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Seltene Erkrankungen – Definition, Beispiele und Zahlen

Innerhalb der Europäischen Union gilt folgende Definition für seltene Erkrankungen: Eine Krankheit ist dann als selten einzustufen, wenn nicht mehr als fünf von 10.000 Menschen daran leiden. Es sind ungefähr 8.000 solche Krankheiten bekannt und jedes Jahr werden weitere entdeckt. In Deutschland leiden ca. 3-4 Millionen Menschen an einer seltenen Erkrankung – das macht sie zu einem häufigeren Leiden, als es auf den ersten Blick scheint.

Nahaufnahme eines kleinen Mädchens, das sich einen Inhalator vor die Nase hält.

Gerade bei Erbrankheiten sind oft schon Kinder betroffen.

Welche Arten seltener Erkrankungen gibt es?

Für das Gesundheitswesen stellen seltene Erkrankungen eine besondere Herausforderung dar und der Weg bis zur richtigen Diagnose und Behandlung ist häufig sehr lang. Der Sammelbegriff „seltene Erkrankung“ suggeriert eine Einheitlichkeit, die es nicht gibt. Im Gegenteil: Seltene Leiden gibt es in den unterschiedlichsten Krankheitsgebieten. Es können Formen von Krebs sein, die glücklicherweise nur sehr selten auftreten, wie z. B. Akute Lymphatische Leukämie (ALL). Auch Erkrankungen des Herzkreislaufsystems können selten sein, wie Lungenhochdruck; oder Stoffwechselerkrankungen, wie z. B. Mukopolysaccharidose VII. Eine seltene Nervenkrankheit ist die Kinderdemenz und auch Infektionskrankheiten können als seltene Erkrankungen gelten, wie es bei der Tuberkulose zutrifft. Seltene Autoimmunkrankheit sind etwa die Gefäßentzündung Riesenzell-Arteriitis und das Sjögren-Syndrom. Einen Schwerpunkt bilden seltene genetische Erkrankungen. Bei etwa 80 Prozent der seltenen Krankheiten ist ein genetischer Faktor involviert.(1) Da Erbkrankheiten zumeist im frühen Lebensalter auftreten, sind häufig Kinder betroffen. Mit typischen „Kinderkrankheiten“ sind sie nicht zu vergleichen: Diese zeichnen sich durch eine hohe Inzidenz aus. Meist verlaufen seltene Erkrankungen chronisch, in wenigen Fällen sind sie heilbar.

Welche Diagnosemöglichkeiten gibt es?

Die Bezeichnung „seltene Erkrankung“ umfasst kein einzelnes, abgegrenztes Krankheitsgebiet, sondern bezieht sich ausdrücklich auf die Häufigkeit der Erkrankungen. Was diese Krankheiten gemeinsam haben, sind die besonderen Herausforderungen in der Entwicklung von Medikamenten und Therapien und bei der Umsetzung einer Behandlung möglichst nahe am Wohnort der Betroffenen. Denn je nach Art der Krankheit ist ein ganz anderes medizinisches Spezialwissen gefragt und Erfahrungen mit der Behandlung sammeln – den Umständen geschuldet – vergleichsweise wenige Mediziner:innen. Sind die diagnostischen Möglichkeiten etwa von Hausärzt:innen erschöpft, können diese an ein Zentrum für Seltene Erkrankungen (ZSE) verweisen. Diese Zentren bündeln Informationen zu spezialisierten Versorgungseinrichtungen und helfen bei der Orientierung. Weitere diagnostische Schritte erfolgen durch Expert:innen für einzelne seltene Krankheiten bzw. Krankheitsgebiete in den Versorgungseinrichtungen. Häufig sind diese in Universitätskliniken angesiedelt. Bei der Diagnose spielen Gentests eine wichtige Rolle.

Um den gesamtgesellschaftlichen Kampf gegen seltene Erkrankungen voranzubringen, gründete sich 2010 das Nationale Aktionsbündnis für Menschen mit Seltenen Erkrankungen (NAMSE). An ihm sind u.a. das Bundesministerium für Gesundheit (BMFG), das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMFB), ACHSE e.v. (Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen) und 25 Bündnispartner beteiligt.

