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Antworten des Verbands der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa) zu Krebsmedikamenten für „ARD ‒ Die Story im Ersten“

Bei ihrer Recherche zu Krebsmedikamenten für einen TV-Beitrag in der ARD-Reihe „Die Story im Ersten“ wandte sich die Filme & Consorten Produktionsgesellschaft G. Enwaldt & E. Rühle GbR mehrfach mit Fragen an den vfa. Hier haben wir unsere Antworten zusammengestellt.

Wie beurteilen Sie die Geschwindigkeit des europäischen Zulassungsprozesses bei der EMA?

Die EU hat ein System etabliert, das angepasst an die jeweilige Dringlichkeit zu Zulassungsentscheidungen in realistischen Zeiträumen führt.

So hat die EU mehrere Möglichkeiten geschaffen, wie das eigentliche Zulassungsverfahren durchgeführt wird:

  • das normale Zulassungsverfahren (bis 210 Tage Zeit für die Bewertung der Zulassungsunterlagen durch die europäische Arzneimittelbehörde EMA)
  • das beschleunigte Zulassungsverfahren (bis 150 Tage Zeit für die Bewertung der Zulassungsunterlagen durch die europäische Arzneimittelbehörde EMA)
  • den „rolling review“ (nur in seltenen Ausnahmen wie jetzt während der Covid-19-Pandemie angewendet).

Die Verfahrensformen unterscheiden sich nicht in den Zulassungskriterien; nur laufen das beschleunigte Zulassungsverfahren und der „rolling review“ insbesondere durch priorisiertes Bearbeiten der Antragsdokumente schneller ab (bzw. im Fall des „rolling review“ außerdem durch Vorab-Bearbeitung eines Teils der Antragsdokumente).

Die EU kann am Ende eines jeden Zulassungsverfahrens eine von mehreren Arten von Zulassung erteilen:

  • eine klassische Zulassung
  • eine bedingte Zulassung (Zulassung mit Auflagen)
  • eine Zulassung unter außergewöhnlichen Umständen (nur dann, wenn die Erkrankung in der EU so selten ist, dass keine Studien im üblichen Umfang möglich sind).

Bedingte Zulassungen werden typischerweise dann erteilt, wenn bereits das Ergebnis der Phase II der klinischen Erprobung erkennen lässt, dass ein Medikament für eine bestimmte Patientengruppe klar eine wesentliche Verbesserung gegenüber dem bisherigen Therapiestandard bedeutet. Dann ist schon auf dieser Basis eine Zulassung für das Medikament möglich, damit es auch außerhalb von klinischen Studien eingesetzt werden kann ‒ oft geht es dabei um Krankheiten, bei denen viele Patienten den Termin der regulären Zulassung nicht mehr erleben würden. Der Hersteller muss sein bedingt zugelassenes Medikament trotzdem weiter klinisch erproben und die Ergebnisse nach Abschluss der Studienauswertung an die EMA liefern.

Bedingte Zulassungen gelten immer nur für ein Jahr. Vor der Verlängerung überprüft die EMA jährlich, ob die Aktivitäten zur Erfüllung der Auflagen vom Zulassungsinhaber weiterhin wie verlangt verfolgt werden. Dies kann jederzeit im entsprechenden Verzeichnis der EU-Kommission verfolgt werden.

Liegen die verlangten Ergebnisse vor, und sind sie positiv, wandelt die EMA die bedingte in eine gewöhnliche Zulassung um.

Wie beurteilen Sie die beschleunigten Zulassungswege der EMA? Wie oft nutzen Unternehmen aus ihrem Verband beschleunigte Zulassungsverfahren bei Krebsmedikamenten? (prozentual oder in absoluten Zahlen, für den Zeitraum 2005 bis 2019)

Wie erläutert hat die EU hat ein System etabliert, das angepasst an die jeweilige Dringlichkeit zu Zulassungsentscheidungen in realistischen Zeiträumen führt (schließlich geht es oft um Medikamente für Patienten in lebensbedrohlicher Lage). Teil davon sind die Instrumente des beschleunigten Zulassungsverfahrens (reine Bewertungszeit bei der EMA von bis zu 150 statt bis zu 210 Tagen) sowie der bedingten Zulassung und der Zulassung unter außergewöhnlichen Umständen.

