CRISPR/Cas9-Methode: Genomchirurgie und Genome Editing für neuartige Therapien
Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats. Was wie ein Zungenbrecher klingt und durch die Initialen CRISPR verkürzt ist, sorgt seit einigen Jahren für hohe Aufmerksamkeit in der biologischen Forschung. Doch was genau ist CRISPR, was ist CRIPR/Cas9, was ist das Besondere daran und für welche Bereiche der Medizin ist es relevant?
Was ist die CRISPR/Cas9-Methode?
CRISPR ist eine im Laufe der Evolution entstandene Genomsequenz, mit der sich Bakterien gegen Viren, und zwar Bakteriophagen, wehren. Im Prinzip handelt es sich hierbei um Fragmente viraler DNA, die auf natürlichem Wege in das Bakteriengenom integriert wurden. Werden diese in RNA (CRISPR-RNA, crRNA) übersetzt, binden die RNA-Fragmente an sogenannte Cas (CRISPR associated)-Proteine. Bei Kontakt mit viraler DNA bzw. RNA, deren Sequenz zur crRNA des Bakteriums passt, bindet diese an das Viruserbgut. Das Cas-Protein schneidet daraufhin das virale genetische Material; die Vermehrung und Weiterverbreitung des Virus werden so verhindert.
Diese Fähigkeit, DNA präzise erkennen und dann an einer festgelegten Stelle schneiden zu können, haben Wissenschaftler:innen dann zu einem molekularen Werkzeug für die Genetik weiterentwickelt.
In Bakterien basiert das CRISPR/Cas9-System auf zwei RNA-Molekülen: tracrRNA und crRNA. TracrRNA interagiert mit crRNA und steuert die Aktivität des Cas9-Proteins, während für die Anwendung in der Forschung eine einzige RNA (single-guide RNA, sgRNA) als synthetisches RNA-Molekül sowohl die Funktionen von crRNA als auch tracrRNA vereint. Diese Kombination ermöglicht eine präzise und effiziente Bindung sowie Schneiden der DNA. Grundsätzlich wird ein kurzes DNA-Stück, das als Protospacer bezeichnet wird, verwendet, um eine spezifische Stelle im Genom, auch Genlocus genannt, zu erkennen.
Wie funktioniert CRISPR/Cas9?
Mit der Methode besteht die Möglichkeit, in Zellen ganze DNA-Stücke oder einzelne Nukleotide in einem Gen durch Mutagenese gezielt zu verändern. Dabei wird ein synthetisches Cas9-Protein mit der ebenfalls synthetischen sgRNA verbunden und in die Zielzelle eingebracht. Passt die Basensequenz der sgRNA mit einem Stück der Zell-DNA zusammen, binden sich sgRNA und DNA aneinander, wodurch der DNA-Doppelstrang in Einzelstränge aufgetrennt wird. An den beiden Enden der Bindungsstelle schneidet das Cas9-Protein die DNA, was zu einem Doppelstrangbruch führt. Die Zelle versucht dann, den Doppelstrangbruch zu reparieren. Wenn gleichzeitig therapeutische DNA in die Zelle eingebracht wurde, beispielsweise eine intakte Gensequenz, kann diese in den reparierten DNA-Strang eingebaut werden. Durch dieses als homologe Rekombination bezeichneten Verfahren wird die therapeutische DNA genau an der gewünschten Stelle platziert. Die CRISPR/Cas9-Methode bietet somit ein effizientes Verfahren zur gezielten DNA-Veränderung in Zellen.
Die Abbildung "Genome Editing mit CRISPR/Cas9" können Sie sich auch als PDF-Datei oder hochaufgelöste JPG-Datei zur kostenfreien Verwendung herunterladen.
Von besonderer Bedeutung ist die Endonuklease – das Cas Enzym 9 (Cas9), denn dieses schnetet die DNA-Doppelhelix auf. In Kombination mit der synthetischen sgRNA, die beliebige Wunschsequenzen im Genom erkennt, kann diese „DNA-Schere“ an so ziemlich jede Stelle im Genom geführt werden, um dort einen Schnitt herbeizuführen. Unter Zuhilfenahme des zelleigenen DNA-Reparatur-Apparats können an der Schnittstelle durch Basenpaarung nunmehr zusätzliche DNA-Sequenzen an einem Genlocus integriert werden. Diese Technologie zur Veränderung einzelner Genomsequenzen (1)
ist auch als Genomchirurgie oder Genome Editing bekannt.