Warum ist die medikamentöse Therapie in vielen Fällen schwierig?

Forschung und Studien zu seltenen Erkrankungen werden dadurch erschwert, dass nur wenige Menschen von einer einzelnen seltenen Krankheit betroffen sind und diese nicht alle am gleichen Ort leben. Welche Mechanismen im Organismus hinter den Erkrankungen stehen, ist selten ausreichend erforscht. Zudem ist dieses Wissen erst der Anfang für die Entwicklung eines wirkungsvollen und sicheren Medikaments.

Außerdem sind viele seltene Erkrankungen genetisch bedingt – bei vier von fünf seltenen Erkrankungen ist ein Gendefekt Aus- oder Mitauslöser. Handelt es sich um Erbkrankheiten, lassen sich seltene Erkrankungen an der eigentlichen Ursache, den Genen, kaum behandeln. Sehr oft trifft es Kinder, denn in den Genen steckt der Bauplan für das Leben und Fehler darin äußern sich entsprechend früh. Bei der etwa 50 verschiedene Erkrankungen umfassenden Gruppe der Lyosomalen Speicherkrankheiten (LSK) sind beispielsweise Enzyme in den zellinneren Lyosomen betroffen. In den Lyosomen, die auch als „Magen der Zelle“ bezeichnet werden, findet die Metabolisierung verschiedener körperfremder und körpereigener Stoffe statt. Doch ohne funktionsfähige Enzyme in ausreichender Menge können sie diese Funktion nur fehlerhaft oder unzureichend erfüllen. Nicht-metabolisierte Stoffe reichern sich dann innerhalb und schließlich auch außerhalb der Zelle an, was diverse Störungen des Organismus hervorrufen kann. Die angeborenen Stoffwechselerkrankungen können den Körper daher stark schädigen und hatten lange Zeit eine stark verkürzte Lebenserwartung zur Folge. Auch heute kann man sie zwar nicht heilen, für eine wachsende Zahl gibt es in Form von Enzymersatztherapien (EET oder ERT von engl. Enzyme Replacement Therapy) mittlerweile jedoch wirksame Behandlungen. Dieses Beispiel zeigt die Komplexität, mit der es Mediziner:innen bei vielen seltenen Krankheiten zu tun haben.



Seltene Erkrankungen in Zahlen

Im Jahr 2000 wurde die sogenannte Orphan Drug-Verordnung in der EU eingeführt. Was die Entwicklung von Medikamenten im Rahmen der Orphan Drug-Verordnung für die Patientinnen und Patienten und das Gesundheitswesen in Deutschland bedeutet, lässt sich an einigen Kennzahlen ablesen:

  • Es gibt rund 8.000 Seltene Erkrankungen. Die meisten haben genetische Ursachen.
  • Circa 4 Millionen Menschen in Deutschland leiden an einer seltenen Krankheit.
  • Mehr als 170 Krankheiten können mit den bis Ende 2023 von der EU als Orphan Drugs zugelassenen Medikamenten behandelt werden.
  • Etwa 230 Orphan Drugs sind inzwischen zugelassen (Stand Januar 2024) – inklusive 83 Medikamente mit ehemaligem Orphan Drug-Status.
  • 1/3 aller Medikamente mit neuem Wirkstoff, die in Deutschland 2013 bis 2022 auf den Markt kamen, waren Orphan Drugs.
  • 21 Medikamente mit derzeit aktivem Orphan Drug-Status wurden für Krankheiten zugelassen, an denen hierzulande jeweils höchstens 1000 Patient:innen leiden.
  • 36 Einrichtungen zählt der se-atlas derzeit, das heißt es gibt landesweit 36 Zentren für seltene Erkrankungen, die diagnostische und therapeutische Kompetenzen bündeln.

Wie selten ist selten?

