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Klinische Studien: Langsam, bürokratisch

Trotz der Qualität seiner Wissenschaftseinrichtungen fällt Deutschland als Standort klinischer Prüfungen weltweit und in Europa seit 2015 kontinuierlich zurück. Ursachen: Bürokratie, Datenschutz und schwierige Probandenrekrutierung.

Bis 2015 spielte Deutschland als Standort der klinischen Arzneimittelforschung weltweit in der Spitzenliga und hielt in Europa, knapp vor UK, Platz 1. Seitdem ist die Zahl der hier durchgeführten klinischen Prüfungen rückläufig: von 683 auf 589 im Jahr 2021, ein Minus von 14 Prozent.

Dabei hat Deutschland beste Voraussetzungen, international Spitze zu sein: als größte Volkswirtschaft Europas ist die Bundesrepublik ein interessanter Markt. Die Qualität der Universitätskliniken, ihrer Forscher und Ärzte gilt als gut. Die Genehmigungsverfahren bei den Bundesoberbehörden wird unisono als kompetent, verlässlich und nachvollziehbar bewertet; sie sind nach dem Brexit die in Europa wichtigsten Arzneibehörden.

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Klinische Prüfungen sind Schnittstellen zum schnell wachsenden medizinischen Weltwissen. Mittelmäßigkeit ist für ein Land wie Deutschland keine Option.»

vfa-Präsident Han Steutel

Viel Wissen wird importiert

Auch Politik und Gesetzgeber haben Beiträge geleistet, die Rahmenbedingungen für klinische Forschung zu verbessern: Das mit der 12. AMG-Novelle eingeführte Ethikkommissionsverfahren für multizentrische Studien hat sich nach Einschätzung des Verbandes forschender Pharma-Unternehmen (vfa) bewährt.

Mit den Förderprogrammen „Koordinierungszentren für Klinische Studien“ und „Klinische Studienzentren“ ist die Infrastruktur für klinische Forschung stetig verbessert worden. Und mit dem seit Ende Januar geltenden neuen EU-Recht müssen multizentrische Studien national nur noch von einer national tätigen Ethikkommission genehmigt werden.

Es gibt aber auch gravierende Probleme, insbesondere aufgrund der hohen bürokratischen Anforderungen, wie Professor Christof von Kalle, Chair des Berlin Institute of Health und Mitglied des Gesundheitssachverständigenrates, kritisiert: So sei bei der Erforschung von COVID-19 jede beobachtende Studie, die Virus- oder Impftiter erhebt, zu einer Zulassungsstudie mit besonders hohem Aufwand erhoben worden. Die Folge: Solche Studien wurden in Deutschland nicht oder nur verspätet durchgeführt – entscheidende Erkenntnisse zur Wirksamkeit von Impfstoffen und zur Boosterung wurden im Ausland, etwa in Israel, gewonnen.

Ein weiteres Hindernis in Deutschland ist die Interpretation und Anwendung des Datenschutzrechts, das sowohl die Erhebung von Gesundheitsdaten als auch die Verwendung vorhandener oft schon digitalisierter Daten be- oder sogar verhindert. Es existiere immer noch „ein grundsätzliches Missverständnis zwischen Datensicherheit, also der Verhinderung missbräuchlicher Nutzung, und dem eigentlichen Datenschutz, der in erster Linie Patientenschutz ist“, so der Gesundheitsweise von Kalle.

Die Bedeutung eines intelligenten Datenschutzes und hohen Digitalisierungsgrades für den Faktor Zeit zeigte sich eindrucksvoll bei der Entwicklung und Einführung der Covid-19-mRNA-Impfstoffe: Vom Start der Kooperation von Pfizer/BioNTech bis zur Zulassung und Markteinführung Ende 2020 vergingen nur knapp neun Monate – trotz einer hochkomplexen weltweit organisierten multizentrischen Studie mit mehr als 44.000 Probanden.

Eine wichtige Rolle spielte dabei Israel: Eine Vereinbarung mit dem Gesundheitsministerium ermöglichte die Echtzeitüberwachung der Pandemieentwicklung und der Effekte der Impfung. So konnten Wirksamkeit, Sicherheit und Schutzdauer sehr rasch bewertet werden. Die Erkenntnisse aus Israel waren maßgeblich für internationale Standards bei der Bestimmung des optimalen Zeitpunkts der Boosterung und damit der Sicherung des Impfschutzes.

Das Beispiel Israel zeige, wie essenziell der Zugang zu Gesundheitsdaten sei, heißt es bei Pfizer. Auch am Standort Deutschland brauche es einheitliche Regeln für den transparenten Zugang zu Versorgungs- und Forschungsdaten. Eine Auffassung, die Christof von Kalle teilt. Aus der Impfstoffforschung habe man zudem gelernt, wie digitalen Werkzeugen Zeit gewonnen werden kann.

Schwierige Probandengewinnung

Überdies ist es in Deutschland außergewöhnlich schwierig, Patienten als Probanden zu rekrutieren: Je eine Million Einwohner nehmen gerade einmal 500 Patienten an klinischen Prüfungen teil, in Dänemark sind es mit 970 fast doppelt so viele, in Finnland (2000) und Estland (3080) ein Vielfaches der deutschen Beteiligung.

Ein Grund kann sein, dass Patienten in Osteuropa im Rahmen klinischer Prüfungen Zugang zu Innovationen bekommen, die nicht Standard sind. Aber auffällig ist, dass gerade Länder mit fortgeschrittenem Digitalisierungsgrad ihres Gesundheitswesens – Israel, die baltischen Länder und Skandinavien – hohe Rekrutierungszahlen für klinische Prüfungen aufweisen. Das macht es wesentlich einfacher, die dafür geeigneten Patienten zu identifizieren und gezielt zu rekrutieren. In Deutschland geschieht dies durch Zufall und zeitraubende „Handarbeit“.

Auch in einem anderen Punkt hat Deutschland noch Optimierungsbedarf. Denn als Zeitfresser erweisen sich langwierige Vertragsverhandlungen zwischen dem Sponsor einer klinischen Studie und den klinischen Forschungszentren: Nach einer vfa-Umfrage im Juni 2019 dauerten die Verhandlungen hierzulande zwischen 130 und 240 Tage, in Großbritannien zwischen 85 und knapp 140 Tage, besonders schnell sind die Franzosen mit gut 20 bis 80 Tagen.

Es gibt also noch ein großes Verbesserungspotenzial: „Klinische Prüfungen sind Schnittstellen zwischen schnell wachsendem medizinischen Weltwissen“, sagt vfa-Präsident Han Steutel und betont: „Mittelmäßigkeit ist für Deutschland keine Option.“


Dieser Text entstand in Kooperation mit der ÄrzteZeitung.