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Tierversuche und Tierschutz in der Pharmaindustrie

Viele Krankheiten lassen sich heute lindern oder sogar heilen: Eine HIV-Infektion ist heute kein Todesurteil mehr, Hepatitis C sogar heilbar, mit Diabetes kann man alt werden und gegen den Risikofaktor Nr. 1 – den Bluthochdruck – helfen viele Medikamente. Was Kinderlähmung, Diphtherie oder Tetanus anrichten, weiß hierzulande fast niemand mehr – dank wirksamer Impfungen. Um die Medikamente und Impfstoffe dafür entwickeln zu können, mussten die Forscher neben vielen anderen Tests auch Tierversuche durchführen.

So werden Tierversuche durchgeführt

„Es ist verboten, einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerz, Leid oder Schaden zuzufügen“ – so heißt es gleich zu Beginn im Deutschen Tierschutzgesetz. Das Gesetz macht damit klar, dass Tiere keine Sache sind, mit der man nach Belieben verfahren kann; und speziell Forscher verpflichtet es, jeden Versuch am Tier wissenschaftlich und hinsichtlich seines Zwecks zu rechtfertigen. Es muss also stets erklärt werden, warum das Versuchsziel nur mit einem Tier erreicht werden kann.

Im Rahmen eines Tierversuchs wird eine Ratte narkotisiert und in einem Kernspintomographen untersucht.

Dabei gilt das Gesetz für Wirbeltiere (Säugetiere, Vögel, Reptilien, Amphibien und Fische) sowie Tintenfische (Cephalopoden) und höhere Krebse (Decapoden) wie den Hummer. Cephalo- und Decapoden stehen auf einer Stufe mit den Wirbeltieren, was ihre Fähigkeit zur Verarbeitung von Sinneseindrücken betrifft. Versuche mit anderen wirbellosen Tieren – etwa Fliegen, Schnecken oder Fadenwürmern – unterstehen nicht diesem Gesetz und werden auch nicht statistisch gezählt.

Erst nach behördlicher Freigabe

Versuchsvorhaben mit Wirbeltieren, Cephalo- und Decapoden sind genehmigungspflichtig oder – falls es gesetzlich vorgeschriebene Toxizitätstests sind – meldepflichtig gegenüber den Behörden. Um die Genehmigung für einen Tierversuch zu erhalten, muss der Versuchsleiter in seinem Antrag darlegen, weshalb das Ergebnis nicht ohne Tiere, mit weniger Tieren oder mit Tieren eine primitiveren Art (beispielsweise mit Fischen statt Ratten) erzielt werden kann. Außerdem muss er nachweisen, dass für die Tiere artgerechte Unterbringung und Pflege sowie medizinische Versorgung vor, während und nach den Versuchen sichergestellt ist.

Die Behörde zieht zur Beurteilung der Anträge eine Expertenkommission zu Rate. Ihr gehören sowohl tierexperimentell erfahrene Personen als auch Vertreter aus Tierschutzverbänden an. Erst wenn die Genehmigung vorliegt, dürfen die Forscher mit den Versuchen beginnen.

Über die Haltung der Tiere und die Durchführung der Versuche wacht dann die zuständige regionale Veterinärbehörde. Sie führt regelmäßig Kontrollen durch.

Nur durch qualifizierte Personen

Die Versuche dürfen nur von qualifizierten Kräften durchgeführt werden. Wer nicht-operative Eingriffe vornehmen soll, muss mindestens einen Hochschulabschluss in Tiermedizin, Medizin oder einer Naturwissenschaft oder beispielsweise den Abschluss als Biologielaborant nachweisen. Operative Eingriffe an Wirbeltieren erfordern darüber hinaus spezielle versuchstierkundliche Fachkenntnisse und sind nur ausgebildeten Zoologen, Human- oder Tiermedizinern und – in begründeten Ausnahmefällen – Biologielaboranten erlaubt.