Ein Werkzeug für die biologische Forschung
Die CRISPR/Cas-Technik wurde schnell – als sogenannte Genschere – zu einem verbreiteten Werkzeug in der biologischen Forschung. Dort ist dieses System nicht zuletzt deshalb von Relevanz, weil damit der Arbeitsaufwand erheblich verringert werden kann. Ein Beispiel: In der Grundlagenforschung ist es oft von hohem Interesse, einzelne Gene eines Organismus gezielt auszuschalten, um herauszufinden, welche Auswirkungen sich damit auf das Erscheinungsbild, den Phänotyp, des Organismus ergeben. Für relativ simple Organismen wie Bakterienstämme oder Hefen ist dieses Verfahren vergleichsweise einfach. Um ähnliche Versuche bei Mäusen oder Ratten durchzuführen, dauerte es bisher recht lange, und es sind mindestens zwei Generationen nötig, um eine Züchtung mit der gewünschten genetischen Sequenz zu erhalten. Mit dem CRISPR/Cas9-System kann diese Zeit deutlich verkürzt werden. Hinzukommt, dass sowohl die Zeitersparnis als auch die größere Effizienz die CRISPR/Cas-Methode deutlich günstiger machen, als andere Genome Editing-Methoden wie Zinkfinger-Nukleasen (ZFN) oder virale Systeme.
Diese neue Methode ist nicht auf wenige Organismen beschränkt, sondern gemäß jetzigem Kenntnisstand universell einsetzbar. Zu den Organismen, an denen das System bis heute erprobt wurde, gehören Zebrafische, Fliegen, Mäuse, Hefe, aber auch Pflanzen wie die Ackerschmalwand, Tabak oder Mais. Spätestens seit bekannt ist, dass dieses einfache System zur gezielten Veränderung des Erbguts auch bei menschlichen Zellen funktioniert, wird die bereits beim Klonen und der Gentherapie gestellte Frage erneut diskutiert, ob bzw. in welchem Umfang das Anwenden von Technologien zur Veränderung des Erbguts des Menschen überhaupt zulässig ist.
Gentherapie auf Basis von CRISPR/Cas9
Die CRISPR/Cas9-Technik kommt auch für Gentherapien bei Patienten mit Erbkrankheiten und bestimmten Krebserkrankungen in Betracht. Wie eine Gentherapie mit CRISPR/Cas9 funktioniert, ist in der obigen Abbildung zu sehen.
Im September 2018 startete eine erste klinische Studie mit einer CRISPR/Cas-basierten Gentherapie zur Behandlung von Sichelzellanämie und Beta-Thalassämie unter anderem in Regensburg. Mittlerweile (Stand Juni 2023) hat dieses Arzneimittel mit dem Namen Exagamglogene autotemcel das Zulassungsverfahren erreicht. Zu den weiteren Erbkrankheiten, für die CRISPR/Cas-Therapien entwickelt werden, gehören in fortgeschritteneren Entwicklungsstadien insbesondere verschiedene Blutkrebsarten (B- und T-Zell-Lymphome) und genetische Erkrankungen des Blutes (etwa Sichelzellanämie und Beta-Thalassämie), aber auch solide Tumore sowie andere Erbkrankheiten und Netzhautstörungen. (2)
Eine weitere, momentan noch sehr theoretische medizinische Anwendung ist das Einbringen eines „genetischen Antibiotikums“, also quasi einer Immunisierung gegen Bakterien oder Viren auf Basis der DNA (3)
, was dem ursprünglichen Zweck des CRISPR/Cas9-Systems entspricht.
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Risiken und Nebenwirkungen
Trotz der hohen Erwartungen, die in diese Technologie gesetzt werden, dürfen die potenziellen Risiken nicht vernachlässigt werden. So entdeckten Wissenschaftler:innen, dass die Genschere nicht absolut zielgenau arbeitet. In Zellexperimenten haben sie auch Veränderungen des Erbguts weitab von der Stelle festgestellt, an die die CRISPR-RNA binden sollte. Solche unbeabsichtigten Mutationen (sogenannte off-target-Effekte) könnten beim Einsatz bei Patient:innen unter Umständen zu einer krankhaften Veränderung – also z. B. zu einem Tumor – führen. (4)
(5)
Des Weiteren würde eine direkte Anwendung der CRISPR-Therapie im Körper nur einen geringen Teil der Zielzellen erreichen; bei Erbkrankheiten tragen jedoch alle Körperzellen den betreffenden Defekt.
Es ist daher essenziell, neutral und sachlich über den Nutzen und die Vorteile dieser Technologie, aber auch ihre Nachteile, Risiken und Herausforderungen zu berichten. Aber natürlich ist dabei zu berücksichtigen, dass die Genscheren-Technik ständig weiterentwickelt wird, auch hinsichtlich der Schwächen ihrer älteren Versionen.
Keine vererbbaren Genveränderungen!
