Wie Impfstoffe gegen Covid-19 erprobt werden
Bei der Erprobung von Impfstoffen gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 ist viel zu beachten. Eigene Studien sind nötig, ehe auch Kinder damit geimpft werden können.
Weshalb ein Impfstoff nicht ohne genehmigte klinische Studien entwickelt werden kann, erläutert Immunologe Markus Löffler vom Universitätsklinikum Tübingen am 23.03.2021 bei Spiegel Online
Die sogenannte klinische Prüfung eines neuen Impfstoffs mit Freiwilligen kann nur erfolgen, wenn sich dieser Impfstoff vorher in Labor- und Tierversuchen hinsichtlich Wirksamkeit und Verträglichkeit bewährt hat. Auf diese Weise hält man das Risiko für die Studienteilnehmer von vorn herein so gering wie möglich. Stimmen Ethik-Kommission und Arzneimittelbehörde nach Sichtung dieser Ergebnisse und der Prüfung des Studienplans und der Eignung des mitwirkenden Personals zu, kann die Erprobung beginnen.
Die Erprobung gliedert sich in die Phasen I bis III. Für die ersten Phasen kommen zunächt nur gesunde Erwachsene in Betracht. Interessierte werden – ehe sie sich entscheiden – umfassend darüber informiert, was über den Impfstoff schon bekannt ist und was eine Teilnahme bedeutet. Dazu zählt beispielsweise, dass Teilnehmende kein Blut spenden dürfen, während die Studie läuft. Für die Teilnahme an Phase-III-Studien – die nur begonnen werden, wenn sich der Impfstoffe in den vorangegangenen Studien bewährt hat – kommen dann aber auch Menschen mit Begleiterkrankungen in Betracht, außerdem auch Minderjährige.
Die Phasen der Erprobung
Dieses Schaubild können Sie sich auch herunterladen: JPG-Download oder PDF-Download
In Phase I wird der Impfstoff erstmals mit Menschen getestet. Im Fokus stehen Sicherheit und Verträglichkeit des Impfstoffs sowie seine Fähigkeit, eine Immunabwehrreaktion hervorzurufen. In dieser frühen Phase geht es auch darum, die geeignetste Dosierung grob abzuschätzen. Vorgenommen werden die Tests mit einer kleinen Gruppe gesunder Frauen und Männer (typischerweise 10 bis 30), die in der Regel zwischen 18 und 55 Jahre alt sind. Die Ergebnisse in dieser Gruppe werden üblicherweise mit den Resultaten in einer gleich großen Kontrollgruppe verglichen; diese erhält einen Scheinimpfstoff oder einen bereits zugelassenen Impfstoff gegen eine andere Krankheit.
Der Impfstofftest beginnt mit einer Startdosis. Diese wurde auf der Basis vorheriger Tierversuche ermittelt. Covid-19-Impfstoffe werden meist als Injektionslösung in die Oberarmmuskulatur gespritzt. Verträgt der erste Proband die Dosis innerhalb eines Beobachtungszeitraums von ein, zwei Tagen gut, werden nach und nach weitere Testpersonen geimpft, dann auch mit verschiedenen Dosierungen. Jeder Proband wird mindestens sechs Monate lang weiter beobachtet, damit die Wirkungen und eventuellen Nebenwirkungen erfasst werden können und Ärzte erkennen, ob sie etwas für einen Probanden tun müssen. Dazu werden die Probanden zu bereits im Studienplan festgelegten Zeitpunkten ärztlich untersucht: Ihre Blutwerte werden bestimmt, und sie geben in standardisierten Fragebögen Auskunft über ihr Befinden. Gefragt wird etwa nach Hautreaktionen, Schmerzen, Müdigkeit oder Unwohlsein.
Für eine schnellere Prüfung von Covid-19-Impfstoffen können Phase I und Phase II miteinander verbunden werden: Bei positiver Bewertung von Zwischenergebnissen durch die Zulassungsbehörden kann schon innerhalb weniger Wochen nach Start der Phase I-Studie die nächste Phase beginnen.