Nur mit Zuchttieren

Die Versuchstiere der Pharma-Unternehmen kommen stets aus der eigenen Zucht oder von speziell zertifizierten Züchtern. So verlangt es das Gesetz, und das ist auch sachgerecht: Denn mit Tieren aus freier Wildbahn oder gar „von der Straße” ließen sich keine verwertbaren Ergebnisse erzielen, weil sie in Alter, Abstammung und Gesundheitszustand viel zu uneinheitlich wären.

Die Kennzeichnungs-Verordnung von 1988 verlangt, Hunde und Katzen für Versuche bereits beim Züchter durch Tätowierungen zu kennzeichnen. Zucht und Handel von Versuchstieren sind nur behördlich zugelassenen Einrichtungen erlaubt.

Nur mit Tierschutzbeauftragtem

In jeder Einrichtung, in der Tierversuche erfolgen, muss es einen Tierschutzbeauftragten geben. Er hat auf die Einhaltung aller Tierschutz-Vorschriften zu achten und muss alle beraten, die mit Tierversuchen und -pflege befasst sind. Zu jedem Tierversuchsantrag eines Wissenschaftlers aus seinem Hause muss er Stellung nehmen. Er muss zudem darauf hinwirken, dass Verfahren zur Verringerung von Tierversuchen entwickelt und eingeführt werden. In diesen Dingen ist der Tierschutzbeauftrage persönlich für Defizite haftbar und dementsprechend auch nicht an Anweisungen seiner Vorgesetzten gebunden (Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren drohen für Verstöße gegen das Tierschutzgesetz).

Stets mit guten Haltungsbedingungen

Wie brauchbar die Ergebnisse aus Tierversuchen sind, hängt auch von den Haltungsbedingungen ab. Deshalb ist es nicht nur moralisch, sondern auch aus wissenschaftlich und praktischen Erwägungen heraus geboten, dass die Tiere optimal gepflegt werden und auch während der Versuche möglichst stressfrei leben. Dazu müssen zahlreiche Bestimmungen eingehalten werden, etwa die European convention for the protection of vertebrate animals used for experimental and other scientific purposes. Ernährung, tierärztliche Versorgung und Anforderungen an die Größe und Beschaffenheit des Haltungsraums sind darin klar festgelegt.

Zur Verminderung von Stress ist es wesentlich, die Tiere möglichst wenig aus ihrem gewohnten Umfeld und Tagesablauf heraus zureißen. Dazu kann die Erhebung und Übertragung von Daten durch Messgeräte (z.B. zur Puls- und Blutdruckmessung) beitragen, die die Tiere mit sich führen. Sie bemerken die Messungen dann nicht einmal.

Schweinehaltung in einem forschenden Pharma-Unternehmen. Die Bälle enthalten Futter, dienen aber auch als Spielzeug.

Mit Enrichment

Zum Wohlergehen der Versuchstiere gehört auch eine ihrem Sozialverhalten gemäße und psychologisch anregende (oder ggf. auch beruhigende) Umgebung. Die Optimierung der Haltungsbedingungen in dieser Hinsicht nennt sich Enrichment (engl.: Bereicherung). Sie wird von forschenden Pharma-Unternehmen umfassend praktiziert.

Kaninchen reagieren beispielsweise positiv auf Spielzeug und Versteckmöglichkeiten mit zwei Ausgängen im Käfig. Weibliche Kaninchen bevorzugen Gruppenhaltung; Kaninchenböcke sind Einzelgänger. Ratten, Schweine und manche anderen Tiere legen, wenn man sie lässt, in ihrer Stallung einen „Toilettenbereich“ fest, der dann häufig gereinigt werden sollte. Ratten und Mäuse schätzen einen Rückzugsraum, wofür sich Häuschen aus rot getöntem Plastik im Käfig eignen; weil die Tiere rot nicht sehen können, ist es für sie darin dunkel (nicht aber für die Pfleger). Für Vögel haben sich Spiegel und eine Sammlung kleiner bunter Objekte bewährt, wie es sie auch in der privaten Vogelhaltung gibt. Hunde und Schweine sind sehr für ein regelmäßiges Fitnesstraining wie in einer Hundschule zu haben. Für Schweine haben sich auch ausgehöhlte Plastikbälle bewährt, aus denen sie ihr Futter gewinnen können, während sie damit spielen.

