Die neuen Wirkstoffe
Das Herzstück eines Medikaments ist sein Wirkstoff, also der Stoff, der im Körper eine heilende, lindernde oder vorbeugende Wirkung erzielt. Er ist das Ergebnis jahrelanger Forschung. 51 % der Projekte mit „Perspektive 2023“ basieren auf Wirkstoffen, die noch nie zuvor Bestandteil eines in Europa zugelassenen Medikaments waren.
In der Erhebung sind 161 der insgesamt 276 verwendeten Wirkstoffe neu; in der Erhebung von 2017 waren es nur 134.
Nachdem der Anteil gentechnisch hergestellter Wirkstoffe jahrelang zunahm, hat er sich seit 2015 bei etwa 40 % eingependelt; ebenso der für chemische Wirkstoffe bei 53 %. Beide Wirkstofftypen haben also weiterhin eine herausragende Bedeutung.
Chemisch-synthetische Wirkstoffe
Chemisch synthetisiert werden vor allem kleinere Wirkstoffmoleküle (englisch „small molecules“ genannt). Mit typischerweise 50 bis 120 Atomen sind sie klein genug, um in Körperzellen zu gelangen, wo sie meist bestimmte Biomoleküle blockieren sollen.
Ein weiterer Vorzug: Diese Wirkstoffe können meist oral – also als Tabletten, Kapseln, Trinksuspension etc. – eingenommen werden. Die meisten Patienten schlucken Medikamente lieber, als sie auf andere Weise anzuwenden.
Doch auch größere Wirkstoffmoleküle werden mitunter chemisch hergestellt, etwa Tirzepatid gegen Diabetes Typ 2 mit 689 Atomen. Auch synthetische RNA, mit der beispielsweise das Ablesen von Genen in Zellen gesteuert werden kann, lässt sich so herstellen.
Gentechnische Wirkstoffe
Gehört ein Wirkstoff zu den Proteinen, kommt fast immer Gentechnik zum Einsatz: Zellen (meist von Bakterien oder Säugetieren) werden mit dem erforderlichen Gen ausgestattet und in einem Produktionsbehälter (Fermenter) vermehrt, in dem sie dann den Wirkstoff herstellen.
Die kleinsten Protein-Wirkstoffe haben rund 790 Atome, die größten (Antikörper) 20.000 und mehr Atome. Fast alle gentechnisch hergestellten Wirkstoffe müssen gespritzt oder als Infusion verabreicht werden.
43 der neuen gentechnischen Wirkstoffe sind Antikörper, erkennbar an der Endsilbe „mab“ im Namen. Dazu kommen Enzyme für die Therapie angeborener Stoffwechselstörungen. Auch die Antigene (die immunisierenden Bestandteile) mehrerer Impfstoffe werden gentechnisch hergestellt, etwa gegen Ebola.
Natürliche Antigene
Weiterhin werden aber auch Impfstoffe entwickelt, deren Antigene aus den Erregern gewonnen werden, vor denen sie schützen sollen. In der Erhebung ist das bei fünf Impfstoffen der Fall.
Naturstoffe und semisynthetische Wirkstoffe
Als Wirkstoffe kommen auch Naturstoffe in Betracht, die von Bakterien, Pflanzen, Pilzen oder Tieren natürlicherweise gebildet werden (ohne Gentechnik); oder chemisch veränderte (semisynthetische) Versionen davon. Das kommt aber nur noch selten vor; in der Erhebung nur beim Neosaxitoxin, einem Neurotoxin aus Einzellern.
Manchmal dient die Natur auch als Inspirationsquelle für Wirkstoffe, die dann chemisch hergestellt werden. So ist es beispielsweise beim Malaria-Wirkstoff Tafenoquin, der vom Chinin aus Baumrinde abgeleitet ist; oder bei Vedotin und Mafoditin, die Giftstoffen einer Meeresschnecke nachempfunden sind. Diese Stoffe werden als Teil von Antikörper-Toxin-Konjugaten in der Krebstherapie eingesetzt.
Medikamente auf Basis von Zellen
Medikamente können auch lebende Zellen enthalten, die dann die Rolle von Wirkstoffen übernehmen. In der Erhebung gilt das ausschließlich für Medikamente, die genetisch veränderte T-Zellen (die CAR- oder TCR-T-Zellen) enthalten. Grundsätzlich können Medikamente auch unveränderte Zellen enthalten; das ist jedoch bei keinem Projekt der aktuellen Erhebung der Fall.