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Tierversuche und Tierschutz in der Pharmaindustrie

Viele Krankheiten lassen sich heute lindern oder sogar heilen: Eine HIV-Infektion ist heute kein Todesurteil mehr, Hepatitis C sogar heilbar, mit Diabetes kann man alt werden und gegen den Risikofaktor Nr. 1 – den Bluthochdruck – helfen viele Medikamente. Was Kinderlähmung, Diphtherie oder Tetanus anrichten, weiß hierzulande fast niemand mehr – dank wirksamer Impfungen. Um die Medikamente und Impfstoffe dafür entwickeln zu können, mussten die Forscher neben vielen anderen Tests auch Tierversuche durchführen.

Was hat das neue Tierschutzgesetz gebracht?

Am 13. Juli 2013 ist in Deutschland ein neues Tierschutzgesetz in Kraft getreten; am 13. August 2013 folgte die zugehörige, gänzlich neue Tierschutz-Versuchstierverordnung („Verordnung zur Umsetzung unionsrechtlicher Vorschriften zum Schutz der für wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere“, TierSchVersV). Damit wurde das deutsche Recht insbesondere an die revidierte EU-Richtlinie zum Tierschutz von 2010 angepasst (EU-Richtlinie 2010/63/EG). Für einige Tierversuche in der Pharmaindustrie wurden damit die Genehmigungshürden noch einmal erhöht und die Transparenzpflichten der Firmen ausgeweitet, doch vieles wurde in Deutschland auch in bewährter Weise beibehalten.

Tierschutzverordnung Deutschland - TierversucheGesetz und Verordnung bilden seitdem den Rechtsrahmen für Tierversuche in Deutschland. Die Auslegung der Vorgaben im Detail bleibt aber in der Verantwortung der in den Bundesländern jeweils zuständigen Behörden/Überwachungsbehörden.
Von besonderer Relevanz sind für die Pharma-Unternehmen folgende Aspekte:

Tierschutzbeauftragter und Tierschutzausschuss

Die EU-Richtlinie verlangt, dass in Tierversuchseinrichtungen neue Tierschutzausschüsse eingerichtet werden müssen, die für die Einhaltung der Schutzbestimmungen verantwortlich sind. In vielen europäischen Nachbarländern werden damit überhaupt erstmalig betriebsinterne Kontrollorgane für Tierschutz geschaffen. In Deutschland hingegen nimmt diese Aufgabe schon seit langem der Tierversuchsbeauftragte wahr, der laut Gesetz unabhängig und weisungsfrei ist.
Das überarbeitete Tierschutzgesetz und die TierSchVersV behalten den Tierschutzbeauftragten bei und stellen ihm einen Tierschutzausschuss aus weiteren mit Tierversuchen befassten Personen (z.B. Tierärzten und -pflegern) zur Seite. Das ist zu begrüßen, allerdings ist die Kompetenzverteilung zwischen dem Tierschutzbeauftragten und dem Ausschuss offen: Darf etwa der Ausschuss den Tierschutzbeauftragten überstimmen?
Der vfa tritt dafür ein, dass die starke Position des Tierschutzbeauftragten keinesfalls geschwächt werden darf; denn diese hat sich im Sinne des Tierschutzes in Deutschland bewährt. Die letzte Verantwortung für die Wahrung der Tierschutzbelange muss weiterhin beim Tierschutzbeauftragen liegen, der Ausschuss sollte diesen beraten.

Transparenz

Das Tierschutzgesetz hat dafür gesorgt, dass sogenannte nicht-technische Projektzusammenfassungen über geplante Tierversuche (ohne Name und Adresse der durchführenden Einrichtung) seit 2014 allgemein zugänglich veröffentlicht werden. Damit erhält jedermann einen Überblick über das Tierversuchsgeschehen. Die Datenbank zu diesen Prohejtzusammenfassungen findet man in der "Datenbank zu Tierversuchsvorhaben in Deutschland" des Bundesinstituts für Riskobewertung (BfR).

Schweregrade und Statistik

Das Tierschutzgesetz regelt in Übereinstimmung mit der EU-Richtlinie, Tierversuche nach Schweregraden zu kategorisieren. Davon hängt dann ab, ob Versuchsvorhaben zur Genehmigung eingereicht oder nur angezeigt werden müssen, ob rückblickende Bewertungen (s. u.) erstellt werden müssen und ob Versuchstiere für weitere Versuche verwendet werden dürfen.

Einen einheitliches Raster für den Schweregrad eines Versuchs gab es bis zur Neuregelung 2013 nicht.
Nun ist es erarbeitet worden - auch, um Versuche an verschiedenen Standorten innerhalb Deutschlands vergleichbar zu machen. Diese Bundeseinheitlichkeit ist auch eine notwendige Vorbedingung für ihre sinnvolle Erfassung in der deutschen Tierversuchsstatistik. Eine aktuelle Darstellung der Schweregrade im Rahmen von Tierversuchen findet man wie auch die aktuellen Statistiken zu Tierversuchen in der Rubrik "Tierschutz" der Website des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft.

Einsatz von nichtmenschlichen Primaten

Unter „nichtmenschlichen Primaten“ (non-human primates, NHPs) werden im Rahmen der EU-Richtlinie Halbaffen und Affen verstanden, die keine Menschenaffen sind. Laut Richtlinie dürfen NHPs nur noch a) zur „Verhütung, Vorbeugung, Diagnose oder Behandlung von klinischen Zuständen (1) beim Menschen, die zur Entkräftung führen (2) oder potentiell lebensbedrohlich sind“, b) zur Grundlagenforschung oder c) zur Forschung im Hinblick auf die Erhaltung der betreffenden Spezies eingesetzt werden. Das Tierschutzgesetz folgt hier grundsätzlich der EU-Richtlinie.
Versuche dürfen schon bisher – von wenigen Ausnahmen abgesehen – nur mit Tieren erfolgen, die speziell hierfür gezüchtet wurden. Für NHP in Versuchen gilt zusätzlich, dass schon deren Eltern in Gefangenschaft gezüchtet worden sein müssen – vorausgesetzt, eine Machbarkeitsstudie bestätigt, dass dies zu keinem Engpass bei Tieren für essenzielle Projekte führen wird. Eine solche Machbarkeitsstudie bereitet die EU vor.
Im aktuellen deutschen Recht wird in dieser Frage zu Recht auf die Richtlinie 2010/63/EU verwiesen. Diese sieht vor, dass die Ergebnisse einer Machbarkeitsstudie letztlich darüber entscheiden, ob und ggf. ab wann die besonderen Zuchtanforderungen für NHP gelten. Das ist aus Sicht des vfa zielführend.

Rückblickende Bewertungen

Das Tierschutzgesetz sieht, der EU-Richtlinie folgend, eine rückblickende Bewertung von Projekten mit NHP oder als „schwer“ eingestuften Versuchen vor. Sie muss nach Abschluss der Versuche erstellt und der zuständigen Behörde in Deutschland übermittelt werden. Die Bewertungen fließen in die nationale Tierversuchsstatistik ein.

Der vfa wird sich auch weiterhin dafür einsetzen, dass hierzulande in Tierversuchsdingen sachgerechte und handhabbare Lösungen gefunden werden.

(1) Gemeint sind Einschränkungen der Gesundheit aller Art wie Erkrankungen, Verletzungen oder auch Schwangerschaftskomplikationen.

(2) So der deutsche Text. Der englische Originaltext spricht von „debilitating diseases“.