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„Das Beste für unsere Tiere ist, wenn ich mit ihnen auf den Trainingsplatz gehe.“
Eine Tierpflegerin bei einem forschenden Pharma-Unternehmen»

Das beste Enrichment ist für viele Tiere aber die Gegenwart engagierter Tierpfleger, die sich um sie kümmern und mit ihnen etwas unternehmen. So kommen auch die meisten Anregungen zu weiteren Enrichment-Maßnahmen von den Tierpflegern, die die individuellen Bedürfnisse der Tiere gut kennengelernt haben.

Versuchsdurchführung

Ein großer Teil der Tierversuche in der Pharmaindustrie besteht darin, dass Tieren eine zu untersuchenden Substanz gespritzt und ihnen dann mehrfach Blut abgenommen wird. Die Auswertung der Blutproben ergibt, wie schnell die Substanz wieder ausgeschieden wird und ob sie im Körper umgewandelt wird. Während des Versuches wird beobachtet und gemessen, welche Wirkungen und Nebenwirkungen eintreten, wozu auch Verhaltensauffälligkeiten gehören können. Die Belastung der Tiere entspricht dabei in etwa dem, was auch bei einem Tierarztbesuch in Kauf zu nehmen ist. Nach einer Karenzzeit von einigen Wochen können die Tiere erneut an einem Versuch teilnehmen.

Für einige andere Versuche ist es nötig, bei Tieren eine menschliche Krankheit nachzubilden – etwa eine Tumorerkrankung oder eine Blutmangelversorgung des Herzes. Dies ist mit Symptomen wie beim Menschen verbunden, die im Versuch aber soweit wie möglich gelindert werden. Insbesondere kommen, wo immer möglich, Schmerzmittel und Narkose zum Einsatz. Operative Eingriffe werden unter Vollnarkose vorgenommen. Falls durch einen Eingriff größere Schäden verursacht werden, werden die Tiere direkt von der Narkose aus eingeschläfert.

Nur wenige Versuche sind noch verblieben, bei denen es nicht vermieden werden kann, dass Tiere Schmerzen oder andere schwere Symptome zu spüren bekommen (z.B. in der Forschung zu rheumatischen Erkrankungen). An Alternativen dazu wird intensiv gearbeitet.

Nach den Versuchen

Während das Leben von Versuchsmäusen, Ratten und Kaninchen praktisch immer mit Einschläfern endet, werden größere Tiere in der Regel nach einigen Jahren der Mitwirkung an Versuchen über Tierschutzorganisationen an neue Besitzer vermittelt.

Hauptsächlich Mäuse und Ratten

Jährlich veröffentlicht das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft und Verbraucherschutz statistische Angaben über die in Deutschland eingesetzten Versuchstiere. Auf die Firmen, die sich mit Medikamenten und Medizinprodukten für die Human- oder Veterinärmedizin beschäftigen, entfallen demnach jährlich etwa 800.000 bis 850.000 Tiere (Daten für Humanarzneihersteller allein liegen nicht vor); 2012 waren es 803.766 Tiere.

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Die Zahl der Wirbeltiere, die in Deutschland im Jahr von Arzneimittel- und Medizinprodukteherstellern eingesetzt werden, ist 2012 gegenüber 2011 um 3,5 % gefallen. An ihrer Verteilung auf die Unternehmensbereiche ‚Forschung und Entwicklung‘ und ‚Produktion‘ hat sich nichts Wesentliches geändert.

Die folgende Abbildung zeigt, wie sich die Versuchstiere nach Tierarten aufteilen:

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Rund 86 % der Versuchstiere der Pharma- und medizintechnischen Industrie sind demnach Mäuse und Ratten. Sie werden vor allem für die Erforschung von Krebs und Stoffwechselerkrankungen verwendet. Daneben dienen sie zur Wirksamkeits- und Toxizitätsprüfung bei neuen Wirkstoff-Kandidaten und zur Qualitätskontrollen bei zugelassenen Medikamenten.

