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Personalisierte Medizin – das beste Medikament für den Patienten finden

Personalisierte Medizin ist ein Behandlungskonzept, das Patient:innen schneller zu einer für sie geeigneten Therapie verhelfen und zugleich das Gesundheitswesen effizienter machen kann. Es beruht in hohem Maße auf den Möglichkeiten der modernen Diagnostik einschließlich Gendiagnostik. Bislang werden erst rund 103 Medikamente in Deutschland „personalisiert“ eingesetzt (Liste unter www.vfa.de/personalisiert), doch jedes Jahr kommen weitere dazu.

Schon immer haben Ärzt:innen versucht, ihre Entscheidung über die bestmögliche Therapie für einen konkreten Patienten nicht nur auf die Krankheitsdiagnose zu gründen, sondern auch auf Charakteristika des Patienten – etwa sein Alter, seine physische Konstitution und ob noch ein Kinderwunsch besteht – und ggf. auf eine Familienanamnese. Neu sind die Möglichkeiten der modernen Diagnostik, auch genetische, molekulare und zelluläre Besonderheiten eines Patienten zu erfassen und daraus Schlüsse darauf zu ziehen, ob eine bestimmte Therapie in Betracht kommt. Das ist es, was die Personalisierte Medizin der bisherigen Medizin hinzufügt.

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Die genetischen, molekularen oder zellulären Besonderheiten, die durch einen diagnostischen Test vor einer Verordnungsentscheidung untersucht werden, heißen auch „Biomarker“.

Die diagnostischen Tests können grundsätzlich drei Arten von Prognosen liefern:

  • ob das in Betracht gezogene Medikament bei diesem Patienten voraussichtlich wirksam ist;
  • ob der konkrete Patient das in Betracht gezogene Medikament voraussichtlich verträgt;
  • wie das Medikament für diesen Patienten am besten dosiert wird.

Beispiele aus der Therapie von HIV und Lungenkrebs

An zwei Beispielen aus der HIV- und der Krebstherapie lässt sich sehen, wie die Personalisierte Medizin arbeitet.

HIV-Infizierte benötigen eine Medikamentenkombination, die die Virenvermehrung in ihrem Körper verhindert. Oft kommt ein Medikament mit dem Wirkstoff Abacavir als Teil der Kombination in Betracht; allerdings vertragen rund 3 % der Patient:innen diesen Wirkstoff nicht. Forschung ergab, dass sich Patient:innen mit hohem Risiko einer schweren Nebenwirkung (Vergiftung) daran erkennen lassen, dass sie von einem bestimmten Gen (es trägt das Kürzel HLA-B) eine besondere Variante haben, die als HLA-B*5701 bezeichnet wird. Darauf aufbauend wurde ein Gentest entwickelt, der diese Variante nachweisen kann, und vom Hersteller des Medikaments erprobt; für den Test ist nur eine Blutprobe der Patient:innen nötig. Seit 2008 ist jeder Arzt verpflichtet, mit seinen Patient:innen vor der Verordnung diesen Test durchzuführen. Haben die Patient:innen die Variante nicht, kann ihm das Abacavir-Medikament verordnet werden; im anderen Fall muss der Arzt auf eine andere Therapieoption ausweichen.

Krebszellen zeichnen sich gegenüber gesunden Körperzellen durch eine Reihe von Mutationen (also Genveränderungen) aus; doch finden sich im Tumorgewebe verschiedener Patient:innen mit der gleichen Krebsart (etwa Brust- oder Darmkrebs) nicht unbedingt die gleichen Mutationen. Von den Mutationen hängt jedoch ab, ob bestimmte Therapien wirksam sind. So können Medikamente mit den Wirkstoffen Cetuximab oder Panitumumab bei fortgeschrittenem Darmkrebs nur dann wirken, wenn das Gen KRAS noch unmutiert ist; das ist bei etwa 60 % der Patient:innen der Fall. Mit einem (mittlerweile verpflichtenden) Gentest lässt sich bei einer Gewebeprobe aus dem Tumor feststellen, ob die Medikamente für bestimmte Patient:innen in Betracht kommen oder nicht. Falls nicht, planen die Ärzt:innen eine andere Therapie.

Die Vortests für viele andere personalisierte Medikamente funktionieren ähnlich. Im Falle von Krebsmedikamenten wird aber oft statt einer Blutprobe (die stellvertretend für die genetische Beschaffenheit aller Körperzellen steht) eine Probe von Tumorgewebe untersucht; dabei ist dann insbesondere relevant, in wieweit sich die genetische Beschaffenheit des Tumors von der gewöhnlicher Körperzellen unterscheidet.

Was an diesen Beispielen deutlich wird: Medikament und Vortest bilden jeweils gewissermaßen ein „Tandem“, das stets zusammen zum Einsatz kommt.

