Tierversuche und Tierschutz in der Pharmaindustrie
Viele Krankheiten lassen sich heute lindern oder sogar heilen: Eine HIV-Infektion ist heute kein Todesurteil mehr, Hepatitis C sogar heilbar, mit Diabetes kann man alt werden und gegen den Risikofaktor Nr. 1 – den Bluthochdruck – helfen viele Medikamente. Was Kinderlähmung, Diphtherie oder Tetanus anrichten, weiß hierzulande fast niemand mehr – dank wirksamer Impfungen. Um die Medikamente und Impfstoffe dafür entwickeln zu können, mussten die Forscher neben vielen anderen Tests auch Tierversuche durchführen.
Im Gespräch: Tierversuche in der Pharmaindustrie
Manche Fragen zu Tierversuchen werden oft gestellt. Dr. Siegfried Throm, Geschäftsführer Forschung, Entwicklung, Innovation des vfa, gibt Antwort.
Dr. Siegfried Throm vom vfa gibt Auskunft über Tierversuche.Wie aussagekräftig sind Tierversuche?
Die meisten Medikamente in der Tierarztpraxis enthalten die gleichen Wirkstoffe wie Medikamente für Menschen. Das zeigt, wie gut die Übereinstimmung zwischen Mensch und anderen Säugetieren in wichtigen körperlichen Aspekten ist. Mit Tierversuchen lässt sich natürlich nicht beweisen, dass ein neuer Wirkstoff auch beim Menschen wirkt. Aber sie zeigen die meisten unerwünschten Effekte, die auftreten können. Deshalb gilt: Was sich bei Tieren nicht bewährt, wird beim Menschen gar nicht erst erprobt.
Nach welchen Kriterien werden die Tierarten ausgesucht, mit denen gearbeitet wird?
Grundsätzlich wird für einen Versuch immer die Tierart auf der niedrigsten Entwicklungsstufe gewählt, mit der die Versuche noch möglich sind: Nach Möglichkeit also ein Fisch statt einer Maus, eine Maus statt eines Kaninchens usw. Das verlangt auch das Gesetz. Spielt für die Versuche die Größe der inneren Organe eine Rolle, kommen mitunter Schweine zum Einsatz, deren Innereien in etwa die Größe der menschlichen haben.
Wieso haben Tierversuche nicht verhindert, dass Medikamente wegen schwerer Nebenwirkungen wieder zurückgezogen werden mussten?
Toxikologische Untersuchungen mit Tieren – also Tests auf mögliche schädliche Wirkungen – sind wie Gurte oder Airbags im Auto: Sie verhindern viele Schäden und Todesfälle, aber sie können nicht jeden Fall verhindern. Niemand käme allerdings auf die Idee, bei Autos wieder auf beides zu verzichten.
Firmen betonen gerne, wie tiersparend sie arbeiten. Wieso sinken die Versuchstierzahlen nicht?
Fortschritte führen dazu, dass Versuche heute meist mit weit weniger Tieren auskommen als früher. Gleichzeitig stieg jedoch über Jahre die Zahl der Forschungsprojekte, was wiederum mehr Versuchstiere nötig machte. Obendrein wurde vor einigen Jahren die Zählweise so geändert, dass heute auch viele Tiere, die z. B. zur Tierzucht dienen, ebenfalls als Versuchstiere gezählt werden, obwohl sie gar nicht bei Versuchen zum Einsatz kommen.
Wieso kann man nicht einfach alles simulieren?
Simulationen zeigen sehr gut, was man aufgrund der gesammelten Kenntnisse über den Körper erwarten muss; sie zeigen jedoch nicht, was durch Eigenheiten des Körpers ausgelöst wird, die man noch nicht kennt. Simulationen kommen daher im Vorfeld von Tierversuchen zum Einsatz, und nur, was sich in den Simulationen bewährt, wird später überhaupt in Tierversuchen eingesetzt. Deshalb helfen Simulationen, Versuchstiere einzusparen, doch alle ersetzen können sie nicht.
Wieso sind menschliche Zellen in Kultur nicht zuverlässiger als Versuchstiere?
Zur Beantwortung einiger Fragen sind menschliche Zellen tatsächlich besser als Tiere geeignet, und dann werden sie auch eingesetzt. An anderer Stelle jedoch kommt es auf das Zusammenspiel verschiedener Gewebe und Organe an – einschließlich Blutdruck und Immunreaktionen. Diese Aspekte lassen sich in Zellkulturen nicht nachbilden, das geht nur in einem lebenden Organismus.
Warum sind nach Jahrzehnten der Forschung nicht noch mehr Alternativmethoden im Routine-Einsatz?
Im Bereich der Wirkstofferfindung werden längst zahlreiche Alternativen zu Tierversuchen eingesetzt – und viele Techniken, mit deren Hilfe man mit weniger Tieren pro Versuch auskommt. Alternativen können da nicht zum Einsatz kommen, wo Gesetze bestimmte Tierversuche zur Bedingung für Zulassungsentscheidungen machen. Hier müssen die Unternehmen den Vorgaben entsprechen, solange Alternativen nicht behördlich anerkannt sind. Die Zulassungsbehörden und Pharmaverbände aus den USA, Japan und Europa haben bei dieser Anerkennung bereits einiges erreicht, z.B. bei der Prüfung der Giftigkeit, wodurch die Zahl bestimmter Tierversuche gesenkt werden konnte.
Meine Katze ist verschwunden. Könnte sie in einem Tierversuch eingesetzt werden?
Nein, auf keinen Fall! Hersteller können nur Tiere aus eigener Zucht oder von speziell qualifizierten Züchtern verwenden. Nur mit solchen Tieren ist die nötige Einheitlichkeit zu gewährleisten, ohne die die Versuchsergebnisse wertlos sind. Zudem verlangt dies das Gesetz.
Dieses Gespräch ist der vfa-Broschüre "Tierversuche und Tierschutz in der Pharmaindustrie - Trends und Alternativen" entnommen.
Sie können das Heft hier als PDF herunterladen.
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