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Das Stadionbeispiel zeigt das Verhältnis von seltenen gegenüber häufigeren Krankheiten auf. Ein Beispiel: Säße in einer ausverkauften Arena von der Größe des Berliner Olympiastadions (75.000 Plätze) ein repräsentativer Querschnitt der deutschen Bevölkerung, dann litten statistisch 191 Zuschauer an Multipler Sklerose. Sie gilt als eine häufige Autoimmunerkrankung. Selten dagegen ist der Systemische Lupus, ebenfalls eine Autoimmunerkrankung: Nur 24 Zuschauer wären erkrankt.

Als häufig gilt die Infektion mit HIV – in unserem Stadion säßen 73 HIV-positive Menschen. Eine hierzulande seltene Infektion ist hingegen die Tuberkulose – lediglich vier Zuschauer würden diese Infektion in sich tragen. Als häufig gilt auch die Hypercholesterinämie (248 Zuschauer) – sie ist eine Stoffwechselerkrankung wie auch die Hypophosphatasie. An dieser würde aber lediglich ein Zuschauer leiden. In unserem Stadion hätten 188 Besucher Darmkrebs, wohingegen maximal ein Zuschauer an einer Akuten Lymphatischen Leukämie (ALL) leiden würde, einer bösartigen Erkrankung des blutbildenden Systems.

Diese Erkrankungen sind für die betroffenen Menschen, die besorgten Eltern und Angehörigen eine starke Belastung – vor allem, wenn sie das Gefühl haben, mit ihrem seltenen Leiden alleine gelassen zu werden.

Wo erhalten Menschen mit seltenen Erkrankungen Hilfe?

Wichtige Anlaufstelle für Menschen mit Verdacht auf eine Seltene Erkrankung oder gesicherter Diagnose sind die 36 landesweiten Zentren für Seltene Erkrankungen (ZSEs). Sie bündelt eine umfangreiche Expertise zu verschiedenen seltenen Erkrankungen. ZSE-Lots:innen helfen Menschen mit unklarer Diagnose und Verdacht auf seltene Erkrankung ebenso wie Menschen mit gesicherter Diagnose dabei, geeignete Expert:innen für ihre Behandlung zu finden.

Woran wird geforscht?

Hilfe für Betroffene bietet eine wachsende Zahl zugelassener Medikamente. Arzneimittel für die Behandlung solcher seltenen Krankheiten bezeichnet man als Orphan Drug. Die Bezeichnung geht darauf zurück, dass seltene Erkrankungen lange als „verwaist“ ( von engl. „orphaned“) galten, mit der Begründung, dass ihnen zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet wurde.

Von Jahr zu Jahr verbessern neue Orphan Drugs die medizinische Versorgung von Betroffenen – und lindern so auch das Leid vieler Angehöriger. Der vfa hat mit Stand Dezember 2023 ausgewertet, dass im Bereich Orphan Drugs Medikamente mit 228 Wirkstoffen gegen 173 Krankheiten zugelassen wurden. 84 davon dienen der Behandlung von Krebsarten, 53 der Behandlung von Stoffwechselerkrankungen, 16 fallen in den Bereich Infektionen und jeweils 15 in die Bereiche Neurologie und Immunologie. Weitere Medikamente und Wirkstoffe betreffen die Bereiche Herz-Kreislauf, Atemwege, Blutgerinnung und andere.

Insgesamt war rund ein Drittel der in den letzten fünf Jahren vor dem Zeitpunkt der Auswertung neu zugelassenen Medikamente mit dem Status als Orphan Drug versehen. Forschende Pharma-Unternehmen zeigen demnach ein kontinuierlich starkes und erfolgreiches Engagement auf dem Gebiet.

Mit Stand Janaur 2024 befinden sich weitere rund 2.600 Arzneimitteltherapien in der Entwicklung, die ebenfalls den Orphan Drug-Status tragen, aber noch keine Zulassung erhalten haben. Eine vollständige Übersicht bietet die EU im Community Register of orphan medicinal products.

Quellen