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Geschwindigkeits- und Präzisionstuning für Antikörper

Rekombinante Antikörper sind die zahlenmäßig größte Molekülklasse bei Biopharmazeutika und werden insbesondere in der Krebstherapie sowie in der Immunologie eingesetzt. Kooperationen von akademischen Forschungseinrichtungen und Pharma-/Biotech-Firmen spielen dabei eine wichtige Rolle, wie Beispiele aus Braunschweig und Würzburg zeigen.

Antikörper, die das Virus Covid-19 angreifen. 3D-Darstellung

Vielseitige Moleküle – mit großem medizinischem Potenzial

Unter den 340 Biopharmazeutika – also Medikamenten, die mithilfe gentechnisch veränderter Organismen hergestellt werden – stellen Antikörper mit gut 100 die größte Gruppe. Davon wiederum wird jeder dritte bei Krebserkrankungen und jeder fünfte zur Therapie immunologischer Erkrankungen eingesetzt. Dies sind Ergebnisse einer Analyse der Boston Consulting Group und von vfa bio im Biotech-Report 2021. Antikörper, die auch als Immunglobuline bezeichnet werden, sind spezielle Proteine, die von den B-Lymphozyten (B-Zellen) produziert und in die Blutbahn ausgeschüttet werden. Ihre Hauptaufgabe ist es, an Fremdstoffe wie Bakterien, Viren oder Krebszellen zu binden und damit eine Reaktion des Immunsystems auszulösen.(1)

Jede individuelle B-Zelle synthetisiert dabei eine Sorte identischer Antikörper-Moleküle, die jeweils ein spezifisches Antigen erkennen. Antikörper, die von demselben B-Zell-Klon produziert werden und daher identisch sind, werden als monoklonal bezeichnet. Damit werden sie von polyklonalen Antikörpergemischen verschiedener B-Zell-Klone, die an dasselbe Antigen binden, unterschieden. Durch biotechnologische Herstellung können Antikörper mittlerweile für vielfältige Anwendungen genutzt werden, nicht nur als Therapeutika, sondern etwa auch in der medizinischen Diagnostik und der Grundlagenforschung.(2)

Halbe Antikörper, doppelte Präzision

Neben den „klassischen“ monoklonalen Antikörpern wurden im Laufe der Zeit weitere innovative Antikörperformate entwickelt. Problematisch waren häufig etwa Immunreaktionen von Patient:innen auf verabreichte Antikörper, die auf tierische Bestandteile zurückzuführen waren. Denn die Immunisierung von Tieren wie Mäusen war über viele Jahre die einzige Möglichkeit, Antikörper gegen ein bestimmtes Antigen zu erzeugen. Mittlerweile stehen der Wissenschaft jedoch Technologien zur Verfügung, um Antikörper zu humanisieren – also wie Antikörper aus dem Menschen erscheinen zu lassen. Einen Schritt weiter gehen solche Derivate, die nur die für die Antigenerkennung wichtigen Bereiche der Antikörpermoleküle behalten und der Rest durch den Rumpf anderer Proteine ersetzt wird. Man spricht in diesen Fällen von Fusionsproteinen.

Auch die Spezifität von Antikörpern lässt sich weiter optimieren. So hat eine Forschungsgruppe an der Universität Würzburg eine Technologie entwickelt, bei der Antikörper nur an Zellen binden, die eine spezifische Kombination zweier Antigene aufweisen. Dabei machten sie sich die spezielle Struktur der Antikörper zu Nutze: diese setzen sich aus zwei schweren und zwei leichten Aminosäureketten zu einem symmetrischen, Y-förmigen Molekül zusammen. An jeder der beiden Spitzen sitzt üblicherweise eine baugleiche Antigen-Erkennungsregion, wodurch jeder Antikörper gleichzeitig zwei identische Antigenmoleküle binden kann.(3)

In der Onkologie sind bereits heute bispezifischen Antikörperformate Teil des therapeutischen Arsenals. Ihre Wirkweise beruht darauf, mit einer Antigen-Erkennungsregion spezifisch an Krebszellen und mit der anderen Immunzellen zu binden, um so zur Abtötung des Tumors zu führen.