Was Krebsmedikamente betrifft, können wir Ihnen zur Anwendung dieser Instrumente Auskunft über die Erstzulassungen in der Zeit von 2015 bis 2019 geben. Insgesamt wurden in diesem Zeitraum 50 Krebsmedikamente erstmals zugelassen. 7 von 50 (14 %) wurde in einem beschleunigten Zulassungsverfahren zugelassen (150-Tage-Regelung). 14 von 50 (28 %) erhielten eine bedingte Zulassung. In drei Fällen kam bei einem Medikament beides zusammen.

64 % aller Krebsmedikamente haben demnach ihre Erstzulassung ohne jede Form von Beschleunigung erhalten.

Zulassung nach beschleunigtem Zulassungsverfahren für …Anteil a. d. Zulassungen für KrebsmedikamenteBedingte Zulassung für …Anteil a. d. Zulassungen für Krebsmedikamente
Lenvima® (2015)
Kyprolis® (2015)
Darzalex® (2016)
Lartruvo® (2016)
Tagrisso® (2016)
Empliciti® (2016)
Xospata® (2019)
7 / 50 = 14 %Zykadia® (2015)
Blincyto® (2015) Darzalex® (2016)
Lartruvo® (2016)
Tagrisso® (2016)
Ninlaro® (2016)
Venclyxto® (2016)
Alecensa® (2017)
Bavencio® (2017)
Rubraca® (2018)
Libtayo® (2019)
Lorviqua® (2019)
Polivy® (2019)
Vitrakvi® (2019)
14 / 50 = 28 %

Kein Krebsmedikament hat zwischen 2015 und 2019 eine Zulassung unter außergewöhnlichen Umständen erhalten.

Kritiker sagen, dass für unter Bedingungen zugelassene Medikamente erforderliche Studien oft Jahre nach der Zulassung oder sogar gar nicht von den Herstellern geliefert werden. Was sagen Sie dazu?

Es trifft zu, dass die Erarbeitung der verlangten Studiendaten oft mehrere Jahre in Anspruch nimmt. Ansonsten liegt hier ein Irrtum vor.

Wir haben eine Auswertung für die 20 Krebsmedikamente vorgenommen, die von 2006 bis einschließlich 2017 eine bedingte Zulassung (= Zulassung mit Bedingungen) erhalten haben. Bei drei Medikamenten laufen die Studien zur Ermittlung der geforderten Ergebnisse noch, bei den übrigen wurden sie abgeschlossen. Bei nur einem Medikament bestätigten sie nicht die positiven Phase-II-Ergebnisse, so dass das Medikament weltweit vom Markt genommen wurde. Bei den übrigen 16 Medikamenten waren sie positiv, so dass die bedingten Zulassungen nach durchschnittlich 3,3 Jahren auf Basis der gelieferten Studiendaten in eine normale Zulassung umgewandelt wurde. Im kürzesten Fall lagen zwischen der bedingten und der gewöhnlichen Zulassung 7 Monate, im längsten Fall 7 Jahre und ein Monat.

Wie hoch waren die Lobbying-Ausgaben der von ihnen vertretenen Unternehmen in der EU und in Deutschland im Jahr 2019? Wie hoch waren die Marketing-Ausgaben der von ihnen vertretenen Unternehmen in Deutschland im Jahr 2019? Wie hoch waren die Forschungs- und Entwicklungs-Ausgaben der von ihnen vertretenen Unternehmen in Deutschland im Jahr 2019?

Die Ausgaben unserer Mitgliedsunternehmen für Forschung- und Entwicklung betrugen im Jahr 2019 allein in Deutschland 7,8 Milliarden Euro. Das waren an jedem Werktag des Jahres rund 31 Millionen Euro. Ein Teil des Geldes wurde für Forschung im Labor, ein anderer für die Durchführung klinischer Studien ausgegeben.

Zahlen für die Ausgaben für Lobbyarbeit und Marketing liegen uns nicht vor.

Kritiker sagen, die Hersteller von Krebsmedikamenten bremsen Innovation, weil sie mehr neue Medikamente mit bereits bekannten Wirkmechanismen entwickeln, anstatt sich verstärkt auf die Entwicklung von wirklich neuen Wirkmechanismen oder Medikamente für andere Krebs-Indikationen (Beispiel Bauchspeicheldrüsenkrebs) zu konzentrieren. Was sagen Sie dazu?