Die gentherapeutische Veränderung der menschlichen Keimbahn, die zu einer Vererbbarkeit der eingebrachten oder veränderten Gene führen würde, hält der Verband der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa) aus ethischen und praktischen Gründen für nicht vertretbar. Die derzeit in Wissenschaft und Öffentlichkeit viel diskutierte Forderung nach einem Moratorium für experimentelle Keimbahneingriffe ist deshalb zu begrüßen.(6)
Es ist wichtig, dass solche Eingriffe sorgfältig durchdacht und ethisch reflektiert werden, auch unter Einbeziehung von Institutionen wie des Deutschen Ethikrats. Dies gilt insbesondere in der Medizin, wo die Auswirkungen auf zukünftige Generationen und die gesellschaftlichen Nebeneffekte gründlich abgewogen werden müssen.
Anwendungen von CRISPR/Cas9 in Forschung und Medizin
Bereits jetzt sind verschiedene konkrete Anwendungen der Technologie im Gespräch. So etwa der Einsatz des Systems, um gezielt Mutationen in Moskitos, die Malaria-Erreger übertragen, hervorzurufen (sogenannte „Gene Drives“). Dies soll bewirken, dass die Population nach wenigen Generationen zusammenbricht. (7)
Die Genschere hat das Potenzial, die Welt zu verändern. Für Ihre Entwicklung haben die Biochemikerinnen Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna 2020 die denkbar höchste Ehrung erhalten, die die Wissenschaftswelt der Chemie zu bieten hat - den Nobelpreis(8)
. Diese besondere Auszeichnung verbessert nicht nur die Sichtbarkeit von Frauen in der Wissenschaft – dass zwei Forscherinnen aus Berlin und San Francisco geehrt werden, unterstreicht auch die Bedeutung internationaler Zusammenarbeit, ohne die so bahnbrechende Fortschritte der Wissenschaft kaum möglich wären.
Auch wurden nach Etablierung der neuen Technologie bereits etliche neue Firmen gegründet, deren Kernthema der Einsatz des CRISPR/Cas9-Systems ist. Während einige der Firmen sich der konkreten Anwendung beim Menschen widmen, spezialisieren sich andere auf die Produktion und den Vertrieb von Produkten wie Reagenzien oder Zellen mit bestimmten genetischen Merkmalen für die Grundlagenforschung.
Welche Alternativen gibt es zur CRISPR/Cas9-Technik?
In der Gentechnik existieren verschiedene Alternativen zur CRISPR/Cas9-Technik, die für die gezielte Genomeditierung genutzt werden können. Zu diesen Alternativen zählen TALENs, ZFNs, Base Editing und Prime Editing. TALENs sind Proteine, die an spezifische DNA-Sequenzen binden und diese schneiden können. ZFNs erfüllen ihre Funktion ähnlich wie TALENs, indem sie eine DNA-bindende Domäne mit einer Nuklease-Domäne kombinieren. Bei der Base-Editing-Technologie werden einzelne DNA-Basen gezielt verändert, ohne dass ein DNA-Bruch entsteht. Prime Editing fungiert als molekulares Skalpell, das es ermöglicht, gezielt DNA-Stränge zu schneiden, zu entfernen oder zu ersetzen und dabei neue DNA-Bausteine an spezifischen Stellen einzufügen. Sowohl diese Methoden als auch das CRISPR/Cas-System werden kontinuierlich weiterentwickelt, um ihre Effizienz, Präzision und Sicherheit zu verbessern. Auch deshalb wird die Zahl der Projekte zu neuen Therapien mit Genome Editing zunehmen.
Literaturtipps:
(1) M Jinek, K Chylinski, I Fonfara, M Hauer, JA Doudna, E Charpentier, A programmable dual-RNA-guided DNA endonuclease in adaptive bacterial immunity, Science 337(6096), 2012. Link
(2) N Bhokisham, E Laudermilch, LL Traeger, TD Bonilla, M Ruiz-Estevez, JR Becker, CRISPR-Cas System: The Current and Emerging Translational Landscape, Cells 12(8), 2023. Link
(3) http://www.zeit.de/2014/44/gentherapie-aids-heilung-nebenwirkungen/seite-2
(4) M Kosicki, K Tomberg, A Bradley, Repair of double-strand breaks induced by CRISPR–Cas9 leads to large deletions and complex rearrangements, Nature Biotechnoly 36, 765-771, 2018. Link
(5) J Taipale, B Schmierer, et al., CRISPR–Cas9 genome editing induces a p53-mediated DNA damage response, Nature Medicine 24, 927-930, 2018. Link
(6) https://www.drze.de/de/forschung-publikationen/im-blickpunkt/somatische-gentherapie/module/keimbahntherapie
(7) http://www.nzz.ch/wissenschaft/medizin/eine-kettenreaktion-gegen-malaria-1.18563485
(8) drze.de