Die innovative Idee des Würzburger Teams war es nun, anstelle eines bispezifischen Antikörpers zwei halbe Antikörpermoleküle zu kombinieren, die jeweils ein anderes Antigen binden. Nur wenn beide Antigene in räumlicher Nähe auf der Zelloberfläche vorkommen, und von den Antikörperfragmenten gebunden werden, fügen sich die beiden Hälften wieder zu einem vollständigen Antikörper zusammen. Mit dem neuen Ansatz lassen sich so genau solche Zellen mit einer spezifischen Kombination von zwei Molekülen anvisieren, die zwar einzeln auch auf gesunden Zellen vorkommen, aber zusammen beispielsweise nur auf Krebszellen. Mögliche Nebenwirkungen durch die Erkennung gesunder Zellen könnten so reduziert oder vermieden werden. Zugleich zeigen Laborversuche jedoch, dass dafür die benötigten Dosierungen der Moleküle etwa fünf bis zehn Mal so hoch sind, wie bei den momentan verwendeten bispezifischen Antikörpern. In Zusammenarbeit mit einem deutschen Biotech-Unternehmen soll deshalb nun die Technologie des Würzburger Teams verbessert und anschließend in klinischen Studien erprobt werden.(4) (5)

Produktionsturbo aus Braunschweig

Doch Forscher:innen arbeiten aktuell nicht nur an der Entwicklung neuer Antikörper und Antikörpervarianten, sondern entwickeln auch neue Technologien für deren Produktion. So stellte ein Team des Fraunhofer-Instituts für Toxikologie und Experimentelle Medizin zusammen mit einem Braunschweiger Biotech-Unternehmen im Dezember 2020 ein innovatives Herstellungsverfahren für Antikörper vor. Mit diesem soll die üblicherweise viele Monate bis Jahre umfassende Phase der Herstellung der Prüfmedikamente für klinische Studien verkürzt werden.(6)

Kritischer Schritt des biotechnologischen Produktionsprozesses bei Antikörpern ist die Auswahl eines Zellklons, der die gewünschte Variante in hoher Ausbeute herstellt. Solche Zellklone werden erzeugt, indem ein Stück DNA mit der Bauanleitung für den Antikörper in geeignete Zelllinien, wie etwa unsterbliche Zellen des chinesischen Hamsters (CHO-Zellen), eingebaut wird. Dabei nehmen die Zellen die DNA unterschiedlich gut auf, weshalb anschließend eine langwierige Selektion nach der besten Zelle erfolgt. In ihrem beschleunigten Verfahren haben die Braunschweiger Biotechnolog:innen nun auf den Auswahlschritt der besten Zellklone verzichtet. Dafür arbeiteten sie direkt mit dem kompletten Pool an gentechnisch veränderten Zellen weiter, bei dem manche Zellen den Antikörper-Bauplan gut and andere schlecht oder gar nicht in ihrem Genom einfügten. Durch systematisches Experimentieren fand das Team Kultivierungsbedingungen, bei denen nur solche Zellen bevorzugt wachsen, die viele Moleküle des Antikörpers produzieren.

Technologie lässt sich auf andere Biopharmazeutika übertragen

Auslöser für die Entwicklung dieses verkürzten Prozesses war die Notwendigkeit, in kurzer Zeit Antikörpertherapien für klinische Studien zur Behandlung von Covid-19-Patient:innen zu entwickeln. Den Braunschweiger Wissenschaftler:innen gelang dies nun in weniger als sechs Monaten. Doch die Technologie ist nicht nur für Covid-19-Therapeutika geeignet, sondern lässt sich auf andere Antikörper und möglicherweise auch auf andere Biopharmazeutika übertragen, um so die Zeitspanne zwischen Laborforschung und klinischer Erprobung neuer, biotechnologisch hergestellter Medikamente deutlich zu reduzieren. So könnten weitere Innovationen schneller ihren Weg aus den Laboren zu den Patient:innen finden.

Literaturtipps