In der Erhebung „Perspektive 2023“ mit Stichtag 31.10.2019 haben wir alle fortgeschrittenen Projekte unserer Mitgliedsunternehmen für neue Medikamente und neue Indikationen für Medikamente erfasst; als „fortgeschritten“ wurde ein Projekt verstanden, wenn es (nach Einschätzung zum Stichtag) bis Ende 2023 mit einer Zulassung abschließen könnte. Dabei zeigte sich:

1. Allein die fortgeschrittenen Projekte der vfa-Unternehmen betreffen neue Medikamente und Medikamentenanwendungen gegen 44 verschiedene Krebsarten, darunter auch Bauchspeicheldrüsenkrebs. Darüber hinaus adressieren etliche Projekte in früheren Stadien und Projekte von nicht im vfa organisierten Unternehmen noch weitere Krebsarten. Es ist das Ziel der Hersteller, möglichst viele Krebsarten immer besser behandelbar zu machen.

2. Unternehmen arbeiten daran, immer mehr neue Wirkprinzipien gegen verschiedene Tumorarten einsetzbar zu machen.

Dementsprechend finden sich unter den fortgeschrittenen Projekten in der Erhebung „Perspektive 2023“ zahlreiche, bei denen es für das jeweilige Wirkpinzip zum Stichtag 31.10.2019 noch kein EU-zugelassenes Medikament gab:

  • ein Anti-CSF1R-Antikörper (gegen Bauchspeicheldrüsenkrebs)
  • ein pegyliertes humanes IL-10 (gegen Bauchspeicheldrüsenkrebs)
  • ein Pan-Fibroblasten-Wachstumsfaktor-Rezeptor-Inhibitor
  • ein IDO-Inhibitor
  • ein Antikörper-Toxin-Konjugat mit neuem Angriffspunkt CD79b
  • ein Antikörper-Toxin-Konjugat mit neuem Angriffspunkt Nectin-4
  • ein Antikörper-Toxin-Konjugat mit neuem Angriffspunkt CD22
  • ein Antikörper-Wirkstoff-Konjugat mit neuem Angriffspunkt BCMA
  • ein Anti-CD51-Antikörper
  • ein bispezifischer Antikörper gegen CD20 und CD3
  • ein Anti-CD70-Antikörper
  • ein IDH2-Inhibitor
  • ein MDM2-Inhibitor
  • ein FLT3-Inhibitor
  • ein selektiver NEDD8-Inhibitor
  • ein RET-Inhibitor
  • ein therapeutischer mRNA-Impfstoff
  • ein Anti-SLAMF7-Antikörper
  • ein Anti-LAG-3-Antikörper
  • ein CSF1R-Antagonist
  • ein TCR-T-Zell-Therapeutikum
  • mehrere PI3K/AKT-Inhibitoren (mittlerweile in einem Fall mit EU-Zulassung)
  • ein Anti-CD38-Antikörper (mittlerweile mit EU-Zulassung)
  • ein SMO-Antagonist (mittlerweile mit EU-Zulassung)

Kritiker sagen, dass die Zulassungsstudien für Krebsmedikamente immer weniger Daten enthalten: keine randomisierten Studien, einarmige Studien, nur Phase I oder Phase II Studien, keine Daten zu Lebensqualität, keine Daten zum Gesamtüberleben, zu wenige Probanden, nicht vergleichbare Probanden mit unterschiedlichen Tumorstadien, Frauen unterrepräsentiert in Studien. Was sagen Sie dazu?

Die Zulassungsstudien in der Onkologie enthalten nicht weniger Daten. Sie entsprechen stets der jeweiligen Therapiesituation und den damit verbundenen Herausforderungen. In einigen Fällen müssen nämlich onkologische Studien dem medizinischen Fortschritt Rechnung tragen: Durch die Entwicklung in der personalisierten Medizin und bei selteneren Tumorarten mit entsprechend kleineren Patientengruppen werden daher neue und passende Studienkonzepte erforderlich. Diese können ggf. von der klassischen Vorstellung einer großen randomisiert-kontrollierten Studie abweichen. So gibt es z.B. bei einer seltenen Krebsart wie dem CD30+ kutanen T-Zell-Lymphom lediglich 40–130 Erkrankte in Deutschland. Da lassen sich keine Studien mit Hunderten oder gar Tausenden von Teilnehmern organisieren.

Wären die Studien in der von Ihnen genannten Weise defizitär, käme es nicht zu den positiven Nutzen-Risiko-Abwägungen bei der Zulassung. Und eine Zusatznutzen-Zuerkennung gibt es im Rahmen der Nutzenbewertungen im AMNOG-Verfahren in Deutschland nur auf Basis von patientenrelevanten Endpunkten in direkten randomisierten Vergleichsstudien. Mehr dazu siehe unten.

