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Neuartiges Antibiotikum Darobactin mit Aussicht auf Einsatz gegen resistente Bakterien

Ein internationales Team unter deutscher Beteiligung konnte bereits 2019 das neuartige Antibiotikum Darobactin identifizieren. Nun wurde auch dessen überraschender Wirkmechanismus aufgeklärt, was neue Möglichkeiten für die Entwicklung von resistenzbrechenden Antibiotika eröffnen könnte.

Nahaufnahme einer Petrischale mit verschiedenen Bakterienkulturen

Gefährdung durch multiresistente Bakterien

Dass neuartige Viren schnell zu einer Gefahr für die menschliche Gesundheit werden können, zeigt sich momentan in der durch das SARS-CoV-2 ausgelösten Covid-19-Pandemie. Eine Epidemie oder Pandemie könnte allerdings auch von Bakterien ausgelöst werden. Denn durch die Zunahme multipler Resistenzen gegen die bisher eingesetzten Antibiotika wird die Behandlung solcher vor allem in Krankenhäusern vorkommender Infektionen mit multiresistenten Bakterien zunehmend zur Herausforderung für die Medizin. Insbesondere sogenannte Gram-negative Bakterien, die ohnehin aufgrund einer zusätzlichen Zellwand nur schwer mit Antibiotika zu therapieren sind, entwickeln zunehmend Resistenzen gegen die Standardpräparate (1) . So finden sich unter den zwölf Erregern, die von der WHO auf der Liste der Prioritätspathogene für die Entwicklung neuer Antibiotika gelistet werden, neun aus dieser Gruppe; von den drei Bakterien der Kategorie „Kritisch“ zählen sogar alle zu den Gram-negativen Bakterien. (2)

Neuer Naturstoff zeigt gute Wirkung gegen Gram-negative Bakterien

Ende 2019 veröffentlichte ein internationales Team von Wissenschaftler:innen mit Beteiligung der Universität Gießen und des EMBL in Heidelberg die Entdeckung eines neuen Antibiotikums, das spezifisch gegen Gram-negative Bakterien wirkt. Die Substanz Darobactin hatten sie aus dem Bakterium Photorhabdus isoliert, das sich damit gegen andere Bakterien verteidigt. Darobactin zählt zur Klasse der Peptide, besteht also aus einer kurzen Kette von – im Falle von Darobactin sieben – Aminosäuren. Doch im Gegensatz zu den meisten anderen natürlich vorkommenden Peptiden und Proteinen zeichnet sich der Stoff durch eine ungewöhnliche Struktur mit internen Verknüpfungen aus. (3) , (4)

Nun ist es einem weiteren internationalen Team um Forscher:innen der Universität Basel gelungen, den genauen Wirkmechanismus von Darobactin aufzuklären (5) . Die Zielstruktur des Peptids ist demnach die nur bei Gram-negativen Bakterien vorhandene zusätzliche Zellwand; genauer: das Protein BamA darin. Dieses Molekül ist Teil eines größeren, BAM genannten Komplexes, der für den Einbau anderer Proteine in die Zellwand zuständig ist. Wird der BAM-Komplex durch Darobactin gestört, verlieren die Bakterien ihre Fähigkeit, die Zusammensetzung der Zellwand zu kontrollieren und damit auch den Zugang zu Nährstoffen in der Umgebung zu steuern. Bestimmte Mutationen an BamA verringern dessen Effizienz und können so die Überlebensfähigkeit der Bakterien reduzieren. Dies zeigt die hohe biologische Relevanz des Komplexes für die Bakterien.

Darobactin blockiert Protein in der Zellwand

Mit der Kryoelektronenmikroskopie-Technik klärte das Team zunächst die Struktur von BamA auf: Es hat die Form eines hohlen Fasses, das wie eine Pore senkrecht in die äußere Zellwand eingebaut ist. In seinem normalen Zustand erkennt es Proteine mit einem speziellen Signalelement und bindet diese zunächst an seiner unteren Öffnung auf der nach innen zeigenden Seite der Zellwand, um sie danach in diese einzubauen.

Wie die Forscher:innen nun herausfanden, kann Darobactin eine 3D-Struktur einnehmen, die den natürlichen, von BAM erkannten Signalelementen sehr ähnlich ist. Dadurch gelingt es dem Peptid, sich an der Eingangspforte von BamA festzubinden und diese zu wirksam zu versiegeln.

Voraussichtlich nur geringe Resistenzgefahr

Eine weitere Besonderheit des Wirkmechanismus von Darobactin ist, dass das Antibiotikum fast nur mit dem Proteinrückgrat von BamA wechselwirkt. Dadurch wird es für die Bakterien erschwert, durch Mutationen der Bindestelle in BamA resistent gegen Darobactin zu werden. Um dies zu testen, bauten die Forscher:innen gezielt Mutationen an der Bindestelle ein und fanden dabei heraus, dass sich die Bindestärke von Darobactin an BamA nur unwesentlich ändert.

Allerdings sind dennoch bereits drei mutierte BAM-Komplexe bekannt, bei denen Darobactin nur eine geringe oder keine Wirkung zeigt. Anhand ihrer Erkenntnisse zur Wirkweise von Darobactin war es den Wissenschaftler:innen nun möglich, diese Resistenzmechanismen aufzuklären. Dabei stellte sich heraus, dass in diesen Fällen vor allem räumlich nahe Aminosäuren in BamA die Interaktion von Darobactin mit seiner Bindestelle stören.

Davon unbenommen ist noch unklar, wieso das Darobactin-produzierende Bakterium Photorhabdus – selbst Gram-negativ – nicht durch das Antibiotikum beeinflusst wird. Die Aufklärung solcher Mechanismen könnte zur weiteren Anpassung von Darobactin führen mit dem Ziel, das Potenzial von Bakterien zur Resistenzbildung gegen das Antibiotikum weiter zu verringern.

Forschung eröffnet Perspektiven für neue Wirkstoffklassen

Das nächste Ziel der Forscher:innen ist nun, Darobactin auch im Hinblick auf die Frage zu untersuchen, ob es als Antibiotikum in der Humanmedizin geeignet ist. Zudem könnte es auf Basis des publizierten Wirkmechanismus nun möglich werden, weitere antimikrobielle Substanzen mit spezifischer Wirksamkeit gegen Gram-negative Bakterien zu entwickeln. Insbesondere die Entdeckung, dass die untere Öffnung von BamA eine Schwachstelle von Gram-negativen Bakterien darstellt, eröffnet neue Ansatzpunkte zur Entwicklung noch stärker bindender Antibiotika.

Literaturtipps