In Phase II geht es bei einer deutlich größeren Gruppe (50 bis 500, z.T. auch über 1.000) darum, die bestmögliche Dosierung des Impfstoffs zu finden und das Wissen zu Verträglichkeit und Immunreaktion zu vertiefen. Auch in dieser Phase der klinischen Prüfung sind die Probanden meist zwischen 18 und 55 Jahre alt (einige Unternehmen beziehen hier aber auch ältere Teilnehmer ein). Auch hier wird in der Regel eine Vergleichsgruppe gebildet, die einen Schein- oder einen bereits zugelassenen Impfstoff erhält. Um zu ermitteln, welche Impfstoffmenge für eine optimale Aktivierung des Abwehrsystems erforderlich ist, teilt man die Versuchspersonen nach einem vorher vereinbarten Schema in Untergruppen auf. Erst wenn die niedrigste unter den festgelegten Dosierungen gut vertragen wurde, erhält die nächste Gruppe eine etwas höhere Dosis. Bei Covid-19-Impfstoffen werden in Phase II oft zwei unterschiedliche Dosierungen getestet. Wie sie wirken, zeigt sich bei regelmäßigen Laboruntersuchungen: In Blutproben wird dabei zum Beispiel der Gehalt an spezifischen, gegen den Erreger gerichteten Antikörpern und für die Immunregulation wichtigen Zytokinen bestimmt. Üblicherweise dauert diese Phase mehr als zwei Jahre; bei Covid-19-Studien allerdings nur einige Wochen bis wenige Monate.
Phase III ist die aufwändigste Etappe. Mit mehreren zehntausend Freiwilligen, die sich in ihrem normalen Alltag mit dem Virus infizieren könnten, soll sich jetzt erweisen, ob der Impfstoff zuverlässig vor einer SARS-CoV-2-Infektion schützt. Ermittelt wird das auch hier in der Regel mit zwei Gruppen, von denen eine den echten Corona-Impfstoff, die andere einen Scheinimpfstoff oder anderen Impfstoff erhält. Wer was bekommt, wissen die Probanden nicht. Oft werden sie zusätzlich in Altersgruppen unterteilt, wobei die Mehrheit 18 bis 55 Jahre alt ist. In einigen Studien können auch ältere Personen (ab 55 Jahre) dabei sein – nach oben gibt es bisher kein Limit. Die Prüfung von Covid-19-Impfstoffen bei Älteren ist aus zwei Gründen wichtig: Sie sind am stärksten von der Pandemie betroffen, und ihr Immunsystem ist nicht mehr so schlagkräftig wie das von Jüngeren. Sie zählen zur Risikogruppe, die bei Verfügbarkeit eines Impfstoffs mit am ersten geimpft werden sollten. Einige wenige Phase-III-Studien beziehen auch Minderjährige ein; aber das ist bisher die Ausnahme (mehr dazu siehe unten).
Bei mehreren Phase-III-Studien mit noch nicht zugelassenen Impfstoffen durften ausdrücklich keine schwangeren Frauen teilnehmen. Dazu gab es kontroverse Meinungen. BioNTech und Pfizer holen die Erprobung mit schwangeren Frauen aber nun, da ihr Impfstoff für andere Erwachsene zugelassen ist und eine Tierstudie zur Reproduktionstoxizität keine Hinweise auf ein Risiko erbrachte, mit einer eigenen Studie mit schwangeren Frauen in neun Ländern (darunter als einzigem EU-Staat Spanien) nach. Untersucht werden sollen neben den Frauen auch ihre Kinder, wenn sie erst geboren sind.
Wie weit sind die einzelnen Impfstoffprojekte?
Einen Überblick über den Stand der fortgeschrittensten Projekte bietet der vfa unter "Impfstoffe zum Schutz vor Covid-19".
Nach der Impfung kehren die Probanden in ihre gewohnte Umgebung zurück. In bestimmten Intervallen finden ärztliche und labormedizinische Untersuchungen statt, darunter auch Tests auf eine Infektion mit SARS-CoV-2. Wie gut ein Impfstoff vor Covid-19 schützt, wird durch den Vergleich von Geimpften und Nicht-Geimpften ermittelt: Wie viele aus jeder Gruppe erkranken trotz Impfung? In einigen Studien spielt auch die Schwere einer Covid-19-Erkrankung eine Rolle: Sie untersuchen, ob ein Impfstoff – wenn er nicht perfekt schützt – zumindest zu einem milderen Verlauf führen kann.
Durch eine Kombination der Phasen I/II und II/III kann die klinische Erprobung von Impfstoffen schneller vonstatten gehen.