Ein Teil der verwendeten Ratten und Mäuse haben ein gentechnisch verändertes Erbgut mit zusätzlichen oder stillgelegten Genen; sie heißen transgen. Solche Tiere dienen meist zur Klärung, welche Rolle bestimmte Gene bei einer Krankheit spielen. Tritt beispielsweise bei Tieren, bei denen ein bestimmtes Gen stillgelegt wurde, kein Diabetes mehr auf, dürfte das betreffende Gen bei der Krankheit eine Rolle spielen. Das ist eine wichtige Information für die Entwicklung neuer Medikamente. Anders als sonst werden bei transgenen Tieren nicht nur die eigentlichen Versuchstiere, sondern alle gehaltenen Tiere für die Tierversuchsstatistik mitgezählt.

Mit Kaninchen (7 % der Tiere) wird vor allem die Wirksamkeit neuer Wirkstoff-Kandidaten überprüft. Schweine (knapp 1 % der Tiere) dienen insbesondere zur Erforschung von Herz-Kreislauf-Krankheiten, Diabetes und Osteoporose. Weit weniger als 1 % der Versuchstiere sind Hunde, weniger als ein Promille Katzen. Letztere werden fast nur bei der Entwicklung von Katzen-Medikamenten gebraucht. Auch Affen sind nur selten erforderlich und stellen jährlich rund 1,4 Promille; Menschenaffen sind nicht darunter.

Übertragbarkeit auf den Menschen

Was Wirksamkeit und Verträglichkeit eines Medikaments betrifft, stimmen Mensch und Tier in der Regel gut überein. Das zeigt schon ein Blick auf das Arzneimittelsortiment des Tierarztes: Fast immer kann er seine Patienten mit den gleichen Wirkstoffen behandeln wie ein Humanmediziner (siehe Tabelle). Größere Unterschiede gibt es meist nur in Form und Geschmack: So ist die „Pille“ für Flusspferde groß wie ein Brikett, und für Hunde gibt es Tabletten mit Fleisch-Geschmack.

Doch es gibt Ausnahmen von der Regel. So vertragen Hunde zwar Schmerzmittel auf Basis von ASS, nicht aber von Ibuprofen. Die meisten Menschen hingegen vertragen Ibuprofen gut. Umgekehrt gibt es auch Substanzen, die von mehreren Tierarten gut vertragen werden, während sie beim Menschen z.B. Brechreiz auslösen.

Das macht deutlich, dass man tierexperimentellen Daten für die Humanmedizin nicht blind vertrauen kann. Und deshalb müssen positive Resultate von Tierversuchen auch stets noch einmal mit Versuchspersonen überprüft werden, ehe das betreffende Medikament zugelassen werden kann.

Entscheidender aber: Wirkstoff-Kandidaten, die sich im Tierversuch nicht bewähren, werden ausgemustert und gar nicht mehr mit Menschen erprobt! So wird vermieden, Versuchsteilnehmer einem unnötigen Risiko auszusetzen.

Deshalb sind Tierversuche ein wichtiger Teil eines verantwortungsvollen Vorgehens in der Pharmaforschung; und daher hat der Gesetzgeber sie auch verpflichtend gemacht.

Gleiche Wirkstoffe für Mensch und Tier

Die Tier- und die Humanmedizin verwenden großenteils die gleichen Wirkstoffe. Hier einige Beispiele:

Wirkstoff(e)Anwendungsgebiete bei Mensch und Hund (Auswahl)
Penicillin, Doxycyclin, Erythromycin, Ciprofloxacin, CefotaximBakterielle Infektionen
Omeprazol, RanitidinGastritis, Magengeschwüre
ASS, Paracetamol, Metamizol, TramadolSchmerzen
Ramipril, Enalapril, AmlodipinBluthochdruck, Herzinsuffizienz
HydrocortisonEntzündungen
Fluconazol, Itraconazol, Amphotericin BPilzinfektionen
Alpha-InterferonHepatitis C (Mensch); schwere Virusinfektionen (Hund)
PraziquantelBilharziose, Bandwürmer (Mensch); Entwurmung (Hund)