Zum Anteil der Frauen in den Zulassungsrelevanten Studien liegen uns Daten von sämtlichen 50 im Zeitraum 2015 bis 2019 von der EMA erstzugelassenen Krebsmedikamenten vor. 41 dieser Medikamente betrafen Krebsarten, die nicht ausschließlich oder fast ausschließlich nur ein Geschlecht betrafen. Bei diesen Medikamenten betrug der Frauenanteil in den zulassungsrelevanten Studien durchschnittlich 44,5 %; und nur bei zwei Medikamenten waren Frauen mit weniger als 25 % deutlich unterrepräsentiert.

Entscheidend ist aber nicht eine Verteilung nahe 50:50, sondern eine zureichende Zahl von Teilnehmenden jedes Geschlechts für geschlechtsgetrennte Auswertungen.

MedikamentKrankheitFrauen-Anteil in den Studien
Ceritinib (Zykadia®)NSCLC53,7 %
Lenvatinib (Lenvima®)Schilddrüsenkrebs49,0 %
Netupitant / Palonosetron (Akynzeo®)Übelkeit und Erbrechen nach Chemotherapie80,0 %
Nivolumab (Opdivo®)fortgeschrittenes Melanom38,4 %
Pembrolizumab (Keytruda®)fortgeschrittenes Melanom40,0 %
Panobinostat (Farydak®)Multiples Myelom47,0 %
Sonidegib (Odomzo®)Basalzellkarzinom38,0 %
Dinutuximab (Unituxin®)Hochrisiko-Neuroblastom40,0 %
Carfilzomib (Kyprolis®)Multiples Myelom43,6 %
Cobimetinib (Cotellic®)Melanom mit BRAF V600-Mutation42,2 %
Blinatumomab (Blincyto®)ALL37,0 %
Osimertinib (Tagrisso®)NSCLC67,9 %
Necitumumab (Portrazza®)EGFR-positiver NSCLC16,9 %
Trifluridin / Tipiracil (Lonsurf®)Darmkrebs, metastasiert38,6 %
Elotuzumab (Empliciti®)Multiples Myelom41,9 %
Daratumumab (Darzalex®)Multiples Myelom42,9 %
Palbociclib (Ibrance®)Brustkrebs, Estrogen-Rezeptor-positiv, HER2-negativ*100,0 %
Olaratumab (Lartruvo®)Weichteilsarkom56,0 %
Ixazomib (Ninlaro®)Multiples Myelom43,0 %
Venetoclax (Vencyclo®)CLL37,0 %
Niraparib (Zejula®)Eierstockkrebs*100,0 %
Padeliporfin (Tookad®)Prostata-Adenokarzinom*0,0 %
Lutetium (177Lu) oxodotreotid (Lutathera®)Gastroenteropankreatische neuroendokrine Tumore49,0 %
Atezolimumab (Tecentriq®)Urothelialkarzinom; NSCLC39,3 %
Midostaurin (Rydapt®)AML; Mastozytose51,0 %
Avelumab (Bavencio®)Merkelzellkarzinom26,1 %
Telotristat (Xermelo®)Karzinoid-Syndrom-bedingte Diarrhö48,1 %
Tivozanib (Fotivda®)Nierenzellkarzinom27,7 %
Ribociclib (Kisqali®)Brustkrebs*100,0 %
Inotuzumab ozogamicin (Besponsa®)ALL41,0 %
Rolupitant (Varuby®)Übelkeit/Erbrechen nach Chemotherapie59,0 %
Alectinib (Alecensa®)NSCLC55,5 %
Gemtuzumab ozogamicin
(Mylotarg®)
AML51,0 %
Rupacarib (Rubraca®)Ovarial-, Eileiter-, Peritonealkarzinom*100,0 %
Tisagen lecleucel (Kymriah®)akute lymphatische Leukämie, DLBCL40,3 %
Axicabtagen ciloleucel (Yescarta®)DLBCL und PMBCL33,0 %
Neratinib (Nerlynx®)Brustkrebs, HER2-positiv*100,0 %
Binimetinib (Mektovir®)Melanom42,1 %
Encorafenib (Braftovi®)Melanom42,1 %
Durvalumab (Imfinzi®)NSCLC29,9 %
Abemaciclib (Verzenios®)Brustkrebs, hormonreptor-positiv, HER2-negativ*100,0 %
Brigatinib (Alunbrig®)NSCLC56,8 %
Mogamulizumab (Poteligeo®)kutanes T-Zell-Lymphom41,9 %
Apalutamid (Erleada®)Prostatakrebs*0,0 %
Dacomitinib Vizimpro®NSCLC60,8 %
Lorlatinib (Lorviqua®)NSCLC57,0 %
Talazoparib (Talzenna®)Brustkrebs*98,4 %
Cemiplimab Libtayo®Plattenepithelkarzinom14,6 %
Larotrectinib Vitrakvi®solide Tumore mit neurotropher Tyrosin-Rezeptor-Kinase (NTRK)-Genfusion49,0 %
Gilteritinib Xospata®AML54,2 %