Hintergrund: Covid-19-Impfung für Kinder und Jugendliche
Umgang mit unerwarteten medizinischen Ereignissen
Bei allen klinischen Impfstoffstudien muss man damit rechnen, dass einige Teilnehmer während der Studie an etwas erkranken, das bei der Eingangsuntersuchung vor Teilnahmebeginn noch nicht diagnostiziert wurde. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist umso größer, je mehr Personen an der Studie teilnehmen und je länger ihre Teilnahme dauert.
Unterbrechungen sind bei Medikamentenstudien normal
Wie bei einem unerwarteten Ereignis in einer Studie verfahren wird, erläutert vfa-Forschungssprecher Dr. Rolf Hömke in einem Interview mit rbb inforadio vom 09.09.2020.
In einem solchen Fall müssen Ärzte untersuchen, ob die Erkrankung und die Studienbehandlung ohne Zusammenhang sind, oder ob es sich um eine Nebenwirkung der Studienbehandlung handeln könnte. Gegebenfalls muss dafür die Studie pausieren: Es werden dann alle schon Geimpften wie vorgesehen weiter untersucht, aber das Impfen neuer Teilnehmer muss warten. Nach der Klärung kann die Studie dann entweder fortgeführt werden (unverändert oder in veränderter Form), oder sie muss vorzeitig beendet werden.
Studienunterbrechungen zur Klärung solcher Fälle kommen jedes Jahr in einigen Arzneimittelstudien vor. Meist kann die Studie nach ein paar Tagen oder Wochen fortgesetzt werden. Dieses Vorgehen ist Teil der hohen wissenschaftlichen und ethischen Anforderungen an klinische Studien.
Mehrere Impfstoffentwickler haben von solchen Studienunterbrechungen berichtet; die Studien wurden aber jedes Mal nach dem Pausieren fortgeführt.
Die sieben Etappen der Impfstoffentwicklung
Unternehmen und Behörden in engem Austausch
„Wer einen Impfstoff bekommt, hat ein Recht darauf zu wissen, dass dieser sicher und wirksam ist. Das müssen alle diejenigen beweisen, die Impfstoffe entwickeln wollen.“
Markus Löffler, Leiter der Arbeitsgruppe chirurgische Immunologie der Uniklinik Tübingen, erläutert im Gespräch mit Spiegel Online, weshalb die Entwicklung von Impfstoffen eng durch Behörden begleitet werden muss.
Um möglichst bald Impfstoffe zur Verfügung zu haben, setzen Arzneimittelhersteller und Arzneimittelbehörden auf mehr Kooperation und die Konzentration vorhandener Ressourcen. So beraten sie sich schon vor Beginn der Studien, Zwischenergebnisse werden gemeinsam ausgewertet und das weitere Vorgehen zusammen besprochen. Den Nutzen dieser Strategie bekräftigte der Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI), Professor Dr. Klaus Cichutek, im Interview mit der Pharmazeutischen Zeitung: „Je nach Qualität der Daten kann ein Zulassungsverfahren sicherlich beschleunigt werden, ohne Abstriche bei der erforderlichen Sorgfalt bei der Datenprüfung zu machen.“ Darüber hinaus haben nationale und internationale Gesundheitsbehörden ihre Vorschriften vereinheitlicht, um bürokratische Hürden abzubauen, und tauschen sich regelmäßig aus.
Doch die Erfahrung mit Impfstoffstudien gegen andere Krankheiten lehrt, dass Kandidaten auch scheitern können: Sei es, weil das Immunsystem von Probanden trotz erfolgreicher präklinischer Versuche gar nicht oder zu schwach auf die neue Impfung reagiert. Sei es, weil der Impfstoff paradoxe Reaktionen hervorruft und infolgedessen den Verlauf einer Erkrankung sogar verschlimmert. Letzteres wurde bislang aber noch bei keinem Covid-19-Impfstoffkandidaten beobachtet. Bei frühem Scheitern wird die weitere Entwicklung sofort eingestellt. Würden Wirksamkeits- oder Sicherheitsproblemen noch nach der Zulassung auftreten, müsste der Impfstoff vom Markt genommen oder seine Anwendung auf bestimmte Bevölkerungsgruppen eingegrenzt werden.
Human Challenge Trials?