Stratifizierte Anwendung und Personalisierte Medizin

Personalisierte Medizin wird mitunter auch „stratifizierte Medizin“ genannt. „Stratifizieren“ nennen Mediziner das Aufteilen einer Gruppe von Patient:innen mit gleicher Erkrankung in mehrere Subgruppen anhand eines Merkmals, in dem sie sich unterscheiden. Genau das tut der Vortest in einem Medikament-Vortest-Tandem: Er teilt die Gesamtheit der Patient:innen mit einem bestimmten Leiden, die in Kliniken und Arztpraxen behandelt werden, in zwei Subgruppen auf – die Subgruppe der Patient:innen, denen das Medikament verordnet werden kann, und die Subgruppe derer, denen es besser nicht verordnet werden sollte.

Die Personalisierte Medizin ergänzt und verfeinert also die bisherige Diagnostik; und sie kann durch Informationen über patientenindividuelle Besonderheiten wichtige Hinweise auf die Eignung eines Medikaments im Einzelfall geben. Das erspart Ärzt:innen und Patient:innen insbesondere einiges an „Probieren“.

Abb. 1: Beispiel für eine Therapie im Sinne der Personalisierten Medizin

Diese Abbildung kann auch als pdf heruntergeladen werden.

Wenn bald für mehr Medikamente die Optionen für den personalisierten Einsatz erforscht sind, könnte eine typische Behandlung im Rahmen der Personalisierten Medizin so ablaufen (siehe auch Abb. 1):

1. Der Patient hat eine bestimmte Krankheit, und Medikament A erscheint zunächst als erste Wahl. Nun wird ein Vortest durchgeführt und zeigt, dass dieses Medikament speziell bei diesem Patienten wohl nicht wirksam wäre.

2. Dann käme Medikament B in Betracht. Wieder wird ein Vortest durchgeführt, aber auch dieser ist negativ – dieses Mal wegen zu erwartender Unverträglichkeit.

3. Der Arzt erwägt nun Medikament C. Der Vortest ist positiv; so dass der Arzt das Medikament verordnet und der Patient es einnimmt. Tatsächlich erweist es sich als wirksam und verträglich.

So hat das Vorgehen im Sinne der Personalisierten Medizin geholfen, einiges an Versuch und Irrtum zu vermeiden.

Dies ist allerdings etwas anderes als eine Therapie mit einem „persönlichen Medikament“ – denn die Medikamente, um die es geht, sind ja nicht nur für diesen Patienten zugelassen, „nur“ passend für ihn ausgesucht. Es bietet sich ein Vergleich zum Kleidungskauf an: Die Medizin ohne die Nutzung von Vortests bietet gewissermaßen nur „One-size-fits-all“; die personalisierte Medizin bedient zwar auch nur „von der Stange“, aber eben in der passenden Konfektionsgröße. Was die Personalisierte Medizin dagegen normalerweise nicht ist (oder nur in Einzelfällen wird sein können), ist das Schneidern von Maßanzügen, also die individuelle Herstellung von Medikamenten speziell für den Patienten.

Schon fast 60 Medikamente

Dass der Einsatz solcher Tandems schon heute in der Praxis machbar und Nutzen stiftend ist, zeigt sich an den fast 60 Medikamenten, die in Deutschland schon auf diese Weise eingesetzt werden (eine Liste findet sich unter www.vfa.de/personalisiert). Für einige wurde die personalisierte Anwendung sogar mit der Zulassung festgeschrieben, für andere ist sie durch die medizinischen Fachgesellschaften empfohlen. Die meisten personalisiert einzusetzenden Mittel sind Krebs-Medikamente; aber auch Mittel gegen Viruskrankheiten und einige andere Krankheiten gehören dazu. Grundsätzlich ist das Konzept der Personalisierten Medizin nicht auf bestimmte fachärztliche Disziplinen beschränkt; es könnte überall zum Einsatz kommen. Denn es ist ja ein allgemein bekanntes Phänomen, dass ein Medikament gegen eine bestimmte Krankheit nicht jedem daran Erkrankten hilft und nicht von allen Patient:innen gut vertragen wird.

Kommende Medikamente

Die meisten Patienten erleben allerdings bisher noch keine Personalisierte Medizin. Das wird sich erst langsam ändern – in dem Maße, indem neue Medikamente zur personalisierten Anwendung zugelassen oder für Medikamente, die schon länger im Einsatz sind, nachträglich noch geeignete Vortests gefunden werden. Beides geschieht stetig. So sind derzeit (Stand: 18.09.2018) sieben neue personalisiert einzusetzende Medikamente im Zulassungsverfahren oder vor der Markteinführung. Eine Vielzahl weiterer befindet sich in klinischen Studien. Forschende Pharma-Unternehmen führen typischerweise mehr als ein Drittel ihrer Entwicklungsprojekte für neue Medikamente und neue Medikamenten-Anwendungen mit begleitenden Studien zu Möglichkeiten der personalisierten Anwendung durch.

Aber auch für lang bewährte Medikamente können neue Erkenntnisse zu einer personalisierten Anwendung führen. Gerade aus der akademischen Forschung in Deutschland kommen hierzu immer wieder neue Erkenntnisse.

