2015 - 2019: Internationale Anstrengungen gegen Antibiotika-Resistenzen
In den Jahren zwischen 2015 und 2019 gab es zahlreiche Initiativen von Politik, Wissenschaftsorganisationen und Industrie, um die Verbreitung resistenter Bakterien einzudämmen und die Neuentwicklung von Antibiotika zu fördern. Das brachte keine Wende, aber legte wichtige Grundlagen.
So wurde im Mai 2015 vom Plenum der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ein globaler Aktionsplan verabschiedet, nach einer eindringlichen Rede von Bundeskanzlerin Angela Merkel zur Eröffnung. Im Juni 2015 stand die Resistenzproblematik auf der Tagesordnung des unter deutschem Vorsitz durchgeführten G7-Gipfeltreffens in Elmau, und beim Folgetreffen der G7-Gesundheitsminister im Oktober wurde die so genannte Berliner Erklärung veröffentlicht. Darin wurden von den G7-Staaten eine Reihe von Maßnahmen zur Bekämpfung von Antibiotika-Resistenzen verabredet, die von einer Stärkung der Prävention und Förderung des sachgerechten Einsatzes von Antibiotika bis zur Prüfung von globalen Produktentwicklungspartnerschaften reichen. Bei der Formulierung dieser Maßnahmen wurden u. a. die vom Bundesgesundheitsministerium bei der Boston Consulting Group beauftragte Studie „Breaking Through the Wall – Enhancing Research and Development of Antibiotics in Science and Industry“ sowie Ergebnisse einer deutschen Arbeitsgruppe von Pharmaindustrie, Wissenschaft, Behörden und Ministerien im Rahmen des Pharma-Dialogs berücksichtigt.
Im Februar 2017 schlug die Boston Consulting Group dann die Gründung einer Global Union for Antibiotics Research and Development (GUARD) vor – zusammen mit weiteren Empfehlungen im Report „Breaking Through the Wall – A Call for Concerted Action on Antibiotics Research and Development“, der wie schon der vorangegangene Report für die Bundesregierung ausgearbeitet worden war.
Eine Konsequenz der Zusagen der Bundesregierung in der Berliner Erklärung war ihre Mitwirkung am Aufbau der Product Development Partnership-Organisation GARDP (siehe Artikel "Product Development Partnerships"). Andere Zusagen setzt sie im Rahmen ihrer schon seit 2008 bestehenden, zuletzt 2015 aktualisierten Deutschen Antibiotika-Resistenzstrategie (DART 2020) um (mit Zwischenbericht im Mai 2017).
Im Juni 2017 bekräftigte die EU mit ihrem aktualisierten "Action Plan against Antimicrobial Resistance" die Bedeutung von Anreizsystemen für die Entwicklung neuer Antibiotika, legte sich aber weiterhin nicht fest, welche zur Anwendung kommen sollten. Ende Juni 2017 empfahl die OECD in ihrer Publikation "Tackling Antimicrobial Resistance Ensuring Sustainable R&D" ein dreifaches Vorgehen zur Steigerung der F&E zu Resistenzen und Antibiotika: 1. Förderung der Grundlagenforschung in akademischen Einrichtungen sowie kleinen und mittleren Unternehmen, die dann in eine "G20 global collaboration platform" als Knowledge Hub einfließt. 2. Unterstützung von aussichtreichen Entwicklungsprojekten gegen die von der WHO priorisierten Erreger (siehe unten). 3. Suche nach geeigneten Fördermöglichkeiten, die das Entwickeln von Antibiotika wirtschaftlich attraktiver machen und dabei das Investment in die F&E von der Notwendigkeit einer Refinanzierung aus dem Verkauf der Produkte entkoppeln.
Der Global AMR R&D Hub
Die G20-Regierungschefs griffen bei ihrem Gipfeltreffen in Hamburg am 07.-08. Juli 2017 in der Abschlusserklärung die Idee eines R&D Collaboration Hub auf; er solle nicht nur Grundlagenforschung, sondern auch Entwicklungsprojekte koordinieren helfen. Sie kündigten an, darüber hinaus weitere „practical market incentive options“ zu prüfen. Priorität für die F&E habe für sie neben den WHO-priorisierten Krankheitserregern auch die Tuberkulose.