Als Turbo für die Erprobung von Impfstoffen gegen Covid-19 haben einige Wissenschaftler 2020 sogenannte Human Challenge Trials vorgeschlagen. Die Idee dabei ist, eine kleine Gruppe junger freiwilliger Probanden zunächst mit einem Impfstoffkandidaten zu impfen und einige Wochen später gezielt mit dem Coronavirus zu infizieren. Ist der Impfstoff wirksam, geschieht ihnen nichts; ist er es nicht, müssten sie ihre Krankheit eben auskurieren. Auf diese Weise ließe sich, so das Konzept, die Schutzwirkung des Impfstoffs viel schneller und mit weniger Studienteilnehmern als sonst untersuchen. Denn dann müsste man nicht auf zufällige Infektionen im Alltag warten.
Dagegen stehen ethische Bedenken angesichts der Risiken, denen die Challenge-Teilnehmer ausgesetzt wären. Schließlich verläuft Covid-19 auch bei jungen Patienten nicht immer nur mild, und noch gibt es – trotz Fortschritten – keine Therapie, die sie dann sofort wieder heilen könnte. Einge, die Covid-19 durchgemacht haben, leiden an Langzeitfolgen.
Auch medizinisch-wissenschaftliche Einwände gibt es: Challenge-Studien zeigen vielleicht ein verfälschtes Bild, da Erkenntnisse, die nur mit jungen, gesunden Menschen gewonnen wurden, möglicherweise nicht auf Ältere und chronisch Kranke übertragbar sind. Aber diese Personengruppen sind durch Covid-19 am stärksten bedroht. Auch entspricht eine künstlich herbeigeführte Ansteckungssituation hinsichtlich Virendosis und Infektionsweg wahrscheinlich nicht den echten Infektionen im Alltag.
Wir halten es für unethisch, Menschen vorsätzlich mit Coronaviren zu infizieren, wenn man die Krankheit nicht sofort heilen kann, falls sie ausbricht. Und für Covid-19 kann man das nicht garantieren.»
Der angeblichen Notwendigkeit von Human Challenge Studien trat vor Monaten auch der renommierte US-Molekularbiologe William A. Haseltine entgegen (auch veröffentlicht im Magazin „Project Syndicate“): Solange es eine Pandemie gebe, die Millionen Menschen einer realen Ansteckungsgefahr aussetze, schreibt Haseltine, seien Challenge-Studien nicht nur unnütz, sondern aufgrund ihrer Risiken auch gefährlich und somit unethisch.
Die ablehnende Haltung des vfa zu Human Challenge Trials erläuterte der damalige vfa-Forschungsgeschäftsführer Dr. Siegfried Throm am 08.03.2021 im Deutschlandfunk
Dennoch haben sich zehntausende Freiwillige aus über hundert Ländern auf der US-Website „1Day Sooner“ angemeldet, um sich als Teilnehmer einer solchen Studie zu empfehlen; und die Weltgesundheitsorganisation hat vorsorglich ethische Bedingungen für solche Versuche formuliert.
Das Imperial College London hat im Februar 2021 seine schon 2020 angekündigten Pläne für Human Challenge Trials konkretisiert: In einer ersten Studie mit 90 gesunden jungen Teilnehmern soll es ausschließlich darum gehen, nach mutwilligem Anstecken durch Einbringen einer virenhaltigen Flüssigkeit in die Nase der Probanden den Infektionsverlauf zu studieren (ohne dass dabei ein Impfstoff getestet würde); dem hat die zuständige Ethik-Kommission zugestimmt. Finanziert wird die Studie von der britischen Regierung. In einer Nachfolgestudie könnte es dann darum gehen, auch Impfstoffe in die Studie einzubeziehen. In Deutschland wurden diese Studienpläne vielfach kritisiert.
Bei den Studien von Pharma-Unternehmen zur Erprobung ihrer Covid-19-Impfstoffe wurden und werden hingegen keine Menschen vorsätzlich infiziert. Es werden stattdessen Teilnehmer in Regionen rekrutiert, in denen das Ansteckungsrisiko ohnehin hoch ist. Im Sommer und Herbst 2020 waren das beispielsweise vor allem Brasilien, Argentinien und die USA. Derzeit werden vermehrt medizinische Einrichtungen in Europa einbezogen.