multiples Myelom | CTX-120 (CAR-T-Zellen) | Phase II | CRISPR Therapeutics (Schweiz) | allogen, ex vivo, CRISPR/Cas9 |
Beta-Thalassämie | VGB-Ex-01 | Phase II | Shanghai Vitalgen BioPharma (China) | autolog, tbd, CRISPR/Cas12b |
HIV-Infektion | EBT-101 | Phase I/II | Excision BioTherapeutics (USA) | autolog, in vivo, CRISPR/Cas9 mit dual gRNA |
Sichelzell-Krankheit | OTQ-923 | Phase I/II | Novartis / Intellia Therapeutics (Schweiz / USA) | autolog, ex vivo, CRISPR/Cas9 |
maligne T-Zell-Erkrankungen | CTX-131 (CAR-T-Zellen) | Phase I/II | CRISPR Therapeutics (Schweiz) | allogen, ex vivo, CRISPR/Cas9 |
Solide Tumore und maligne T-Zell-Erkranungen | CTX-130 (CAR-T-Zellen) | Phase I | CRISPR Therapeutics (Schweiz) | allogen, ex vivo, CRISPR/Cas9 |
B-Zell-Lymphome | CTX-112 (CAR-T-Zellen gegen BCMA) | Phase I | CRISPR Therapeutics (Schweiz) | allogen, ex vivo, CRISPR/Cas9 |
Beta-Thalassämie | Gammaglobin-reaktivierte autologe hämatopoetische Stammzell-Therapie | Phase I | Bioray Laboratories (China) | autolog, ex vivo, CRISPR/Cas9 |
atherosklerotische Herz-Kreislauf-Erkrankungen | CTX-310 | Phase I | CRISPR Therapeutics (Schweiz) | autolog, ex vivo, CRISPR/Cas9 |
Beta-Thalassämie | RM-001 | Phase I | Reforgene Medicine (China) | tbd |
altersbedingte Makula-Degeneration | HG-202 | Phase I | Hui-Gene Therapeutics (China) | tbd, CRISPR/Cas13 |
B-Zell-Lymphom, Non-Hodgkin-Lymphom | CB-010 | Phase I | Caribou Biosciences (USA) | allogen, ex vivo |
Multiples Myelom u. andere BCMA-positive Tumore | CB-011 | Phase I | Caribou Biosciences (USA) | allogen, ex vivo |
Akute lymphatische Leukämie, Non-Hodgkin-Lymphom | CTA-101 | Phase I | Nanjing Bioheng Biotech (China) | tbd |
Beta-Thalassämie | ET-01 | Phase I | EdiGene (China) | autolog, CRISPR/Cas9 |
Diabetes Typ 1 | VCTX210 (Stammzellen) | Phase I | CRISPR Therapeutics (Schweiz) / Vertex (USA) | allogen, ex vivo, CRISPR/Cas9 |
Multiples Myelom | P-BCMA-ALLO1 | Phase I | Poseida Therapeutics (USA) / Roche (Schweiz) | allogen, tbd |
Herz-Kreislauf-Erkrankungen | CTX-320 | Phase I | CRISPR Therapeutics (Schweiz) | autolog, ex vivo, CRISPR/Cas9 |
Diabetische Retinopathie und AMD (Makuladegeneration) | JWK-001 | Phase I | Chengdu Gene Vector Biotechnology (China) | autolog, in vivo, tbd |
Leber-Erkrankungen | neue Konstrukte | Phase I | CureVac / CRISPR Therapeutics (Deutschland / Schweiz) | CRISPR/Cas9 |
Quelle: PharmaProjects Database
Wie in der Tabelle zu sehen ist, sind in vivo-Anwendungen der CRISPR/Cas-Technologie vorwiegend noch in früher klinischer Erprobung. Das gilt etwa für Therapien bei HIV-Infektionen. Phase III erreicht hat aber eine Therapie für Patient:innen mit der Erbkrankheit Transthyretin-Amyloidose, die sich vor allem durch Herzprobleme bemerkbar macht.
In frühen Testphasen sind außerdem verschiedene Transportvehikel, die CRISPR/Cas9 und guide-RNA gezielt in erkrankte Organe bringen. Sollte das sicher, dauerhaft und effizient in vivo gelingen, wird die Eignung des neuen Verfahren voraussichtlich auch mit Patient:innen erprobt werden.
Noch keine Langzeiterfahrung
Wie bei allen Gentherapien stellt sich auch bei den CRISPR-Therapien die Frage, wie lange ihr positiver Effekt anhält: Reicht die Einmaltherapie aus oder muss nach Jahren nachbehandelt werden? Und kann ausgeschlossen werden, dass einige der geneditierten Zellen dem Körper nicht doch schaden? Die bisherigen Studienergebnisse dazu sehen gut aus; aber um sicher sein zu können, müssen noch größere Patientengruppen über längere Zeiträume untersucht werden.
Standort Deutschland
Die Expertenkommission Forschung und Innovation der Bundesregierung (EFI) hat bereits in ihrem Jahresgutachen 2021 auf die enormen medizinischen Chancen der CRISPR-Technologie, aber auch auf Schwächen des Innovationsstandortes Deutschland in diesem Bereich hingewiesen:
- Im internationalen Vergleich nur wenige Patentanmeldungen (auch gemessen an den einschlägigen wissenschaftlichen Veröffentlichungen)
- Aufholbedarf bei der Zahl klinischer Studien in diesem Gebiet
- Weniger in diesem Feld aktive Unternehmen als in UK
Die Handlungsempfehlungen der EFI-Kommission wurden vor kurzem von vfa/Kearney durch eine Studie bekräftigt und konkretisiert. Die Umsetzung von mehreren Empfehlungen käme auch den Unternehmen und Forschungsgruppen im Bereich CRISPR-Therapien zugute, etwa
- schnellere Genehmigungsverfahren und Vertragsverhandlungen im Vorfeld von klinischen Studien, sowie
- bessere Rahmenbedingungen für die Finanzierung (Wagniskapital).