Kinasehemmer zügeln die Vermehrung von Krebszellen
Viele moderne Krebsmedikamente wirken, indem sie die Tumorzellen an Stellen angreifen, an denen sie sich von normalen Zellen unterscheiden. Solche Unterschiede sind in der Regel eine Folge von Genmutationen. Häufig sind es Gene für bestimmte Enzyme vom Typ Kinasen, die mutiert sind. Dementsprechend haben viele Pharma-Unternehmen Medikamente gegen diese Kinasen entwickelt: sogenannte Kinasehemmer. Mit ihnen kann vielen Patienten mit fortgeschrittener Erkrankung zur Besserung und oft auch zu längerem Überleben verholfen werden.
Prof. Dr. Bernhard Küster, Biochemiker an der TU München, erläutert onkologische Kinasehemmer bei einem Workshop der Paul-Martini-Stiftung
Enzyme sind in Zellen meist dazu da, etwas herzustellen oder abzubauen. Die meisten der über 500 Enzyme vom Typ „Kinase“ haben allerdings eine andere Aufgabe: Sie fungieren als Schaltelement in der Steuerung, mit der eine Zelle ihre verschiedenen Aufgaben im Körper bedarfsgerecht erfüllt.
Bei Krebszellen ist häufig das Gen einer mit der Steuerung der Zellteilung befassten Kinase so mutiert, dass die Kinase diesen Vorgang nur noch „freischalten“, aber nicht mehr anhalten kann. Je nach Krebsart und letztlich je nach Patientin oder Patient können es unterschiedliche Kinasen sein, die auf diese Weise fehlfunktionieren. Manchmal ist auch keine Kinase selbst mutiert, sondern ein anderer Bestandteil der Zellsteuerung, der mit einer Kinase zusammenarbeitet. Auch das kann die betreffende Kinase dazu bringen, dass sie ihre Freischaltfunktion nicht mehr erfüllen kann.
Gegen solche fehlfunktionierenden Kinasen haben Pharma-Unternehmen mittlerweile mehr als 40 verschiedene onkologische Kinasehemmer-Medikamente entwickelt und auf den Markt gebracht. Fast alle können (anders als viele andere Krebsmittel) als Tabletten eingenommen werden.
Ob ein bestimmter Kinasehemmer einem konkreten Krebspatienten helfen kann, hängt davon ab, ob in den Tumorzellen die betreffende Kinase (oder ihr "Umfeld") mutiert ist. Deshalb muss der Verordnung in der Regel ein Gentest vorausgehen. Damit sind Kinasehemmer gute Beispiele für Personalisierte Medizin.
Kinasehemmer blockieren meist mehrere Kinasen
Onkologische Pharmaforscher versuchen in der Regel, Wirkstoffe zu erfinden, die möglichst nur eine einzige Kinase blockieren. Allerdings ähneln sich alle Kinasen in ihrem strukturellen Aufbau so sehr, dass eine solche Trennschärfe kaum zu verwirklichen ist. Dementsprechend zeigen alle zugelassenen Kinasehemmer bislang in gewissem Maß auch eine Wirkung auf mehrere andere Kinasen. Das muss kein Nachteil sein; denn es gibt Hinweise darauf, dass manchmal gerade die Hemmung mehrerer Kinasen einen besseren therapeutischen Effekt erzielt, als er mit der selektiven Blockade einer einzigen Kinase möglich wäre.
Beispiele für Kinasehemmer-Familien
Der erste bewusst gegen eine Kinase entwickelte Wirkstoff war Imatinib. Es erhielt seine Erstzulassung in der EU und den USA schon 2001 (gegen chronische myeloische Leukämie). Darauf folgten weitere Zulassungen gegen weitere Krebsarten wie bestimmte Tumore im Bauchraum. Imatinib blockiert insbesondere die Kinase BCR-ABL, die es in gesunden Zellen gar nicht gibt (sie entsteht bei bestimmten Chromosomenveränderungen); sie treibt Zellen zu immer neuen Zelleilungen an. BCR-ABL lässt sich aber auch durch die später entwickelten Kinasehemmer Nilotinib, Dasatinib und Ponatinib blockieren. Durch Dauermedikation mit diesen Wirkstoffen können viele Patienten mit entsprechenden Krebsarten langfristig die Vermehrung der Krebszellen in ihrem Körper unterdrücken, was den Betroffenen ein weitgehend normales Leben ermöglicht.
In den letzten Jahren wurden auch drei Medikamente (Palbociclib, Ribociclib, Abemaciclib) zugelassen, die die Kinasen CDK4 und CDK6 hemmen – sogenannte CDK4/6-Inhibitoren. Diese Kinasen kontrollieren direkt, wie schnell sich Zellen durch Teilung vermehren. Zugelassen ist die Anwendung dieser Medikamente insbesondere bei Frauen mit bestimmten Formen von lokal fortgeschrittenem oder metastasiertem Brustkrebs (nicht jeglicher Form von Brustkrebs). In Studien zeigte sich bei Patientinnen, zu deren Medikation ein CDK4/6-Inhibitor gehörte, ein im Schnitt längeres progressionsfreies Überleben, teilweise auch Gesamtüberleben, als bei Behandlung ohne einen CDK4/6-Inhibitor.
Mehr zu Kinasehemmern findet sich im Bericht der Paul-Martini-Stiftung zu deren im April 2019 veranstalteten Fachworkshop „Multi-Talente Kinasen“.