Deutschland – Top-Standort für Personalisierte Medizin

Gleich aus mehreren Gründen ist Deutschland ein herausragender Standort für die Weiterentwicklung der Personalisierten Medizin:

  • Pharmafirmen führen hier viele klinische Studien zur Identifizierung von Personalisierungs-Biomarkern oder zur Erprobung personalisiert einzusetzender Medikamente durch.
  • In ihren deutschen Labors forschen internationale Pharma- und Biotech-Firmen intensiv auf diesem Gebiet, beispielsweise zu individuellen therapeutischen Krebsimpfstoffen.
  • Etliche international erfolgreiche Firmen für Hightech-Diagnostik betreiben in Deutschland Forschungseinrichtungen.

Aber es gibt in Deutschland auch wesentliche Handiycaps für die Personalisierte Medizin. Dringender Verbesserungsbedarf besteht bei der Kostenübernahme durch die Krankenkassen: Immer wieder kam es in der Vergangenheit zu Verzögerungen bei der Erstattungsfähigkeit eines Vortestes – mit der Folge, dass das zugehörige, zugelassene Medikament nicht einsetzbar war oder der Patient für den Test selbst aufkommen musste. Personalisierte Arzneimittel und die zugehörigen validierten Untersuchungsmethoden müssen angemessen und zeitnah honoriert werden können. Die Finanzierung der Companion Diagnostics sollte möglichst sektorenübergreifend (gleichsinnig in Klinik und ambulant) organisiert werden. Hierzu müssen bestehende Regelungen mit Ein-fluss auf die Erstattung praxisnah angepasst werden.

Auch ist wichtig, dass die deutsche Gesetzgebung – etwa zu Biobanken – die Forschung zur personalisierten Medizin nicht künftig behindert oder einschränkt. Unabdingbar für eine breite Forschung – auch der mit genetischen Proben – sind adäquate rechtliche Rahmenbedingungen und eine positivere Wahrnehmung durch Politik und Öffentlichkeit. Um öffentliche Akzeptanz zu finden, ist die strikte Einhaltung von ethischen und rechtlichen Grundsätzen einschließlich der Datenschutzbestimmungen erforderlich.

Internationale Vorbilder

Deutschland ist in der Personalisierten Medizin ein international wichtiger Player. Dennoch kann es von einigen anderen Ländern noch lernen: was die Grundlagenforschung betrifft, beispielsweise von Dänemark. Die dortige nationale Biobank im „Statens Serum Institut“ (SSI) mit anonymisierten Daten und mehr als 5 Millionen biologischen Proben aus der ganzen Bevölkerung ist ein hervorragendes Forschungsinstrument für neue Biomarker (also genetische, molekulare oder zelluläre Merkmale, an denen Vortests anknüpfen können). Als diese Biobank aufgesetzt wurde, konnte jeder Bürger Dänemarks einer Erhebung seiner Daten widersprechen – nur etwas mehr als 550 Bürger machten davon Gebrauch.

Personalisierte Medizin im Gesundheitswesen

Die wachsende Präsenz der Personalisierten Medizin im Gesundheitswesen wird das Bewusstsein dafür schärfen, dass Patient nicht gleich Patient ist – auch wenn die Krankenakten die gleichen Diagnoseziffern ausweisen. Sie dürfte auch befördern, dass Ärzt:innen mehr mit ihren Patient:innen darüber reden, weshalb sie im Einzelfall gerade zu dieser und nicht jener Therapie raten.

Viel diskutiert wird, ob die Personalisierte Medizin im Gesundheitswesen auch zu einer Kostenentlastung beitragen kann, oder ob sie im Gegenteil die Kosten noch in die Höhe treiben wird. Doch seriöse Prognosen lassen sich derzeit noch kaum treffen – zu viele Kostenaspekte sind noch im Fluss, etwa die Kosten für Gendiagnostik; hier ist ein klarer Trend zur stetigen Verbilligung zu erkennen. Eine Nettoreduktion der Gesundheitsausgaben kann jedoch schon angesichts der demographischen Entwicklung nicht prognostiziert werden.

Sicher ist: Personalisierte Medizin wird die Effizienz des Gesundheitswesens steigern, und sie wird volkswirtschaftlichen Gewinn durch die Verbesserung der Ergebnisqualität medizinischer Versorgung bringen – zum Vorteil der Patient:innen! Der zur Verfügung stehende Euro für Gesundheit wird auch in Zukunft vollständig ausgegeben werden, nur eben sinnvoller und zum besseren Nutzen für die Patient:innen!

Der Trend geht zur personalisierten Therapie

Vielleicht wird es schon in einigen Jahren nichts Ungewöhnliches mehr sein, wenn auch in der Hausarztpraxis vor mancher Verordnung ein Vortest durchgeführt wird. Dieser Fall wird auf der folgenden Seite einmal durchgespielt.