Mit Stern markiert sind Krebsarten, die ausschließlich oder fast ausschließlich bei einem Geschlecht auftreten.

Kritiker sagen, eine Nutzen-Risiko-Abwägung der Krebsmedikamente sei im klinischen Alltag für die behandelnden Ärzt*innen auf Grundlage der wenigen Daten sehr schwierig. Was sagen Sie dazu?

Die medizinische Datenlage für ein bestimmtes Medikament oder einen bestimmten Therapieplan wächst nach der Zulassung stetig.

Um Therapieentscheidungen nach aktuellem Stand zu treffen, können Onkologen einige Ressourcen nutzen, beispielsweise die Therapie-Leitlinien der medizinischen Fachgesellschaften oder das Webportal Onkopedia.com der Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie.

Wie beurteilen Sie den Nutzen der aktuell auf dem deutschen Markt befindlichen Krebsmedikamente, auch im Verhältnis zu den Risiken?

Im Zulassungsverfahren mussten alle hierzulande verfügbaren Krebsmedikamente ihre Wirksamkeit und Sicherheit nachweisen.

In der zeitgleich mit der Markteinführung startenden Nutzenbewertung (auf die die Preisverhandlungen zwischen Krankenkassen und Hersteller folgen) hat das zuständige Gremium, der Gemeinsame Bundesausschuss G-BA, einem großen Teil der Krebsmedikamente einen Zusatznutzen attestiert, nämlich 79 %. Dass nicht noch mehr Krebsmedikamenten ein Zusatznutzen zuerkannt wurde, liegt zum Teil daran, dass der G-BA im Rahmen der Nutzenbewertung Vergleichsdaten zu einer anderen Therapie sehen wollte als der, mit der die vergleichenden Zulassungsstudien zum Medikament durchgeführt wurden; ein Zusatznutzen wurde also aus formalen Gründen nicht anerkannt.

Eine Untersuchung der nutzentragenden Endpunkte in Nutzenbewertungsverfahren belegt zudem, dass sich der Nutzen von Krebsmedikamenten schon zum Zeitpunkt ihrer Markteinführung deutlich an patientenrelevanten Endpunkten zeigt. Zumeist sind Vorteile auf die Verlängerung des Gesamtüberlebens zurückzuführen, häufig auf Vorteile in der Symptomatik, aber auch vielfach auf Vorteile bei der Lebensqualität sowie bei Nebenwirkungen. Auch wenn in der Vergangenheit die Lebensqualität eine weniger gewichtige Rolle gespielt hat, sind hier doch positive Entwicklungen zu sehen: Immer mehr klinische Studien mit Onkologika erheben den Status der Lebensqualität mit, so dass der G-BA in mittlerweile rund 58 % der onkologischen Nutzenbewertungsverfahren auch Lebensqualitätsdaten bewerten kann.

Können Sie mir die Datengrundlage für diese 79% nennen? Es gibt ja die Bewertungskategorien des G-BA für den Zusatznutzen: erheblich, beträchtlich, gering, nicht quantifizierbar, nicht belegt und geringer als die Vergleichstherapie. Wie viele der Krebsmedikamente entfallen auf welche Kategorie? Können Sie mir auch sagen, welchen Zeitraum Sie betrachtet haben, 2011 bis 2019?

Die Zahl ist eine Berechnung des vfa auf Basis der G-BA-Beschlüsse in abgeschlossenen Verfahren, die unter https://www.g-ba.de/bewertungsverfahren/nutzenbewertung veröffentlicht sind. Eingerechnet wurden Beschlüsse von 2011 bis heute.