Die Bundesregierung hat in den darauffolgenden Monaten den Aufbau des Global AMR R&D Hub – wie er mittlerweile heißt – federführend vorangetrieben. Am 22. Mai 2018 konnte das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) auf der World Health Assembly der WHO verkünden, dass der Hub seine Arbeit aufgenommen hat. Sein Sekretariat hat seinen Sitz bis auf weiteres in Berlin; organisatorisch angeschlossen an das Deutsche Zentrum für Infektionsforschung (DZIF).
Der Weg zur AMR Industry Alliance
Auch in der Industrie erhielt das Thema seit 2015 verstärkte Aufmerksamkeit. So hat sich 2016 die Pharma-, Biotech- und Diagnostika-Industrie beim World Economic Forum in Davos zu mehr Anstrengungen gegen die Resistenzproblematik gemeinsam mit der Politik bekannt. Mehr als 80 Unternehmen sowie zahlreiche Industrieverbände haben dazu die "Declaration by the Pharmaceutical, Biotechnology and Diagnostics Industries on Combating Antimicrobial Resistance" unterzeichnet – unter ihnen der vfa.
Die Deklaration verlangt Anstrengungen für einen verantwortungsvollen Umgang mit den vorhandenen Antibiotika und den Einsatz von mehr Erregerdiagnostik, damit jeweils direkt das bestgeeignete Mittel gewählt werden kann. Beides wirkt dem Aufkommen weiterer Resistenzen entgegen. Die Unterzeichner appellieren an die Regierungen, mit ihnen an neuen Strukturen für einen verlässlicheren und nachhaltigeren Antibiotika-Markt zu arbeiten. Diese sollen für angemessene wirtschaftliche Anreize für Unternehmen sorgen, aber zugleich auch den verantwortungsvollen Gebrauch der Antibiotika fördern; etwa, indem die Einnahmen mit Antibiotika nicht ausschließlich von deren Verordnungsvolumen abhängen. Laut Deklaration wollen die Unternehmen noch mehr in Forschung und Entwicklung für neue Diagnostika, Therapeutika und Impfstoffe gegen Infektionskrankheiten investieren. Sie unterstützen hierbei neue Forschungsallianzen von Unternehmen, öffentlichen Forschungseinrichtungen und anderen öffentlichen Institutionen. Im Rahmen des WHO Global Action Plans soll der Zugang zu den vorhandenen und künftigen Antibiotika allen weltweit ermöglicht werden, die sie benötigen.
Von einigen Unternehmen wurde die Deklaration noch um eine "Industry Roadmap to Combat Antimicrobial Resistance" ergänzt, die genauere Angaben zum Vorgehen macht; neben Antibiotika-Forschung geht es auch um den Zugang zu und den sachgerechten Gebrauch von Antibiotika sowie um eine Überprüfung der bestehenden Antibiotika-Produktion hinsichtlich Umwelt-Aspekten.
Aus diesen Aktivitäten ging 2017 die AMR Industry Alliance hervor, die die Industrieaktivitäten koordiniert und monitoriert, die auf das Problem der Resistenzen bei Krankheitserregern gerichtet sind. Ihr erster Progress Report erschien im Januar 2018.
Priority Pathogens List
Als wesentlich für die weitere internationale Verständigung und Projektplanung hat sich die im Februar 2017 von der WHO veröffentlichte Priority Pathogens List for R&D of New Antibiotics" erwiesen. Alle zwölf hier gelisteten Pathogene sind (multi)resistente Bakterien, gegen die bislang kaum neue Antibiotika in Entwicklung sind, allen voran Carbapenem-resistente Acinetobacter, Pseudomonas und Enterobacteriaceae. Die Liste wurde vielfach gelobt, aber auch dafür kritisiert, dass multiresistente TB-Bakterien nicht aufgenommen worden waren. Andere Institutionen betonten daher die Dringlichkeit weiterer neuer TB-Medikamente; u.a. weist die Abschlusserklärung des G20-Gesundheitsministertreffens vom Mai 2017 darauf hin. Seit Herbst 2017 verknüpft die WHO selbst ihre Liste mit einem Hinweis auf die Dringlichkeit neuer TB-Medikamente, allerdings ohne den Tuberkulose-Erreger Mycobacterium tuberculosis formal in die Liste zu integrieren; so beispielsweise in der Publikation "Prioritization of Pathogens to Guide Discovery, Research and Development of new Antibiotics for Drug-Resistant Antibacterial Infektions, Including Tuberculosis" vom September 2017.