Warum manchmal kombinierte Medikamente mehr erreichen
Mitunter ist mehr als ein Medikament gegen die gleiche Krankheit erforderlich, damit den Betroffenen wirksam und nachhaltig geholfen werden kann. Die Gründe dafür sind ganz unterschiedlich.
HIV-Therapie: immer als Kombination
Die vielleicht berühmteste Kombinationstherapie der Medizingeschichte ist die HIV-Behandlung: Für diese werden typischerweise drei (manchmal sogar vier) Arzneistoffe nebeneinander verabreicht, die auf unterschiedliche Weise die Virenvermehrung stoppen. „HAART“ (highly active anti-retroviral therapy“) hieß diese Behandlungsmethode, als sie 1996 etabliert wurde. Seither hat sie unzählige HIV-Infizierte vor dem Zusammenbruch ihres Immunsystems (dem Syndrom AIDS) und damit vor Siechtum und Tod bewahrt.
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Medikamente mit einem Wirkstoff gegen HIV gab es schon ab 1987, aber erst im Rahmen der Dreierkombinationen war ihre Wirkung von Dauer. Denn wurde nur ein Wirkstoff angewendet, kam es regelmäßig bei den HIV-Infizierten binnen kurzer Zeit zur Resistenzbildung. Viren sind aber kaum imstande, gegen drei unterschiedliche Wirkstoffe gleichzeitig resistent zu werden.
Um den HIV-Positiven die Behandlung zu erleichern, wurde eine Reihe von Tabletten entwickelt, die gängige Wirkstoffkombinationen in sich vereinen. Wer also heute nur ein HIV-Medikament einnimmt, erhält auf diesem Wege doch die Wirksamkeit einer ganzen Wirkstoffkombination. Allerdings sind diese Fixkombinations-Tabletten nicht für alle Patient:innen geeignet. Bestimmte Unverträglichkeiten oder Resistenzen können es nötig machen, auch heute noch mehrere Einzel-Medikamente gegen die Virenvermehrung zu kombinieren.
Hepatitis C: auch hier nur in Kombination
Auch gegen Hepatitis C hat es sich bewährt, mehrere Wirkstoffe zur Unterdrückung der Virusvemehrung zu kombinieren. Seit 2013 ist es damit sogar gelungen, die Krankheit bei fast allen Patient:innen heilbar zu machen, und das binnen weniger Monate und bei zumeist milden Nebenwirkungen. Kombiniert werden müssen Wirkstoffe, die an unterschiedlichen Stellen in den Leberzellen die Virenvermehrung blockieren. Auch hier bieten Hersteller zum Teil Medikamente an, die zwei Wirkstoffe in sich vereinen.
Langfristig lässt sich mit diesen Kombinationstherapien die Krankheit vielleicht sogar einmal ausrotten.
Bakterielle Infektionen: Kombinationen für besondere Fälle
Zur Ausheilung bakterieller Infektionen ist in der Regel keine Kombination erforderlich; es genügt ein einziges Antibiotikum. Doch es gibt Ausnahmen.
So lässt sich Tuberkulose nur durch Antibiotika-Kombinationen ausheilen, und das nur über lange Zeit. Schon das Abtöten nicht-resistenter Tuberkulose-Bakterien erfordert mindestens ein halbes Jahr durchgehender Anwendung. Müssen multiresistente Tuberkulose-Bakterien überwunden werden, erfordert die (leider nebenwirkungsreiche) Kombinationstherapie mehr als ein Jahr. Dass kombiniert werden muss, hat hier den gleichen Grund wie bei HIV und Hepatitis-C-Viren: Geschieht es nicht, entwickeln die Erreger Resistenzen, und die Therapie scheitert.
Gegen Helicobacter pylori-Bakterien, die Magengeschwüre verursachen, werden in der Regel zugleich zwei Antibiotika und zusätzlich noch ein Magensäure-Hemmer angewendet. Dieses Bakterium lässt sich aber glücklichweise meist schon binnen ein bis zwei Wochen aus dem Körper eliminieren.
Kombinationen in der Krebstherapie
Zwischen Keimen, die chronische Krankheiten verursachen, und Krebszellen gibt es einige Parallelen. Sie alle versuchen, dem Immunsystem zu entgehen; und sie alle versuchen, sich häufig zu vermehren, was Gelegenheit für Resistenzbildung gegen Medikamente bietet. Denn die Resistenzbildung ist nichts anderes als Evolution im Kleinen – durch Mutation und Selektion.
So werden auch in der Krebsmedizin mitunter deshalb Medikamente kombiniert eingesetzt, damit die Tumorzellen keine Überlebenschance bekommen, wenn sie gegen ein Medikament eine Resistenz entwickeln.
Eine weitere Kombinationstherapie, die derzeit in Entwicklung ist, gründet aber auf einer anderen Überlegung: Therapeutische Krebsimpfstoffe sollen den Immunzellen vom Typ T-Zellen deutlich machen, an welchen anomalen Proteinen sie Tumorzellen erkennen können, um sie anschließend zu bekämpfen. Damit Immunzellen diese Aufgabe übernehmen, müssen sie allerdings angriffsbereit sein, was Tumorzellen mit bestimmten Signalen zu unterdrücken versuchen. Die Lösung: Die Krebsimpfstoffe werden in klinischen Studien zu ihrer Erprobung typischerweise mit zugelassenen Wirkstoffen kombiniert, die die Unterdrückung der Immunzellen aufheben. Die Wirksamkeit solcher Kombinationen wird derzeit mit Patientinnen und Patienten erprobt.