Die 79 % der Krebsmedikamente sind aufaddiert aus:
- Zusatznutzen erheblich: 2,3 % (2 Medikamente)
- Zusatznutzen beträchtlich: 34,9 % (30 Medikamente)
- Zusatznutzen gering: 24,4 % (21 Medikamente)
- Zusatznutzen nicht quantifizierbar: 17,4 % (15 Medikamente)

In keinem Fall wurde ein geringerer Nutzen als bei der Vergleichstherapie festgestellt.

Die deutschen Krankenkassen haben in 2019 für Onkologika zur Behandlung von Krebskrankheiten allein bei niedergelassenen Ärzt*innen 8,6 Mrd. € ausgegeben, das sind +14 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, der größte Posten bei den Arzneimittelausgaben. Wie beurteilen Sie diese Preissteigerungen?

Die Preise der in Deutschland verwendeten Onkologika mit Patentschutz haben sich in den letzten Jahren nicht erhöht.

Ausgabensteigerungen kamen dadurch zustande, dass Onkologika vermehrt verordnet wurden (mit der demographischen Entwicklung steigt ja auch die Zahl der Krebsfälle) oder dass ältere Therapien durch neuere ‒ besser wirksame oder verträgliche ‒ ersetzt wurden.

Neue Krebstherapien bedeuten Fortschritte für Krebspatientinnen und -patienten durch Gewinn von Lebenszeit, Reduzierung der Krankheitslast und Aufrechterhaltung oder Verbesserung der Lebensqualität. Die Ausgaben dafür stehen zudem einer hohen Zahl an Neuerkrankungen gegenüber.

Die Ausgaben der Gesetzlichen Krankenkassen für Onkologika betrugen 2019 laut IGES-Institut 7,47 Mrd. Euro. Das sind nur rund 15,5 % der GKV-Gesamtausgaben für Arzneimittel; und das, obwohl jeder zweite Deutsche im Laufe seines Lebens an mindestens einer Form von Krebs erkrankt und es um tödliche Krankheiten geht.

Die Lebenserwartung der Menschen nimmt weltweit zu, damit steigt auch die Zahl der Krebserkrankungen. In die Zukunft projiziert, könnten die hohen Kosten der modernen Onkologika für kaum ein Gesundheitssystem weltweit tragbar sein. Akteure aus der Gesundheitspolitik empfinden in diesem Zusammenhang die Preisgestaltung mancher pharmazeutischer Hersteller bei Onkologika als „schamlos“. Was sagen Sie dazu?

Moderne Krebsmedikamente ermöglichen vielen Patienten ein längeres Leben mit Krebs, immer öfter sogar ohne Krebs. Die so gewonnene Lebenszeit gibt Menschen die Möglichkeit, trotz Krebs weiter oder wieder am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben oder ihrem Beruf nachzugehen. So schaffen neue Medikamente ihrerseits gesellschaftlichen und volkswirtschaftlichen Mehrwert.

Akteure aus der Gesundheitspolitik beklagen einen Missbrauch des Orphan Drug-Status durch Hersteller von Onkologika, die teilweise mit diesen Orphan Drugs Milliarden-Umsätze erzielen. Wie bewerten Sie diese Kritik?

Nur wenige Arten von Krebs treten häufig auf, etwa Brustkrebs oder Prostatakrebs. Die meisten Krebsarten sind glücklicherweise selten, so dass Medikamente gegen sie für einen Orphan Drug-Status in Betracht kommen. Ob sie ihn erhalten, entscheidet die Zulassungsbehörde EMA nach klaren Kriterien und überprüft, dass diese eingehalten werden. Geht es um eine seltene Unterform einer häufigen Krebsart, vergibt sie keinen Orphan Drug-Status.

Die von Ihnen genannten Milliardenumsätze sind Ausnahmen, in der Regel liegen die Umsätze von Orphan Drugs weit darunter.

Wie bewerten Sie die Idee, Hersteller zur Offenlegung der Forschungs- und Entwicklungskosten für jedes neue Medikament zu verpflichten?

Die Grundlage für die verpflichtenden Preisverhandlungen zwischen Hersteller und Krankenkassen in Deutschland ist, welchen Zusatznutzen das betreffende Medikament gegenüber bestehenden Therapien hat – und nicht, welche Forschungs- und Entwicklungskosten es hatte. Entsprechendes gilt für andere EU-Länder. Deshalb macht die Veröffentlichung dieser Aufwendungen für die erfolgreichen Produkte genauso wenig Sinn wie die Veröffentlichung der Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen für Arzneimittelkandidaten, die es nicht zur Zulassung geschafft haben, die aber Teil der Unternehmensausgaben sind.