Diabetes Typ 2: Kombination nach Bedarf
Zur Behandlung der Stoffwechselstörung Diabetes Typ 2 werden in aller Regel unterschiedliche Maßnahmen kombiniert: Eine Umstellung der Lebensweise gehört eigentlich immer dazu, hinzu kommen noch ein oder mehrere Medikamente, die den Blutzuckerspiegel senken sollen.
Kombinationen werden dann eingesetzt, wenn mit einem Medikament allein (zusätzlich zu den Maßnahmen bei der Lebensführung) der Blutzuckerspiegel nicht zureichend reguliert werden kann. Die Wirkstoffe der verordneten Medikamente erzielen ihre Wirkung dabei auf unterschiedliche Weise. So kann beispielsweise der Wirkstoff Metformin (der bei fast allen Patient:innen Standard ist) mit einem Wirkstoff kombiniert werden, der die Insulinausschüttung fördert (die wiederum die Blutzucker-Konzentration senkt), und ggf. außerdem mit einem Wirkstoff, der Blutzucker über die Niere in den Urin ausleitet.
Benötigen die Erkrankten Insulin, kombinieren sie meist eine lang und gleichmäßig wirksame Form von Insulin mit kurzwirksamem Insulin, das sie sich zu den Mahlzeiten zusätzlich verabreichen.
Die Kombination und ihre Dosierung wird für Diabetiker:innen individuell zusammengestellt und nötigenfalls nachjustiert. Hersteller bieten einige der gängigsten Kombinationen aber auch als Tabletten mit zwei Wirkstoffen oder – im Fall des Insulins – als Pen mit einem Insulinmix – an.
Bluthochdruck: Kombinationen für weniger Nebenwirkungen
Am verbreitetsten sind Wirkstoffkombinationen vermutlich in der Behandlung von Bluthochdruck. Auch hier werden die Wirkstoffe und ihre Dosierung stets individuell ausgesucht und ggf. nachjustiert, und auch hier bieten Hersteller neben „Monopräparaten“ (also Medikamenten mit nur einem Wirkstoff) auch Arzneimittel mit festen Zweierkombinationen an.
Auch hier genügt für viele Patient:innen ein Monopräparat in gewöhnlicher Dosierung; aber nicht bei allen. Ein wesentlicher Grund dafür, dann zu kombinieren statt das eine Medikament höher zu dosieren, ist die Verträglichkeit. So ist beispielsweise eine Erhöhung des Harnvolumens (Diurese) eine wirksame Maßnahme zur Blutdrucksenkung, verwirklicht durch zahlreiche Arzneimittel des Typs „Diuretika“, doch eine zu starke Diurese wäre nicht gesund.
Durch überlegtes Kombinieren lässt sich sogar noch mehr für die Verträglichkeit tun. So sind beispielsweise ein Blutdrucksenker vom Typ Kalzium-Antagonist und einer vom Typ Diuretika gut kombinierbar, weil Kalzium-Antagonisten bei alleiniger Anwendung zu Flüssigkeitsansammlungen im Gewebe führen können; die jedoch verhindert das Diuretikum. Die Wirkungen werden addiert, die Nebenwirkung wird subtrahiert.
Kombinationen in unterschiedlichsten Gebieten der Medizin
Es gibt viele weitere Beispiele für Behandlungen, die eher mit Medikamentenkombinationen als mit Einzelmedikamenten durchgeführt werden. Die Asthmatherapie gehört ebenso dazu wie das Hinauszögern einer fortschreitenden Herzinsuffizienz. In anderen Fällen ist Kombinieren eine Option, um doch noch ein Therapieziel zu erreichen, wenn eine Patientin oder ein Patient auf das zunächst allein eingesetzte Medikament nicht genügend anspricht. Das gibt es beispielsweise des Öfteren im Fall eines überhöhten Cholesterolspiegels.
Kombinationen erweitern das medizinisch Mögliche
Meist stammen die Medikamente, die kombiniert werden, von verschiedenen Herstellern. Trotzdem werden auch die Kombinationen in aller Regel in klinischen Studien erprobt, die einzelne Hersteller (manchmal auch Forschungseinrichtungen) finanzieren. Die Studienergebnisse sowie Beobachtungsdaten aus der medizinischen Praxis stellen eine solide Grundlage dafür dar, dass die Kombinationen sicher angewendet werden können.
Die Anwendungsbeispiele zeigen, wie das Kombinieren auf ganz unterschiedliche Weise Nutzen stiftet: durch Vermeidung von Resistenzen, durch stärkere oder dauerhaftere Wirksamkeit, durch bessere Verträglichkeit oder dadurch, dass ein Medikament die zu behandelnde Stelle im Körper erst auf die Anwendung mit dem anderen Medikament vorbereitet. Medikamentenkombinationen sind damit ein wichtiger Beitrag zu einer bestmöglichen und individuellen Behandlung von Patientinnen und Patienten.